Familienrecht

Beschwerde gegen vorläufige Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus

Aktenzeichen  13 T 2397/18, 13 T 2398/18

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150406
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 38 Abs. 3 S. 3, § 58 Abs. 1, § 63 Abs. 2, § 64, § 68 Abs. 3, § 70 f., § 331
BGB § 1906 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, kann das Gericht durch einstweilige Anordnung unter den Voraussetzungen der § 331 ff. FamFG die vorläufige Unterbringung eines Betroffenen anordnen oder genehmigen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Voraussetzung für den Erlass einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme ist nach § 1906 Abs. 1 BGB eine ernste und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten (hohes und konkretes Suizidrisiko). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

708 XVII 7309/16 2018-02-07 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 08.08.2017, Az. 708 XVII 7309/16, wird verworfen.
2. Die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 07.02.2018, Az. 708 XVII 7309/16, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1. Mit Beschluss vom 20.06.2017 (Bl. 87/90) wurde – nach vorläufiger Betreuung – für den Betroffenen die Betreuung eingerichtet, für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber einer therapeutischen oder Wohneinrichtung. Zum gesetzlichen Betreuer als Berufsbetreuer wurde Herr … bestellt.
2. Mit Beschluss vom 08.08.2017 (Bl. 99/103) genehmigte das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus bis längstens 07.11.2017 und in einer therapeutischen Einrichtung bis längstens 07.08.2018.
Der Beschluss wurde dem Betroffenen am 11.08.2017 zugestellt (Bl. 217/218).
3. Am 07.11.2017 wurde der Betroffene aus der geschlossenen Unterbringung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, … in München in die geschlossene Übergangseinrichtung Haus … auf dem Gelände des Isar-Amper-Klinikums München Ost verlegt.
4. Mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei Gericht am 01.12.2017 (Bl. 118), legte der Betroffene gegen den Beschluss vom 08.08.2017 „Widerspruch“ ein.
Mit weiterem undatiertem Schreiben, eingegangen bei Gericht am 07.12.2017 (Bl. 120), legte der Betroffene erneut gegen den Beschluss vom 08.08.2017 „Widerspruch“ ein. Zugleich bat er in dem Schreiben um vorzeitige Beendigung des Beschlusses und des Betreuungsverfahrens.
Mit Schreiben vom 29.12.2017 (Bl. 126) stellte der Betroffene sinngemäß klar, dass seine vorangegangenen Schreiben nicht als „Bitte“, sondern als Aufforderung zur Beendigung des Unterbringungsbeschlusses und des Betreuungsverfahrens zu verstehen seien.
5. Der psychische Zustand des Betroffenen verschlechterte sich nach Verlegung auf Haus 13 a (Bl. 122/123, fachärztliche Stellungnahme von … vom 15.12.2017).
Nachdem der Betroffene am 03.02.2018 Selbstmordabsichten geäußert und sich danach eine Zeit lang aus der Einrichtung mit unbekanntem Aufenthaltsort entfernt hatte, wurde er nach seiner Rückkehr am 03.02.2018 mit seinem Einverständnis in die Station … des …-Klinikums München-… aufgenommen (Bl. 153).
6. Mit Schreiben vom 05.02.2018 beantragte der Betreuer (Bl. 154) die Genehmigung für die beschützende Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus.
7. Das … München-… beantragte durch die Stationsärztin Dr. … mit Schreiben vom 06.02.2018 (Bl. 164/167) die gerichtliche Genehmigung des Klinikaufenthaltes. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt:
Einweiser und Aufnahmegrund:
Der Betroffenen kam auf freiwilliger Basis aufgrund einer Exacerbation der paranoiden Schizophrenie zur Aufnahme. Laut Kollegen von … habe Herr … einem Mitpatienten mitgeteilt, dass er sich bis Montag sicher umgebracht habe.
Klinischer Befund:
Der Betroffenen ist im Kontakt läppisch, distanzgemindert, formal umständlich, teils vorbeiredend, inhaltlich wahnhaft überzeugt, Gott habe ihn ausgewählt und würde ihm Befehle erteilen, inhaltlich, akustische Halluzinationen in Form von Stimmenhören, teils auch imperativ, derzeit fassadär, Selbstgefährdung durch wahnhaft bedingte situative Verkennung und Realitätsverlust. Es besteht keine Krankheitseinsicht und Behandlungseinsicht.
Diagnose (n): ICD-10: F20.0 paranoide Schizophrenie
8. Der Betroffene wurde am 07.02.2018 (Bl. 168/169) vom Amtsgericht in Anwesenheit der Verfahrenspflegerin Rechtsanwältin … und der Stationsärztin Dr. … angehört.
Die Stationsärztin äußerte sich dabei wie folgt: Der Betroffenen hat eine paranoide Schizophrenie. Er hat sich suizidal geäußert. Hier paranoide, halluzinatorisch, wahnhaft, hört die Stimme Gottes. Die Stimme hat ihm gesagt, dass er sich der Mutter gegenüber aggressiv verhalten soll. Keine ausreichende Krankheitseinsicht Der Betroffene soll richtig eingestellt werden. Wenn es ihm gut geht, soll er wieder auf … Er hat die Medikation lange genommen, dann abgesetzt. Jetzt nimmt er die Medikation wieder.
9. Mit Beschluss vom 07.02.2018 (Bl. 170/174) genehmigte das Amtsgericht die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 20.03.2018.
10. Dagegen legte der Betroffene mit Schreiben vom 11.02.2018 (Bl. 175/184), eingegangen bei Gericht am 11.02.2018, Beschwerde/Widerspruch ein.
