Familienrecht

Rechtswidrigkeit eines Kindergeld-Rückforderungsbescheids – Keine Erfüllungsfiktion gegenüber dem Leistungsberechtigten bei tatsächlich nicht bestehendem Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers

Aktenzeichen  5 K 787/18

Datum:
1.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 5. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 37 Abs 2 S 1 AO
§ 31 S 3 EStG 2009
§ 74 Abs 2 EStG 2009
§ 102 SGB 10
§ 103 SGB 10
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Spruchkörper:
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Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Rückforderung des für die Monate Oktober 2017 und November 2017 gezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 396,00 Euro Streitgegenstand war.
Der Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 02. Mai 2018 wird in der Gestalt, die dieser durch die Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 20. Juli 2018 und den hierzu ergangenen Änderungsbescheid vom 27. August 2019 gefunden hat, aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Davon ausgenommen sind die der Beigeladenen ggf. entstandenen Aufwendungen, die nicht erstattet werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Kindergeld, das in den Monaten Oktober 2017 und November 2017 sowie Februar 2018 und März 2018 für das Kind B zur Auszahlung gekommen ist.

Die Klägerin ist Mutter des am xx. April 2005 geborenen Kindes C, des am xx. Mai 2009 geborenen Kindes D, des am xx. Juli 2013 geborenen Kindes E sowie des am xx. Oktober 2017 geborenen Kindes B.

Mit Bescheid vom 15. August 2013 setzte die Familienkasse für das Kind C für den Zeitraum von August 2013 bis April 2023 und für das Kind D für den Zeitraum von August 2013 bis Mai 2027 Kindergeld fest.

Für das Kind D hob die Familienkasse die zuvor erfolgte Festsetzung von Kindergeld mit Bescheid vom 26. November 2015 für den Zeitraum ab Dezember 2015 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes auf mit der Begründung, dass das Kind im Haushalt des Kindesvaters lebe.

Für das Kind E hob die Familienkasse die zuvor erfolgte Festsetzung von Kindergeld mit Bescheid vom 16. Februar 2016 für den Zeitraum ab März 2016 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes auf mit der Begründung, dass das Kind im Haushalt des Kindesvaters lebe.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 zeigte die Beigeladene1Hinweis des Dokumentars: das JobcenterHinweis des Dokumentars: das Jobcenter der Familienkasse an, dass die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches beziehe und der Erstattungsanspruch nach § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches geltend gemacht werde, weil die Klägerin möglicherweise Anspruch auf Kindergeld für das Kind B habe. Genauere Angaben zum Zahlungszeitraum oder Betrag der Leistungen oder zum Personenkreis der Leistungsbezieher erfolgten dabei nicht.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2018 setzte die Familienkasse – neben dem Kindergeld für das Kind C – Kindergeld für das Kind B für den Zeitraum Oktober 2017 bis Dezember 2017 in Höhe von monatlich 198,00 Euro und für den Zeitraum ab Januar 2018 in Höhe von monatlich 200,00 Euro fest und veranlasste die entsprechenden Zahlungen.

Unter dem 26. April 2018 meldete das Jobcenter bei der Familienkasse einen Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 01. Oktober 2017 bis zum 30. November 2017 in Höhe von 396,00 Euro und für den Zeitraum vom 01. Februar 2018 bis zum 31. März 2018 in Höhe von weiteren 400,00 Euro – d.h. für insgesamt 796,00 Euro – an.

Mit Bescheid vom 02. Mai 2018 forderte die Familienkasse von der Klägerin unter Hinweis auf § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung in Verbindung mit § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung die Erstattung von 796,00 Euro. Zur Begründung führte sie aus, dass das Jobcenter in Bezug auf das Kindergeld in Höhe des genannten Betrages in Vorleistung getreten sei, weil das Kindergeld nicht bei den der Klägerin nach dem SGB II gewährten Leistungen angerechnet worden sei. Durch diese Vorleistung sei der Kindergeldanspruch erloschen, weshalb die parallel dazu erfolgte Zahlung der Familienkasse ohne Rechtsgrund erfolgt und deshalb zu erstatten sei.

Zur Begründung ihres dagegen gerichteten Einspruchs führte die Klägerin aus, sie habe im Oktober 2017 und im November 2017 nicht einmal den Regelsatz erhalten. Zudem habe das Jobcenter die Leistungen für November 2017 völlig falsch berechnet. Die Klärung sei noch in der Schwebe. Im Dezember 2017 und Januar 2018 habe sie vom Jobcenter keine Leistungen bezogen, weshalb eine Erstattung ausgeschlossen sei. Im Februar 2018 und März 2018 habe das Jobcenter das Kindergeld anspruchsmindernd zur Anrechnung gebracht.

