Europarecht

(Zur Steuerbefreiung von Theaterumsätzen gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG)

Aktenzeichen  V R 39/18

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.101220.VR39.18.0
Normen:
§ 4 Nr 20 Buchst a UStG 2005
§ 12 Abs 2 Nr 7 Buchst a UStG 2005
§ 12 Abs 2 Nr 8 Buchst a UStG 2005
Art 132 Abs 1 Buchst n EGRL 112/2006
§ 68 Nr 7 AO
UStG VZ 2010
UStG VZ 2011
UStG VZ 2012
UStG VZ 2013
Art 5 GG
Art 3 Abs 1 GG
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

NV: Zu den in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG nicht näher beschriebenen Umsätzen der Theater gehören nur Leistungen, die für den Betrieb eines Theaters typisch sind. Wenn sich ein Leistungsbündel aus künstlerischer Unterhaltung und kulinarischer Versorgung der Gäste in der Gesamtschau eines Durchschnittsverbrauchers als einheitlicher (komplexer) Umsatz darstellt, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Eine derartige Leistung unterliegt der Regelbesteuerung auch dann, wenn die Qualität der Darbietung höher ist als die Qualität der Speisen.

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 25. Oktober 2018, Az: 6 K 835/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 25.10.2018 – 6 K 835/17 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine gemeinnützige GmbH. Unternehmensgegenstand ist die Förderung von Kunst und Kultur in der Region X und Umgebung. Die Klägerin betreibt das Volkstheater in X und führt in kulturhistorischen Räumen Komödien in … Mundart auf. Die Stücke werden in einem volkstümlichen Ambiente derart dargestellt, dass sich die Hauptszenen an einem Ort abspielen, an dem in der Regel gegessen und getrunken wird.
2
Bei der Veranstaltung “A” erhalten die Gäste mit dem Kauf einer Eintrittskarte die Eintrittsberechtigung sowie die Berechtigung zum Verzehr eines Drei-Gänge-Menüs. Bei der nachmittäglichen Veranstaltung “B” ist in der Eintrittsberechtigung die Berechtigung zur Einnahme von Kaffee/Tee, Kuchen, Eis und Herzhaftem enthalten. Das Stück beginnt, wenn die Gäste den Raum betreten. Schauspieler weisen den Gästen ihre Plätze zu. Im Rahmen des Stücks erhalten die Gäste wie auch die Schauspieler ein Essen, das in die einzelnen Szenen integriert ist. Dabei sind die Schauspieler zugleich das Bedienpersonal. Die Aufführung wird nicht unterbrochen. Während des gesamten Stückes werden die Gäste in die Szenen einbezogen. Die Essensvarianten sind Bestandteile der einzelnen Szenen und sollen die Volkstümlichkeit der Aufführungen sowie sächsische Besonderheiten hervorheben.
3
Das Regierungspräsidium X bescheinigte der Klägerin am XX.XX.2006 gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen erfüllt.
4
Die Klägerin deklarierte für die Jahre 2010 bis 2012 zunächst steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug. In geänderten Umsatzsteuererklärungen für 2010 bis 2012 sowie in der erstmaligen Umsatzsteuererklärung 2013 erklärte die Klägerin Leistungen mit dem ermäßigten Steuersatz und machte erstmals für die Streitjahre (2010 bis 2013) Vorsteuern geltend. Weitere (dem Regelsteuersatz unterliegende) Umsätze aus dem Verkauf von CDs und Figuren sind nicht streitbefangen.
5
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) unterwarf in den Umsatzsteuerbescheiden 2010 bis 2013 vom 07.10.2015 auch die streitbefangenen Umsätze der Klägerin dem Regelsteuersatz.
6
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren statt. Die streitbefangenen Umsätze seien nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG steuerfrei. Die Klägerin sei eine gleichartige Einrichtung i.S. von § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG, die ein Theater betreibe und der die zuständige Landesbehörde bescheinigt habe, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfülle. Die beiden Leistungsbestandteile künstlerische Leistung und Bewirtungsleistung stünden nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung. Denn bei beiden Leistungen handele es sich nicht um ein bloßes Mittel, um die jeweils andere Leistung bestmöglich in Anspruch zu nehmen. Bewirtung und Darbietung erfüllten einen gemeinsamen Zweck.
7
Die Elemente “Aufführung eines Theaterstückes” und “Bewirtung” seien derart eng miteinander verbunden, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden würden. Eine Aufspaltung sei lebensfremd, denn einem durchschnittlichen Verbraucher komme es gerade auf die Verknüpfung beider Elemente an. Gleichwohl liege keine dem Regelsteuersatz unterliegende komplexe Leistung eigener Art vor. Vielmehr liege nach Würdigung aller Umstände eine einheitliche Theaterleistung vor. Ein Vergleich mit Dinnershows verbiete sich, denn der Theaterbesucher habe weder Einfluss auf die Menüauswahl noch auf die Reihenfolge der Speisen.
8
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es die Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG) rügt. Das FG habe die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Feststellung einer einheitlichen Leistung unzutreffend angewendet.
9
Das FA beantragt,das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
11
Das FG-Urteil sei zutreffend. Es gehe nicht darum, dass ein Theaterstück gespielt und “nebenbei” ein Drei-Gänge-Menü gereicht werde. Das Theaterstück sei vielmehr das gemeinsame Einnehmen der Speisen. Ohne die Einnahme der Speisen funktioniere das Theaterstück als solches in seiner Kunstform nicht. Deshalb liege auch nicht etwas eigenständiges Drittes vor, was aber Voraussetzung für die Annahme einer komplexen Leistung sei. Bei einer komplexen Leistung seien Theaterleistung und Essen eigenständig und würden nur zu etwas Drittem miteinander verbunden.
12
Eine Vergleichbarkeit mit Dinner- oder Krimi-Shows liege nicht vor. Bei derartigen Veranstaltungen könne die Verköstigung aus dem Programm entfernt werden, ohne dass sich am eigentlichen Theaterprogramm etwas ändere. Das sei bei den Aufführungen der Klägerin anders, denn der Theaterbesucher werde gleichsam zum Schauspieler.
13
Es würde einen Eingriff in die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Kunstfreiheit bedeuten, wenn eine steuerliche Überprüfung der Kunst erfolge. Es komme auch niemand auf die Idee, Farbe und Leinwand eines Bildes als getrennte Elemente eines Kunstwerkes zu betrachten.


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