Familienrecht

Kostenerstattung für einen zweiten „Therapiestuhl“ für den Besuch einer Kindertagesstätte

Aktenzeichen  S 11 KR 328/17

Datum:
19.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36497
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 14 Abs. 4 S. 1
SGB XII § 53 Abs. 1
BayKiBiG Art. 2 Abs. 1
SGG § 51, § 54 Abs. 5, § 144 Abs. 2 Nr. 1, Nr.2
SGB V § 33 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Krankenkasse hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs. 1 SGB V mit der Bereitstellung eines ersten Therapiestuhls nur so lange erfüllt, wie der Versicherte ganztags zu Hause lebt. Mit Beginn des Besuchs der Kindertageseinrichtung hat der Versicherte einen Anspruch auf Ausstattung mit dem zweiten Therapiestuhl. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die diesem angefallenen Kosten für die Beschaffung des Therapiestuhls M. inklusive Zubehör in Höhe von 3.062,08 € zu erstatten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.062,08 € festgesetzt.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 51, 57, 90 SGG). Bei einem Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern handelt es sich um einen sog. Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2000, B 3 KR 18/93 R, Rn.14 m.w.N., zitiert nach juris).
Die Klage ist auch begründet.
Die Beklagte hat dem Kläger die von diesem verauslagten Kosten in Höhe von 3.062,08 € für das Hilfsmittel „Therapiestuhl M.“ inklusive Zubehör zu erstatten.
Rechtsgrundlage für die Erstattungspflicht der Beklagten ist § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX.
Diese Vorschrift lautet:
„Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.“
Diese Erstattungsregelung, die als „lex specialis“ zu den allgemeinen Erstattungsansprüchen zwischen Sozialleistungsträgern nach den §§ 102 ff. SGB X anzusehen ist und diese deshalb verdrängt (BSG, Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR 34/06 R, zitiert nach juris), ist hier anwendbar: So ist die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger für Leistungen der medizinischen Rehabilitation zuständig (§§ 5 Nr. 1, 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), die gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX auch Hilfsmittel umfassen. Die Beklagte hat den am 09.12.2015 gestellten Antrag auf Kostenübernahme für den Therapiestuhl „M.“ für die Versicherte E.G. mit Schreiben vom 15.12.2015 an den von ihr für zuständig erachteten Kläger als Rehabilitationsträger, der für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig ist (§ 5 Nr. 4 SGB IX i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX), weitergeleitet. Der Kläger hat auch das begehrte Hilfsmittel als nunmehr im Außenverhältnis zu der Versicherten zuständiger zweitangegangener Rehabilitationsträger nach Feststellung des Rehabilitationsbedarfs (§ 14 Abs. 2 S. 3 und 1 SGB IX) bewilligt.
Die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX sind im vorliegenden Fall erfüllt, weil die Versicherte E.G. die begehrte Leistung von der Beklagten nach den Vorschriften des SGB V als dem für den Bereich der GKV einschlägigen materiellen Recht (§ 7 S. 2 SGB IX) beanspruchen konnte (§ 33 Abs. 1 SGB V) und die Beklagte den Leistungsantrag deshalb zu Unrecht an den Kläger weitergeleitet hat (§ 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX).
Die Beklagte war für die Zweitversorgung der Versicherten E.G. mit dem weiteren Therapiestuhl „M.“ inklusive Zubehör leistungspflichtig, weil das Hilfsmittel erforderlich (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V) und wirtschaftlich war (§§ 2 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 1 SGB V). Die Ausstattung der Versicherten mit dem bereits vorhandenen Therapiestuhl „M.“ (Kostenübernahme durch die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.2016) war zum mittelbaren Behinderungsausgleich im Bereich der Mobilität nicht ausreichend. Denn die Versicherte benötigte in der Kindertageseinrichtung „G.“ ebenfalls dieses Hilfsmittel, weil der bereits bewilligte Therapiestuhl „M.“ aufgrund der Maße (ca. 52 cm x ca. 58 cm x ca. 71 cm) und des Gewichts (ca. 90 kg) nicht zum täglichen Transport geeignet war – was zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig ist.
Nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V (i.d.F. vom 16.07.2015, gültig ab 23.07.2015 bis 31.12.2016) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alt.), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alt.) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alt.), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Die begehrte Zweitversorgung mit dem weiteren Therapiestuhl diente hier ersichtlich nicht der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung und auch nicht der Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung, sondern allein dem Ausgleich der Folgen der seit Geburt vorhandenen Behinderung der Versicherten E.G. (3. Alt). Der Therapiestuhl „M. Fun“ ist speziell für Menschen entwickelt worden, die einer Haltungsstabilisierung bedürfen. Er ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht durch Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen.
Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht nach § 33 Abs. 1 SGB V nämlich mit der Bereitstellung des ersten Therapiestuhls nur so lange erfüllt, wie die Versicherte E.G. ganztags zu Hause lebte und noch nicht in die Kindertageseinrichtung ging. Mit Beginn des Besuchs der Kindertageseinrichtung hatte die Versicherte E.G. einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausstattung mit dem zweiten Therapiestuhl „M.“ inklusive Zubehör.
Die Einstandspflicht der Krankenkassen für Mobilitätshilfen zum mittelbaren Behinderungsausgleich reicht bei Kindern und Jugendlichen weiter als bei erwachsenen Versicherten, soweit dies zum Schulbesuch oder/und zur Integration in der kindlichen und/oder jugendlichen Entwicklungsphase erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 03.11.2011, B 3 KR 13/10 R, zitiert nach juris).
Insoweit führt das BSG in seinem Urteil vom 03.11.2011 (a.a.O., Rn. 22) aus:
„… Den Besuch eines Kindergartens an sich sieht der erkennende Senat allerdings nicht als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens, weil dieser Besuch – anders als der Besuch einer Schule im Rahmen der Schulpflicht – vom Gesetzgeber bisher nicht als gesetzliche Pflicht ausgestaltet ist und den Eltern deshalb im Rahmen ihres Ermessens ein Wahlrecht zusteht, ob sie den Auftrag zur Erziehung und Bildung ihrer Kinder bis zum Erreichen der Schulpflicht allein wahrnehmen wollen oder sich der Hilfe der Kindergärten bedienen (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 S. 1 SGB VIII), wie es mittlerweile der Regelfall ist. Maßgeblich ist die Hinführung auf die Schulfähigkeit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Noch nicht der Schulpflicht unterliegende gehbehinderte Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren können demgemäß die Zweitausstattung mit einem weiteren Therapiestuhl auf Kosten der GKV erlangen, wenn der bereits vorhandene heimische Therapiestuhl wochentäglich nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand zum Kindergarten transportiert werden könnte und bei diesen Kindern deshalb die Förderung ihrer Schulfähigkeit sowie die Integration in den Kreis Gleichaltriger nicht gesichert wären.“
Im vorliegenden Fall gehört der Besuch der Kindertageseinrichtung „G.“ und damit auch die Versorgung der Versicherten E.G. mit dem streitgegenständlichen Therapiestuhl zu den Grundbedürfnissen der Versicherten E.G. zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Versorgung mit dem Therapiestuhl M. am 09.12.2015, und zwar sowohl im Hinblick auf die Förderung der Integration der Versicherten E.G. in den Kreis gleichaltriger Kinder als auch im Hinblick auf die Förderung ihrer Schulfähigkeit. Der Besuch der Kindertageseinrichtung wäre – was zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig ist – der Versicherten E.G. aufgrund der Schwere der muskulären Hypotonie in der entscheidungsrelevanten Zeitspanne ohne Benutzung des Therapiestuhls nicht möglich gewesen. Er ist durch die Bildungs-, Erziehungs- und Förderarbeit als Hinführung auf die Schulfähigkeit – gerade auch bei der behinderten Versicherten E.G. – und somit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens zu bewerten. Diese Hinführung auf die Schulfähigkeit kann mit der Hilfe zur Erfüllung der Schulpflicht gleichgesetzt werden.
Zu dieser Überzeugung ist das Gericht aufgrund der Änderung des § 24 Abs. 2 SGB VIII (i.d.F. vom 11.09.2012, gültig ab 01.08.2013), der Intention des BayKiBiG, des 2007 landesweit eingeführten Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (BayBEP) sowie insbesondere aufgrund des überzeugenden und schlüssigen Gutachtens des Pädagogen und Psychologen Prof. Dr. Dr. Dr. F. vom 03.11.2017 gelangt.
Danach ist eine Unterscheidung zwischen Kindern bis zu drei Jahren und Kindern zwischen drei und sechs Jahren sowie zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern im Hinblick auf die Hinführung der Kinder zur Schulfähigkeit und/oder Integration in die Gruppe gleichaltriger Kinder nicht gerechtfertigt.
