Familienrecht

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Aktenzeichen  551 F 9129/20

Datum:
15.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52236
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die elterliche Sorge für die gemeinsamen minderjährigen Kinder, geboren am,, geboren am, und, geboren am, wird der Antragstellerin übertragen.
2. Dem Antragsgegner wird untersagt, die gemeinsamen minderjährigen Kinder, geboren am,, geboren am, und, geboren am, außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und außerhalb der Grenzen der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens zu verbringen.
Das Bundespolizeipräsidium, Potsdam, wird ersucht, jede Ausreise der vorbenannten Kinder aus der Bundesrepublik Deutschland und der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens zu verhindern, sofern die Begleitperson nicht durch einen Gerichtsbeschluss späteren Datums nachweisen kann, dass sie Inhaberin der elterlichen Sorge, der Personensorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder sonst zur Mitnahme der Kinder berechtigt ist.
Die Dauer der Anordnungen wird befristet bis 14.12.2021.
3. Der Umgang des Antragsgegners mit den gemeinsamen Kindern, geb.,, geb.,, geb. wird bis zum 14.06.2021 ausgeschlossen.
4. Dem Antragsgegner wird verboten,
– die Wohnung, München zu betreten,
– sich im Umkreis von 50 Metern von der Wohnung, München aufzuhalten,
– in irgendeiner Form Verbindung zu den Kindern aufzunehmen etwa durch Ansprache, Telefonat, E-Mail, SMS oder über soziale Netzwerke,
– sonst ein Zusammentreffen mit den Kindern herbeizuführen und sich den Kindern auf weniger als 50 Meter zu nähern bzw. bei einem zufälligen Zusammentreffen diesen Abstand nicht sofort wieder herzustellen.
Die Dauer der Anordnungen wird befristet bis 14.06.2021.
5. Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehend aufgeführten Unterlassungsverpflichtungen die Festsetzung von Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, angedroht.
6. Die Gerichtskosten des Verfahrens haben die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden nicht erstattet.
7. Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die Eltern der Kinder. Die Eltern leben nicht nur vorübergehend getrennt. Das Scheidungsverfahren ist unter dem Aktenzeichen F /20 anhängig.
Dem gegenständlichen Antrag sind bereits drei Verfahren vorausgegangen. Im Verfahren F /20 wurden gegen den Antragsgegner Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz mit Beschluss vom 18.05.2020 angeordnet, der wegen wiederholter Verstöße und weiterer zu erwartender Verstöße mit Beschluss vom 18.11.2020 bis zum 18.05.2021 verlängert wurde. Im einstweiligen Anordnungsverfahren F /20 wurde gegen den Antragsgegner ein vorläufiges Kontakt- und Näherungsverbot gegenüber den Kindern ausgesprochen. Im Hauptsacheverfahren wegen elterlicher Sorge unter dem Aktenzeichen F /20 schlossen die Beteiligten im Anhörungstermin am 08.06.2020 eine Vereinbarung. Gegenstand dieser Vereinbarung war zum einen die Erteilung einer umfassenden Sorgerechtsvollmacht durch den Antragsgegner an die Antragstellerin und zum anderen die Aufnahme einer Beratung bei MIM und Frauenhilfe, u.a. zur Erarbeitung einer Umgangsregelung. Der Antragsgegner verpflichtete sich, bis zum Vorliegen einer Umgangsregelung durch die Beratungsstellen, keinen Kontakt zu den Kindern aufzunehmen. Im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung sah das Gericht mit Beschluss vom 08.06.2020 von der Verhängung von Maßnahmen nach § 1666 BGB, insbesondere eines Kontakt- und Näherungsverbotes, ab und hob die einstweilige Anordnung im Verfahren F /20 auf. Die Beratung des Antragsgegners wurde zwischenzeitlich durch MIM beendet.
Die Antragstellerin beantragt, die alleinige elterliche Sorge auf sich zu übertragen. Weiterhin beantragt die Antragstellerin gegen den Antragsgegner eine Grenzsperre zu verhängen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Gericht hat einen Verfahrensbeistand für die Kinder bestellt und sie sowie die Eltern persönlich angehört. Das Gericht hat außerdem das Jugendamt angehört. Verfahrensbeistand und Jugendamt befürworten die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin sowie die Anordnung einer Grenzsperre. Auf den Vermerk über die Anhörung vom 15.12.2020 wird Bezug genommen.
