Familienrecht

(Pfändungsgrenzen: Kindergeld als Einkommen i.S.d. § 850c ZPO; Berücksichtigung zusätzlicher Bedarfe durch das Insolvenzgericht; Berechnung des Besserungszuschlags)

Aktenzeichen  IX ZB 38/19

Datum:
9.7.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:090720BIXZB38.19.0
Normen:
§ 850c Abs 1 S 2 ZPO
§ 850c Abs 4 ZPO
§ 36 Abs 1 S 2 InsO
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 28 Abs 3 SGB 2
§ 28 Abs 7 SGB 2
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

1. Das Kindergeld stellt kein Einkommen im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO dar. Das gilt auch dann, wenn das Kind erste unterhaltsberechtigte Person im Sinne des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004 – IXa ZB 322/03, ZVI 2004, 387).
2. Das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht kann im Rahmen der Berechnung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Person zusätzliche Bedarfe, insbesondere den für Unterkunft und Heizung, berücksichtigen.
3. Der Besserungszuschlag ist allein aus dem sozialhilferechtlichen Regelbedarf zu berechnen.

Verfahrensgang

vorgehend LG Münster, 24. Juni 2019, Az: 5 T 323/19vorgehend AG Münster, 4. April 2019, Az: 81 IK 86/18

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 24. Juni 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil entschieden worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 4.461,58 € festgesetzt.