Zur Unterstützung ihres Vorbringens legte die Klägerin eine Kopie von zwei Seiten des wohl insgesamt 13 Seiten umfassenden Vorläufigen Bescheides über die Bewilligung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) des Jobcenters vom 02. März 2018 vor. Ausweislich der vorgelegten Seite 1 des Bescheides betrifft die Bewilligung zum einen Leistungen für den Monat Februar 2018 und zum anderen Leistungen für die Monate März 2018 bis Juli 2018. Der weiterhin vorgelegten Seite 7 des Bescheides ist zu entnehmen, dass als „Kindergeld 1. Kind“ 194,00 Euro und als „Kindergeld 3. Kind“ 200,00 Euro in die Berechnung einbezogen wurden, ohne das jedoch erkennbar wäre, auf welchen Zeitraum sich diese Berechnung beziehen könnte.

Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2018 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 20. August 2018 Klage erhoben.

Sie macht geltend, der Erstattungsanspruch sei erst nachträglich geltend gemacht worden, nachdem sie das Kindergeld von der Familienkasse erhalten und gutgläubig verbraucht habe. Im Übrigen sei schon dem Grunde nach nicht erkennbar, dass dem Jobcenter ein Erstattungsanspruch zustehen könnte. Im Bewilligungsbescheid des Jobcenters für den Zeitraum bis Oktober 2017 seien keine Leistungen für ihre Kinder festgesetzt worden, so dass kein Erstattungsanspruch entstanden sei. Im November 2017 und Dezember 2017 habe das Jobcenter gar keine Leistungen bewilligt, weshalb auch keine Erstattung in Betracht komme. Für Februar 2018 habe das Jobcenter Kindergeld zur Anrechnung gebracht, weshalb keine (erstattungsfähige) Vorleistung vorliege.

Die Familienkasse teilte nach Rückfrage bei der Beigeladenen mit, dass der Vortrag der Klägerin in Bezug auf den Leistungsbezug im Oktober 2017 und November 2017 zutreffend sei. Hinsichtlich der Monate Februar 2018 und März 2018 sei jedoch nach ihrem Kenntnisstand (Bescheid vom 26. April 2018) eine Nachzahlung erfolgt mit der Folge, dass seitens des Jobcenters eine erstattungsfähige Vorleistung gegeben sei. Hierzu legt die Familienkasse die entsprechende Stellungnahme des Jobcenters vom 07. Februar 2019 vor sowie den Vorläufigen Änderungsbescheid über die Bewilligung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) des Jobcenters vom 26. April 2018.

Die Klägerin erwidert hierauf, dass eine Bewilligung von Leistungen durch das Jobcenter, die erst nach dem rechtmäßigen Bezug des Kindergeldes von der Familienkasse mit Bescheid vom 26. April 2018 für die Monate Februar 2018 und März 2018 erfolge, keinen Erstattungsanspruch auslösen könne. Dies müsse umso mehr gelten, als die Familienkasse in Bezug auf das Kindergeld vorrangig leistungspflichtig sei, weshalb bei einer erst nachträglichen Zahlung des „Kindergeldes“ durch das Jobcenter wohl allenfalls ein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen Sie – die Klägerin – in Betracht komme, aber kein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen die Familienkasse.

Mit Bescheid vom 27. August 2019 änderte die Familienkasse den angefochtenen Bescheid vom 02. Mai 2018 dahingehend, dass lediglich 400,00 Euro von der Klägerin zurückgefordert werden.

Die Klägerin beantragt,den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 02. Mai 2018 in der Gestalt, die dieser durch die Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 20. Juli 2018 und den hierzu ergangenen Änderungsbescheid vom 27. August 2019 gefunden hat, aufzuheben.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig und beantragt,die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

In der am 01. März 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärten die Beteiligten übereinstimmend, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, soweit die Rückforderung des Kindergeldes für die Monate Oktober 2017 und November 2017 (insgesamt 396,00 Euro) Streitgegenstand ist.

Dem Senat hat bei der Entscheidung ein Band Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich der Einspruchsheftung vorgelegen.


Entscheidungsgründe

I. Der Ausspruch über die teilweise Einstellung des Verfahrens erfolgt analog § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Klarstellung, nachdem die Klägerin und die Beklagte hinsichtlich eines Teilbetrages von 396,00 Euro in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt haben, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.

II. Die Klage gegen die Rückforderung des für die Monate Februar 2018 und März 2018 gezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 400,00 Euro ist begründet.