Nach dem geänderten § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII (i.d.F. vom 11.09.2012, gültig ab 01.08.2013) besteht bereits für Kinder ab dem ersten Lebensjahr (bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres) Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) sieht in seinen Ausführungen ebenfalls keine Trennung zwischen Kinderkrippe und Kindergarten vor, insbesondere im Hinblick auf den allgemeinen Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen, der ebenfalls für den Krippenbereich gilt. Auch der seit 2007 landesweit eingeführte Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (BayBEP) bildet eine geeignete Referenzgrundlage für die vorliegende Fragestellung, weil er für die Bildung der Kinder von der Geburt bis zum Eintritt in die Grundschule gilt. Die Ziele des Bildungsplans wurden zudem als gesetzlich verbindlich für alle Einrichtungen in Bayern erklärt.
Überzeugend legt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Dr. Dr. F. in seinem wissenschaftlich begründeten Gutachten vom 03.11.2017 dar, dass die ersten drei Lebensjahre eines Kindes das Fundament der individuellen Bildungsbiographie bilden. Um die Fachkräfte hierfür zu sensibilisieren, hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen zusammen mit dem Staatsinstitut für Frühpädagogik 2010 eine Handreichung mit genauen Angaben herausgegeben, wie Bildungsprozesse bei Kindern im Alter von weniger als drei Jahren organisiert werden sollten. Auf einer forschungsbezogenen Grundlage werden im BayBEP vier Kompetenzbereiche und im weiteren elf themenbezogene Bildungsbereiche formuliert. D. h., Bildung ist von Geburt an breit angelegt. Kleinkinder lernen und denken jedoch nicht in Fächern. Vielmehr sind ihre emotionalen, sozialen, kognitiven und motorischen Lern- und Entwicklungsprozesse eng miteinander verknüpft. Dieses vernetzte Lernen im Kleinkindalter, das als wesentliche Vorbedingung für den Verlauf der späteren schulischen Laufbahn gilt, greift der BayBEP auf.
Im vorschulischen, aber auch speziell im Alter von weniger als drei Jahren werden folgende Bildungsschwerpunkte benannt: Bindung und Beziehung als Voraussetzung für Bildung, Stärkung der emotionalen und sozialen Kompetenzen, der kommunikativen Kompetenzen, der körperbezogenen Kompetenzen, der kognitiven und lernmethodischen Kompetenzen sowie Stärkung eines positiven Selbstkonzepts als Voraussetzung von Resilienz. Insbesondere die Entwicklung und Stärkung der kognitiven und lernmethodischen Kompetenzen spielen eine zentrale Rolle in der frühkindlichen Bildung und bilden wichtige Grundlagen für den Erwerb anderer Basiskompetenzen sowie für das lebenslange Lernen. Dies begründet sich darin, dass aus dem neuro- und entwicklungsbezogenen Diskurs der letzten Jahre die einhellige Erkenntnis erwachsen ist, dass Kinder in den ersten drei Lebensjahren so viel und so schnell lernen wie sonst kaum mehr. Kognitive Kompetenzen können im Kontext aller Bildungsbereiche gestärkt werden.
Die Ergebnisse einer Reihe von Modellversuchen zur Integration behinderter Kinder in Kindertageseinrichtungen fanden mittlerweile Eingang in staatliche Planungsgrundlagen und in die Gesetzgebung. So betont das SGB IX in § 1 das Recht Behinderter auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf Vermeidung von Benachteiligungen. In § 4 Abs. 3 S. 1 SGB IX wird gefordert, dass Leistungen für behinderte Kinder so geplant und gestaltet werden, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden, sondern gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung betreut werden können. Die Neuorientierung bei der Erziehung und Bildung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen fand ihren Niederschlag auch in verschiedenen transnationalen Vereinbarungen und Deklarationen, wie z. B.:
– Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989;
– die UN-Standards zur Gleichberechtigung Behinderter von 1993;
– die Erklärung der Weltkonferenz über die Erziehung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in Salamanca von 1994;
– der OECD-Report über die inklusive Beschulung Behinderter von 1999.
