Familienrecht

Beschwerde, Jugendamt, Rechtsmittel, FamFG, Herausgabe, Anordnung, Zustellung, Vollstreckung, Kind, Anordnungsverfahren, verwerfen, Kinder, Sorge, Mutter, elterliche Sorge, elterlichen Sorge, gerichtliche Entscheidung

Aktenzeichen  7 UF 1200/21

Datum:
11.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1967
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 57 S. 2 Nr. 1, § 59 Abs. 1 und 3

 

Leitsatz

1. Umfasst eine gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren sowohl gem. § 57 S. 2 FamFG beschwerdefähige als auch unanfechtbare Teile, so kann nicht die gesamte Entscheidung angefochten werden, sondern nur der beschwerdefähige Teil für sich.
2. Ein Jugendamt, welches durch das Amtsgericht in einem Beschluss zur elterlichen Sorge im einstweiligen Anordnungsverfahren aufgrund mündlicher Erörterung als Ergänzungspfleger ausgewählt und bestellt wurde, kann diesen Teil der Entscheidung nicht anfechten, weil es sich hierbei nicht um eine Entscheidung über die elterliche Sorge für ein Kind § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG handelt.

Verfahrensgang

113 F 444/21 2021-11-17 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Die Beschwerde des Stadtjugendamts M… gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg – Abteilung für Familiensachen -, Az: 113 F 444/21, vom 17.11.2021 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Nürnberg – Abteilung für Familiensachen – entzog mit Beschluss vom 29.07.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung der allein sorgeberechtigten Mutter vorläufig das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung von Schul- und Kindergartenangelegenheiten, Pass- und Meldeangelegenheiten, die Gesundheitssorge sowie das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen für die Kinder K… G…, geboren am … und K… M…, geboren am … Soweit die Rechte der Mutter entzogen wurden, ordnete das Gericht in Ziffer 2 des Beschlusses die Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf das Jugendamt der Stadt N… Die Mutter, die beim Jugendamt N… bereits seit längerem bekannt ist und über deren Erziehungsfähigkeit in einem Hauptsacheverfahren durch das Amtsgericht Nürnberg (Az: 113 F 3531/20) bereits ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben ist, wurde zuletzt im Februar 2021 erneut Opfer häuslicher Gewalt durch den Vater der Kinder. Im März 2021 verzog die Mutter mit beiden Kindern in die Familienpension des Trägers P… in der D… straße … in M…, das Jugendamt der Stadt Nürnberg suchte indes nach einer passenden Mutter-Kind-Einrichtung. Am 09.07.2021 wurde die Mutter zuletzt in M… gesehen, ihre Familie vermutet, sie sei mit beiden Kindern und dem Vater in die T… ausgereist.
Mit Beschluss vom 24.08.2021 ergänzte das Amtsgericht Nürnberg den Beschluss vom 29.07.2021 dahingehend, dass es die Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger und zur Vollstreckung der Herausgabe die Anwendung unmittelbaren Zwangs anordnete.
Da das Jugendamt der Stadt N… die Auffassung vertrat, aufgrund des Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder im März für die Ausübung der Ergänzungspflegschaft nicht mehr zuständig zu sein, beteiligte das Amtsgericht auch das Stadtjugendamt M… an dem Verfahren. Dieses erklärte schriftlich, da der Familie die Wohnung in M… zum 22.07.2021 gekündigt worden und der derzeitige Aufenthalt der Familie nicht bekannt sei, hätten die Kinder weder ihren tatsächlichen noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt derzeit in M… Auch sei die Anordnung der Ergänzungspflegschaft bei unbekanntem Aufenthalt der Familie nicht das geeignete Mittel zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung, da die übertragenen Rechte durch den Ergänzungspfleger nicht ausgeübt werden könnten.