Gründe

1
Auf Antrag der Schuldnerin wurde am 20. Dezember 2018 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter ernannt. Die Schuldnerin lebt seit dem 1. Februar 2018 von ihrem Ehemann getrennt. Sie bewohnt zusammen mit ihren beiden Kindern, dem am 9. August 2000 geborenen J.    und der am 20. Januar 2003 geborenen H.   , welche beide noch die Schule besuchen, eine 168 qm große Wohnung zu einer monatlichen Warmmiete in Höhe von 1.150 €. Die Schuldnerin hat ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.330,91 €. Der Kindesvater zahlt für die Kinder monatlich jeweils 364 € Unterhalt. Weiter erfolgen monatliche Kindergeldzahlungen in gesetzlicher Höhe. Am 18. Januar 2019 hat der Insolvenzverwalter beantragt, das Insolvenzgericht möge anordnen, dass die beiden Kinder bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der Schuldnerin gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 InsO, § 850c Abs. 4 ZPO unberücksichtigt bleiben. Er ist der Ansicht, dass das ausgezahlte Kindergeld als Einkommen der Kinder zu werten und der Schuldnerin und den beiden Kindern aus sozialhilferechtlichen Gründen lediglich eine 80 qm große Wohnung zuzubilligen sei. Das Insolvenzgericht hat angeordnet, dass die beiden Kinder nicht als unterhaltsberechtigte Personen zu zählen seien. Auf die Beschwerde der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Insolvenzgerichts unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert und angeordnet, dass bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der Schuldnerin der unterhaltsberechtigte Sohn zu 70 v.H. und die unterhaltsberechtigte Tochter zu 50 v.H. unberücksichtigt bleiben. Den weitergehenden Antrag des Insolvenzverwalters hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Insolvenzverwalter mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen möchte.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde des Insolvenzverwalters hat Erfolg.
3
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht sich bei der Berechnung des Lebensbedarfs der Kinder der Schuldnerin von sozialrechtlichen Erwägungen zur Existenzsicherung habe leiten lassen. Neben dem sozialrechtlichen Regelbedarf für Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren und dem Bedarf für Bildung gemäß § 28 Abs. 3 SGB II und Teilhabe gemäß § 28 Abs. 7 SGB II seien pro Kind Kosten für den angemessenen Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen. Insoweit sei das Vorgehen des Amtsgerichts, nicht je ein Drittel der tatsächlich anfallenden Wohnkosten pro Kind anzusetzen, sondern nur die angemessenen Wohnkosten, nicht zu beanstanden. Anders als der Insolvenzverwalter meine, sei es im vorliegenden Fall jedoch gerechtfertigt, den Sozialhilfebedarf der Kinder um 40 v.H. zu erhöhen, weil die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO gerade nicht nur zur Sicherung des sozialrechtlichen Existenzminimums dienten, sondern dem Betroffenen einen deutlich darüber liegenden Anteil am Arbeitseinkommen gewährten. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei weiter zu klären, ob und in welcher Höhe die Kinder der Schuldnerin über eigenes Einkommen verfügten. Die Unterhaltsleistungen des Kindesvaters stellten solches Einkommen dar. Dies gelte jedoch grundsätzlich nicht für die Kindergeldzahlungen. Der Gesetzgeber habe den Umstand, dass für Kinder des Schuldners als zweite und weitere Unterhaltsberechtigte regelmäßig Kindergeld gezahlt werde, bereits bei der Bemessung des pauschalierten pfändungsfreien Betrags in der Tabelle zu § 850c Abs. 1 ZPO berücksichtigt. Deswegen könne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 2004 (IXa ZB 142/04, WM 2005, 293) keine Bedeutung zukommen. Daher könne bei der Tochter nur die Unterhaltsleistung des Vaters als Einkommen berücksichtigt werden. Beim Sohn sei zu beachten, dass für ihn als dem ersten Unterhaltsberechtigten ein erhöhter Pfändungsfreibetrag gewährt werde, bei welchem die Transferleistung des staatlichen Kindergeldes nicht eingerechnet sei. Deswegen sei es angemessen, insoweit das Kindergeld bedarfsmindernd zu berücksichtigen.
4
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
5
a) Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht oder das nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO an seine Stelle tretende Insolvenzgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellten Bezüge des Unterhaltspflichtigen ausschließt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt (BT-Drucks. 8/693, S. 48 f). Das folgt schon aus der Verwendung des Begriffs des billigen Ermessens. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verbietet sich deshalb eine schematisierende Betrachtungsweise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – IXa ZB 142/04, WM 2005, 293, 295; vom 5. April 2005 – VII ZB 28/05, WM 2005, 1186, 1187; vom 5. November 2009 – IX ZB 101/09, NZI 2010, 578 Rn. 6).
6
Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat das Vollstreckungsgericht zu erwägen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, dergestalt zu berücksichtigen sind, dass dem Schuldner für den damit bereits gedeckten Bedarf des Unterhaltsberechtigten ein Einkommensbetrag nicht verbleiben muss. An die Überprüfung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um das Vollstreckungsverfahren nicht unpraktikabel zu machen (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 28/05, WM 2005, 1186, 1187). Von maßgebender Bedeutung ist zunächst die Höhe der Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten, sodann aber dessen Lebensbedarf, der aus diesen Einkünften zu bestreiten ist (BeckOK-ZPO/Riedel, 2020, § 850c Rn. 24). Die im einzelnen Fall nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung obliegt dabei dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – IX ZB 101/09, NZI 2010, 578 Rn. 7).
7
b) Von diesen Grundsätzen ist das Beschwerdegericht ausgegangen. Die Entscheidung weist jedoch Ermessensfehler auf.
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aa) Die Einkünfte der unterhaltsberechtigten Kinder hat das Beschwerdegericht nur teilweise richtig berechnet.
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(1) Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei die zu berücksichtigenden Einkünfte der unterhaltsberechtigten Tochter bestimmt. Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, sind als eigene Einkünfte im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2019 – IX ZB 83/18, WM 2020, 288 Rn. 11).
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Das Kindergeld stellt dagegen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Einkommen der unterhaltsberechtigten Kinder im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO dar. Es dient dem Ausgleich der aus dem Familienunterhalt folgenden Belastungen. Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass für Kinder des Schuldners als zweite und weitere Unterhaltsberechtigte regelmäßig Kindergeld gezahlt wird, bereits bei der Bemessung des pauschalierten pfändungsfreien Betrages in § 850c Abs. 1 ZPO Rechnung getragen (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 20/05, WM 2005, 1369, 1370; vom 4. Oktober 2005 – VII ZB 24/05, WM 2006, 239, 240; vom 19. Dezember 2019, aaO Rn. 18). Zur weiteren Begründung (zur Neuregelung des § 1612b BGB, durch welche das Kindergeld als unterhaltsrechtliches Einkommen des Kindes behandelt wird) wird auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (aaO Rn. 19) verwiesen. Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 2004 (IXa ZB 142/04, WM 2005, 293, 295 aE) sollte nichts Gegenteiliges gesagt werden.