Leitprinzipien sind das Normalisierungsprinzip, das Prinzip der sozialen Inklusion und der Vorrang präventiver Maßnahmen. Hilfsangebote haben der Unterschiedlichkeit der Problemlagen von Kindern mit besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder sind zu integrieren und angemessen zu unterstützen. Grundsätzlich hat integrative Erziehung auszugehen vom Grundsatz der uneingeschränkten Teilhabe (Inklusion). Danach werden Kinder mit Behinderungen in Tageseinrichtungen gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen gebildet und erzogen; sie erhalten dort eine, auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestellte spezifische Förderung und Unterstützung. Die gemeinsame Erziehung und Bildung ist dabei eingebettet in einen allgemeinen Prozess der Förderung einer vollen Teilhabe behinderter Kinder an allen Sektoren des gesellschaftlichen Lebens. Es wird auch ein gemeinsames pädagogisches Angebot für Kinder mit und ohne Behinderung bereitgestellt. Alle Kinder nehmen gleichermaßen an pädagogischen Angeboten, Projekten und Aktivitäten teil. Daraus ergeben sich u. a. folgende Konsequenzen für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen:
– Der pädagogische Ansatz gibt genügend Raum für die Individualisierung von Lernprozessen.
– Die Bildungs- und Erziehungsarbeit für Kinder mit Behinderungen erfolgt auf der Grundlage eines individuellen Erziehungsplans. Hier werden individuelle Entwicklungsziele und Interventionen beschrieben sowie Erfahrungen und Ergebnisse festgehalten. Der Plan strukturiert und steuert die alltägliche Arbeit mit den Kindern sowie die Kooperation von Eltern, Fachdiensten und Einrichtung.
– Das gemeinsame Lernen und die soziale Interaktion zwischen Kindern mit und ohne Behinderung werden gezielt gefördert.
– Kinder mit Behinderung erhalten in integrativen Einrichtungen eine spezifische therapeutische Förderung und Unterstützung. Interventionen sind in das allgemeine pädagogische Angebot der Einrichtung zu integrieren. Die therapeutischen Maßnahmen sind in ihrer Zielsetzung ganzheitlich angelegt. Fördermaßnahmen sollen die Kinder beim Erwerb allgemeiner, auch im Alltag sinnvoll einsetzbarer Fertigkeiten unterstützen.
– Im Sinne einer optimalen Entwicklungsförderung ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Einrichtung und Fachdiensten erforderlich. Notwendige diagnostische Untersuchungen, das pädagogische Vorgehen in der Gruppe und die therapeutischen Leistungen erfolgen in enger Kooperation. Entscheidungen werden für alle transparent vorbereitet und schließlich gemeinsam getroffen.
Auch hierbei wird ausdrücklich nicht zwischen Kindern unter/über drei Jahren unterschieden.
Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen haben zu der Einsicht geführt, dass auch Kleinstkinder – weit mehr als bisher angenommen – in der Lage sind, aktiv Bildungsprozesse mitzugestalten. Empirisch ermittelte Effekte früher Bildung auf die weitere Entwicklung des Kindes, die in Längsschnittstudien mittel- und langfristig nachgewiesen werden konnten, vorliegende Evidenz ökonometrischer Studien, denen zufolge Investitionen in die frühen Jahre den höchsten Gewinn erbringen, und nicht zuletzt Befunde der neurowissenschaftlichen Forschung haben dazu geführt, dass es fachlich wie politisch zu einer Neubewertung des Stellenwerts der frühen Kindheit im Bildungsverlauf gekommen ist. In der Folge ist nunmehr die frühe Bildung als die erste Stufe im Bildungsverlauf anerkannt.
In den letzten Jahren haben Hirnforschung, Entwicklungs- und Lernpsychologie aufgezeigt, dass Kleinkinder im Alter von weniger als drei Jahren in höchstem Maße lernbereit und lernfähig sind (Textor, 2007). Der Wissenserwerb erfolgt insbesondere auf dem Weg der Kommunikation mit anderen Menschen. Diese kognitive Entwicklung begründet sich in einer entsprechenden rasanten Entwicklung des kindlichen Gehirns: In den ersten drei Lebensjahren nimmt die Menge an Synapsen außerordentlich schnell zu; mit zwei Jahren entspricht ihre Anzahl derjenigen von Erwachsenen, mit drei Jahren ist sie doppelt so groß. Der doppelt so hohen Anzahl von Synapsen entsprechen eine im Vergleich zum Erwachsenen zweimal so hohe Aktivität des Gehirns und ein vergleichsweise hoher Glukoseverbrauch (für Energie). All dies ist ein Zeichen für die hohe Plastizität des Gehirns – und für die enorme Lern- und Anpassungsfähigkeit des Kleinkindes. Die Überproduktion von Synapsen in den ersten Lebensjahren ermöglicht die schnelle motorische, sprachliche, kognitive, soziale und emotionale Entwicklung; sie lässt das Lernen leicht und sehr rasch von statten gehen.
