Familienrecht

Mögliche Einstellung der Zwangsversteigerung wegen Kindeswohl

Aktenzeichen  9 K 197/17

Datum:
10.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155448
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZVG § § 180 Abs. 2, Abs. 3
ZPO § 765a

 

Leitsatz

1 Von der Rechtsprechung bejaht wird die Einstellungsmöglichkeit über § 180 Abs 3 ZVG nur, wenn besondere Umstände eine begründete gegenwärtige Besorgnis der Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls nahelegen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dies könnte der Fall ein, wenn die anderweitige Unterbringung einer kinderreichen Familie mit zumutbaren Aufwand nicht möglich erscheint, wenn das Haus nach den Bedürfnissen eines behinderten Kindes gebaut ist, wenn noch Ungewissheit über den späteren Aufenthalt eines Kindes besteht, weil die Eltern über die elterliche Sorge streiten und ein wiederholter Wechsel der anvertrauten Umgebung eine gedeihliche Entwicklung stören könnte. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Ausnahmecharakter des § 765a ZPO gestattet nur in ganz speziellen Sonderfällen, in denen das geschriebene Recht auch unter Würdigung des Schutzbedürfnisses der Antragstellerseite zu einem aus Sicht der Allgemeinheit absolut untragbaren Ergebnis führen würde, die für solche Konstellationen, im Schuldnerschutz vorhandenen Lücken adäquat zu schließen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag der Antragsgegnerin vom 10.10.2017 auf einstweilige Einstellung des von dem Antragsteller aus dem Beschlagnahmebeschluss vom 28.09.2017 betriebenen Verfahrens wird nach § 180 ZVG und nach § 765 a ZPO zurückgewiesen.