Von der Anhörung des dreijährigen Kindes wurde schon wegen des geringen Alters und des nicht zu erwartenden Erkenntnisgewinns abgesehen. Von einer Anhörung der Kinder und wurde im Hinblick auf die aktuelle Corona-Pandemie abgesehen. Darüber hinaus ist auch im Hinblick auf die Frage der Grenzsperre und der Regelung der elterlichen Sorge von einer persönlichen Anhörung durch das Gericht kein weiterer Erkenntnisgewinn, der über den Eindruck der Verfahrensbeiständin hinaus geht, zu erwarten. Weiterhin wurden die Kinder sowohl von der Verfahrensbeiständin, als auch vom Jugendamt angehört und die Kinder haben eindeutige Angaben bei den Beratungsstellen MIM und Frauenhilfe gemacht, die von den beiden Vertretern der Fachstellen im Anhörungstermin wiedergegeben wurden.
II.
Elterliche Sorge
Die Entscheidung hinsichtlich der elterlichen Sorge beruht auf § 1671 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht auf Antrag einem Elternteil die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht und zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Das Regelungsbedürfnis ergibt sich vorliegend, da der Antragsgegner die zunächst im Verfahren F /20 erteilte Sorgerechtsvollmacht zugunsten der Antragstellerin widerrufen hat.
Unabdingbare Voraussetzung für eine Aufrechterhaltung der gemeinsamem elterlichen Sorge ist die Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Eltern. Zwar sprechen ein Elternkonflikt oder die Ablehnung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch einen Elternteil für sich genommen noch nicht gegen die gemeinsame elterliche Sorge. Erforderlich ist jedoch ein Mindestmaß an Übereinstimmung der Eltern in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige Beziehung zwischen den Eltern. (BVerfG FamRZ 2004, 354; BGH FamRZ 2016, 1439; BGH FamRZ 2008, 592). Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, der gemeinsamen elterlichen Sorge gegenüber der alleinigen elterlichen Sorge einen Vorrang einzuräumen. Es besteht keine Vermutung dafür, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.) Für die Aufhebung der gemeinsamem Sorge reicht die begründete Besorgnis, dass die Eltern auch in Zukunft nicht fähig sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzung beizulegen. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen (BGH FamRZ 2016, 1439).
Danach war hier die elterliche Sorge auf die Antragstellerin zu übertragen. Die Antragstellerin ist die Hauptbezugsperson der Kinder und betreut die Kinder seit der Trennung vom Antragsgegner allein. Zwischen den Eltern besteht ein erhebliches Konfliktpotenzial. Die Kinder waren während des gemeinsamen Zusammenlebens Zeuge der massiven Auseinandersetzungen der Eltern, wodurch die Kinder stark verunsichert wurden. Dieses Konfliktfeld ist nach wie vor nicht bearbeitet. Der Antragsgegner sieht eine Verantwortlichkeit bei sich nicht gegeben und bestreitet oder bagatellisiert die Vorfälle. Eine vernünftige Kommunikation zum Wohle der Kinder ist unter diesen Umständen nicht möglich. Es entspricht daher dem Wohl der Kinder am besten, die Entscheidungsbefugnis allein auf die Antragstellerin zu übertragen. Die Antragstellerin arbeitet mit den Fachstellen gut zusammen und die Kinder haben sich seit der Trennung gut entwickelt und sind ruhiger geworden. Die Antragstellerin hat die Bedürfnisse der Kinder im Blick. Eine Vollmachtserteilung kommt aus Sicht des Gerichts nicht in Betracht. Der Antragsgegner hat bereits eine Vollmacht erteilt und diese widerrufen. Das gesamte Verhalten des Antragsgegners zeigt, dass eine Vollmacht keine verlässliche Lösung ist. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass ein Widerruf erneut erfolgt, wenn sich der Antragsgegner wieder ungerecht behandelt fühlt. Sowohl Verfahrensbeistand als auch Jugendamt sehen eine Vollmacht nicht als ausreichend an.