Der Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 02. Mai 2018 ist in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2018 und den Änderungsbescheid vom 27. August 2019 gefunden hat, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten [§ 100 Abs. 1 FGO].

Als Rechtsgrundlage der im Streit stehenden Rückforderung kommt allein § 37 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) in Betracht.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine ohne rechtlichen Grund gezahlte Steuervergütung von dem Leistungsempfänger zurückzuzahlen. Diese Regelung erfasst auch das Kindergeld, denn Kindergeld wird gemäß § 31 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Steuervergütung zur Auszahlung gebracht.

1. Die Klägerin hat für den zwei Monate umfassenden Bezugszeitraum von Februar 2018 bis März 2018 von der Familienkasse für ihre Tochter B 400,00 Euro erhalten.

2. Die Auszahlung erfolgte jedoch nicht ohne Rechtsgrund.

Rechtsgrund der Auszahlung der 400,00 Euro von der Beklagten an die Klägerin ist der Festsetzungsbescheid der Familienkasse vom 10. Januar 2018. Dieser Bescheid ist nicht geändert oder aufgehoben worden.

Der damit bestehende Rechtsgrund für die von der Beklagten bewirkte Zahlung ist nicht – wegen eingetretener Erfüllung – durch die von Seiten der Beigeladenen an die Klägerin bewirkten Zahlungen und die hierzu erfolgte Anmeldung von Erstattungsansprüchen bei der Beklagten entfallen.

a. Nach § 74 Abs. 2 EStG gelten für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkassen die §§ 102 – 109, 111 – 113 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) entsprechend. Deshalb ist die Beigeladene als Träger von Sozialleistungen grundsätzlich berechtigt, Erstattungsansprüche im Sinne der §§ 102 – 105 SGB X bei der Beklagten anzumelden. Ein solcher Erstattungsanspruch ist zudem auch für die hier im Streit stehende Rückforderung nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO relevant, denn ein bestehender Erstattungsanspruch des Trägers der Sozialleistungen hat nach § 107 Abs. 1 SGB X zur Folge, dass damit der Anspruch des Leistungsberechtigten als erfüllt gilt. Besteht ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X, tritt die Erfüllungsfiktion sogar bei einer sog. Doppelleistung ein, insbesondere auch dann, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger – hier die Beklagte – bereits geleistet hat bevor der Träger der Sozialleistungen seinerseits Leistungen an den Berechtigten erbracht hat. Aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X würde die Zahlung der Beigeladenen in diesem Fall als Leistung der Beklagten gelten [vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005 – B 5 RJ 36/04 R – juris RdNr. 13, Urteil vom 06. Februar 1992 – 12 RK 14/90 – juris RdNr. 18, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 Rar 46/90 – juris RdNr. 25], weshalb dann auch nur diese von der Klägerin die Rückzahlung verlangen könnte [vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar – SGB X, 2. Auflage 2017, § 107 SGB X (Stand: 19. März 2021) RdNr. 36].

Eine solche Doppelleistung, die zu einem (berechtigten) Rückforderungsanspruch führen würde, liegt jedoch nicht vor.

Die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung des § 107 Abs. 1 SGB X ist nicht erfüllt, denn der Beigeladenen steht gegen die Beklagte ein Erstattungsanspruch nicht zu. Das bloße Erheben eines Erstattungsanspruches, der tatsächlich nicht besteht, löst die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X nicht aus [so ausdrücklich: BSG, Urteil vom 26. September 1991 – 4/1 RA 33/90 – juris RdNr. 36].

b. Das Jobcenter ist ein Träger von Sozialleistungen im Sinne von § 74 Abs. 2 EStG, denn die Beigeladene hat der Klägerin und der Tochter B für die Monate Februar 2018 und März 2018 Sozialleistungen in Gestalt von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) bewilligt und ausgezahlt und vor diesem Hintergrund bei der Beklagten für den gleichen Zeitraum einen Erstattungsanspruch angemeldet.

Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung kommen – gemäß § 106 Abs. 1 SGB X in folgender Reihenfolge – § 102 SGB X, § 103 SGB X, § 104 SGB X und § 105 SGB X in Betracht. Keine der genannten Bestimmungen vermag indes einen Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu begründen.

c. Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist nach § 102 Abs. 1 SGB X der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig.

Die Beigeladene hat sich bei der Anmeldung seines Erstattungsanspruches mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 zu Recht schon nicht auf § 102 SGB X berufen, sondern auf § 104 SGB X. Ein Anwendungsfall des § 102 Abs. 1 SGB X liegt nicht vor, denn es liegt keine vorläufige Erbringung von Sozialleistungen im Sinne dieser Vorschrift vor.

