Europarecht

Zuständigkeit durch Verzicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit

Aktenzeichen  101 AR 46/21

Datum:
9.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2021, 529
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 39

 

Leitsatz

Als Prozesserklärung gestaltet der von der beklagten Partei wirksam erklärte bindende Verzicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit die Verfahrenslage dergestalt, dass die örtliche Zuständigkeit im Rechtsstreit nicht mehr in Frage gestellt werden kann; bereits der so erklärte Verzicht wirkt zuständigkeitsbegründend. (Rn. 31)

Verfahrensgang

19 O 8569/17 — LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen verlangen von den vier Antragsgegnerinnen Ausgleich des Schadens, der ihnen und ihren Gesamtrechtsvorgängerinnen sowie dem von der Antragstellerin zu 6) bezeichneten Zedenten jeweils durch den Einkauf bzw. das Leasing überteuerter Lastkraftwagen entstanden sein soll.
Unter Bezugnahme auf den Beschluss der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 in Sachen AT-39824 – Trucks machen sie geltend, die Antragsgegnerinnen und weitere Lastkraftwagen-Hersteller und/oder -Vertreiber hätten zwischen 1997 und 2011 Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 getroffen und dadurch gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Sie – die Antragstellerinnen bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen sowie der Zedent – hätten in diesem Zeitraum Lastkraftwagen erworben bzw. geleast und hierfür aufgrund des Kartells überhöhte Kaufpreise bzw. Leasingraten bezahlt. Sie könnten deshalb von den Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 81 EGV bzw. Art. 101 AEUV sowie § 33 GWB (in der bis 12. Juli 2005 geltenden Fassung) jeweils Schadensersatz verlangen.
Mit ihrer beim Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem 30. Dezember 2017 erhobenen Klage wollen sie jeweils die Feststellung erreichen, dass die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet seien, den jeweiligen Schaden zu ersetzen, der ihnen und ihren Rechtsvorgängerinnen bzw. – hinsichtlich der Antragstellerin zu 6) – dieser und dem Zedenten aufgrund des festgestellten Kartellverstoßes entstanden sei und in der Zukunft noch entstehen werde.
Die Sitze der Antragstellerinnen zu 1) bis 5) liegen im Bezirk des Landgerichts Würzburg (Oberlandesgericht Bamberg), derjenige der Antragstellerin zu 6) im Bezirk des Landgerichts Bochum; der Wohnsitz des Zedenten ist nicht mitgeteilt.
Die Antragsgegnerin zu 1) ist im Bezirk des Landgerichts Stuttgart ansässig; die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) haben ihre Sitze im Bezirk des Landgerichts München I.
Die Antragstellerinnen vertraten in der Klageschrift die Auffassung, beim angerufenen Gericht sei der Gerichtsstand des Delikts eröffnet. In dessen Bezirk liege der Erfolgsort. Das geschützte Rechtsgut sei an dem Ort beeinträchtigt worden, an dem sich die von den Antragsgegnerinnen als Mittäterinnen verwirklichten Verstöße auswirkten, mithin an den jeweiligen Sitzen der Antragstellerinnen. Dort hätten die Antragstellerinnen die überhöhten Angebote erhalten und die Zahlung der überhöhten Preise veranlasst. Mit Blick darauf, dass sich die Schadensersatzansprüche jeweils auf kartellrechtliche Ansprüche stützten, seien die Voraussetzungen der Klageverbindung nach § 87 GWB und in der Folge einer Zuständigkeit nach § 88 GWB erfüllt.
Die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) rügten mit ihrer Klageerwiderung vom 22. Mai 2018, das angerufene Gericht sei nur für einen Teil der geltend gemachten Schadensersatzansprüche örtlich zuständig, nicht aber für diejenigen Ansprüche, die von der Antragstellerin zu 6) und von weiteren damals noch als Klägerinnen am Verfahren beteiligten Gesellschaften verfolgt würden. Da deren Sitze nicht im Gerichtsbezirk lägen, befinde sich dort nicht der Erfolgsort der sanktionierten Verhaltensweisen im Sinne des § 32 ZPO. Aus § 88 GWB folge lediglich eine „Annexzuständigkeit“ im Sinne einer Erweiterung der funktionalen Zuständigkeit der Kartellkammer auf weitere nichtkartellrechtliche Ansprüche. Hingegen werde eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die geltend gemachten kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche vorausgesetzt.
Die Antragstellerinnen hielten an ihrer Auffassung fest, das angerufene Gericht sei insgesamt örtlich zuständig. Der Kartellverstoß habe sich „im ganzen EWR“ ausgewirkt; mithin liege der Erfolgsort auch im Bezirk des angerufenen Landgerichts. Hilfsweise beantragten sie mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2019, den Rechtsstreit an das Landgericht Stuttgart – Kartellkammer – zu verweisen.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth erteilte am 26. September 2019 Hinweise zur Sache und am 9. Juni 2020 auf entsprechende Bitte der Antragstellerinnen einen Hinweis in Bezug auf die örtliche Teil-Unzuständigkeit.