Grenzsperre
Das Verbot, die Kinder ins Ausland zu verbringen, beruht auf § 1666 BGB. Es ist zu befürchten, dass das Wohl der Kinder bei einer Verbringung ins Ausland, die das Gericht als realistisch ansieht, gefährdet wäre. Die Kinder würden von der bisherigen Hauptbezugsperson getrennt und aus der gewohnten Umgebung herausgerissen. Das Gericht wird daher veranlassen, dass der Antragsgegner gemäß § 30 Abs. 3 Bundespolizeigesetz zur grenzpolizeilichen Kontrolle ausgeschrieben wird. Der Antragsgegner hat Beziehungen nach Nordmazedonien. Er hat auch selbst angegeben, dass er beabsichtigt hatte, selbst dorthin zurückzukehren, wobei er Nordmazedonien als „zuhause“ bezeichnet hat, wenngleich er auch betont hat, dass er die Kinder nicht mitnehmen würde. Das Gericht konnte sich im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner – obwohl er eigentlich keine Scheidung wollte – diese in Nordmazedonien eingereicht hat, so dass sich auch das dortige Jugendamt eingeschaltet hat, nicht davon überzeugen, dass der Antragsgegner die Kinder nicht nach Mazedonien verbringen könnte.
Die Befristung der Maßnahmen beruht auf § 30 Abs. 3 Satz 3 Bundespolizeigesetz.
Umgangsausschluss und Kontakt- und Näherungsverbot.
Der Umgangsausschluss und die Unterlassungsanordnungen sind als Maßnahme zur Abwendung einer bestehenden Gefahr für die Kinder gemäß §§ 1684, 1666 Abs. 1, 3 BGB von Amts wegen zu treffen. Das Kindeswohl ist zur Überzeugung des Gerichts gefährdet. Die Kinder bei einer unkontrollierten Kontaktaufnahme und einer erneuten Einbeziehung in den massiven Konflikt der Eltern erheblich gefährdet. Seit der Trennung ist bei den Kindern eine Beruhigung eingetreten. Der Versuch einen begleiteten Umgang über MIM und Frauenhilfe zu installieren ist gescheitert. Der Antragsgegner hat in der Anhörung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er wieder Kontakt zu seinen Kindern haben möchte und seine Kinder sehen will. Ein Umgang kommt aber derzeit nicht in Betracht. In der Verhandlung vom 08.06.2020 war bereits klar, dass eine Anbahnung des Umgangs der verängstigten Kinder nicht ohne Zwischenschaltung weiterer Personen erfolgen kann. Daher erfolgte die Beratung über MIM und Frauenhilfe. Da die Beratung durch MIM beendet wurde, ist die getroffene Vereinbarung hinfällig und es bedarf einer erneuten Regelung. Der Antragsgegner hat die Beratungen, in denen eine Anbahnung des Umgangs werden sollte, durch sein Verhalten zum Scheitern gebracht. Er ist nicht in der Lage seine eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen und seine Anteile an der bei den Kindern vorhandenen Angst zu erkennen. Er ist auch nicht bereit an einer Lösung zu arbeiten. Die Empfehlungen der Fachstellen kann er nicht annehmen. Die Kinder äußern, dass sie den Vater nicht sehen wollen. Sie fordern eine Änderung auf Seiten des Vaters. Dieser ist jedoch nicht bereit etwas zu ändern und an sich zu arbeiten. Dies hat er anschaulich in der Anhörung zum Ausdruck gebracht.
Der Umgang ist daher gemäß §§ 1684, 1666 BGB für die Dauer von 6 Monaten auszuschließen. Ein Umgang gefährdet derzeit das Wohl der Kinder, da eine Retraumatisierung zu befürchten ist. Auch die weiteren getroffenen Maßnahmen nach § 1666 BGB sind aufgrund des Verhaltens des Antragstellers auch während der Geltung des Gewaltschutzbeschlusses erforderlich. Eine Kontaktaufnahme zu den Kindern ist in jeder Form zwingend zu unterlassen, da die Kinder durch die überraschende Anwesenheit des Antragstellers verängstigt werden, wie auch die Reaktion von auf das plötzliche Auftauchen des Antragsgegners vor der Wohnung, in deren Verlauf das Kind die Polizei verständigte zeigt. Durch dieses Ereignis wurde die Angst von wieder verstärkt und sie musste erst wieder stabilisiert werden.
Bei diesem Sachverhalt besteht gegenwärtig die Gefahr, dass ohne die Unterlassungsanordnung das Kindeswohl beeinträchtigt und eine Schädigung der Kinder mit ziemlicher Sicherheit eintreten wird. Die Befristung der Anordnung erfolgt unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, § 1666a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB, und unter Berücksichtigung der Regelung des entsprechenden § 1 Abs. 1 Satz 2 GewSchG.
Die Androhung von Ordnungsmitteln beruht auf §§ 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, 890 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 45 FamGKG.


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