Aktenzeichen L 19 R 622/18
SGB VI aF § 249 Abs. 1 idF des Gesetzes vom 23.06.2014
SGB VI aF § 249 Abs. 1 idF des Gesetzes vom 28.11.2018
Leitsatz
Zur Verfallswirkung einer durchgeführten Beitragserstattung hinsichtlich vor der Erstattung zurückgelegter Kindererziehungszeiten.
Verfahrensgang
S 3 R 837/17 2018-10-04 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.10.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2017, mit dem die Beklagte die Vormerkung der Zeit vom 01.09.1984 bis 31.08.1985 und über den 31.08.1986 hinaus als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 18.09.1987 bis 13.08.1994 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung abgelehnt hat, nicht zu beanstanden ist.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Vormerkung ist § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Zu den vorzumerkenden, rentenrechtlichen Zeiten zählen auch Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§§ 54 Abs. 1, 56, 57 SGB VI).
Nach § 56 Abs. 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1.die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
Absatz 2 dieser Vorschrift bestimmt, dass eine Erziehungszeit dem Elternteil zuzuordnen ist, der sein Kind erzogen hat (Satz 1). Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet (Satz 2). Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist (Satz 3). Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, ist die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen (Satz 8 idF vom 01.07.2014 bis 31.12.2018). Haben mehrere Elternteile das Kind erzogen, ist die Erziehungszeit demjenigen zuzuordnen, der das Kind überwiegend erzogen hat, soweit sich aus Satz 3 nicht etwas anderes ergibt (Satz 9 idF vom 01.07.2014 bis 31.12.2018).
Demnach hat die Beklagte die Kindererziehungszeit zutreffend der Klägerin zugeordnet. Eine andere Zuordnung kommt nicht in Betracht. Aufgrund der Angaben der Bevollmächtigten im Antrag vom 21.08.2016, die Klägerin habe das Kind gemeinsam und durchgehend zu gleichen Teilen mit dem anderen Elternteil oder überwiegend erzogen, der Angaben im Berufungsverfahren, der Beigeladene A. habe das Kind gemeinsam mit der Klägerin erzogen und der eigenen Angaben des Beigeladenen, er habe das Kind gemeinsam erzogen, ist zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin tatsächlich auch erzogen hat. Falls die Klägerin das Kind allein ohne die Mitwirkung des anderen Elternteils erzogen haben sollte, wäre ihr die Erziehungszeit zuzuordnen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
Soweit – wie hier vorgebracht – beide Elternteile das Kind „gemeinsam“ erzogen haben, wird die Erziehungszeit nur einem von ihnen zugeordnet (Satz 2). Eine übereinstimmende Erklärung, welchem Elternteil die Erziehungszeit zuzuordnen ist, liegt nicht vor. In diesem Fall regelt § 56 Abs. 2 Satz 9 SGB VI (in der vom 01.07.2014 bis zum 31.12.2018 gültigen Fassung), dass sich die Zuordnung der Erziehungszeit danach bestimmt, welcher Elternteil das Kind überwiegend erzogen hat. Dass der andere Elternteil A. das Kind überwiegend erzogen hat, lässt sich nicht feststellen. Es greift daher die Regelung des § 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI (in der vom 01.07.2014 bis zum 31.12.2018 gültigen Fassung) ein, nach der die Erziehungszeit der Mutter, also der Klägerin, zuzuordnen ist.
Zu Recht erfolgte die Vormerkung der Kindererziehungszeiten für das am 14.08.1984 geborene Kind D. nur für die Zeit vom 01.09.1985 bis zum 31.08.1986.
