Familienrecht

Bestellung einer Betreuerin trotz Vorsorgevollmacht

Aktenzeichen  75 XVII 1442/18

Datum:
10.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 57634
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1896 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Dadurch, dass sich Mutter und Tochter nicht mehr sehen können und von beiden Seiten keine Kontaktaufnahme mehr möglich ist, ist das Gericht der Auffassung, dass durch die weitere Bevollmächtigte keine Ausübung der Vollmacht zum Wohle der Betroffenen mehr vorliegt. Es handelt sich somit um einen erheblichen Mangel bei der Vollmachtausübung, so dass trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht eine Betreuerin zu bestellen ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Eine Betreuung und Kontrollbetreuung werden angeordnet.
Die Betreuung umfasst folgende Aufgabenkreise:
– Organisation des Kontaktes zwischen der Betreuten und ihrer Tochter …
Information der … bezüglich des Gesundheitszustandes und des Aufenthaltsortes der Betreuten
Die Kontrollbetreuung umfasst folgende Aufgabenkreise:
– Verwaltung des Immobilienvermögens bzw. der Immobilienanteile der Betreuten einschließlich der Vermietung
Zur Betreuerin und Kontrollbetreuerin wird bestellt:

– als Berufsbetreuerin –
Das Gericht wird spätestens bis zum 10.05.2022 über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung und Kontrollbetreuung entscheiden.
Bis zu einer erneuten Entscheidung gelten die getroffenen Regelungen fort.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen.
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

