Familienrecht

keine Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, Verweisung, Freiheitsentziehung

Aktenzeichen  M 23 K 21.3175

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37336
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
VwGO § 40
PAG Art. 18 Abs. 2 (in der Fassung vom 18.5.2018)
PAG Art. 92 Abs. 2 S. Nr. 2 (in der Fassung vom 18.5.2018)

 

Leitsatz

Tenor

I. Der beschrittene Verwaltungsrechtsweg im Verfahren Az. M 23 K 21.3175 ist unzulässig.
II. Die Verwaltungsstreitsache wird insoweit an das zuständige Amtsgericht München verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Die Kläger, sorgeberechtigte Eltern von vier Kindern, begehren (auch) die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen im Rahmen einer erfolgten (und mittlerweile beendeten) Inobhutnahme der drei minderjährigen Kinder am 18. November 2019 durch das Kreisjugendamt …
Mit Beschluss des Amtsgerichts München – Familiengericht – vom 13. November 2019 wurde den Klägern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 273 ff. SGB VIII für die Kinder D., L. und M. vorläufig entzogen. Soweit den Klägern diese Rechte entzogen wurden, wurde die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger angeordnet. Zur Vollstreckung der Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger wurde vorsorglich unmittelbarer Zwang, ausgeführt durch das Jugendamt oder den Ergänzungspfleger unter Zuhilfenahme der Polizei, angeordnet.
Zur Begründung führte das Familiengericht im Wesentlichen aus, das Jugendamt habe bereits am 25. Juli 2018 eine anonyme Kindeswohlgefährdungsmeldung erhalten, wonach die Wohnung der Familie völlig vermüllt sei und der Zustand der Kinder als verwahrlost zu bezeichnen wäre. Nach weiteren Ermittlungen durch die Behörde hätten sich Hinweise auf eine bestehende Kindeswohlgefährdung – insbesondere Verweigerung von Gesprächen mit dem Jugendamt seitens der Kläger, Angst von Nachbarn und Schulpersonal vor dem Kläger zu 1. – verdichtet, sodass eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich ohne Maßnahmen des Familiengerichts bei einer weiteren ungestörten Entwicklung eine erhebliche Schädigung der Kinder mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ließe, zu bejahen sei.
Zur Durchsetzung des Beschlusses des Amtsgerichts München begaben sich Mitarbeiter des Kreisjugendamtes, der bestellte Ergänzungspfleger und Polizeivollzugsbeamte am 18. November 2019 gegen 7 Uhr zur klägerischen Wohnanschrift, um die drei minderjährigen Kinder in Obhut zu nehmen. Ausweislich zweier polizeilichen Aktenvermerke, ebenfalls vom 18. November 2019, hätten die Beamten den Kläger zu 1. vor Ort außerhalb des Wohnhauses angetroffen und ihn über die richterliche Anordnung in Kenntnis gesetzt. Da dieser erklärt habe, nicht kooperieren zu wollen und er die Maßnahmen nicht dulden werde, habe man ihn bis zum Abschluss der Maßnahmen in polizeilichen Gewahrsam genommen und, nach einer Durchsuchung zur Eigensicherung, auf die weniger als 200 Meter entfernte Dienststelle verbracht. Im Anschluss hätten die Polizeivollzugsbeamten an der Haustüre geklingelt, die sodann von der volljährigen Tochter der Kläger geöffnet worden sei. Diese hätte ihre Mutter hinzugerufen, die unvermittelt ausfallend geworden sei und versucht habe, die Beamten am Betreten der Wohnung zu hindern, weswegen selbige unmittelbaren Zwang in Form der Anwendung körperlicher Gewalt angedroht hätten. Da sich die Klägerin zu 2. weiterhin geweigert hätte zu kooperieren, habe man die Türe gewaltsam aufgedrückt, ihr angeboten, sich etwas über das bloße Nachthemd hinaus anzuziehen und sie aus der Wohnung gebracht. Nach Widerstand gegen das Hinausbringen aus der Wohnung habe man sie letztlich, da sie versucht habe, einen der Polizeibeamten zu beißen, gefesselt, durchsucht und ebenso zur Dienststelle verbracht. Im Anschluss seien die Beamten zur Wohnanschrift der Kläger zurückgekehrt und hätten dort mithilfe eines hinzugerufenen Schlüsseldienstes die Haustüre geöffnet. Nach Öffnung der Tür hätten die Beamten und Mitarbeiter des Jugendamtes die Wohnung betreten und eine konkrete Kindswohlgefährdung festgestellt. Die drei minderjährigen Kinder seien unverzüglich in Obhut genommen worden. Der Kläger zu 1. sei unmittelbar nach Abschluss der Maßnahmen aus der Dienststelle entlassen worden. Er habe die Dienstelle unverzüglich und ohne die Klägerin zu 2. verlassen, die unmittelbar im Anschluss, ebenso gegen 10 Uhr, entlassen worden sei. Man habe ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren, da sie lediglich mit Nachthemd und Hausschuhen bekleidet gewesen sei, was sie abgelehnt habe. Da die Klägerin zu 2. die Dienststelle – wohl um weiter zu versuchen, den Kläger zu 1. telefonisch zu erreichen – nicht habe verlassen wollen, habe man ihr einen „Platzverweis“ erteilt und diesen mittels Anwendung einfacher körperlicher Gewalt („durch die Tür schieben“) durchgesetzt.