Nicht vorzumerken sind die Kindererziehungszeiten vom 01.09.1984 bis 31.08.1985, da diese von der Verfallswirkung der durchgeführten Beitragserstattung erfasst sind. Der Senat geht mit der Bevollmächtigten im Antrag vom 21.08.2016 und den Angaben im Rentenkonto bei der Beklagten davon aus, dass mit Bescheid vom 14.03.1990 eine wirksame Beitragserstattung durchgeführt wurde. Mit der Beitragserstattung wird das bis dahin bestehende Versicherungsverhältnis aufgelöst (§ 1303 Abs. 7 Reichsversicherungsordnung idF bis 31.12.1991). Die Verfallswirkung erfasste bis zur Erstattung zurückgelegte Versicherungszeiten, also Beitragszeiten, Ersatzzeiten und vorliegend auch Kindererziehungszeiten.
Dies gilt auch unabhängig davon, ob die Zeiten der Kindererziehung bei Bekanntgabe des Beitragserstattungsbescheides bereits vorgemerkt waren oder (wie hier) nicht. Soweit angenommen wird, dass einem bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 15.07.2009 erlassenen Erstattungsbescheid keine Verfallswirkung hinsichtlich derjenigen Kindererziehungszeiten zukommt, die bei Bekanntgabe des Bescheides noch nicht vorgemerkt waren (s. Verbindliche Entscheidung der DRV Bund vom 01.11.2009, RVaktuell 2010, 82), gilt dies nicht für den Fall der Klägerin, sondern nur für die an versicherungsfreie oder von der Versicherungspflicht befreite Versicherte erteilte Erstattungsbescheide. Nach § 56 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI idF bis zum 21.07.2009 waren Elternteile, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit waren, von der Anrechnung von Erziehungszeiten ausgeschlossen. Die Rechtsprechung hat diesen Ausschluss dagegen auf Fälle beschränkt, in denen die Zeit der Kindererziehung in einem Versorgungssystem des Versicherten gleichwertig berücksichtigt wird (s. BSG, Urteil vom 31.01.2008 – B 13 R 64/06 R – juris). Durch das Gesetz vom 15.07.2009 (BGBl. I 1939) wurde mit Wirkung vom 22.07.2009 der § 56 Abs. 4 SGB VI dahin geändert, dass ein Ausschluss für diejenigen Erziehungszeiten besteht, die in einem anderen Versorgungssystem annähernd gleichwertig berücksichtigt werden. Da zuvor Anträge auf Anerkennung der Kindererziehungszeiten ggf. zu Unrecht abgelehnt oder bei einem Antrag auf Beitragserstattung erst gar nicht geltend gemacht wurden, haben die Rentenversicherungsträger beschlossen, dass vor dem 22.07.2009 (an versicherungsfreie oder von der Versicherungspflicht befreite Versicherte) erteilte Bescheide über eine Beitragserstattung keine Verfallswirkung hinsichtlich der bis zur Erstattung zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung entfalten, die bei Bekanntgabe des Erstattungsbescheides noch nicht vorgemerkt waren.
Die Beklagte hat zutreffend eine Kindererziehungszeit dem Grunde nach von 24 Monaten berücksichtigt (§ 249 Abs. 1 SGB VI in der vom 01.07.2014 bis 31.12.2018 geltenden Fassung). Sie hat auch beachtet, dass die Verfallswirkung bei einer Beitragserstattung vor dem 01.07.2014 durch die ab diesem Zeitpunkt eingeführte Regelung des § 249 Abs. 1 SGB VI eingeschränkt ist. Die Verfallswirkung gilt für die vor dem 01.01.1992 geborenen Kinder nur hinsichtlich der vor dem 13. Monat zurückgelegten Kindererziehungszeiten.