Aus dem Charakter des Erstattungsanspruchs als einem Ausgleich zwischen zwei Sozialleistungsträgern erschließt sich, dass § 102 Abs. 1 SGB X nicht für jede vorläufige Leistungserbringung gilt, sondern nur für solche vorläufigen Leistungen, die ihre Grundlage in einer Ungewissheit über die Leistungszuständigkeit des angegangenen Leistungsträgers hat [BSG, Urteil vom 22. Mai 1985 – 1 RA 33/84 – BSGE 58, S. 119, Urteil vom 28. März 1984 – 9a RV 50/82 – ZfSH/SGB 1985, S. 29; BayLSG, Urteil vom 24. März 2010 – L 20 R 79/08 – juris]. Nicht zu § 102 SGB X führt mangels Konfliktes über die Zuständigkeit für die (vorläufige) Leistung insbesondere die Anwendung des § 41a SGB II [so ausdrücklich: Böttiger, in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Auflage, Baden-Baden 2019, § 102 SGB X RdNr. 22].

Nach den Angaben in dem Vorläufigen Änderungsbescheid über die Bewilligung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) der Beigeladenen vom 26. April 2018 wird die Vorläufigkeit der Leistungsgewährung ausdrücklich auf § 41a Abs. 1 SGB II gestützt mit der Begründung, dass die Feststellung der Höhe des dem Grunde nach bestehenden Anspruches auf Leistungen nach dem SGB II längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Damit liegt kein Zuständigkeitskonflikt im Sinne von § 102 Abs. 1 SGB X vor, so dass auf diese Vorschrift auch kein Erstattungsanspruch gestützt werden kann.

d. Auch die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches nach § 103 SGB X, den die Beigeladene im Übrigen ebenfalls nicht behauptet, liegen nicht vor.

Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger nach § 103 Abs. 1 SGB X erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

aa. Die Beigeladene hat im Sinne von § 103 Abs. 1 SGB X Sozialleistungen erbracht, denn ausweislich des Bescheides vom 26. April 2018 wurde die Klägerin und ihre Tochter B bei der Bewilligung der Sozialleistungen von der Beigeladenen als sozialhilferechtliche Bedarfsgemeinschaft angesehen; entsprechende Beträge wurden von der Beigeladenen zu Gunsten der Klägerin bzw. ihrer Tochter in Ansatz gebracht.

Die Leistungsgewährung erfolgte nach den ausdrücklichen Angaben in dem Bescheid der Beigeladenen vom 26. April 2018 im Hinblick auf eine eingetretene Änderung, nämlich den „Wegfall des Einkommens aus Kindergeld für das Kind B“ Die Beigeladene hat mithin den Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für ihre Tochter B für die Monate Februar 2018 und März 2018 nicht anspruchs- bzw. leistungsmindernd zum Abzug gebracht. In diesem Sinne mag eine Doppelleistung von Sozialleistungen vorliegen, nämlich von monatlich 200,00 Euro, die sowohl die Beklagte (als Kindergeldzahlung) als auch die Beigeladene (in Gestalt einer dem Kindergeld entsprechenden Erhöhung des Bedarfs) an die Klägerin geleistet haben.

bb. Der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X besteht indes schon deshalb nicht, weil die Beklagte das Kindergeld schon mit Bescheid vom 10. Januar 2018 festgesetzt und fortlaufend gezahlt, also den Anspruch der Klägerin erfüllt hat, bevor die Beigeladene ihrerseits in Gestalt des Bescheides vom 26. April 2018 Leistungen ohne Anrechnung des Kindergeldbezuges bewilligte. Die Beigeladene hat mithin ihre Leistungen – nämlich die Leistungen zur Deckung des sich durch die Nichtanrechnung des Kindergeldes ergebenden Bedarfs – gewährt, als hierauf schon kein Anspruch mehr bestand, weil die Klägerin das Kindergeld bereits von der Beklagten bezogen hatte. Der Leistungsanspruch der Klägerin gegen die Beigeladene ist deshalb nicht – wie von § 103 SGB X vorausgesetzt – nachträglich entfallen, sondern der Anspruch bestand schon nicht, als die Leistungsbewilligung ausgesprochen wurde.

e. Auch ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X besteht nicht.

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

aa. Soweit es die Gewährung von Kindergeld betrifft, ist die Beklagte im Sinne von § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der vorrangig verpflichtete Leistungsträger.