Die Voraussetzungen für die Bestellung der Betreuerin und Kontrollbetreuerin sind gegeben.
Zwar liegen im vorliegenden Verfahren zwei Vorsorgevollmachten zugunsten der beiden Töchter der Betroffenen, zum einen zugunsten von … vom 11.02.2013 und zugunsten von … vom 28.01.2013 vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene zu diesen Zeitpunkten nicht mehr geschäftsfähig war, liegen nicht vor. Die Vollmacht zugunsten von … wurde zwar mit Schreiben vom 20.09.2016 widerrufen. Der Zugang und die Wirksamkeit des Widerrufs werden von der Bevollmächtigten … bestritten, dies ist jedoch nicht vom Betreuungsgericht, sondern vom Zivilgericht zu entscheiden, so dass das Gericht derzeit vom Vorliegen zweier wirksamer Vorsorgevollmachten auszugehen hat.
Trotz des Vorliegens der Vorsorgevollmachten hat das Gericht im vorliegenden Fall einen Betreuer und Kontrollbetreuer zu bestellen, § 1896 Abs. 1, 3 BGB, da es Zweifel daran hat, dass die Bevollmächtigte … die Vollmacht zum Wohle der Betroffenen ausübt.
1. Aufgrund der Angaben der Bevollmächtigten … ist dieser eine Kontaktaufnahme zur Betroffenen nicht mehr möglich. Dies steht auch aufgrund der gerichtlichen Anhörung der Betreuten in deren üblichen Umgebung am 08.03.2019 und der Anhörung der weiteren Verfahrensbeteiligten, insbesondere der beiden bevollmächtigten Töchter der Betroffenen vom 03.04.2019 fest. Nach Auffassung des Gerichts ist es der Bevollmächtigten … nicht mehr möglich, Kontakt zur Betroffenen aufzunehmen. Die Bevollmächtigte … hat ihre Mutter nun seit Oktober 2018 nicht mehr sehen können, da die weitere Bevollmächtigte … das Schloss der Wohnungstür der Betroffenen ausgetauscht hat und der weiteren Bevollmächtigten hierzu keinen Schlüssel gegeben hat. Auch eine Kontaktaufnahme über das Telefon ist der Bevollmächtigten … nicht mehr möglich. Die Betroffene selbst hört weder die Klingel der Wohnungstür noch ihr . Telefon, zum anderen konnte das Gericht sich bei der Wohnungsanhörung der Betroffenen am 08.03.2019 davon überzeugen, dass für die Betroffene kein Telefon zur Verfügung stand und greifbar war. Die Betroffene äußerte in ihrer Anhörung am 08.03.2019 auch nicht, dass sie ihre Tochter … nicht mehr sehen möchte.
Dadurch, dass sich Mutter und Tochter nicht mehr sehen können und von beiden Seiten keine Kontaktaufnahme mehr möglich ist, ist das Gericht der Auffassung, dass durch die weitere Bevollmächtigte … keine Ausübung der Vollmacht zum Wohle der Betroffenen mehr vorliegt. Es handelt sich hier um einen erheblichen Mangel bei der Vollmachtausübung. Zwar kümmert sich die Bevollmächtigte … nach Auffassung des Gerichts und auch nach Auffassung der weiteren Bevollmächtigten … vorbildlich um die Pflege und Versorgung der gemeinsamen Mutter. Dadurch, dass die Bevollmächtigte … aber ansonsten den Kontakt der Bevollmächtigten … zur gemeinsamen Mutter zu verhindern sucht, sieht das Gericht vorliegend konkrete Anhaltspunkte als gegeben, dass die Bevollmächtigte hier nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt, so dass es deshalb eine Betreuerin bestellt hat. Das Gericht geht davon aus, dass die beiden Bevollmächtigten so tief zerstritten sind, dass sie ohne die Hilfe einer Betreuerin keine Regelung finden können, welche der Bevollmächtigten … eine Kontaktaufnahme zur Mutter und regelmäßige Besuche möglich macht. Somit war die Bestellung einer Betreuerin trotz der vorliegenden Vorsorgevollmachten erforderlich, § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB.
Die Anordnung lediglich einer Kontrollbetreuung für die Aufgabenkreise Organisation des Kontaktes und Information bezüglich des Gesundheitszustandes hält das Gericht für nicht ausreichend. Im Rahmen der Anhörung der beiden Bevollmächtigten am 03.04.2019 konnte sich das Gericht einen hinreichenden Eindruck davon verschaffen, dass tiefgreifende, auch lange zurückliegende familiäre Konflikte zwischen den bevollmächtigen Schwestern existieren. Eine Kontrollbetreuung könnte sich hier nur darauf beschränken, die Gespräche der Töchter hinsichtlich der Besuche und Besuchstermine zu kontrollieren. Die Verfahrenspflegerin … kommt in ihrer Stellungnahme vom 09.05.2019 jedoch zum Ergebnis, dass eine Kontrollbetreuung dann nicht zum gewünschten Erfolg führen kann, wenn die Gespräche zwischen den Bevollmächtigten nicht zu einem Erfolg führen. Eine Betreuung sei an diesem Punkt nur effektiv, wenn sie initiativ und nicht lediglich kontrollierend ausgeübt wird. Dieser Auffassung tritt das Gericht vollumfänglich bei.