Zudem konnte der nachhaltige Einfluss früher Lernerfahrungen auf das Gehirn sichtbar gemacht werden – Lernen auf neurophysiologischer Ebene ist zu verstehen als die Entwicklung und Ausdifferenzierung häufig benutzter Netzwerkverbindungen von Nervenzellen und die Verkümmerung jener Verbindungen, die nicht oder kaum benutzt werden. Differenzierte Lernerfahrungen in den ersten drei Lebensjahren treiben die Entwicklung des Kindes also weit deutlicher voran als vormals vermutet.
Von maßgeblicher Bedeutung dabei ist, wie in den Befunden der Hirnforschung betont wird (z. B. Hüther, 2006), dass dieses Lernen stets eingebettet in emotional bedeutsame Beziehungen verläuft. Die emotionale Sicherheit spielt also für das Lernen in den ersten Lebensjahren eine entscheidende Bedeutung. Zudem müssen die psychischen Grundbedürfnisse des Kleinkinds (Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit, Autonomieerleben und Kompetenzerleben aufgrund von Herausforderungen, die dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst sind) erfüllt sein.
Im Weiteren haben verschiedene Studien der letzten Jahre dokumentiert, dass sich Kinder bereits zu Beginn der Grundschulzeit stark in ihren sprachlichen, mathematischen und allgemein kognitiven Fähigkeiten unterscheiden. Bei der Ursachenforschung richtet sich das Interesse nunmehr verstärkt auf die Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung (FIBB) mit einer Differenzierung zwischen Kindern bis zu drei Jahren und Kindern ab drei Jahren. Hierbei wird zwischen den folgenden drei wesentlichen Förderbereichen unterschieden:
– Kognitivleistungsbezogene Entwicklung: Die wohl bekannteste und am meisten diskutierte Forschungsarbeit zu den Auswirkungen außerfamiliärer Betreuung in den ersten drei Lebensjahren, die NICHD-Studie (2005 a, b) sowie die englische EPPE-Studie (Sammons et al., 2002) erbrachten, dass ein früher Eintritt in die institutionelle Betreuung mit besseren kognitiven Leistungen im Alter von drei Jahren und zu Beginn der Grundschule assoziiert waren. Die Resultate von Loeb et al. (2004) sprechen zudem dafür, dass ein Beginn frühkindlicher institutioneller Betreuung zwischen zwei bis drei Jahren sich vergleichsweise am positivsten auf die Entwicklung der frühen kognitiven Kompetenzen im Alter von fünf Jahren auswirkte. Auch im Vergleich mit informellen Betreuungssettings erbrachte die institutionelle Betreuung in den ersten drei Lebensjahren Vorteile hinsichtlich der kognitiv-leistungsbezogenen und sprachlichen Entwicklung von Kleinkindern, die zum Teil noch im Grundschulalter wirksam waren (z. B. Houng et al., 2011; Sylva et al., 2011). Diese Ergebnisse gelten für Einrichtungen mit einer höheren Qualität institutioneller im Vergleich zu informellen Betreuungssettings und konnten international bestätigt werden (vgl. Neuseeland: Wylie et al. 2006; Schweden: Broberg et al., 1997). Bei der in Deutschland durchgeführten Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK, Tietze et al., 2012) ging ein früher Eintritt in die außerfamiliäre Betreuung bei den zweijährigen Kindern mit besseren Werten hinsichtlich des Kommunikationsverhaltens einher. Bei vierjährigen Kindern mit früher außerfamiliärer Betreuung fand sich zudem ein größerer Wortschatz.
– Sozioemotionale Entwicklung: Zu den Auswirkungen einer frühen außerfamiliären Betreuung von Kindern auf verschiedene Aspekte ihres sozio-emotionalen Verhaltens liegt keine einheitliche Forschungsevidenz vor, was auf die unterschiedliche Methodik der Studien und Qualität der Betreuungseinrichtungen zurückgeführt werden kann. Tendenziell finden sich bei hohem Betreuungsstandard positive Effekte auf den so-zio-emotionalen Entwicklungsstand der Kinder im Alter von acht bis dreizehn Jahren (z. B. Andersson, 1992) sowie ein vermindertes Auftreten von Problemverhalten (Tietze et al., 2012).