Ausweislich des Vorläufigen Änderungsbescheides über die Bewilligung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 26. April 2018 hat das Jobcenter der Klägerin selbst wie auch den zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen [d.h. insbesondere deren Tochter B] in den Monaten Februar 2018 und März 2018 Regelleistungen nach dem SGB II in Form von Hilfen zum Lebensunterhalt und auch als Zuschüsse zu den Kosten der Unterkunft gewährt. Hierbei handelt es sich insgesamt um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Leistungen dienen der Gewährung einer sozialen Grundsicherung in Form des verfassungsrechtlichen Existenzminimums. Diesem Zweck dient – jedenfalls teilweise – auch das nach der Neugestaltung im Einkommensteuergesetz durch Art. 1 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 [BGBl. I 1995, S. 1250] als Steuervergütung ausgezahlte Kindergeld. Soweit es gemäß § 31 Satz 2 EStG darüber hinaus auch der Förderung der Familie dient, stellt es zwar keine Sozialleistung im formellen Sinne dar, ist aber angesichts der ausdrücklichen Verweisung in § 74 Abs. 2 EStG trotzdem als eine gegenüber der Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vorrangige Leistung im Sinne der §§ 102 ff. SGB X anzusehen [vgl. BFH, Urteil vom 07. Dezember 2004 – VIII R 59/04 – BFH/NV 2005, S. 864, Urteil vom 14. Mai 2002 – VIII R 88/01 – BFH/NV 2002, S. 1156, Beschluss vom 31. Januar 2007 – III B 167/06 – BFH/NV 2007, S. 865; FG Münster, Urteil vom 18. Februar 2010 – 6 K 390/08 AO – EFG 2010, S. 1140 (1141) m.w.N.; wohl ebenso: FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2019 – 9 K 9035/19 – juris].

bb. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X besteht jedoch nicht, weil die Beklagte bereits geleistet hat, bevor sie von der Leistung der Beigeladenen Kenntnis erlangte.

Im Rahmen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die positive Kenntnis von den Leistungen des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers Voraussetzung des Erstattungsanspruches. Grobfahrlässige Unkenntnis ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht ausreichend [vgl. zu § 103 SGB X: Prange, in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar – SGB X, 2. Auflage 2017, § 103 SGB X (Stand: 10. Januar 2022) RdNr. 46]. Ebenso wenig ist der vorrangig verpflichtete Leistungsträger gehalten, seinerseits zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang bereits andere Leistungsträger Leistungen erbracht haben [BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 Rar 42/93 – juris RdNr. 36].

Eine positive Kenntnis im Sinne von § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt hiernach voraus, dass die Familienkasse – ohne selbst nachzufragen oder nachzuforschen – aus den ihr vorliegenden Informationen ersehen kann, für bzw. an wen für welche Zeiträume und in welcher Höhe Leistungen von dem anderen Träger von Sozialleistungen erbracht wurden [BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 Rar 42/93 – juris RdNr. 36, Urteil vom 19. März 1992 – 7 Rar 26/91 – BSGE 70, S. 186; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. April 2018 – 6 K 2194/17 – juris (RdNr. 31)].

Es ist demzufolge allgemein anerkannt, dass der Sozialleistungsträger die Familienkasse über die Gewährung ungekürzter Sozialleistungen informieren muss, wenn er vermeiden will, dass ein Leistungsempfänger und Kindergeldberechtigter durch Kindergeld einerseits und ungekürzte Sozialleistungen andererseits doppelt begünstigt wird [vgl. FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris (RdNr. 26)]. Obwohl sich diese Information auf (gegenwärtige und) zukünftige Bewilligungs- bzw. Festsetzungszeiträume bezieht, so dass es im Allgemeinen nicht möglich sein wird, den Leistungszeitraum und den Betrag der gewährten Leistung genau zu bestimmen, genügt dabei kein allgemeiner Hinweis auf einen bestehenden, laufenden oder künftigen Leistungsbezug.

Das in § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X angesprochene Kriterium der positiven Kenntnis der Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers ist unter zwei Gesichtspunkten von wesentlicher Bedeutung. Die Familienkasse darf allein aufgrund dieser Kenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers eine sofortige Leistung an den Kindergeldberechtigten verweigern, weil sie von einer – ggf. auch nur teilweisen – Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann [vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – BSGE 106, S. 206 ff. (RdNr. 27)]. Gleichzeitig ist aber auch zu beachten, dass die Familienkasse, wenn und soweit keine Erstattung nach § 104 SGB X (oder nach den §§ 102, 103, 105 f. SGB X) in Betracht kommt, der originär zuständige Leistungsträger ist und bleibt und die Familienkasse insoweit zur rechtzeitigen Leistung an den Kindergeldberechtigten verpflichtet bleibt, da insoweit kein Recht zur Leistungsverweigerung besteht.