Gründe

Mit Beschluss vom 28.09.2017 wurde die Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft des im Eigentum des Antragstellers und der Antragsgegnerin stehenden, eingangs genannten Grundbesitzes angeordnet.
Der Anordnungsbeschluss wurde an die Antragsgegnerseite mit einer Belehrung über die rechtlichen Möglichkeiten des § 180 Abs. II und Abs. III ZVG, die Frist und den Fristbeginn für die Stellung dieses Antrags und dem Hinweis auf die Folgen eines fruchtlosen Fristablaufs am 30.09.2017 zugestellt.
Mit Schreiben vom 10.10.2017, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, ersuchte die Antragsgegnerin durch ihre anwaltliche Vertretung um einstweilige Einstellung des Verfahrens. Als Begründung wurde im wesentlichen vorgebracht, dass
A) bezüglich des Versteigerungsobjekts eine gütliche Vermögensauseinandersetzung zwischen beiden Seiten vor allem auch an den stark divergierenden Objektwertvorstellungen scheitere
B) ein Verfahrensfortgang das Wohl der gemeinsamen vier Kinder, die mit der Antragsgegnerin im Objekt leben, beeinträchtigen würde. Unter Umständen drohe der alleinerziehenden Mutter mit den vier minderjährigen Kindern die Obdachlosigkeit, da für diese Art von Wohnungssuchenden nur sehr eingeschränkt Ersatzwohnraum zur Verfügung stünde. In diesem Zusammenhang wurden für drei der vier Kinder dann auch ärztliche Atteste vom 10.10.2017 vorgelegt, in denen je wegen „ADHS“ bzw. Morbus Crohn „eine Änderung der Umgebung, welche nach einer Zwangsversteigerung und mit einem Umzug in eine an – dere Wohngegend verbunden wäre, für nicht sinnvoll und absolut nicht empfehlenswert“ erachtet wird.
Der Antragssteller widersetzte sich – bei Anhörung durch das Gericht – durch seine anwaltliche Vertretung mit Schriftsatz vom 30.10.2017 dem Einstellungsantrag; dabei wurde argumentiert, dass
-eine Einigung tatsächlich aktuell scheitere. „Ohne Einholung eines neutralen Sachverstständigengutachtens sieht sich der Antragsteller nicht in der Lage, einen Preis für seine Miteigentumshälfte zu nennen“.
-eine „gesundheitliche Beeinträchtigung für die Kinder … mit dem Teilungsversteigerungsverfahren nicht verbunden“ sei. Dadurch würde vielmehr ja die Vermögensausandersetzung beschleunigt und damit aus der Blickweise der Kinder das Konfliktpotential zwischen ihren Eltern schneller reduziert werden.
-man den Einstellungsantrag insgesamt eher als inakzeptablen Verzögerungsversuch einstuft, da hierbei gleichzeitig nicht erläutert werde, welcher Bonus daraus nach dem Einstellungszeitraum gewonnen sein könnte.
Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Schreiben Bezug genommen – Abschriften haben die Parteien bereits erhalten, bzw. sind diesem Beschluss als Anlage beigefügt.
Für eine gerichtliche Verfahrenseinstelllung dürften nur in Betracht kommen:
I. §§ 180 Abs. II, III ZVG oder
II. § 765 a ZPO, bei Prüfung beider Vorschriften wird der Einstellungsantrag jedoch hiermit zurückgewiesen.
Zu I.)
Der Antrag ist auf dem Weg über § 180 ZVG zwar fristgerecht und damit zulässig gestellt, jedoch als unbegründet zurückzuweisen:
Nach § 180 Abs. II ZVG könnte/müsste das Vollstreckungsgericht die einstweilige Einstellung anordnen, wenn „dies bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der mehreren Miteigentümer angemessen erscheint“.
Hierbei ist zunächst zu bedenken, dass – da eine Einstellung faktisch das in § 749 BGB grundsätzlich verankerte Recht eines jeden Eigentümers, die Auseinandersetzung zu verlangen, beeinträchtigt – ganz besondere Umstände vorliegen müssen, die einen befristeten Aufschub im Sinne von § 180 ZVG angemessen erscheinen lassen. Nur dann könnte dann ausnahmsweise eine Einstellung befürwortet werden.
Diese besonderen Umstände müssen insbesondere in sechs, höchstens in 12 Monaten, voraussichtlich behebbar, sein (vgl. Stöber, Kommentar zum ZVG, 19. Aufl. 2009, § 180 Rn. 12.1 und 12.2). Die Einstellung soll nach dem Grundgedanken dieser Vorschrift verhindern, dass ein wirtschaftlich Stärkerer unter Ausnutzung vorübergehender Umstände die Versteigerung zur „Unzeit“ betreibt, um einen wirtschaftlich Schwächeren zu ungünstigen Bedingungen aus dem Grundbesitz zu drängen. Diese besonderen Umstände sind dann von der Antragsgegnerin vorzutragen und unter den Voraussetzungen des § 30 b Abs. 2 S. 3 ZVG glaubhaft zu machen.
Derartige Einstellungsvoraussetzungen liegen nicht vor; die beiderseitigen Vorstellungen erscheinen dem Gericht vielmehr derart verkrustet, dass sich eine Einstellung für maximal zwölf Monaten nicht – wie gefordert – als Fortschritt hin zu einer doch einvernehmlichen Lösung erweisen wird.
Vielmehr erscheint im Gegenteil eher sogar der Verfahrensfortgang zweckmäßiger als weitere Hilfe zu einer gütichen Einigung zu sein:
Jedes Versteigerungsverfahren ist kein automatisierter Selbstläufer, sondern vielmehr ein Antragsverfahren: Sobald der Antragsteller seine Antrag zurücknimmt (was bei einer Verfahrensdauer von mindestens noch acht Monaten bis zum ersten Versteigerungstermin sogar dort noch nach Ende der Bietzeit bei der vorgeschriebenen Anhörung nach § 74 ZVG vor der Zuschlagserteilung und somit also noch lange möglich wäre), wird das Verfahren bei Gericht sofort beendet. Somit besteht grundsätzlich auch ohne eine Verfahrenseinstellung sowieso automatisch noch ein mehrmonatiger Zeitraum für eine Einigung zur Verfügung.
