Familienrecht

Kindeswohl, Jugendamt, Arzt, Kindesmutter, Aufhebung, Schuljahr, Betreuung, Verfahren, Anordnung, Beschulung, Vollmacht, Sorgerechtsverfahren, Antragsgegner, Kindeseltern, elterliche Sorge, einstweiligen Anordnung, elterlichen Sorge

Aktenzeichen  001 F 103/21

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22563
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Lichtenfels
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die elterliche Sorge in den Teilbereichen Regelung der gesundheitlichen Angelegenheiten und Regelungen der schulischen Angelegenheiten für das gemeinsame minderjährige Kind A, geboren 2014, wird der Antragstellerin übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Verfahrenswert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die Eltern des Kindes. Die Eltern leben nicht nur vorübergehend getrennt. Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt. Die am 2014 geborene A hat ihren Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin. Seit September 2020 besucht A die erste Klasse der Grundschule in G.
Unter dem Aktenzeichen 1 F 110/20 ist am Amtsgericht Familiengericht Lichtenfels ein Verfahren zur Regelung des Umgangs des Antragsgegners anhängig, dort wird ein psychologisches Sachverständigengutachten erholt zur Frage, welcher Umgang dem Kindeswohl As am besten dient, da die Kindeseltern sich über den Umfang des Umgangs des Antragsgegners nicht einigen können.
Mit ihrem Antrag vom 19.04.2021 im hiesigen Verfahren beansprucht die Antragstellerin ihr die Teilbereiche der elterlichen Sorge für die Gesundheitssorge As und die schulischen Belange As zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Seit dem Ende der Osterferien ist der Besuch der Schule nur möglich, wenn sich die Kinder in der Schule mittels den in Bayern üblichen Nasenstäbchenschnelltests auf das Corona-Virus regelmäßig und mehrmals wöchentlich selbst testen. Derzeit findet aufgrund der aktuellen Inzidenzzahlen noch kein Präsenzunterricht wieder statt, aber der Besuch der Schule ist auch bei Notbetreuung nur nach Testung der Kinder möglich. Jedenfalls möchte die Antragstellerin, dass A die Schule besuchen kann, wenn Präsenzunterricht angeboten wird, da dies auch dem Wunsch As entspreche. Da der Kindesvater jedoch schriftlich und mündlich gegenüber der Schule mitgeteilt habe, dass er der Testung As nicht zustimmt, wird A vom Schulbesuch ausgeschlossen. Auch Distanzunterricht wird parallel zum Präsenzunterricht nicht mehr angeboten, sondern A müsste sich nachmittags – wie ein erkranktes Kind – täglich ihre Hausaufgaben abholen und diese am Nachmittag nachholen. Der Antragsgegner habe mitgeteilt, dass er auch Impfungen gegen das Corona-Virus für A nicht zustimmen werde, dies habe er bereits nach der Geburt As so gehandhabt bei den üblichen Schutzimpfungen, so dass die Antragstellerin die Impfungen nachholen müsste. Zwar fände es die Antragstellerin auch wünschenswert, wenn in der Schule sog. Lollytests oder Spuckttests angeboten würden oder die Eltern die Testung daheim an den Kindern vornehmen könnten und eine Selbstauskunft mit in die Schule geben könnten. Da die Situation faktisch aber derzeit so ist, dass ein Schulbesuch nur bei Testungen der Kinder in der Schule selbst durch die Nasenstäbchentests möglich ist und die Antragstellerin A als Erstklässlerin nicht vom Schulbesuch fernhalten und isolieren möchte, wenn Präsenzunterricht stattfindet, gibt es keine andere Möglichkeit derzeit, als den Testungen zuzustimmen. Da der Antragsgegner als mitsorgeberechtigter Vater jedoch die Testung gegenüber der Schule ausdrücklich verweigert habe und auch Vermittlungsversuche seitens der Schule, des Elternbeirats und des Jugendamts ergebnislos blieben, beansprucht sie die Übertragung der Teilbereiche der elterlichen Sorge Gesundheitssorge und schulischen Angelegenheiten auf sich und versichert die Richtigkeit ihrer Ausführungen an Eides statt.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr die Teilbereiche der elterlichen Sorge Gesundheitssorge und schulische Angelegenheiten im Wege der einstweiligen Anordnung zu übertragen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Der Antragsgegner äußert Bedenken, ob das Kind überhaupt in der Lage sei, einen Selbsttest durchzuführen, ohne sich zu verletzen. Auch sieht er die Gefahr von möglichen Verletzungen und Verätzungen bei Hautkontakt mit den Chemikalien, die in den Tests enthalten sind. Die Erteilung einer Vollmacht verweigerte er ausdrücklich. Zur Beschulung und Betreuung As ohne Schulbesuch machte er keine Ausführungen. Bezüglich etwaiger Impfungen für Kinder verweist er auf die Unklarheit des Risikos etwaiger genetischer Veränderungen.