– Lebensbewältigung: Hier zeigte sich, dass eine frühe Nutzung institutioneller Betreuung und Förderung die Wahrscheinlichkeit einer späteren Klassenwiederholung sowie das Auftreten von sonderpädagogischem Förderbedarf senken kann und die Wahrscheinlichkeit des Erreichens von (besseren) Bildungsabschlüssen erhöht (z. B. Fritschi & Oesch, 2008) sowie, dass ein positiver Zusammenhang mit förderlichen Lernüberzeugungen und Verantwortungsbewusstsein vorlag (Wylie & Hodgen, 2007).
Auch verschiedene weitere Studien belegen eine positive Auswirkung von FBBE auf die Schulreife (Gormley et al., 2008; Magnuson et al., 2004), wenn Vorschulangebote bereits im Alter von zwei bis drei Jahren in Anspruch genommen werden (Loeb et al., 2004; Sammons et al., 2002). Zudem kam eine Metaanalyse von 125 Studien zur frühkindlichen Entwicklung in den USA (Camilli et al., 2010) ebenfalls zu dem Befund, dass sich frühkindliche Bildung und Erziehung sowohl auf die kognitive als auch auf die sozial-emotionale Entwicklung maßgeblich auswirken. Vorschulprogramme, in denen der Schwerpunkt auf direkt an das Kind vermittelten Lernerfahrungen liegt, sind dabei besonders effektiv. Die mit hochwertiger FBBE verbundenen Vorteile sind breit gefächert und betreffen die kognitive, schulische und soziale Entwicklung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass verschiedene Aspekte der kindlichen Entwicklung in Wechselbeziehung stehen und dass die Entwicklung in einem Bereich sich positiv auf die Entwicklung in anderen Bereichen auswirkt.
Frühe Bildungserfahrungen gemäß den individuellen Kompetenzen sind zudem von entscheidender Bedeutung für Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft eines Kindes. Wenn diese erst im Kindergarten geweckt werden müssen, wird das Kind anderen Gruppenmitgliedern gegenüber benachteiligt sein. Nicht zuletzt tragen Förderangebote in der Krippe unmittelbar, und über einen längeren Zeitraum hinweg, zur qualitativen Veränderung und allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes bei. In der frühen Kindheit treten zudem ko-konstruktive Bildungsprozesse insbesondere im Kontakt mit anderen Kindern auf, da die Kinder sich gemäß ihrem ähnlichen Entwicklungsstand untereinander viel besser verstehen können, als dies seitens der Erwachsenen möglich ist. Dies gilt insbesondere für die Entschlüsselung nonverbaler Signale – ein bei Kleinkindern besonders wichtiger Kommunikationskanal.
Auf dieser Grundlage können Kinder gemeinsam neue Kompetenzen erwerben. Somit können Kleinkinder sehr viel von anderen Kindern lernen, die in bestimmten Bereichen ihrer Entwicklung weiter fortgeschritten sind.
Die in den Einrichtungen gebotene Qualität, vor allem die Betreuungsintensität und -stabilität, bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren wird als ausschlaggebend für die positiven Auswirkungen erachtet. Demnach stellt die Prozessqualität der Betreuungs- und Bildungsangebote den entscheidenden Faktor für die Höhe und Persistenz der Effekte dar, was international nachgewiesen wurde (Vandell et al., 2010; Melhuish et al., 2010; Sylva et al., 2010; Bauchmüller et al., 2011). Daraus lässt sich ableiten, dass der erweiterte Zugang zu FBBE sowohl zu einer Leistungssteigerung als auch zu einer Reduzierung von Ungleichheiten führt (OECD, 2011). Die individuelle Abstimmung von Förderangeboten macht es auch für behinderte Kinder möglich, bestmögliche Erfolge bei der Bildungsvermittlung zu erzielen. Insbesondere bei einem Kind mit eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit und/oder anderweitigen Behinderungen ist deshalb aufgrund der o. g. Erkenntnisse der Zeitraum vor Eintritt in den Kindergarten enorm wichtig und sollte zu Förderungszwecken weitestgehend ausgeschöpft werden. Verschiedene Studien zeigen eindrücklich auf, dass eine frühe Förderung vor dem dritten Lebensjahr, insbesondere für Kinder mit Behinderung und aus bildungsfernen Familien, förderlich für die kognitiv-leistungsbezogene Entwicklung ist (Geoffroy et al., 2010; Hansen & Hawkes, 2009; Houng et al., 2011). So fand beispielsweise die ECLS-K-Studie (US-Departement of Education, 2011), dass ein Eintrittsalter zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr bei Kindern mit Entwicklungsproblemen mit einer besonders positiven Entwicklung früher schulischer Fähigkeiten im Alter von fünf Jahren verbunden war. Von besonderer Bedeutung hierbei ist ein individuelles, defizitspezifisches Förderangebot von hoher Qualität (Burchinal et al., 2010). Vergleichbare Ergebnisse fanden sich für die sprachliche Entwicklung (Ebert et al., 2012).