Mit Schriftsatz vom 20. August 2020 nahmen die Antragstellerinnen ihren auf Verweisung gerichteten Hilfsantrag zurück. Zudem wurde eine Klagerücknahme für alle übrigen Klägerinnen mit Ausnahme der Antragstellerinnen erklärt. Letztere brachten mit Schriftsatz vom 21. August 2020 beim Landgericht Nürnberg-Fürth den Antrag an, das Landgericht Stuttgart als gemeinsamen Gerichtsstand gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu bestimmen, verbunden mit der Bitte, das Bestimmungsgesuch dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung vorzulegen. Die Antragsgegnerinnen würden als Streitgenossinnen in Anspruch genommen. Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand stehe für die Verfolgung der in einer Klage gebündelten Einzelansprüche der als Streitgenossinnen klagenden Antragstellerinnen nicht zur Verfügung. Unter den zur Auswahl stehenden Gerichten an den allgemeinen Gerichtsständen der Antragsgegnerinnen sei das Landgericht Stuttgart zu wählen, denn dort liege wegen des erheblich größeren Marktanteils der Antragsgegnerin zu 1) der wirtschaftliche Schwerpunkt des Verfahrens.
Die Antragsgegnerin zu 1) erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 7. September 2020, unwiderruflich auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit im Hinblick auf die Klage der Antragstellerin zu 6) zu verzichten. Die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) erklärten mit Schriftsatz selben Datums, nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der Klägerinnen zu 7) bis 9) die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit fallen zu lassen, und kündigten an, sich im Termin zur mündlichen Verhandlung rügelos zur Hauptsache einzulassen. Dem Bestimmungsantrag traten die Antragsgegnerinnen entgegen mit dem Argument, aufgrund der abgegebenen Erklärungen bestehe nun beim Landgericht Nürnberg-Fürth eine örtliche Zuständigkeit für den Rechtsstreit.
Die Antragstellerinnen hielten an ihrem Gesuch fest. Nicht einmal die Verzichtserklärung der Antragsgegnerin zu 1) könne die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die von der Antragstellerin zu 6) verfolgten Ansprüche begründen, denn die Antragstellerinnen hätten mit ihrem Gerichtsstandsbestimmungsantrag zum Ausdruck gebracht, das Verfahren nicht mehr vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, sondern vor dem Landgericht Stuttgart führen zu wollen. Deshalb fehle es an einem wenigstens konkludenten Angebot auf Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung, das von der Antragsgegnerin zu 1) hätte angenommen werden können. Auf den weiteren Einwand, den Erklärungen der Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) lasse sich kein unwiderruflicher bindender Rügeverzicht entnehmen, erklärten die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) mit Schriftsatz vom 28. Januar 2021 „vorsorglich nochmals ausdrücklich“, unwiderruflich auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth hinsichtlich der Klägerin zu 6) zu verzichten.
Mit Verfügung vom 12. März 2021 hat das Landgericht die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung über den Antrag auf Bestimmung des Landgerichts Stuttgart als gemeinsamen Gerichtsstand vorgelegt.
Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung erhalten.
Die Antragsgegnerinnen sind dem Antrag entgegengetreten. Bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth bestehe aufgrund des von allen Antragsgegnerinnen unwiderruflich erklärten Rügeverzichts eine örtliche Zuständigkeit für den Rechtsstreit nach § 39 Satz 1 ZPO. Die für einen wirksamen Rügeverzicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderliche Form des § 38 ZPO sei eingehalten. Die Gerichtsstände nach § 38 ZPO und nach § 39 ZPO stünden selbständig nebeneinander. Unabhängig davon sei das angerufene Gericht jedenfalls für die von den Antragstellerinnen zu 1) bis 5) mit der Klage verfolgten Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des § 32 ZPO örtlich zuständig. Mithin sei allenfalls eine Zuständigkeitsbestimmung hinsichtlich der Antragstellerin zu 6) veranlasst. Für diesen Fall haben sie angeregt, unter Abweisung des weitergehenden Antrags das Landgericht München I als örtlich zuständiges Gericht hinsichtlich der Klage der Antragstellerin zu 6) zu bestimmen. Der Prozess wäre insoweit nach § 145 ZPO aufzutrennen.
Die Antragstellerinnen haben die Meinung vertreten, ein Rügeverzicht könne die Zuständigkeit eines nach dem Gesetz unzuständigen Gerichts nur begründen, wenn nicht nur die formellen, sondern auch die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO vorlägen. Hingegen stehe es nicht im Belieben der beklagten Partei, einseitig, mithin ohne übereinstimmenden Willen mit dem Kläger, einen Gerichtsstand zu begründen, worauf bereits die Überschrift des Titels 3 des Buches 1 der Zivilprozessordnung („Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte“) hinweise. Die Voraussetzungen des § 38 ZPO seien jedoch nicht erfüllt, weil sie, die Antragstellerinnen, mit ihrem Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung deutlich zum Ausdruck gebracht hätten, das Verfahren nicht mehr vor dem zunächst angerufenen Gericht, sondern nunmehr vor dem Landgericht Stuttgart führen zu wollen. Ein annahmefähiges Angebot auf Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung liege daher nicht vor. Für die Bestimmung des Landgerichts Stuttgart sprächen zahlreiche Gründe.