In einem Erörterungstermin vor dem Amtsgericht Nürnberg am 17.11.2021, zu dem sowohl die Eltern durch öffentliche Zustellung der Ladung als auch die Jugendämter der Städte N… und M… geladen worden waren, nahm die Verfahrensbeiständin der Kinder, ein Vertreter der Stadt N… als Ergänzungspflegerin sowie eine Vertreterin des Jugendamtes der Stadt N… teil. Im Anschluss an diese mündliche Verhandlung erließ das Amtsgericht aufgrund derselben im Wege der einstweiligen Anordnung folgenden Beschluss:
„Der Beschluss in hiesigem Verfahren vom 29.07.2021 abgeändert durch Beschluss vom 24.08.2021 wird gem. § 54 Abs. 1 S.1 insofern abgeändert als die Ziffer 2 nun lautet:
Soweit die Rechte der Mutter entzogen wurden, wird die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die entzogenen Rechte übertragen auf das Jugendamt der Stadt M…“
Gegen diesen Beschluss wendet sich das Stadtjugendamt M… in seiner Beschwerde vom 15.12.2021, die am selben Tag bei dem Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist. Der Beschluss vom 17.11.2021 sei dort erst am 14.12.2021 in Form einer weitergeleiteten Email des Jugendamts N… eingegangen. Eine Zustellung des Beschlusses des Amtsgerichts Nürnberg an das Stadtjugendamt M… sei nicht erfolgt. Es werde beantragt, den Beschluss aufzuheben, da das Stadtjugendamt M… örtlich für die Pflegschaft nicht zuständig sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt je in M… gehabt hätten, jedenfalls habe ein solcher zum Zeitpunkt der Bestellung des Stadtjugendamts M… in M… nicht mehr bestanden.
Mit Verfügung vom 20.12.2021 regte das Oberlandesgericht bei der Beschwerdeführerin an, die Beschwerde zurückzunehmen, da der Senat beabsichtige, die Beschwerde des Jugendamts als unzulässig zu verwerfen. Gegen eine Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren sei nur in den in § 57 S.2 FamFG benannten Ausnahmefällen ein Rechtsmittel gegeben. Eine solche Ausnahme liege hier nicht vor. Daraufhin teilte die Beschwerdeführerin mit, die Beschwerde werde aufrechterhalten. Bei der Entscheidung, wer zum Ergänzungspfleger bestellt werde, handele es sich um eine Entscheidung über die elterliche Sorge i.S. von § 57 S.2 Nr. 1 FamFG. Auch sei in diesem Beschluss der Beschluss vom 29.07.2021 abgeändert worden, mit dem die elterliche Sorge der Mutter eingeschränkt worden sei. Das Amtsgericht Nürnberg habe zudem in der Rechtsbehelfsbelehrungauf das Rechtsmittel der Beschwerde ausdrücklich hingewiesen.
II.
Die Beschwerde des Stadtjugendamts M… gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg – Abteilung für Familiensachen -, Az: 113 F 444/21 vom 17.11.2021 ist als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Beschwerde wurde durch die Beschwerdeführerin fristgerecht eingelegt. Da sich auch in der Akte kein Nachweis über die Zustellung des Beschlusses bei der Beschwerdeführerin findet, ist davon auszugehen, dass die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Beschlusses an das bereits beteiligte Stadtjugendamt der Stadt M… durch das Amtsgericht unterblieben ist. Damit beurteilt sich der Fristbeginn nach § 63 Abs. 3 S.2 FamFG (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 63 FamFG, Rn. 7), sodass die Beschwerdefrist gewahrt ist.
2. Die Beschwerdeführerin hat zwar beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 17.11.2021 aufzuheben, greift diesen erkennbar jedoch nur an, soweit sie als Ergänzungspflegerin für die Kinder betroffen ist. Aus der ausführlichen Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin lediglich die Regelungsgegenstände überprüft haben möchte, die sie als Ergänzungspflegerin betreffen. Eine Beschwerde gegen den Entzug der Teilbereiche der elterlichen Sorge der Mutter gem. § 1666 BGB und die im Änderungsbeschluss vom 24.08.2021 eingefügten flankierenden Maßnahmen zur Vollstreckung gem. § 49 Abs. 2 S.3 FamFG (Herausgabeanordnung, Anordnung des unmittelbaren Zwangs) sollte erkennbar nicht eingelegt werden.
3. Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nicht anfechtbar (§ 57 S.1 FamFG), soweit sich nicht aus § 57 S.2 FamFG eine Anfechtbarkeit ergibt. Dabei sind die einzelnen Teile der Entscheidung gesondert zu betrachten. Umfasst eine gerichtliche Entscheidung sowohl beschwerdefähige als auch unanfechtbare Teile, so kann nicht die gesamte Entscheidung angefochten werden, sondern nur der beschwerdefähige Teil für sich (vgl. Heiß in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, 4. Aufl. 2022, § 57 FamFG, Rn. 3)
a) Das Amtsgericht Nürnberg hat im Beschluss vom 17.11.2021 durch den Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge der Mutter gem. § 1666 BGB über die elterliche Sorge entschieden (Haußleiter, FamFG, FamFG § 57 Rn. 5, beck-online). Diesbezüglich wäre der Beschluss rechtsmittelfähig, jedoch liegt dahingehend eine Beschwerde durch das Jugendamt nicht vor (vgl. Ziff. 2).
b) Auch die Entscheidung des Amtsgerichts über die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gem. § 1909 BGB ist nach § 57 S.2 Nr.1 FamFG anfechtbar, da diese die Entscheidung darüber mit einschließt, dass die Eltern an der Ausübung der elterlichen Sorge in Teilbereichen verhindert sind und damit ebenfalls einen Eingriff in das Sorgerecht darstellt (vgl. Keidel/Giers, 20. Aufl. 2020, FamFG, § 57, Rn. 6c). Ob diese Entscheidung von der Beschwerde des Stadtjugendamts umfasst sein sollte, geht aus der Beschwerdebegründung nicht eindeutig hervor. Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde auch die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft angreifen wollte, wäre sie diesbezüglich jedenfalls nicht gem. § 59 Abs. 1 und 3 FamFG beschwerdeberechtigt, da sie durch diesen Beschluss nicht in ihren Rechten beeinträchtigt ist. Bei der Anordnung der Ergänzungspflegschaft und der Bestellung des Ergänzungspflegers handelt es sich um selbständige, voneinander zu unterscheidende Verfahrensgegenstände. Das Jugendamt ist lediglich in Bezug auf die Auswahl und die Bestellung der Person des Ergänzungspflegers beschwerdebefugt (BGH, Beschluss vom 23.11.2011 – XII ZB 293/11; KG Berlin, FamRZ 2015, 2079 -2081).
c) Im Hinblick auf die Entscheidung über die Auswahl und die Bestellung der Person des Ergänzungspflegers im einstweiligen Anordnungsverfahren ist der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg jedoch nicht anfechtbar, da darin keine Entscheidung über die elterliche Sorge zu sehen ist. Die Ausnahmefälle des § 57 S.2 FamFG gründen darauf, dass hier in besonderem Maße grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Beteiligten betroffen sind (vgl. Heiß in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, 4. Aufl. 2022, § 57 FamFG, Rn. 2). Dies ist bei der Entscheidung über die Auswahl des Ergänzungspflegers, die eine wesentlich geringere Eingriffsintensität aufweist, nicht der Fall.
d) Auch aus der Rechtsmittelbelehrungdes Amtsgerichts ergibt sich eine Anfechtbarkeit dieses Verfahrensgegenstands nicht. Die Rechtsmittelbelehrungdes Amtsgerichts, das auf das Rechtsmittel der Beschwerde hinweist, ist nicht falsch, bezieht sich lediglich auf andere Regelungsinhalte. Selbst wenn die Rechtsmittelbelehrungden fehlerhaften Hinweis auf die Möglichkeit eines Rechtsmittels enthielte, eröffnete dies keinen nach dem Verfahrensrecht nicht gegebenen Instanzenzug (vgl. Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 39 FamFG, Rn. 16a)
Die Beschwerde des Stadtjugendamts M… ist daher als unzulässig zu verwerfen.
III.
Die Kostenentscheidung des Senats beruht auf § 84 FamFG. Da es sich beim Jugendamt um eine Behörde der kommunalen Gebietskörperschaft handelt, sind Jugendämter nicht an sich gem § 2 FamGKG von der Erhebung von Kosten befreit (BeckOK KostR/Siede, 35. Ed. 1.10.2021, FamGKG § 2 Rn. 22).
Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf §§ 40 Abs. 1, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
IV.
Ein Rechtsmittel gegen die vorliegende Entscheidung ist nicht gegeben (§ 70 Abs. 4 FamFG).


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