Im Hinblick auf die sozio-emotionale Entwicklung findet sich ein vergleichbarer Forschungsstand. Eine hohe Qualität der frühen Förderung hat demnach eine protektive Wirkung insbesondere hinsichtlich des späteren Auftretens von Verhaltensproblemen (Votruba-Drzal et al., 2010). Auch für die allgemeine Lebensbewältigung wird demnach ein früher Eintritt in die Bildungseinrichtung befürwortet.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der für die frühe institutionelle Förderung von Kindern mit Behinderung spricht, ist, dass auf diese Weise die Eltern regelmäßig Anregungen und eine Unterweisung bekommen, bis sie selbst ihr Kind ergänzend fördern können. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil das familiäre Förderangebot in der Forschung (weiterhin) als wesentlich für Entwicklungsfortschritte von Kindern erachtet wird.
Diese Studienlage bestätigt die Zielsetzung des seit 2005 landesweit eingeführten „Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung (BayBEP)“. Danach gehört die umfassende Förderung von Anfang an zu den Grundbedürfnissen eines Kindes. Da frühe Förderung nachweislich optimal in der Gruppe mit Gleichaltrigen geleistet werden kann, stellt der Besuch einer Kinderkrippe von hoher Qualität hierfür einen idealen Ort dar. So muss genutzt werden, dass Kleinkinder im Alter von weniger als drei Jahren in höchstem Maße lernbereit und lernfähig sind. Der enorme Wissenserwerb dieser Jahre erfolgt insbesondere auf dem Weg der Kommunikation mit anderen Kindern und Erwachsenen. Die frühen Lernerfahrungen wirken sich zudem aus neurophysiologischer Sicht prägend für die weitere Entwicklung aus. Nicht nur die Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder und/oder Förderung spielerischen Lernens und/oder der Sprachentwicklung spielen hier eine Rolle, sondern der Erwerb von Lernkompetenz, Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft.
Inklusion ist ein Grundrecht aller Menschen und auch Kinder mit Behinderung haben das Recht auf gleichberechtigte und uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf Vermeidung von Benachteiligungen. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass vor allem Kinder mit besonderen Bedürfnissen am positiven Vorbild der anderen Kinder lernen und die Hilfen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die in integrativen Einrichtungen geleistet werden, wirksam sind, während Aussonderung Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung begünstigt. Im Hinblick auf den Nutzen/die Notwendigkeit früher Förderung ist somit nicht zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern zu unterscheiden. Frühe institutionelle Förderung von Kindern im Alter von weniger als drei Jahren ist in den gesetzlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen verankert und wird in ihren positiven Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes und seine spätere Schulfähigkeit durch die Forschung bestätigt.
Im vorliegenden Fall hat die Versicherte E.G. einen Integrationsplatz in einer integrativen Krippe belegt. Hierdurch war und ist durchgängig gewährleistet, dass mit besonderer Sensibilität auf ihre spezifischen Bedürfnisse, wie z. B. Lern- und Entwicklungstempo, spezifische Lernanforderung und besondere Unterstützung eingegangen wird. Die dargelegten Bedingungen für eine positive fachlich-inhaltlich integrative Arbeit in einer Kindertageseinrichtung liegen in der von der Versicherten E.G. besuchten Krippe vor. Gerade für ein Kind wie E.G., das einen enormen Förderbedarf hat und anscheinend häufig „in seine eigene Welt abdriftet“, ist das Angebot kontinuierlicher Anregungen und Kontakte besonders dringend erforderlich.
