Familienrecht

Betreuungssache: Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift des zuständigen Richters; Notwendigkeit der Überlassung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen vor Anordnung der Betreuung

Aktenzeichen  XII ZB 148/19

Datum:
4.9.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:040919BXIIZB148.19.0
Normen:
§ 37 Abs 2 FamFG
§ 64 Abs 2 S 1 FamFG
§ 280 FamFG
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
12. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die gesetzliche Form der Einlegung der Beschwerde durch Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde zur Niederschrift des zuständigen Richters eingelegt und die Einlegung von diesem protokolliert wird.
2. Zur Notwendigkeit der Überlassung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen vor Anordnung einer Betreuung (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2019 – XII ZB 393/18, FamRZ 2019, 724 und vom 21. November 2018 – XII ZB 57/18, FamRZ 2019, 387).

Verfahrensgang

vorgehend LG Schweinfurt, 4. März 2019, Az: 11 T 28/19vorgehend AG Schweinfurt, 26. November 2018, Az: 4 XVII 512/18

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 4. März 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht hat für den Betroffenen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Abschluss von Verträgen jeglicher Art, Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung und unterbringungsähnliche Maßnahmen und Vermögenssorge eingerichtet sowie die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin bestellt. Es hat zudem einen auf die Vermögenssorge bezogenen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
2
Dagegen hat der Betroffene Einwände erhoben, die von den Vorinstanzen als Beschwerde betrachtet worden sind. Das Landgericht hat einen Verfahrenspfleger bestellt und die Beschwerde sodann ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Mit der von ihm eingelegten Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen die Einrichtung der Betreuung.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist, wie der Betroffene mit Recht rügt, verfahrensfehlerhaft ergangen.
4
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb zurückzuweisen, weil die Erstbeschwerde verfristet wäre.
5
Das Landgericht hat die Wirksamkeit der Ersatzzustellung des amtsgerichtlichen Beschlusses an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter eines Krankenhauses nicht festzustellen vermocht. Aus der Akte gehe nicht hervor, dass der Betroffene, der sich kurz zuvor noch in einem anderen Krankenhaus befunden habe, dort gewohnt, das heißt dort gelebt und geschlafen habe. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2018 – XII ZB 138/18 – FamRZ 2018, 1534 Rn. 4) und ist als tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden. Dementsprechend ist die Beschwerdefrist zunächst nicht in Lauf gesetzt worden.
6
Der Betroffene hat die Beschwerde zwar durch eine von ihm gegenüber der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zunächst abgegebene telefonische Erklärung noch nicht wirksam eingelegt, weil es insoweit an der nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Form fehlt. Indessen hat er in seiner anschließenden Anhörung durch die im Abhilfeverfahren zuständige Amtsrichterin ausweislich des von dieser gefertigten Protokolls erneut erklärt, dass er die angeordnete Betreuung ablehne, was das Landgericht in zulässiger Weise als Beschwerdeeinlegung angesehen hat. Dies genügt dem Formerfordernis nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG, wobei unschädlich ist, dass die Beschwerde zur Niederschrift des Richters statt der Geschäftsstelle eingelegt worden ist, und auch eine Unterschrift des Betroffenen auf dem Anhörungsprotokoll nicht erforderlich war (vgl. Keidel/Sternal FamFG 19. Aufl. § 64 Rn. 18 mwN).
7
2. Die angefochtene Entscheidung ist bereits deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen, weil dem Betroffenen das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten entgegen § 37 Abs. 2 FamFG weder während des erstinstanzlichen Verfahrens noch im Beschwerdeverfahren überlassen worden ist. Die vorliegend erfolgte bloß auszugsweise Bekanntgabe durch die Betreuungsbehörde und durch den in der Rechtshilfe tätigen Richter genügt hierfür nicht. Dieser Mangel führt zugleich zur Verfahrensfehlerhaftigkeit der Anhörung des Betroffenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2019 – XII ZB 393/18 – FamRZ 2019, 724 Rn. 8 und vom 21. November 2018 – XII ZB 57/18 – FamRZ 2019, 387 Rn. 6 mwN).
8
3. Da die genannten Verfahrensmängel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen, kommt es auf die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen nicht an. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
9
Das Landgericht wird nach Überlassung des Gutachtens an den Betroffenen diesen – in Anwesenheit des Verfahrenspflegers – persönlich anzuhören haben (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2019 – XII ZB 58/19 – FamRZ 2019, 1355 Rn. 11 ff. mwN). Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht zugleich Gelegenheit, im Fall des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen einer Betreuung die Erforderlichkeit der einzelnen Aufgaben sowie eines Einwilligungsvorbehalts zu überprüfen und diese gegebenenfalls nachvollziehbar zu begründen.
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