Selbst wenn noch Ungewissheit über die Einzelheiten der Leistungen des anderen (nachrangigen) Leistungsträgers besteht und deshalb keine konkreten Beträge genannt werden können, erfordert § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X daher die Mitteilung der Umstände, die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und des Zeitraums, für den die Sozialleistungen (voraussichtlich) erbracht werden [vgl. FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris (RdNr. 28); FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. April 2018 – 6 K 2194/17 – juris (RdNr. 35) unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 05. Juni 2014 – VI R 15/12 – BStBl. II 2015, S. 145 f. (RdNr. 22)].

Die positive Kenntnis der Leistungen des anderen Leistungsträgers – hier der Beigeladenen – setzt mithin voraus, dass die Familienkasse von Seiten des anderen Sozialleistungsträgers so genau und eindeutig informiert wird, dass Fehler grundsätzlich ausgeschlossen sind, denn nur dann ist – neben dem Ausschluss möglicher Doppelleistungen – gewährleistet, dass die Familienkasse ihren eigenen Leistungspflichten gegenüber dem Kindergeldberechtigten in vollem Umfang und rechtzeitig nachkommen kann.

Erforderlich ist deshalb grundsätzlich, dass dem angegangenen Erstattungsschuldner (hier: der Familienkasse) folgende Voraussetzungen mitgeteilt werden [vgl. Becker, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2022, § 111 SGB X RdNr. 39]:

–       
die Person des Leistungsempfängers,
–       
die gewährte Sozialleistung, für die Erstattung begehrt wird,
–       
der Zeitraum, für den (voraussichtlich) Erstattung begehrt wird,
–       
die Umstände, aus denen der Erstattungsanspruch abgeleitet wird.

(1) Das Schreiben der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017, mit dem diese nach § 104 SGB X in Verbindung § 74 Abs. 2 EStG bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch für Leistungen nach dem SGB II anmeldete, die sie an die Klägerin erbracht hat bzw. künftig erbringt, genügt hiernach nicht.

Es fehlt schon an einer hinreichend genauen Bezeichnung der Leistungsempfänger. Das Jobcenter teilt in seinem Schreiben vom 15. Dezember 2017 mit, dass die Klägerin Leistungen nach dem SGB II beziehe. Die Klägerin ist mit vollem Namen, Anschrift und Geburtsdatum bezeichnet, so dass die Familienkasse ohne Schwierigkeiten erkennen konnte (und musste), dass sich der angemeldete Erstattungsanspruch auf die Kindergeldberechtigte bezieht.

Nicht angegeben als Leistungsempfänger des Jobcenters ist im Unterschied dazu die Tochter der Klägerin, und zwar weder ausdrücklich noch konkludent. In dem Schreiben der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017 wird nämlich nicht einmal behauptet bzw. angegeben, dass (auch) die zur Bedarfsgemeinschaft mit der Klägerin gehörenden Personen bei dem Jobcenter im Leistungsbezug stehen. Nach dem Wortlaut des Schreibens ist vielmehr die Klägerin alleinige Bezieherin von Sozialleistungen. Nur der Umstand, dass die Beigeladene ihr Erstattungsverlangen auf einen möglichen Kindergeldanspruch für B stützt bzw. anmeldet, ermöglicht es, einen Bezug zum Kindergeldanspruch für die Tochter der Klägerin herzustellen.

Die Beklagte hat hierzu zwar in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass die seinerzeit mit der Angelegenheit befasste Mitarbeiterin der Familienkasse das Schreiben vom 15. Dezember 2017 als Anmeldung eines Anspruches auf Erstattung aus dem Kindergeldanspruch für B verstanden habe. Diese Auslegung habe auf der Hand gelegen, denn die Klägerin habe in ihrem Antrag auf Kindergeld angegeben, dass B in ihrem Haushalt aufgenommen sei, so dass damit zugleich erkennbar gewesen sei, dass im sozialhilferechtliche Sinne eine entsprechende Bedarfsgemeinschaft – bestehend aus der Klägerin und ihrer Tochter B – bestanden habe. In den Akten der Beklagten ist diese Überlegung zur Würdigung des Schreibens vom 15. Dezember 2017 allerdings nicht dokumentiert.

Für die Annahme, dass die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Schilderung der Beklagten zutreffen könnte, könnte zwar sprechen, dass die Beigeladene nicht nach Eingang des Schreibens vom 15. Dezember 2017 seitens der Familienkasse darauf hingewiesen wurde, dass ein Erstattungsanspruch nicht erkennbar sei, weil es an einem (Sozial-) Leistungsbezug des Kindes B fehle.