Das Gericht hat einen Verfahrensbeistand für das Kind bestellt und ihn sowie die Eltern persönlich im Termin vom 26.04.2021 angehört. Das Gericht hat außerdem das Jugendamt am 26.04.2021 angehört. Das Kind A wurde im Termin vom 28.04.2021 im Beisein von Verfahrensbeistand und Jugendamt angehört.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf sämtliches schriftsätzliches Vorbringen nebst Anlagen sowie sämtliche Ausführungen in den mündlichen Anhörungen vom 26.04.2021 und 28.04.2021.
II.
Das Amtsgericht Familiengericht Lichtenfels ist zur Entscheidung über den Antrag im einstweiligen Sorgerechtsverfahren gemäß §§ 49 ff, 152 Abs. 2 FamFG berufen.
Die summarische Prüfung an Hand des Vortrags aller Beteiligten und der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin führt zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung die tenorierten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu übertragen sind. Da der Antragsgegner die Erteilung einer Vollmacht für die Antragstellerin verweigert, ist auch eine Entscheidung zum Sorgerecht in den tenorierten Teilbereichen nötig. Es liegt auch ein Eilbedürfnis vor.
Die Entscheidung beruht auf § 1671 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht auf Antrag einem Elternteil die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht und zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Danach war hier die elterliche Sorge in den tenorierten Teilbereichen im Wege der einstweiligen Anordnung auf die Antragstellerin zu übertragen. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt und leben seit Längerem getrennt.
Da eine Einigung zwischen den Eltern nicht möglich ist und vielfache Konflikte existieren, was auch das parallel anhängige Umgangsverfahren 1 F 110/20, in welchem die Erholung eines Sachverständigengutachtens nötig ist, aufzeigt, ist eine Entscheidung zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge erforderlich und entspricht vorliegend auch dem Kindeswohl am besten. Vermittlungsversuche, die die Schule, der Elternbeirat und das Jugendamt versuchten, scheiterten letztlich daran, dass der Antragsgegner an seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung festhält. Die Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit sind daher für die schulischen und gesundheitlichen Belange zwischen den Eltern nicht gegeben, da die Auffassung des Antragsgegners nach dem Eindruck des Verfahrensbeistands als sog. „Querdenkertum“ einzustufen ist. Er hat im Gespräch mit diesem versucht, dessen Bedenken näher zu ergründen. Der Antragsgegner konnte noch nicht mal ausführen, welche Chemikalien denn in den Tests seiner Meinung nach möglicherweise gesundheitsgefährdend seien. Auch in der Verhandlung war es nicht möglich den Antragsgegner von seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber den derzeit angeordneten „Corona-Schutzmaßnahmen“ abzubringen. Dies zeigt auch der Gedankengang zum möglichen genetischen Eingriff bei etwaigen Impfungen. Eine Erteilung der Vollmacht zu Gunsten der Kindesmutter – wenn denn seine persönlichen Bedenken so erheblich sind – verweigerte er mehrfach. Mithin nimmt der Antragsgegner sowohl in Kauf, dass A nicht die Schule besuchen kann, als auch, dass die Kindesmutter faktisch ihren Alltag, zu dem A gehört, massiv umstellen müsste, da sie dann langfristig einer Berufstätigkeit nicht nachgehen kann, wenn A vom Präsenzunterricht ausgeschlossen würde. Auch die Tatsache, dass die Kindesmutter die nötigen Schutzimpfungen für A bereits nachholen müsste, da zwischenzeitlich ein Besuch von Schule und Hort nur nach Nachweis bestimmter Impfungen, zum Beispiel Masern, möglich ist, zeigt die Schwierigkeit mit dem Antragsgegner Einigungen zu erzielen. Das Jugendamt sprach sich daher auch im vorliegenden Falle für die Notwendigkeit einer Entscheidung des Gerichts aus.
