Familienrecht

Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

Aktenzeichen  M 25 K 16.1724

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130324
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO §§ 114 ff.
AufenthG § 30
AufenthG § 5
AufenthG § 10
RL 2003/86/EG – Familienzusammenführungsrichtlinie

 

Leitsatz

Tenor

Der Klägerin wird unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt … Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe

I.
Die 29-jährige Klägerin ist ukrainische Staatsangehörige und begehrt mit ihrer Klage die Verpflichtung des Beklagten, ihr während ihres laufenden Asylverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu erteilen.
Die Klägerin ist seit 2012 mit einem seit 2014 im Bundesgebiet anerkannten syrischen Flüchtling verheiratet und seit dem … April 2016 Mutter eines im Bundesgebiet geborenen ehelichen Kindes.
Die Klägerin und ihr Ehemann heirateten im April 2012 in der Ukraine. Die Klägerin ist nach ihren Angaben Ingenieurin, der Ehemann schloss im Mai 2012 in der Ukraine ein Medizinstudium ab (Blatt 60 Behördenakte).
Der Ehemann beantragte am … Januar 2014 Asyl im Bundesgebiet, woraufhin ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom … Juli 2014 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannte (Blatt 21). Im Oktober/November 2014 bemühte die Klägerin sich erfolglos um ein Visum zum Familiennachzug.
Daraufhin reiste sie am … April 2015 als Touristin (Blatt 119) mit einem gültigen Schengen-Visum der slowenischen Auslandsvertretung in Kiew nach Deutschland ein (Blatt 72) und beantragte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (Schreiben der damaligen Bevollmächtigten vom 7. Mai 2015). Sie ließ dabei angeben, sie habe sich erst nach ihrer Einreise entschlossen, einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zu stellen, weil sie Angst bekommen habe, bei einer Rückkehr in die Ukraine in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten (Blatt 79).
Das Bundesamt teilte dem Beklagten auf seine Anfrage gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG vom Dezember 2015 mit (Blatt 88), dass es sich rechtlich bei dem Vortrag um ein Asylgesuch im Sinne des § 13 AsylG handele und die Ausländerin auf das Asylverfahren zu verweisen sei, weil es kein Wahlrecht zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz gebe. Sollte die Ausländerin die Stellung eines Asylantrags beim Bundesamt unterlassen, könne sie sich auch gegenüber der Ausländerbehörde nicht (mehr) auf zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG berufen (Schreiben vom 23.12.2015, Blatt 105, mit Verweis auf BVerwG, B.v. 3.3.2006 – 1 B 126/05).
Am … Februar 2016 beantragte die Klägerin Asyl (Blatt 128).
Mit Schreiben vom … Februar 2016 beantragten die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG. Die Aufenthaltsgestattung stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 AufenthG vorlägen (vgl. § 39 Nr. 4 AufenthV) und das Erteilungsverbot des § 10 AufenthG ohnehin mit der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht vereinbar sei (unter Verweis auf BayVGH, B.v. 21.7.2015 –10 CS 15.859) (Blatt 127).
Mit Bescheid vom … März 2016, am … März 2016 zugestellt, lehnte die Beklagte die Anträge vom *. Mai 2015 und vom … Februar 2016 ab (Nr. 1). Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
Mit Schriftsatz vom … April 2016, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, ließ die Klägerin Klage erheben mit dem Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom … März 2016 zu verpflichten, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Auf mündliche Verhandlung wurde verzichtet und mitgeteilt, dass die Klägerin am … April 2016 ein eheliches Kind zur Welt gebracht habe.
Mit Schriftsatz vom … April 2016, bei Gericht am … Mai 2016 eingegangen, beantragten die Prozessbevollmächtigten unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse,
der Klägerin unter ihrer Beiordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Mit Schreiben vom … Mai 2016 legte der Beklagte die Behördenakten vor und beantragte,
die Klage abzuweisen.
Die Klagebegründung enthalte kein Vorbringen, das nicht bereits im angefochtenen Bescheid behandelt worden sei. Auf die gerichtliche Bitte, zum Umstand, dass die Klägerin im April 2016 Mutter geworden ist, Stellung zu nehmen, äußerte sich der Beklagte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der klägerische Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten hat Erfolg.
1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
1.1. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
1.2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet außerdem hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Die Erfolgschancen der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug sind vorliegend zumindest als offen zu betrachten. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1.2.1. Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dürften vorliegend erfüllt sein. Indes erscheint es fraglich, ob auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen. Fraglich sind insofern die Regelerteilungsvoraussetzungen der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und der Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Allerdings sind Abweichungen von beiden Voraussetzungen gesetzlich vorgesehen und möglich und kommen vorliegend unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin seit April 2016 Mutter eines Kleinkindes ist, auch in Betracht.
1.2.2. Insofern dürfte es auf die Rechtsfrage, ob § 10 Abs. 1 AufenthG als Titelerteilungssperre vorliegend anwendbar ist oder wegen Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie) außer Betracht zu bleiben hat, entscheidungserheblich ankommen.
Hierzu werden gegenläufige Ansichten vertreten. Zwar hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof – jedoch nur im Hinblick auf § 10 Abs. 3 AufenthG – entschieden, dass § 10 Abs. 3 AufenthG nicht mit der Familienzusammenführungsrichtlinie kollidiert (BayVGH, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 – juris Rn. 59). Ob sich diese Rechtsprechung auch auf § 10 Abs. 1 AufenthG übertragen lässt, ist – soweit ersichtlich – ober- oder höchstgerichtlich noch nicht entschieden. Da in der Literatur (Dienelt in: Renner, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 10 Rn. 5) auch nach der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nach wie vor eine andere Auffassung vertreten wird, handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine umstrittene Rechtsfrage. Auf diese wird es vorliegend voraussichtlich auch entscheidungserheblich ankommen.
Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Klage dürfen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu hoch angesetzt werden; es genügt wenn die Erfolgsaussichten der Klage offen sind. Dies ist im Hinblick auf die oben angesprochene Rechtsfrage vorliegend der Fall.
Antragsgemäß war der Klägerin auch ihr Prozessbevollmächtigter gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen, da eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
2. Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist kostenfrei, Auslagen werden nicht erstattet.


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