Gleichwohl erscheint es – nach dem Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten – auch nicht völlig ausgeschlossen, dass (zumindest ursprünglich) Unsicherheit über die Person des Leistungsempfängers bestand. Zum einen bezog die Klägerin im Dezember 2017 Kindergeld auch noch für ihre Tochter C die in dem Schreiben der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017 ebenso wenig wie das Kind B als Leistungsempfängerin oder Mitglied der Bedarfsgemeinschaft genannt ist, obwohl sie nach dem Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten zu diesem Zeitpunkt im Haushalt der Kindergeldberechtigten aufgenommen war. Zum anderen hat die Familienkasse die Beigeladene in dem Schreiben vom 19. April 2018 ausdrücklich aufgefordert, den Erstattungsanspruch zu spezifizieren. In diesem Schreiben heißt es ausdrücklich:
Bitte nennen Sie auch die Personen, für die Sie im Zeitraum, für den die Erstattung beantragt wurde, Leistungen gewährt haben.

Angesichts der beschriebenen Situation könnte die ausdrückliche Aufforderung der Beklagten, die Person(en) des/der Leistungsbezieher(s) zu benennen, darauf hindeuten, dass auf Seiten der Beklagten nicht – jedenfalls nicht eindeutig – erkennbar gewesen ist, ob die Beigeladene Leistungen (auch) an die Tochter B erbracht hat. Diese aus den angeführten Umständen sich ergebende Unsicherheit geht zu Lasten der Beigeladenen.

Entscheidend ist, dass nicht einmal ein „Kennenmüssen“ des Erstattungsanspruches genügt [vgl. BSG, Urteil vom 19. März 1992 – 7 Rar 26/91 – BSGE 70, S. 186] und die Familienkasse das Schreiben vom 15. Dezember 2017 nicht zum Anlass nehmen musste, bei der Beigeladenen nachzufragen. Dies rechtfertigt sich nicht zuletzt daraus, dass ein potentieller Erstattungsanspruch nicht zur Folge haben darf, dass dem (hilfebedürftigen) Leistungsempfänger – hier der Klägerin – wegen einer zwischen den Leistungsträgern bestehenden Unsicherheit über den Erstattungsanspruch oder dessen Umfang die zeitnahe Erbringung einer existenzsichernden Sozialleistung verwehrt wird, um den Leistungsträgern Zeit für die Klärung offener Fragen zu verschaffen. Es ist daher allein Sache des Trägers der Sozialhilfe, seine Anmeldung des Erstattungsanspruches nicht nur zeitnah vorzunehmen, sondern die Anmeldung auch inhaltlich so präzise zu fassen, dass die Familienkasse ohne Nachfrage oder Zweifel – also eindeutig – erkennen kann und erkennen muss, dass und ggf. welches Kind bei dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger im Leistungsbezug steht.

Schon aus diesem Grund hat das Schreiben der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017 der Familienkasse nicht die von § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X notwendige positive Kenntnis der Leistungen der Beigeladenen vermittelt, weshalb die Beklagte selbst mit befreiender Wirkung Kindergeld an die Klägerin gezahlt hat und ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist.

Aber selbst wenn man der Darstellung der Beklagten folgen wollte, dass sie das Schreiben vom 15. Dezember 2017 von Anfang an – also nicht erst nachträglich – als Anmeldung eines Erstattungsanspruches für Leistungen an das Kind B ausgelegt habe, genügt dies nicht, obgleich diese Auslegung des Schreibens der Beigeladenen im Ergebnis auch zugetroffen hat.

Entscheidend ist, dass sich die Auslegung des Schreibens vom 15. Dezember 2017 letztlich „nur“ auf eine Vermutung stützt, nämlich die unausgesprochene Annahme, dass die Beigeladene Leistungen auch an B erbringe, weil der Erstattungsanspruch unter Hinweis auf einen möglicherweise bestehenden Anspruch auf Kindergeld für B geltend gemacht wurde. Der Leistungsbezug der Tochter der Klägerin ist aber existenzielle Voraussetzung für den Erstattungsanspruch der Beigeladenen, weshalb nach § 104 Abs. 1 Satz1 SGB X insoweit positives Wissen notwendig ist.