Die Übertragung der tenorierten Teilbereiche auf die Antragstellerin entspricht auch dem Kindeswohl am besten.
A hat ihren Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin. Diese organisiert deren Alltag und kümmert sich in nicht zu beanstandender Weise um die Belange As. Dies ergab auch die Kindesanhörung As im hiesigen Verfahren als auch im Verfahren 1 F 110/20 (auf das Protokoll der dort ebenfalls erfolgten Kindesanhörung wird Bezug genommen). A gab an, sich bei der Mama wohl zu fühlen, die Mama helfe ihr bei den Schulaufgaben und kümmere sich um sie und gehe auch mit ihr zum Arzt, wenn sie erkrankt sei. Den Papa besuche sie gelegentlich am Wochenende, was für sie in Ordnung sei.
Gegen die Erziehungsseignung der Antragstellerin bestehen nach summarischer Prüfung keine Bedenken. Hingegen hat das Gericht Bedenken beim Antragsgegner. Die Corona-Pandemie und die hierbei nötigen Maßnahmen sind Gegenstand vielfältiger nicht nur politischer Diskussionen. Dass hierbei konkrete Maßnahmen im Einzelfall überdacht und kritisch betrachtet werden können und sollten, gehört zur Bewältigung einer solchen schwierigen Gesamtsituation dazu. Entsprechend äußert auch die Antragstellerin, den für das Gericht nachvollziehbaren Wunsch, dass in der Zukunft möglicherweise mildere Varianten der Testungen für Kinder im Wege sogenannter Lolly- und Spucktests bzw. die elterliche Testung zu Hause unter Aufsicht und Ausfüllen einer Selbstauskunft, wie in anderen Bundesländern üblich, eingesetzt werden, damit die Entscheidung der Eltern über den Schulbesuch – wie bei anderen Erkrankungen des Kindes auch – erhalten bleibt und auch den Lehrern ein nicht unerheblicher Aufwand erspart bliebe, nämlich einen Teil des Unterrichts für die Testungen der Kinder zu opfern. Diese Änderungen können aber im Ergebnis ggf. nur durch kritische Diskussionen erfolgen, nicht durch bloße sture Ablehnung sämtlicher Maßnahmen, wie es der Antragsgegner derzeit macht. Durch die Auseinandersetzung der Schule mit dem Antragsgegner hat dieser auch Kenntnis von den aktuellen Testvarianten und könnte argumentativ versuchen, Änderungen zu veranlassen, ohne hierbei jedoch durch seine ablehnende Grundhaltung dem Kindeswohl As zu schaden und auch der Antragstellerin den Alltag massiv zu beeinträchtigen. Denn letztlich ist es die Antragstellerin, die ihren beruflichen Alltag an den Bedürfnissen As anpassen muss, wenn diese den Vormittagspräsenzunterricht der Schule aufgrund der ablehnenden Haltung des Antragsgegners nicht besuchen kann und die mit A jeden Nachmittag an der Schule zunächst die Hausaufgaben abholen muss und den Unterrichtsstoff selbst erarbeiten muss. Derzeit kann die Antragstellerin die „faktische Testpflicht“ auch nicht ändern, aber sie wägt ab und entschied sich dafür, dass der Präsenzunterricht für A in der ersten Klasse nötiger ist. Dies zeigt auch, dass die Antragstellerin sich kritisch mit den Bedürfnissen As auseinandersetzt und alle Aspekte hierbei würdigt. Der Antragsgegner hingegen äußerte Gleichgültigkeit für die Folgen seiner Entscheidung, nämlich, dass A dann die Schule eben nicht besuchen kann und für die faktische tägliche Umsetzung dieser Entscheidung bei der Antragsstellerin.