Es ist von daher, ganz abgesehen von den damit verbundenen extremen psychischen Belastungen, schon kaum denkbar, dass die Versicherte E.G. ohne die frühe Förderung in der Krippe den Übergang in den Kindergarten hätte bewältigen können. Es zeigte sich im weiteren, dass Entwicklungserfolge bei ihr in ganz kleinen Schritten erreicht werden können. Es wäre auch von daher unverantwortlich gewesen, ihr die frühe Förderung in der Krippe im Hinblick auf ihre spätere Schulfähigkeit vorzuenthalten, in einem Alter, in dem Kinder nachweislich die höchste Lernfähigkeit zeigen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Versorgung der Versicherten E.G. mit dem streitgegenständlichen Therapiestuhl notwendig im Hinblick auf das kindliche Grundbedürfnis der Förderung der Schulfähigkeit und Integration in die Gruppe gleichaltriger Kinder war. Gerade bei einem Kind wie E.G. bestand aufgrund ihrer multiplen schweren Behinderungen die besondere Notwendigkeit, durch frühe Förderung Defizite zu mildern und ihre Chancen auf eine angemessene Bildung durch eine Förderung – so früh wie möglich – zu erhöhen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte das „G.“ auch keine Vorhaltepflicht bezüglich der Beschaffung des Therapiestuhls „M.“ inklusive Zubehör. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus Punkt 5.1.4 der Leistungsvereinbarung vom 30.07.2013 gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen der integrativen Kindertageseinrichtung „S.“ und dem Kläger.
Nach Punkt 5.1.5. („Sachausstattung“) der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung für den Leistungstyp „Teilstationäre Angebote zur Tagesbetreuung für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder im Sinne des § 53 SGB XII in Kindertageseinrichtungen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 BayKiBiG (T-K-KITA)“ wird die durch den behinderungsbedingten Mehraufwand erforderliche Sachausstattung (insbesondere Spiel- und Lernmaterial) in der individuellen Leistungsvereinbarung geregelt. In der hier maßgeblichen Leistungsvereinbarung vom 30.07.2013 wurde unter Punkt 5.1.4 geregelt, dass die Kindertageseinrichtung die notwendige behinderungsbedingte zusätzliche Sachausstattung vorhält. Weder auf Bezirksebene noch auf bayerischer Ebene gibt es eine Aufstellung, welche Gegenstände zu dieser speziellen Sachausstattung gehören.
Dass der streitgegenständliche Therapiestuhl „M.“ inklusive Zubehör ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V und keine Sachausstattung im Sinne des Punkt 5.1.4 der individuellen Leistungsvereinbarung ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut „Sachausstattung“ und insbesondere aus dem unter Punkt 5.1.5. (Sachausstattung) der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung (s.o.) aufgeführten Beispiel „insbesondere Spiel- und Lernmaterial“. Bei gegenteiliger – von der Beklagten vertretenen – Auffassung hätte die Einrichtung anstatt die Beklagte für sämtliche Hilfsmittel eine Vorhaltepflicht, was mit der vorrangigen Verpflichtung der Beklagten aus den §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 S. 1 SGB V, Versicherte mit Hilfsmitteln unter den Voraussetzungen des S. 1 des § 33 Abs. 1 SGB V zu versorgen, nicht in Einklang zu bringen ist.
Schließlich überzeugt auch der Einwand der Beklagten nicht, dass es sich hier um einen „genormten“ Therapiestuhl handele, so dass nach dem BSG (a.a.O.) eine Vorhaltepflicht der Kindertageseinrichtung bestehe. Denn aus der Vielzahl der aus der Produktbeschreibung ersichtlichen Funktionen und individuellen Anpassmöglichkeiten ergibt sich bereits, dass der streitgegenständliche Therapiestuhl kein „genormter“ Therapiestuhl ist. Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Versicherte E.G. aufgrund ihrer Behinderung gegen die Beklagte einen Individualanspruch auf Versorgung mit dem – erforderlichen – streitgegenständlichen Hilfsmittel gemäß §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 S. 1 SGB V hat, um eine Behinderung auszugleichen (3. Alt). Dieser Individualanspruch der Versicherten E.G. begründet eine Verpflichtung der Beklagten, mit ihrer medizinischen Fachkompetenz und ihrer technischen Kompetenz im Hilfsmittelbereich die Versicherte E.G. mit dem streitgegenständlichen Therapiestuhl inklusive Zubehör zu versorgen und darüber hinaus auf behinderungsbedingte und altersbedingte körperliche Veränderungen, die sich auf das Sitzvermögen der Versicherten E.G. auswirken, entsprechend kompetent zu reagieren. Im Hinblick auf die bei der Versicherten E.G. vorliegenden Behinderungen und die gesetzgeberische Intention der §§ 27 Abs. 1 S. 2, 33 Abs. 1 S. 1 SGB V scheidet eine Vorhaltepflicht der Kindertageseinrichtung daher aus.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach der Höhe der streitgegenständlichen Forderung, § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen.


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