Am 18. Dezember 2019 erhoben die Kläger, vertreten durch die Klägerin zu 2. als Rechtsanwältin, Klage (Az. M 23 K 19.6303) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragen,
hinsichtlich des Klägers zu 1. festzustellen, dass die Festnahme, die Verbringung zur Wache und die dortige Festsetzung rechtswidrig war sowie
hinsichtlich der Klägerin zu 2. festzustellen, dass das Herauszerren aus dem Haus, die Festnahme, die Fesselung, das Verbringen zur Wache, die dortige Festsetzung und die Aussetzung vor der Wache rechtswidrig waren und
hinsichtlich beider Kläger festzustellen, dass die Mitwirkung bei der Durchsuchung der Wohnung rechtswidrig war.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, das Kreisjugendamt hätte im Rahmen einer „Geheimaktion“ die Urlaubsabwesenheit der zuständigen Familienrichterin genutzt, um Maßnahmen im Wege einer einstweiligen Anordnung ohne gebotene Anhörung der Familie durchzusetzen. Der Kläger zu 1. sei von zwei Polizeibeamten festgenommen und zu deren Dienstwagen gebracht worden, obwohl er bekundet habe, dass er zu Fuß zur Wache gehen wolle und werde. Er habe sich weder verbal noch anderweitig gewehrt, sondern lediglich nach der Rechtsgrundlage für das Handeln der Beamten gefragt. Man habe ihn auf der Dienststelle über zwei Stunden in einem Dienstzimmer festgehalten. Ihm sei weder die einstweilige Anordnung gezeigt noch ausgehändigt worden. Nach der Festnahme des Klägers zu 1. hätten die Polizeibeamten, nicht die Mitarbeiter des Jugendamtes – entgegen der Vorschriften für die Durchführung von Vollzugshilfe – an der Haustüre der Kläger geklingelt und sich auch auf Nachfrage der Klägerin zu 2. nicht ausgewiesen. Obgleich die Klägerin zu 2. nur mit einem Nachthemd bekleidet gewesen wäre, hätten die Beamten unmittelbar den Fuß in die Tür gerammt, sie am Handgelenk gepackt und mit Gewalt fünf Treppenstufen hinunter über das Pflaster auf den Vorplatz des Hauses gezerrt. Die Maßnahme sei für die Klägerin zu 2. höchst peinlich gewesen, was die Polizei wohl beabsichtigt hätte. Obgleich sie bereits 1962 geboren sei und lediglich 55 Kilogramm wiege, habe ein Beamter, als sie zurück zur Wohnung habe gehen wollen, ihr den Arm auf den Rücken gedreht, ihren Kopf nach unten gedrückt und ihr unterstellt versucht zu haben, ihn zu beißen. Der Einsatz sei von mehreren Nachbarn beobachtet worden. Die alsdann mit Handschellen gefesselt und zur Wache verbrachte Klägerin zu 2. habe nicht unerhebliche Verletzungen (offene Schürfwunden am rechten Fußgelenk und große Einblutungen am rechten Handgelenk, die ärztlich dokumentiert worden seien) erlitten. Sie sei gefesselt bei Temperaturen um zwei Grad und lediglich mit einem Nachthemd bekleidet zu Fuß zur Wache verbracht worden. Auf der Wache sei es ihr zunächst verweigert worden, zu telefonieren. Bei ihrer Entlassung gegen 10:15 Uhr habe die Klägerin zu 2. darauf bestanden, noch in der Dienststelle zu warten, bis sie ihren Mann verständigen könne, allerdings hätten die Beamten ihr unverzüglich ein „Hausverbot“ erteilt und sie „vor die Tür gesetzt“. Auch bei der Wohnungsdurchsuchung hätten die Polizeibeamten rechtswidrig gehandelt.
Der Beklagte trat der Klage mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020 entgegen und beantragte schriftsätzlich unter dem 12. Februar 2020,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 17. Januar und 12. Februar 2020 im Wesentlichen ausgeführt, soweit die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme begehrten, sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet und die Streitsache an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu verweisen. Im Übrigen seien die Maßnahmen rechtmäßig gewesen, da die Polizei nach Art. 67 Abs. 3 PAG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 BayVwVfG Vollzugshilfe für das zuständige Jugendamt geleistet habe.
Mit Schreiben vom 18. Februar 2020 trug die Klagepartei vor, dass der Verwaltungsrechtsweg für alle Maßnahmen eröffnet sei, da die Beamten das Haus primär deswegen betreten hätten, um Beweise zu sichern. Der Schwerpunkt der Klage seien nicht die erfolgten „Verhaftungen“ als solche, sondern deren menschenunwürdige Ausführung. Dass die Klägerin einen Polizeibeamten habe beißen wollen, sei eine absurde Schutzbehauptung der Polizisten.
