Familienrecht

(Keine Anwendung von § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ohne inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG)

Aktenzeichen  III R 23/20

Datum:
25.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.250221.IIIR23.20.0
Normen:
§ 62 Abs 1 EStG 2009
§ 49 EStG 2009
§ 1 Abs 3 EStG 2009
§ 8 AO
§ 9 AO
§ 12 AO
Art 68 Abs 2 S 3 EGV 883/2004
Art 6 OECDMustAbk
Art 6ff OECDMustAbk
§ 66 Abs 2 EStG 2009
EStG VZ 2015
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 4. März 2020, Az: 7 K 7168/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.03.2020 – 7 K 7168/18 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des ausgezahlten Kindergeldes für die Monate Juli bis Dezember 2015.
2
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater des im November 1998 geborenen Sohnes W, der im November 1999 geborenen Tochter K und der im Mai 2003 geborenen Tochter Z. Er ist polnischer Staatsbürger, die Ehefrau und Kinder leben gemeinsam mit ihm in Polen.
3
Am 24.01.2008 meldete er unter der Anschrift X-Straße in Y einen Betrieb Trockenbau sowie Bodenleger, Holz- und Bautenschutz, Fliesenleger, Einbau von genormten Fertigteilen und am 22.01.2008 einen Wohnsitz unter derselben Anschrift an. Unter dieser Anschrift bescheinigte am 10.01.2018 der Schwiegervater des Klägers, dass sein Schwiegersohn und Mitbewohner “seit 22.01.2008 bei (ihm) wohnhaft (sei) und regelmäßig seinen Mietanteil in Höhe von 200 €” an ihn entrichte und keine Rückstände bestünden. Aus einer weiteren “Vermieterbescheinigung” vom 15.01.2018 ergibt sich, dass die Wohnung 57 m² groß sei, durch zwei Personen genutzt werde und die Wohnung ausschließlich zu Wohnzwecken vermietet werde.
4
Am 10.09.2013 beantragte der Kläger erstmals Kindergeld, wobei er angab, verheiratet (und nicht dauernd getrennt lebend) zu sein und dass seine Ehefrau mit den Kindern in Polen lebe. Die Ehefrau war im Streitzeitraum selbst erwerbstätig. Sie stimmte der Gewährung des Kindergeldes an den Kläger zu. Der Kläger legte einen Bescheid einer polnischen Behörde (Gemeindeverwaltung) vom 13.08.2013 vor, wonach kein Antrag auf Kindergeld in Polen gestellt wurde. Mit Bescheiden jeweils vom 24.06.2015 gewährte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) dem Kläger Kindergeld für die Kinder W und K für das Jahr 2009 bis einschließlich April 2013 und für alle drei Kinder ab Mai 2013 bis November 2016.
5
Mit mehreren Schreiben forderte die Familienkasse den Kläger auf, die gewerbliche Tätigkeit für den Zeitraum Juli bis Dezember 2015 durch Kopien von Rechnungen (inkl. Leistungszeitraum und Leistungsort) und Kontoauszügen nachzuweisen. Der Kläger reichte die Rechnungen 03/2015 vom 01.07.2015 (Leistungszeitraum 13.05.2015 bis 30.06.2015), 05/2015 vom 03.11.2015 (Leistungszeitraum 01.10.2015 bis 27.10.2015) und 06/2015 vom 19.12.2015 (Leistungszeitraum 05.11.2015 bis 18.12.2015) ein. Aus diesen Rechnungen ergibt sich, dass der Kläger in den angegebenen Zeiträumen auf einer Baustelle in Belgien gearbeitet hat.
6
Der Kläger wurde laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig veranlagt. Aus dem Einkommensteuerbescheid 2015 ergibt sich, dass Einkünfte in Höhe von 3.211 €, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, in den Progressionsvorbehalt einbezogen wurden.
7
Mit Bescheid vom 18.06.2018 hob die Familienkasse die bisherige Kindergeldfestsetzung für die Monate Juli bis Dezember 2015 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 3.420 € zurück.
8
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 20.08.2018).
9
Die Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, ein Kindergeldanspruch für den Streitzeitraum bestehe nicht, da bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nur für die Kalendermonate vorliege, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte i.S. des § 49 EStG erziele, die der Einkommensteuer unterliegen. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger im Streitzeitraum ausschließlich in Belgien tätig gewesen sei und im Inland tatsächlich keine Betriebsstätte unterhalte.
10
Ob der Kläger im Inland einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung –AO–) oder einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) habe, ließ das FG dahinstehen, weil auch dann nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 883/2004 –Grundverordnung–) kein Kindergeldanspruch bestünde.
11
Das FG hat in den Entscheidungsgründen und im Tenor des Urteils die Revision zugelassen. Dem Urteil ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die sich auf solche Fälle bezieht, in denen die Revision nicht zugelassen wurde. Das Urteil wurde dem Kläger am 17.03.2020 zugestellt. Am 16.04.2020 legte der Kläger Revision ein. Die Begründung ging am 16.06.2020 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
12
In der Sache rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
13
Der Kläger beantragt,das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 04.03.2020 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
14
Die Familienkasse beantragt,die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.


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