Nicht zu berücksichtigen hat der Senat die Änderung des § 249 Abs. 1 SGB VI zum 01.01.2019 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 28.11.2018 (BGBl. I 2016). Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind endet nunmehr nicht mehr nach 24 Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 249 Abs. 1 SGB VI in der vom 01.07.2014 bis 31.12.2018 geltenden Fassung), sondern erst nach 30 Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 249 Abs. 1 SGB VI in der ab 01.01.2019 geltenden Fassung), also vorliegend über den 31.08.1986 hinaus vom 01.09.1986 bis zum 28.02.1987. Für das Vormerkungsbegehren der Klägerin ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die statthafte Klageart (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG). Für die Entscheidung über eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen und daher grundsätzlich auch im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenes Recht zu berücksichtigen. Voraussetzung ist allerdings, dass das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (BSG Urteil vom 14.07.1993 – 6 RKa 71/91 – nach juris). Das ist hier nicht der Fall. Zwar handelt es sich bei einem Vormerkungsbescheid um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Denn die Feststellungen eines Vormerkungsbescheides erschöpfen sich nicht in einer einmaligen abstrakten Feststellung von rentenrechtlichen Zeiten und deren zeitlichen Umfang, sondern entfalten wegen ihrer beweissichernden Funktion für den späteren Leistungsfall Verbindlichkeit für die Zukunft. Demnach wäre aufgrund der Dauerwirkung des Vormerkungsbescheides auch neues Recht im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Allerdings wurde mit der Änderung des § 249 Abs. 1 SGB VI die Dauer der Kindererziehungszeiten nicht rückwirkend, sondern zum 01.01.2019 erhöht. Diesem Zeitpunkt – wie hier – vorhergehende Feststellungen von Kindererziehungszeiten werden hiervon nicht erfasst, zumal sich die Feststellungen in einem Vormerkungsbescheid darauf beziehen, ob die Voraussetzungen der rentenrechtlichen Zeiten und deren zeitlichen Umfang nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheides (hier am 23.03.2017) geltenden materiellen Recht erfüllt sind.
Die Beklagte hat demnach zu Recht eine Vormerkung der Zeit über den 31.08.1986 hinaus als Kindererziehungszeit abgelehnt.
Nicht in Betracht kommt die Vormerkung der Zeit vom 18.09.1987 bis 13.08.1994 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung. Nach § 57 Satz 1 SGB VI ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach § 56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen.
Die Klägerin ist am 17.09.1987 auf Dauer in die Türkei zurückgekehrt. Die Anerkennung der Zeit nach der Rückkehr in die Türkei ist demnach ausgeschlossen, da nach den §§ 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 57 Satz 1 SGB VI nur die Erziehung zu berücksichtigen ist, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder einer solchen gleichsteht. Die Zeit der Erziehung nach dem 17.09.1987 steht einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht nach § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI gleich. Zwar hat sich die Klägerin als erziehender Elternteil mit dem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten, sie hat aber nicht während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort (in der Türkei) ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung entrichtet.
Die beantragte Vormerkung der Kindererziehungszeit oder der Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung ergibt sich auch nicht aus dem Deutsch-Türkischen Abkommen über soziale Sicherheit vom 30.04.1964 idF des Abkommens vom 28.05.1969, des Zwischenabkommens vom 25.10.1974 und des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 sowie der Vereinbarung vom 02.11.1984 zur Durchführung des Abkommens vom 30.04.1964. Eine Regelung über die Geltung von Zeiten der Kindererziehung in der Türkei als in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnende Kindererziehungszeiten (Beitragszeiten) oder Berücksichtigungszeiten findet sich in dem Abkommen nicht. Art. 27 des Abkommens idF des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 bestimmt: Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsparteien anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen (Satz 1). In welchem Ausmaß Versicherungszeiten anrechnungsfähig sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften, die die Anrechnungsfähigkeit bestimmen (Satz 2). Danach werden zur Erfüllung der für einen Rentenanspruch notwendigen Wartezeit sowie der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen der einzelnen Rentenarten die zur deutschen und türkischen Rentenversicherung geleisteten Beiträge bzw. die ihnen gleichstehenden Zeiten zusammengerechnet. Ob und inwieweit Versicherungszeiten anzurechnen sind, bestimmt der jeweilige Träger. Demnach ist es nicht Aufgabe der Beklagten, über die Vormerkung der von der Klägerin in der Türkei zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung oder über die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung zu entscheiden, zumal eine etwaige Zusammenrechnung nur im Falle einer Leistungsfeststellung erfolgt.
Nach alledem ergibt sich, dass die Berufung unbegründet ist.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.