11. Das Amtsgericht half den Beschwerden mit Beschluss vom 15.02.2018 (Bl. 200/202) nicht ab.
12. Mit Beschluss vom 15.02.2018 (Bl. 196/199) wies das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung des Beschlusses vom 08.08.2017 und sämtliche Folgeanträge betreffend die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung zurück.
Mit weiterem Beschluss vom 15.02.2018 (Bl. 103/106 Bh) wies das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen vom 29.12.2017 und alle Folgeanträge auf Aufhebung der Betreuung zurück.
Zur Klarstellung: Die Beschlüsse vom 15.02.2018 sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
II.
Der Betroffene wurde von der Sachverständigen Frau … Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, seit Mai 2017 im Auftrag des Amtsgerichts mehrfach begutachtet. Diese erstellte am 15.05.2017 (Bl. 3/10), 27.07.2017 (Bl.85/95), 05.11.2017 (Bl. 108/113) und 26.01.2018 (Bl. 132/144) schriftliche Gutachten. Die Sachverständige kommt bei allen Untersuchungen zu der Einschätzung, dass bei dem chronisch an einer schweren Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis erkrankten Betroffenen die freie Willensbildung aufgehoben ist und – so das Gutachten vom 26.01.2018 – weiterhin akute und konkrete Selbstgefährdungsmomente bestehen, die, da sie aus der besonderen religiösen Wahnkonstellation resultieren, das übliche Selbstgefährdungspotential einer schizophrenen Erkrankung deutlich übersteigen, namentlich ein erhebliches Suizidrisiko (insbesondere aufgrund der imperativen Stimmen) sowie Selbstgefährdung durch wahnhaftes Verkennen von Situationen, Verwahrlosung, Verschlechterung der psychischen Grunderkrankung durch unregelmäßige Einnahme oder Absetzen der Medikation und zusätzlichem Drogenkonsum, erneutes Auftreten von stupurösen, nahezu kataton anmutenden Zuständen. Nach Einschätzung der Sachverständigen steht der Betroffene unter dem ständigen Einfluss von beängstigenden akustischen Halluzinationen und Wahnideen, wodurch es zu einer regelrechten Erstarrung aus Angst kommt. In diesen Zuständen sind raptusartige, nicht kontrollierbare, suizidale Handlungen äußert wahrscheinlich.
III.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 08.08.2017 ist – ohne Sachprüfung – zu verwerfen, da sie unzulässig ist. Die Beschwerde ist nicht innerhalb der Beschwerdefrist von 1 Monat nach Zustellung des Beschlusses – die Zustellung erfolgte am 11.08.2017 – bei Gericht eingegangen. Die Beschwerdeschreiben des Betroffenen gingen erst am 01.12.2017, 07.12.2017 und 29.12.2017 bei Gericht ein.
IV.
Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 07.02.2018 (vorläufige geschlossene Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus) ist zulässig. Sie ist gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt, §§ 63 Abs. 2, 64 FamFG.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, da die Voraussetzungen für die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung vorliegen.
Wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, kann das Gericht durch einstweilige Anordnung unter den Voraussetzungen der § 331 FamFG die vorläufige Unterbringung eines Betroffenen anordnen oder genehmigen. Materiellrechtliche Voraussetzung für den Erlass einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme ist nach § 1906 Abs. 1 BGB eine ernste und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten.
Eine solche krankheitsbedingte Gefährdung ist hier anzunehmen.
Nach den Ausführungen der behandelnden Ärztin … und den Gutachten der Sachverständigen … besteht bei dem Betroffenen derzeit eine schwere Exacerbation der psychischen Erkrankung – paranoide Schizophrenie (ICD-10:F20.0).
Nach Einschätzung der Sachverständigen resultieren daraus verschiedene Selbstgefährdungsmomente, insbesondere ein hohes und konkretes Suizidrisiko, da der Betroffene unter dem ständigen Einfluss von beängstigenden akustischen Halluzinationen und Wahnideen steht und in diesen Angstzuständen nicht kontrollierbare, suizidale Handlungen sehr wahrscheinlich sind. Vor dem Hintergrund der vom Betroffenen geäußerten Suizidabsichten stellt sich diese Gefährdung als konkrete Lebensgefährdung dar.
Nach den Ausführungen der Ärztin ist die Unterbringung auch notwendig, um den Betroffenen medikamentös erneut einzustellen, wozu der Betroffene derzeit auch bereit ist.
Der Betroffene ist zu einer freien Willensbildung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Unterbringung nicht in der Lage. Der Betroffene ist ohne jede Krankheitseinsicht. Die krankheitsbedingten Gefährdungen kann er nicht erkennen.
Aufgrund der erheblichen Lebens- und Gesundheitsgefährdung ist die vorläufige Unterbringung erforderlich und verhältnismäßig.
Angesichts der akuten Erkrankung der Betroffenen liegt ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden vor.
Das vorgeschriebene Verfahren wurde eingehalten (§ 331 FamFG).
Der Betroffene wurde vom Amtsgericht zeitnah angehört. Von einer erneuten Anhörung durch die Beschwerdekammer sind zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten (§ 68 Abs. 3 FamFG).


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