Einschränkungen der Bindungstoleranz konnte das Gericht vorliegend nicht feststellen, da die Antragstellerin trotz der Schwierigkeit der Diskussionen mit dem Antragsgegner, wie auch das Verfahren 1 F 110/20 aufzeigt, den Umgang regelmäßig gewährt.
A geht gern zur Schule und bestätigte, dass sie mit der Mama die Tests zu Hause vorbesprochen hat und geübt hat und keine Angst davor hat und lieber zur Schule gehen würde, wenn wieder Schule stattfindet, statt zu Hause dann am Nachmittag fern von ihren Klassenkameraden die Sachen nachholen zu müssen. Auch fühlt sie sich bei der Mama im Alltag wohl und besucht gelegentlich am Wochenende den Papa, was für sie so in Ordnung ist. Wenn sie erkrankt sei, kümmere sich die Mama um sie und gehe mit ihr zum Arzt. Bei den Hausaufgaben helfe die Mama und kontrolliere diese auch.
Die Anhörungen As im hiesigen Verfahren als auch im Verfahren 1 F 110/20 zeigen auch die gute Beziehung und gute Bindung zu ihrer Mutter, die sich um ihre Angelegenheiten kümmert, so dass A sich sehr wohl fühlt.
Dass die Antragstellerin sich kontinuierlich um die schulischen und gesundheitlichen Angelegenheiten As kümmert, bestätigt auch die positive Haltung As in den Anhörungen.
Dass die Antragstellerin A in der erforderlicher Art und Weise, die ein Erstklässler benötigt, fördert, bestätigen nicht nur die Anhörungen As, sondern auch die Berichte von Jugendamt und Verfahrensbeistand im hiesigen und auch im Verfahren 1 F 110/20.
Sämtliche Aspekte sprechen daher dafür, dass die Antragstellerin besser geeignet ist, die tenorierten Teilbereiche der elterlichen Sorge auszuüben, als der Antragsgegner und es im vorliegenden Falle dem Kindeswohl daher besser entspricht, – auch zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten bei nötigen Impfungen, wie in der Vergangenheit bereits aufgetreten -, diese Teilbereiche der Antragstellerin allein zu übertragen. Da der Antragsgegner die Erteilung einer Vollmacht an die Kindesmutter beharrlich verweigerte, um seinen Standpunkt faktisch durchzusetzen, gab es vorliegend kein milderes Mittel als die Übertragung der tenorierten Sorgerechtsbereiche auf die Antragstellerin.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen auch vor, weil ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, § 49 Abs. 1 FamFG. Denn ohne die vorläufige Regelung kann A den Präsenzunterricht der Schule nicht besuchen. Da abhängig von den aktuellen Inzidenzzahlen der Unterricht kurzfristig jede Woche wieder beginnen kann, ist ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit Erholung eines Sachverständigengutachtens, welches teilweise über sechs Monate Zeit in Anspruch nimmt, nicht zumutbar, dies auch in Anbetracht des Fakts, dass das Schuljahr bis zum Beginn der Sommerferien ohnehin nicht mehr lange läuft. Gerade das erste Schuljahr ist für Kinder jedoch sehr wichtig, da sie das System Schule mit ihren Strukturen, dem Klassenverband und dem Lernen in der Klassengemeinschaft mit sozialen Kontakten erst erlernen und kennenlernen müssen. Mithin ist das Verpassen der ersten Klasse durch unnötiges Fernbleiben vom Präsenzunterricht nicht nur kindeswohlschädlich, sondern auch irreversibel, da ein Schuljahr nicht ohne weiteres wiederholt werden kann, wie auch das Jugendamt in der Anhörung plausibel und nachvollziehbar ausführte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften. Da der Antragsgegner auch nicht bereit war, eine Vollmacht zu erteilen, veranlasste er mit seinem Verhalten die Notwendigkeit einer Entscheidung und hat daher die Kosten in vollem Umfang zu tragen.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 41, 45 FamGKG.


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