II.
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung ist zurückzuweisen. Da es einen gemeinsamen Gerichtsstand gibt, an dem der Rechtsstreit geführt werden kann, fehlt dem Gesuch das Rechtsschutzbedürfnis.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständig. Die Antragsgegnerinnen haben ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (Stuttgart und München), so dass das gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht über das Gesuch, weil das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Für die Bestimmung eines für den Rechtsstreit zuständigen Gerichts ist im Verfahrensstadium des Streitfalls kein Raum.
a) Zur Entscheidung über die in einer Klage gebündelten Ansprüche der Antragstellerinnen zu 1) bis 5) gegen die Antragsgegnerinnen zu 1) bis 4) ist das angerufene Landgericht örtlich nach § 32 ZPO i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz (Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz – GZVJu) vom 11. Juni 2012 zuständig. Dem Landgericht Nürnberg-Fürth sind nach der genannten landesrechtlichen Konzentrationsnorm die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 87 GWB für die Landgerichtsbezirke der Oberlandesgerichte (Nürnberg und) Bamberg übertragen. Der Ort des Schadenseintritts liegt bei Vermögensschäden des Abnehmers der kartellbefangenen Sache grundsätzlich am Sitz des durch die Kartellabsprache Geschädigten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, juris Rn. 18; BayObLG, Beschluss vom 30. April 2019, 1 AR 30/19, juris Rn. 19). Er liegt für die von den Antragstellerinnen zu 1) bis 5) erhobene Klage nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien jeweils im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg.
b) Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist außerdem zur Entscheidung über die in demselben Rechtsstreit geltend gemachten Ansprüche der Antragstellerin zu 6) berufen.
aa) Die mit den Schriftsätzen der Antragsgegnerin zu 1) vom 7. September 2020 und der Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) vom 28. Januar 2021 abgegebenen Prozesserklärungen beinhalten zweifelsfrei einen mit Bindungswillen erklärten Verzicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit hinsichtlich der Klage der Antragstellerin zu 6).
bb) Ein vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung erklärter Verzicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit ist rechtlich zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2013, X ARZ 425/13, NJW-RR 2013, 1398 Rn. 10; Beschluss vom 19. März 2013, X ARZ 622/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 19. Februar 2013, X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 11; KG, Beschluss vom 20. November 2017, 2 AR 44/17, juris Rn. 9; Toussaint in BeckOK ZPO, 40. Ed. Stand: 1. März 2021, § 39 Rn. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 39 Rn. 8; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO,18. Aufl. 2021, § 39 Rn. 3 und 5; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 39 Rn. 8; Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 39 Rn. 8 und 12; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 39 Rn. 13).
Für eine die Zulässigkeit der Klage betreffende Rüge besteht zwar mit § 39 ZPO eine gegenüber § 282 Abs. 3, § 296 Abs. 3 ZPO speziellere und daher vorrangige Regelung dahingehend, dass die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit noch bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache erhoben werden kann (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22. September 1982, 17 U 65/81, ZIP 1982, 1490 [1491]; Bacher in BeckOK ZPO, § 282 Rn. 14; Chaslowicz in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 39 Rn. 6). An der Möglichkeit eines rechtlich wirksamen und bindenden Verzichts auf die Rüge bereits vor der mündlichen Verhandlung ändert dies aber nichts.
cc) Da ein solcher Verzicht im Ergebnis zur Begründung der Zuständigkeit eines nach dem Gesetz an sich nicht zuständigen Gerichts führt, ist ein außerhalb der mündlichen Verhandlung erklärter Verzicht allerdings nur wirksam und entfaltet daher für das weitere Verfahren bindende Wirkung nur, wenn die formellen und sachlichen Voraussetzungen für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vorliegen (Toussaint in BeckOK ZPO, § 39 Rn. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 39 Rn. 8; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, § 39 Rn. 5; Wern in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl. 2020, § 12 Rn. 10; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 39 Rn. 7).