Kindergeld wird nach den §§ 62 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 1 EStG „für,“ nicht „an“ ein Kind gezahlt, d.h. Leistungsempfänger der Familienkasse ist die Kindesmutter. Bei dem Bezug von Grundsicherungsleistungen ist das Kind hingegen nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 SGB II Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter und in diesem Sinne selbst Leistungsempfänger des Jobcenters, weshalb das Kindergeld gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II als Einkommen des Kindes (nicht der Mutter) angerechnet oder der Bedarf ggf. auch anrechnungsfrei ermittelt und der entsprechende Betrag ausgezahlt wird. Deshalb muss bei der Mitteilung der Umstände, die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, grundsätzlich angegeben werden, dass und ggf. welche Kinder als Teil der Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug bei dem (nachrangig verpflichteten) Sozialleistungsträger stehen. Denn wenn kein Kind im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen sollte, dürfte – im Regelfall – keine mit dem Kindergeld vergleichbare Leistung des Sozialleistungsträgers vorliegen und damit ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen sein. Entsprechendes gilt, wenn von der Familienkasse für ein anderes Kind Kindergeld gezahlt wird als bei dem Träger der Sozialhilfe im Leistungsbezug steht.

Bloße Vermutungen zu den wesentlichen Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff. SGB X – selbst wenn diese lebensnah erscheinen und sich im Nachhinein deren Richtigkeit herausstellt – genügen schon aus diesem Grund nicht, um der Beklagten die positive Kenntnis von dem Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers mit der notwendigen Sicherheit zu verschaffen.

Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der Bestimmungen über den Erstattungsanspruch nach den §§ 103, 104 SGB X dafür entschieden, dass nur die positive Kenntnis von der Leistung des anderen Leistungsträgers einen Erstattungsanspruch ausschließen kann. Dafür streiten – neben dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes – insbesondere die Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, da die positive Kenntnis oder die Unkenntnis von dem Erstattungsanspruch des anderen Leistungsträgers unmittelbar Rechtswirkungen nicht allein gegenüber dem ggf. erstattungsverpflichteten Leistungsträger entfaltet, sondern auch gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber dem Leistungsempfänger. Gegenüber dem Leistungsempfänger kann die positive Kenntnis der Beklagten entweder eine Leistungsverweigerung zur Konsequenz haben oder wegen der bereits dargelegten Erfüllungswirkung auch einen Erstattungsanspruch der Beklagten. Dabei mögen die Erfolgsaussichten, gegen den Leistungsempfänger einen Rückforderungsanspruch durchzusetzen, bei der Beklagten möglicherweise anders zu bewerten sein als ein Rückforderungsanspruch eines Sozialhilfeträgers wie der Beigeladenen. Dies zeigt indes, dass die positive Kenntnis wegen ihrer Drittwirkung auch im Verhältnis zum Leistungsempfänger – hier: der Klägerin – ganz eindeutig und ohne verbleibende Zweifel sicher feststellbar sein muss.

Hieran fehlt es, weil – wie bereits dargelegt – in dem Schreiben vom 15. Dezember 2017 die Tochter B nicht als Leistungsempfängerin der Beigeladenen angegeben ist und damit die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich Umstände nur unvollständig mitgeteilt worden sind.

(2) Die von § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X geforderte positive Kenntnis hat die Familienkasse dann zwar durch die unter dem 26. April 2018 von dem Jobcenter eingereichte Aufstellung des geltend gemachten Erstattungsanspruches erhalten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familienkasse aber – wie dargelegt – bereits mit befreiender Wirkung Kindergeld ausgezahlt und damit ihre Leistungspflicht zu einem Zeitpunkt erfüllt, bevor sie von der Beigeladenen auf Erstattung in Anspruch genommen wurde, so dass hierauf kein Erstattungsanspruch gestützt werden kann.

f. Schließlich ist auch kein Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben.

Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Der Erstattungsanspruch ist ausgeschlossen, weil die Beklagte aus den zu § 104 SGB X angeführten Überlegungen bereits selbst geleistet hat, bevor sie von der Leistung des anderen Leistungsträgers – der Leistung der Beigeladenen – Kenntnis erlangt hat.

Steht aber hiernach fest, dass der Beigeladenen kein Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 102 – 105 SGB X zusteht, gilt auch nicht die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X mit der Folge, dass die erfolgte Zahlung der Beigeladenen auch nicht als Leistung der Beklagten gelten kann.

Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sind daher nicht gegeben, so dass die im Streit stehende Rückforderung nicht berechtigt ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 135 Abs. 1, 138 Abs. 2 Satz 1 FGO.

Hinsichtlich der Beigeladenen folgt die Kostenentscheidung aus § 139 Abs. 4 FGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 135 Abs. 3 FGO), erscheint es angemessen, dass der Beigeladenen auch die ihr ggf. außergerichtlich entstandenen Aufwendungen nicht erstattet werden.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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