Auf diesbezügliche Aufforderung des Gerichts legte die Klagepartei mit Schreiben vom 7. Juni 2021 im Wesentlichen einen gegenüber der Klägerin zu 2. ergangenen Strafbefehl vom 12. März 2020 und einen darauffolgenden Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 10. Juni 2020 nach § 153 Abs. 2 StPO (815 Cs 262 Js 1133331/20) wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte vor. Weiterhin wurde ein Beschluss des Oberlandesgerichtes München vom 7. September 2020 (2 UF 3/20) vorgelegt, wonach ein Beschluss des Amtsgerichts München vom 20. Dezember 2019, mit dem den Klägern u.a. das Recht zur Aufenthaltsbestimmung hinsichtlich der Kinder entzogen worden war, auf die Beschwerde der Kläger aufgehoben wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen seitens des Oberlandesgerichts ausgeführt, dass die Kinder am 3. April 2020 nach einem Besuch des Hauses durch die Ergänzungspflegerin in den elterlichen Haushalt zurückgeführt worden seien. Zwar habe das Jugendamt hiergegen Bedenken erhoben, da psychische Gewalt durch den Vater befürchtet werde und die Familie weiterhin keine Maßnahmen der Jugendhilfe annehme. Aufgrund summarischer Prüfung des Gerichts sei allerdings derzeit nicht von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen, da die Kläger die Zeit der Fremdunterbringung der Kinder genutzt hätten, um adäquate häusliche Verhältnisse herzustellen. Die wesentlichen kindeswohlgefährdenden Umstände, wie kaputte sanitäre Anlagen und zu kleine Kinderbetten, seien repariert worden. Auch hätten die Eltern gegenüber Dritten kein auffälliges Verhalten mehr gezeigt. Zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung mochte ein dringendes Bedürfnis einer Eilmaßnahme objektiv vorgelegen haben, allerdings könne dies nach der aktuellen Sachlage nicht mehr aufrechterhalten bleiben.
Am 16. Juni 2021 fand die mündliche Verhandlung statt, in der das Verfahren im Hinblick auf eine vorzunehmende Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit hinsichtlich des Komplexes der Gewahrsamnahme (beginnend mit der Ingewahrsamnahme der Kläger bis zu deren Beendigung durch Verlassen der Polizeidienststelle) abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift der öffentlichen Sitzung am 16. Juni 2021 Bezug genommen.
II.
Der Rechtsstreit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO nach erfolgter Anhörung der Beteiligten an das zuständige ordentliche Gericht zu verweisen, da der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht eröffnet ist.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen sind. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO können öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
Letzteres ist vorliegend der Fall. Nach Art. 92 Abs. 2 Satz 1 PAG (jeweils in der Fassung vom 18.5.2018, gültig ab 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021) ist für die gerichtliche Entscheidung vorbehaltlich abweichender Regelung das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts zuständig, in dessen Bezirk die beantragende Polizeidienststelle ihren Sitz hat. Nach Art. 92 Abs. 2 Satz 2 PAG ist abweichend hiervon für die Entscheidung nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird (Nr. 1), und für die Entscheidung nach Art. 18 Abs. 2 PAG das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Person von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde (Nr. 2). Hier einschlägig ist – da die Ingewahrsamnahme der Kläger noch am 18. November 2019 beendet worden war und zweifelsohne nicht mehr fortdauert – Art. 18 Abs. 2 PAG (in der Fassung vom 18.5.2018, gültig ab 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021), wonach die festgehaltene Person, wenn die Freiheitsentziehung – wie hier – vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung beendet wurde, innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsentziehung die Feststellung (bei dem zuständigen Gericht, vgl. Art. 18 Abs. 2 Satz 2 PAG) beantragen kann, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen ist, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Maßnahmen des Beklagten gegenüber den Klägern nicht lediglich eine Freiheitsbeschränkung, die vielen polizeilichen Maßnahmen per se immanent ist, darstellten, sondern die Grenze zur Freiheitsentziehung überschritten wurde. Dies ist der Fall. Eine Freiheitsbeschränkung liegt regelmäßig vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist.
Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung ist hingegen nur dann gegeben, wenn die tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.3.2011 – 1 BvR 47/05 – juris Rn. 10 m.w.N.). Eine Abgrenzung folgt demzufolge anhand der Kriterien von Dauer und Intensität der Maßnahme (BVerfG, B.v. 15.2.2002 – BvR 2292/00 – juris Rn. 24; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 18 PAG Rn. 10 ff.).
Gemessen hieran lag vorliegend zur Überzeugung des Gerichts sowohl gegenüber dem Kläger zu 1. als auch der Klägerin zu 2. Jeweils eine Freiheitsentziehung vor. Beide Kläger mussten sich für den Zeitraum der polizeilichen Maßnahmen auf Dienstzimmern der Dienststelle aufhalten und durften diese nicht verlassen, mithin war ihnen ihre Bewegungsfreiheit gänzlich entzogen. Die Maßnahme dauerte auch mehrere Stunden an, so dass nicht von einem bloß kurzen Zeitraum (vgl. jüngst zur Freiheitsentziehung bei Fixierung von Patienten in der Psychiatrie, wonach von einer Freiheitsentziehung nur bei kurzfristigen Maßnahmen, nämlich unter einer halben Stunde, nicht auszugehen ist: BVerfG, U.v. 24.7.2018 – 2 BvR 309/15 – juris) gesprochen werden kann. Die Kläger befanden sich unstreitig jeweils in einem Zeitraum von mindestens zwei bis höchstens drei Stunden in polizeilicher Obhut, worin weder ein kurzer, noch ein unerheblicher Zeitraum zu erblicken ist. Die Maßnahmen waren auch seitens der Polizeivollzugsbeamten final und zielgerichtet auf den Entzug der Bewegungsfreiheit der Kläger gerichtet, da gerade hiermit die Inobhutnahme der Kinder ohne vermeintliche Intervention durch die Kläger gesichert werden sollte. Hierfür spricht bereits die Tatsache, dass selbst der Beklagte von einer Freiheitsentziehung zu Lasten der Kläger ausgeht und sich die Zielrichtung ohne weiteres aus dem Sachverhalt (Bedarf einer unverzüglichen Beendigung einer vermeintlichen Kindswohlgefährdung) ergibt.
Nach erfolgter Würdigung der aufgezeigten Indizien und Anhaltspunkte, insbesondere der Dauer und der Intensität der Maßnahmen zu Lasten der Kläger, ist die Kammer davon überzeugt, dass mit der Gewahrsahmnahme jedenfalls insgesamt eine Freiheitsentziehung verwirklicht wurde.
Demzufolge ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über die Rechtmäßigkeit dieser polizeilichen Maßnahmen in diesem zeitlichen Gesamtkomplex zu befinden. Dies umfasst somit auch das Feststellungsbegehren hinsichtlich der polizeilichen Maßnahmen, die zur Freiheitsentziehung führten, während selbiger stattfanden und diese letztlich jeweils beendeten, weswegen überdies hinsichtlich des Klägers zu 1. die polizeilichen Maßnahmen „Festnahme“, „Verbringung zur Wache“ und „dortige Festsetzung“ sowie hinsichtlich der Klägerin zu 2. das „Herauszerren aus dem Haus“, die „Festnahme“, die „Fesselung“, das „Verbringen zur Wache“, die „dortige Festsetzung“ und die „Aussetzung vor der Wache“ der Entscheidungskompetenz des Amtsgerichts unterfallen. Denn die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch auf solche Maßnahmen, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam aus polizeilicher Sicht erfordern (vgl. hierzu BVwerG, B.v. 8.1.1988 – 1 B 168/87 – NJW 1989, 1048; BayVGH, U.v. 25.10.1988 – 21 B 8801491 – juris; a.A. OLG Celle, B.v. 23.6.2005 – 22 W 32/05 – NVwZ- RR 2006, 54; ausdrücklich offengelassen: BayVGH, U.v. 27.1.2012 – 10 B 08.2849 – juris Rn. 27; vgl. zum diesbezüglichen Streitstand Löffelmann in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, 17. Edition, Stand: 1.9.2021, Art. 97 PAG n.F. Rn. 24). Anderenfalls wäre ein – wie hier – einheitlicher, innerlich verbundener Lebenssachverhalt unnötigerweise und sachfremd aufzutrennen, obgleich der Schwerpunkt der Maßnahmen zweifelsohne in der Freiheitsentziehung der Kläger, dies zur Sicherung der Inobhutnahme der Kinder, zu sehen war.
Somit war gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG festzustellen, dass der beschrittene Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist und der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das Amtsgericht München als das auch für den Landkreis München zuständige Gericht (Art. 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 PAG, Art. 5 Abs. 2 Nr. 47 GerOrgG) zu verweisen.
Die Kostenentscheidung ist gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG dem zuständigen Gericht vorbehalten.


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