Das ist hier der Fall.
Unabhängig davon, ob ein Verzicht im Streitfall mit Blick auf § 38 Abs. 1 ZPO formfrei möglich gewesen wäre, ist jedenfalls die Form des § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gewahrt (vgl. Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 39 Rn. 13; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 39 Rn. 8). Die übrigen Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts liegen ebenfalls vor: Die Erklärungen der Antragsgegnerinnen betreffen eine vermögensrechtliche Streitigkeit und konkret ein bestimmtes Rechtsverhältnis; für die Klage ist kein ausschließlicher Gerichtsstand begründet (vgl. § 40 ZPO; Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 39 Rn. 7 mit § 38 Rn. 6).
Keinen Einfluss auf die Wirksamkeit und Bindungswirkung der Verzichtserklärungen als Prozesshandlungen hat der Umstand, dass die Erklärungen bereits mangels annahmefähigen Angebots der Antragstellerin zu 6) nicht zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 ZPO geführt haben (zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung infolge Rügeverzichts: OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 2019, 32 SA 60/19, juris Rn. 27 f.; Beschluss vom 11. März 2019, 32 SA 16/19, juris Rn. 17 f.).
d) In der Verfahrenslage, die im Rechtsstreit infolge der wirksamen Verzichtserklärungen eingetreten ist, besteht kein Rechtsschutzinteresse an der Bestimmung eines für den Rechtsstreit gemeinsam zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.
Die nach dieser Norm grundsätzlich vorgegebene Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsbestimmung bei Vorliegen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands geht auf die Überlegung zurück, dass eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht notwendig ist, wenn der Kläger von vornherein ein für alle Streitgenossen zuständiges Gericht anrufen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 29). Die gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit dient dazu, eine Rechtsschutzlücke zu schließen, die bestünde, wenn die beabsichtigte gemeinsame Rechtsverfolgung gegen Streitgenossen am Fehlen eines gemeinschaftlichen Gerichtsstands scheitern würde. Ist aber ein Gerichtsstand eröffnet, an dem der Kläger gegen alle Streitgenossen gemeinsam Klage führen kann, bedarf er zur Erreichung dieses Ziels keiner Gerichtsstandsbestimmung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21. April 2021, 102 AR 63/21, juris Rn. 19; Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20, juris Rn. 14; Beschluss vom 12. September 2019, 1 AR 87/19, juris Rn. 20, je m. w. N.).
Bereits der wirksam erklärte bindende Verzicht auf die Rüge der Unzuständigkeit wirkt zuständigkeitsbegründend, denn als Prozesserklärung gestaltet er die Verfahrenslage in der Weise, dass die örtliche Zuständigkeit im Rechtsstreit nicht mehr in Frage gestellt werden kann (vgl. auch BGH NJW-RR 2013, 1398 Rn. 10; KG, Beschluss vom 20. November 2017, 2 AR 44/17, juris Rn. 9; Schultzky in Zöller, ZPO, § 39 Rn. 12; Wern in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 39 Rn. 4). Der wirksam erklärte Verzicht hat dieselbe präkludierende Wirkung wie das Verhandeln zur Hauptsache nach § 39 Satz 1 ZPO. Seit der Änderung der §§ 38 bis 40 ZPO durch das Gesetz zur Änderung der Zivilprozessordnung vom 21. März 1974 (BGBl. I S. 753) stellt § 39 ZPO auf den Verlust des Rügerechts ab, nicht mehr – wie zuvor – auf die Annahme einer stillschweigenden Gerichtsstandsvereinbarung (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, § 39 Rn. 17.1; Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 39 Rn. 1).
Selbst wenn man erst dem Verhandeln zur Hauptsache gemäß § 39 Satz 1 ZPO zuständigkeitsbegründende Wirkung beimessen wollte (so noch: OLG Schleswig, Beschluss vom 11. Juli 2012, 2 W 187/11, juris Rn. 29; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. April 2010, 2 AR 12/10, MDR 2010, 832 [juris Rn. 7]), bestünde infolge der eingetretenen verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen kein Bedürfnis mehr für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, denn eine gemeinsame Rechtsverfolgung der in Streitgenossenschaft klagenden Antragstellerinnen zu 1) bis 6) gegen die Antragsgegnerinnen zu 1) bis 4) als Streitgenossinnen ist aufgrund der Verzichtserklärungen gesichert (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 30. März 1999, 1Z AR 16/99, juris Rn. 8 f.). Dass der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung am entgegenstehenden Willen der Antragstellerin zu 6) scheitert, ist hierfür – wie ausgeführt – ohne Belang.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 3).


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