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(2) Abweichend von dieser Rechtsprechung hat das Beschwerdegericht die Kindergeldzahlungen im Verhältnis zum Sohn als dessen Einkünfte berücksichtigt, weil in dem Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person die Transferleistung des staatlichen Kindergeldes nicht berücksichtigt sei. Mit dieser Ansicht setzt sich das Beschwerdegericht jedoch in Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Mai 2004 (IXa ZB 322/03, ZVI 2004, 387, 388 f).
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In dieser Entscheidung ging es allerdings nicht um die Berücksichtigung von Kindergeld als eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten, sondern um die Frage, ob dann, wenn ein unterhaltsberechtigtes Kind des Schuldners erste unterhaltsberechtigte Person im Sinne des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist, für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe oder der verminderte Freibetrag der zweiten Stufe maßgeblich ist. Der Bundesgerichtshof hat die Frage dahingehend beantwortet, für das Kind richte sich der Freibetrag nach der ersten Stufe. Daran wird festgehalten. Für die Höhe der in Betracht kommenden Freibeträge unterscheidet das Gesetz lediglich zwischen der ersten unterhaltsberechtigten Person und den weiteren – bis zu fünf – unterhaltsberechtigten Personen; eine darüberhinausgehende Staffelung der Freibeträge ist nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber ist bei Festlegung der pfändungsfreien Beträge in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO nur davon ausgegangen, dass im allgemeinen die Kosten für die Wohnung höher liegen, wenn im – eigenen – Haushalt des Schuldners weitere unterhaltsberechtigte Personen leben, wobei diesem Haushalt neben dem Ehegatten regelmäßig Kinder angehören, für die dem Haushaltsvorstand Anspruch auf Kindergeld in unterschiedlicher Höhe zusteht. Damit wird nicht zugleich zum Ausdruck gebracht, dass davon abweichende Lebensumstände des Schuldners oder des betreffenden Unterhaltsberechtigten – über die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO hinaus – eine anderweitige Festsetzung des Freibetrages rechtfertigen.
13
Dann aber verbietet es sich, das Kindergeld nach § 850c Abs. 4 ZPO als eigenes Einkommen des Kindes anzusehen, wenn dieses die erste unterhaltsberechtigte Person im Sinne des § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist. Ansonsten käme man immer, wenn auch mit einer anderen Begründung und über § 850c Abs. 4 ZPO, zu dem im Beschluss vom 19. Mai 2004 (aaO) abgelehnten Ergebnis und berücksichtigte die Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, nur mit dem verminderten Freibetrag der zweiten bis fünften Stufe.
14
bb) Auch die Berechnung des eigenen Bedarfs der unterhaltsberechtigten Kinder weist Rechtsfehler auf.
15
(1) Bei der Bestimmung des Bedarfs ist einerseits zu berücksichtigen, dass Einkünfte des Angehörigen auch nicht mittelbar zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners dienen sollen. Andererseits muss ein vom Schuldner abhängiger Unterhaltsberechtigter gewisse Einschränkungen seiner Lebensführung hinnehmen, wenn der Unterhaltsverpflichtete Schulden zu tilgen hat. Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht zu bedenken, dass der Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO regelmäßig auch dazu dient, zu einem erheblichen Teil die Wohnungsmiete und andere Grundkosten des Haushalts abzudecken. Diese Kosten erhöhen sich bei mehreren Personen, die zusammenwohnen, nicht proportional zur Personenzahl. In derartigen Fällen kommt in Betracht, wie es das Beschwerdegericht getan hat, bei der Berechnung des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze heranzuziehen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern einen deutlich darüber liegenden Anteil am Arbeitseinkommen erhalten bleiben muss. Bei einer Orientierung an den sozialrechtlichen Regelungen wird daher im Rahmen der Ermessensausübung ein Zuschlag in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen sein. Regelmäßig wird es nicht zu beanstanden sein, wenn das Vollstreckungsgericht diesen Zuschlag in einer Größenordnung von 30 bis 50 v.H. annimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 28/05, WM 2005, 1186, 1187).
16
Dieser Zuschlag ist vorliegend – entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers – nicht deswegen abzulehnen, weil die unterhaltsberechtigten Kinder nicht erwerbstätig waren. Bei dem vom Bundesgerichtshof gebilligten Zuschlag soll nämlich nicht eine Erwerbstätigkeit des Unterhaltsberechtigten honoriert werden, sondern – wie der Bundesgerichtshof ausdrücklich ausgeführt hat – dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen. Zwar war die unterhaltsberechtigte Ehefrau, wie die Rechtsbeschwerde anführt, in der in Bezug genommenen Entscheidung möglicherweise selbst erwerbstätig; der Bundesgerichtshof hat den Zuschlag aber nicht mit der Erwerbstätigkeit der Ehefrau, sondern mit dem Abstand des Vollstreckungsschutzes sowohl für den Schuldner als auch für seinen Unterhaltsberechtigten zum sozialrechtlichen Existenzminimum begründet. Der Bundesgerichtshof hat es deswegen gebilligt, dass das Insolvenzgericht den Zuschlag einer nicht erwerbstätigen Tochter gewährt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2009 – IX ZB 211/08, WM 2009, 1153 Rn. 11; vom 19. Dezember 2019 – IX ZB 83/18, WM 2020, 288 Rn. 20).
17
(2) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist der prozentuale Zuschlag jedoch nicht aus dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II zuzüglich der zusätzlichen individuellen Bedarfe (Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 3 und 7 SGB II, für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II) zu errechnen, sondern allein aus dem Regelbedarf nach § 20 SGB II, §§ 27a, 28 SGB XII (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 28/05, WM 2005, 1186, 1187; vom 7. Mai 2009 – IX ZB 211/08, WM 2009, 1153 Rn. 11; vom 19. Dezember 2019 – IX ZB 83/18, WM 2020, 288 Rn. 20 iVm LG Hildesheim, ZVI 2019, 204, 207; OLG Rostock, FamRZ 2014, 147; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl., § 850c Rn. 12; BeckOK-ZPO/Riedel, 2020, § 850c Rn. 33 f). Denn der Abstand zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum wird hinreichend durch den Zuschlag auf den Regelbedarf gewahrt. Die zusätzlichen Bedarfe decken zudem zumindest teilweise die tatsächlich anfallenden Aufwendungen, sofern angemessen und erforderlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen, Schülerbeförderung, gemeinschaftliche Mittagsverpflegung). Auch insoweit ist ein Zuschlag nicht erforderlich.
III.
18
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung über die begehrte Nichtberücksichtigung der Kinder bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ist dem Senat nicht möglich; daher ist die Sache zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 ZPO).
Grupp     
      
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