Im Hinblick auf die anfallenden Verfahrenskosten, die Veröffentlichung des Versteigerungstermins des Objekts im Internet sowie einer auch jetzt faktisch nicht sicher aufzustellenden Prognose zum Versteigerungsergebnis werden die zwingend zuerst (damit demnächst) im Verfahrensverlauf ermittelten Eckdaten wie der nach Einschaltung eines vom Gericht ausgewählten Sachverständigen festgesetzte Verkehrswert des Grundstücks eventuell doch noch einen gemeinsameren Nenner für vertragliche Verhandlungen innerhalb der Eigentümergemeinschaft bilden sowie hierfür dann eine höhere Flexibillal hervorrufen …
Im Falle einer Einstellung nach § 180 Abs. III ZVG müsste die „Abwendung einer ernsthaften Gefährdung des Wohls eines gemeinschaftlichen Kindes“ angeführt und belegt sein.
Dies ist im vorliegenden Fall aber auch nicht erkennbar: Von der Rechtsprechung bejaht wird die Einstellungsmöglichkeit über diese Vorschrift nur, wenn
„besondere Umstände eine begründete gegenwärtige Besorgnis der Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls nahelegen. Dies könnte der Falls ein,
-wenn die anderweitige Unterbringung einer kinderreichen Familie mit zumutbaren Aufwand nicht möglich erscheint,
-wenn das Haus nach den Bedürfnissen eines behinderten Kindes gebaut ist,
-wenn noch Ungewissheit über den späteren Aufenthalt eines … Kindes besteht, weil die Eltern über die die elterliche Sorge streiten und wiederholter Wechsel der ihm anvertrauten Umgebung seine gedeihliche Entwicklung stören könnte“
(zitiert aus Stöber: ZVG-Kommetar – 19. Auflage – Anm. 13.4 zu § 180 ZVG).
Derartig intensive Befürchtungen wurden nicht vorgebracht; auch aus den ärztlichen Attesten ist keine extrem gravierende und deshalb aktuell unbedingt zu vermeidende Gefahr aus einem Umzug, den die Eltern oder zumindest ein Elternteil fürsorglich und langfristig vorbereitet, für ein Kind erkennbar.
Außerdem ist der Denkansatz, die Antragsgegnerin könne das Objekt selbst ersteigern oder in den nächsten Monaten aus ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis jemanden zu gewinnen, der das Objekt ersteigert und ihr (z.B. auch als Mieterin) überlässt, hier auch tatsächlich für die Antragsgegnerin als Option zu verstehen – sie hat ja zum Beispiel auch in ihrem Mail vom 13.11.2016 selbst die Möglichkeit einer finalen Lösung nur durch Zwangsversteigerung erwähnt.
Im Rahmen der gerichtlichen Hinweispflicht wird daher auch dringend empfohlen, die dort getroffene Aussage „weder meine Eltern noch ich ziehen die Ersteigerung des Hauses in Erwägung“ nochmals zu überdenken – entsprechende finanzielle Mittel sind auch im Hinblick auf die Übernahme der Grundschuld als bei Zuschlag bestehenbleibendem Recht i.H.v. 185.000,00 € nach §§ 182, 44, 45, 52 ZVG offenbar vorhanden!
Zu II.)
Auch die Prüfung von § 765 a ZPO – der in der Teilungsversteigerung als „zwangsvollstreckungsähnliches“ Verfahren durchaus auch anwendbar wäre – fuhrt hier nicht zu einer Verfahrenseinstellung durch das Vollstreckungsgericht diese Vorschrift ermoglicht dies nämlich nur dann, wenn die Fortführung der Vollstreckungsmaßnahme „eine Harte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist“. Der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift gestattet nur in ganz speziellen Sonderfällen, in denen das geschriebene Recht auch unter Würdigung des Schutzbedürfnisses der Antragstellerseite zu einem aus Sicht der Allgemeinheit absolut untragbaren Ergebnis führen würde, die für solche Konstellationen, im Schuldnerschutz vorhandenen Lücken adäquat zu schließen.
Im vorliegenden Fall wurden die hierfür erforderlichen besonderen Umstände weder von der Antragsgegnerseite vorgetragen noch sind sie aus dem bisherigen Akteninhalt ersichtlich.
– Die gezeigte Laufzeit des Versteigerungsverfahrens verbietet es – da ja nach dem Gesetzestext auch die Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers stattzufinden hat – das Verfahren bereits jetzt in dieser Einleitungsphase zu unterbrechen. Später im Verfahren steht das für die Begründetheit geforderte, aus Sicht der Allgemeinheit absolut untragbare Ergebnis wie der Miteigentums- oder der Wohnraumverlust evtl. sehr viel akuter bevor, weswegen dann bei einem neuem Antrag die Sittenwidrigkeit unter anderem Blickwinkel neu betrachtet werden kann und muss.
Um hier einer falschen Prognose vorzubeugen, wird verwiesen auf
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2007 (Az. 1 BvR 501/07): Demnach ist im Rahmen von Einstellungsanträgen nach § 765 a ZPO, die in Zwangsversteigerungsverfahren … abgegeben werden, auch relevant, wodurch konkret das befürchtete und deswegen evtl. zu vermeidende Gesundheitsrisiko auftreten wird:
„In der Regel wird zwar die bloße Geltendmachung einer … Gefährdung, auch wenn sie ärztlich attestiert ist, nicht zu einer Aussetzung des Zuschlagsverfahren zwingen. Eine solche … Gefahr, die schon auf die Zuschlagserteilung selbst und nicht erst auf eine sich dann anschließende etwaige Räumungsvollstreckung zurückzuführen ist, erscheint grundsätzlich eher unwahrscheinlich. Denn von dem Verlust der Rechtsposition des Eigentümers geht naturgemäß zumeist kein so gewichtiger Einschnitt für die Lebensführung … aus, wie das bei dem bevorstehenden Verlust der Wohnung der Fall ist.“
– „Härten bringt jede Vollstreckung mit sich, dies muss der Schuldner in Kauf nahmen ….
Härten und Verluste lassen sich bei einer Zwangsversteigerung so wenig ausschließen wie sie bei einem freihändigen Verkauf vermeidbar sind, wenn sich der Eigentümer in einer Zwangslage befindet und nur durch Veräußerung … befreien kann.“ – vgl. Anm. 54.1 in der „Einleitung“ zu Stöber: ZVG-Kommentar (21. Auflage)
Die Einstellungsvoraussetzungen liegen nach Prüfung aller rechtlichen Einstellungsmöglichkeiten somit nicht vor; der Antrag ist daher als unbegründet zurückzuweisen.


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