Die Betreuungsstelle Stadt Nürnberg hat in ihrer Stellungnahme vom 09.04.2019 letztlich die Bestellung einer Kontrollbetreuerin befürwortet, da die Bevollmächtigte … ihrer Schwester so viele Steine in den Weg legt, dass die Bevollmächtigte … in der Roller der Bittstellerin ist, damit sie ihre Mutter sehen kann. Dieser Auffassung tritt das Gericht bei, hält jedoch aus den genannten Gründen eine Kontrollbetreuung in diesem Bereich nicht für ausreichend sondern die Anordnung einer Betreuung für erforderlich. Bei der Auswahl der Betreuerin ist das Gericht dem bedenkenfreien Vorschlag der Betreuungsstelle gefolgt.
2. Für den Bereich der Verwaltung des Immobilienvermögens bzw. der Immobilienanteile der Betreuten einschließlich der Vermietung hält das Gericht die Anordnung einer Kontrollbetreuung für erforderlich, § 1896 Abs. 3 BGB, da das Gericht der Auffassung ist, dass mit der Vollmacht alleine dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (vgl. Insoweit auch BGH Beschluss vom 23.09.2015, Az. XII ZB 624/14, FamRZ 2015, 2163). Eine Kontrollbetreuung ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist (BGH Beschluss vom 09.05.2018, Aktenzeichen XII ZB 413/17).
Die Betroffene verfügt vorliegend über eine Eigentumswohnung, welche durch den Bekannten der Bevollmächtigten …, vermietet wird. Auf die Frage in der Anhörung der Bevollmächtigten am 03.04.2019, weshalb diese Konstellation der Vermietung gewählt wurde, antwortete die Bevollmächtigte …, dass sie von Geldangelegenheiten wenig verstehe. … sei Geschäftsmann, er kenne sich in solchen Dingen besser aus.
Die Bevollmächtigte hat somit selbst erklärt, nicht über die ausreichenden Kenntnisse und Erfahrungen über eine gewinnbringende Verwertung der Immobilie zu verfügen. Die Verfahrenspflegerin … ist der Auffassung, dass Frau … mangels ausreichender Kenntnisse und Erfahrungen die ihr erteilte Vollmacht nicht ebenso gut wie ein Betreuer ausüben kann, so dass eine Kontrollbetreuung für diesen Aufgabenbereich erforderlich ist Dieser Auffassung tritt das Gericht bei.
3. Die Bestellung einer Betreuerin und Kontrollbetreuerin erfolgt auch unabhängig davon, ob die Vollmacht zugunsten der Tochter … nun wirksam widerrufen wurde. Auch wenn Frau … nicht Bevollmächtigte wäre, sähe das Gericht vorliegend einen erheblichen Mangel an der Vollmachtausübung durch die Bevollmächtigte …, da es nicht zum Wohl der Betroffenen sein kann, wenn dieser und auch ihrer Tochter faktisch jede Möglichkeit genommen werden, sich zu sehen.
4. Das Gericht hat die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf vorerst aus dem Aufgabenkreis der Betreuung herausgenommen. Das Gericht geht bisher davon aus, dass noch behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung durch die Bevollmächtigte … vorliegen, so dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch gebietet, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftsablegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (Senatsbeschluss vom 30. August 2017 – XII ZB 16/17 – FamRZ 2017, 1866 Rn. 25; BGH Beschluss vom 09.05.2018 – XII ZB 413/17, BeckRS 2018, 11559, Rn. 32).
5. Weitere Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Betreuung oder Kontrollbetreuung im Übrigen haben sich nach derzeitigem Sachstand nicht ergeben. Die Bevollmächtigte … erklärte im Rahmen der Anhörung am 03.04.2019, dass sich letztlich keine Hinweise finden ließen, welche auf finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der Betreuungsführung schließen lassen. Insoweit war der Antrag der Bevollmächtigten … vom 19.06.2018 auf Anordnung einer Betreuung für sämtliche aus dem Formular ersichtlichen Aufgabenkreise mit Ausnahme der Gesundheitsfürsorge im Übrigen abzulehnen.
6. Die Voraussetzungen für die Bestellung einer (Kontroll-) Betreuerin liegen auch im Übrigen vor.
Die Betreute ist aufgrund einer der in § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgeführten Krankheiten bzw. Behinderungen, nämlich einer senilen Demenz vom Alzheimer Typ, nicht in der Lage, die Angelegenheiten ausreichend zu besorgen, die zum genannten Aufgabenkreis gehören.
Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus dem ärztlichen Gutachten des Sachverständigen … vom 08.01.2019. Danach ist ein freier Wille der Betroffenen gem. § 1896 Abs. 1a BGB nicht mehr gegeben.
Dies entspricht auch dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts, den sich dieses bei der Anhörung der Betreuten in deren üblicher Umgebung am 08.03.2019 verschafft hat.
7. Bei der Festsetzung der Überprüfungsfrist hat das Gericht zum einen die Ausführungen des Sachverständigen berücksichtigt. Zum anderen geht es davon aus, dass der angeordnete Zeitraum ausreichend ist, um eine solide und tragfähige Regelung zur Kontaktaufnahme mit den Beteiligten zu finden.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 287 Abs. 2 Satz 1 FamFG.


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