Familienrecht

Rückzahlung von Kindergeld auf Grund eines  Abzweigungsbescheids

Aktenzeichen  3 K 695/20

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22125
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG §§ 32 Abs. 1, 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1, 66, 74 Abs. 1 S. 4
FGO § 60 Abs. 1 S. 1
AO §§ 37 Abs. 2, 122 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, dass der Leistungsempfänger sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht zur Rückzahlung in der Lage sieht. Der Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar. Es besteht auch kein allgemeiner Rechtsgedanke, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist.  (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Rückforderungsbescheid vom 27.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2020 und des Änderungsbescheids vom 12.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die monatliche Überweisung von Kindergeld für B an den Kläger ist für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 hinsichtlich eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € ohne Rechtsgrund, da in Höhe dieses Betrages eine Abzweigung des Kindergeldes für B an den Bezirk X vorliegt. Die Rückforderung dieses Betrages ist für alle Monate des Klagezeitraumes rechtmäßig.
1. Das Gericht konnte ohne Beiladung des Bezirk X entscheiden.
a) Das Finanzgericht kann nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Hierbei ist es ausreichend für eine Beiladung, wenn die rechtlichen Interessen des Beigeladenen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden können. So reicht es aus, wenn durch Anwendung der Änderungsnorm des § 174 Abs. 4 AO eine Änderungsmöglichkeit des Bescheids gegenüber dem potentiell Beizuladenden besteht; die Beiladung kann nur unterbleiben, wenn die Interessen Dritter durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (BFH-Beschlüsse vom 22.09.2016 X B 42/16, BFH/NV 2017, 146; und vom 09.04.2008 V B 143/07, BFH/NV 2008, 1339; Brandis bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 60 Tz. 17; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 17). Die Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setzt voraus, dass die Finanzbehörde sie beantragt oder veranlasst hat (BFH-Beschluss vom 22.09.2016 X B 42/16, BFH/NV 2017, 146 Rn. 15; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 8b). Die einfache Beiladung steht im Ermessen des Gerichts (Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 20). Die Ablehnung der Beiladung kann im Urteil ausgesprochen werden (Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 35 m.w.N.).
b) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO beizuladen (notwendige Beiladung). Die unterbliebene notwendige Beiladung ist ein Verfahrensmangel und stellt trotz der Regelung in § 123 Abs. 1 FGO einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (BFH-Beschluss vom 08.05.2008 IV B 138/07, BFH/NV 2008, 1499 Rn. 9; Gräber/Levedag, FGO 9. Auflage, § 60 Rn. 151).
c) Im Streitfall liegen weder die Voraussetzungen einer einfachen noch einer notwendigen Beiladung vor. Der Bezirk ist durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt. Weder ist er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann noch besteht auch durch Anwendung der Änderungsnorm des § 174 Abs. 4 AO eine Änderungsmöglichkeit des Bescheids gegenüber dem Bezirk. Gegenstand des streitigen Verfahrens ist der Rückforderungsanspruch, den die Familienkasse mit Bescheid vom 27.01.2020 gegenüber dem Kläger geltend gemacht hat. Es ist in diesem Gerichtsverfahren hingegen nicht zu überprüfen, ob das Kindergeld zu Recht an den Bezirk abgezweigt worden ist. Die entsprechenden Entscheidungen sind zudem bereits bestandskräftig. Die hier angefochtene Entscheidung berührt keine rechtlichen Interessen des Bezirks X. Der Zweck einer Beiladung, nämlich die Bindungswirkung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung gegenüber dem Beigeladenen, kann im Streitfall nicht erreicht werden. Die Familienkasse hatte im Streitfall zudem eine Beiladung des Bezirk X nicht beantragt.
2. Aus dem Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 über den vollen Kindergeldbetrag ergeben sich gegenüber dem Kläger keine rechtlichen Auswirkungen, da dieser ihm gegenüber nicht wirksam bekannt gegeben wurde. Damit fehlt insoweit eine Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
a) Der Kläger ist im Klagezeitraum grundsätzlich kindergeldberechtigt für seine Tochter B. Anspruch auf Kindergeld haben nach §§ 32 Abs. 1 i.V.m. 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Eltern für ihre mit ihnen im ersten Grad verwandten Kinder. So wird für den Kläger zum Beispiel mit dem Bescheid vom 30.11.2011 Kindergeld festgesetzt. Jedoch kann das Kindergeld an eine andere Person oder Stelle abgezweigt werden. Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 kann an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (§ 74 Abs. 1 Satz 1 EStG). Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG).
b) Im Streitfall ist das Kindergeld für B gegenüber dem Kläger nicht durch den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 an eine andere Stelle abgezweigt worden. Ein Verwaltungsakt ist nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Wird ein schriftlicher Verwaltungsakt durch die Post übermittelt, gilt er nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet ein Steuerpflichtiger, den Verwaltungsakt überhaupt bekommen zu haben, obliegt dem FA der volle Beweis über den Zugang. Ein Anscheinsbeweis kommt ihm hierbei nicht zugute. Anders als im Falle der Behauptung eines verspäteten Zugangs des Verwaltungsakts kann von dem Adressaten des Verwaltungsakts, wenn dieser dessen Zugang bestreitet, auch nicht verlangt werden, er müsse dies substantiiert darlegen, weil er hierzu nicht in der Lage ist (BFH-Urteil vom 29.04.2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777 Rn. 20; Seer bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 Tz. 58). Der Kläger trägt vor, den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten zu haben. Die Familienkasse konnte keinen Nachweis dafür führen, dass der Bescheid dem Kläger zugegangen ist. Zudem trägt nach dem vorgelegten Ausdruck der elektronisch geführten Kindergeldakte der Bescheid vom 26.03.2014 keinen Versendevermerk.
3. Jedoch sind die monatlichen Überweisungen von Kindergeld für B an den Kläger für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 hinsichtlich eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € ohne Rechtsgrund ergangen, da in Höhe dieses Betrages eine Abzweigung des Kindergeldes für B an den Bezirk X vorlag.
a) Mit Bescheid vom 01.08.2012 hatte die Familienkasse das Kindergeld für B ab August 2012 in Höhe von 129,04 € an den Bezirk X abgezweigt. Der Kläger trägt zwar vor, den Abzweigungsbescheid vom 26.03.2014 nicht erhalten zu haben. Dann war aber gegenüber dem Kläger der Abzweigungsbescheid vom 01.08.2012 noch gültig. Dieser sah für den Zeitraum von Februar 2015 bis August 2017 eine Abzweigung eines monatlichen Betrages in Höhe von 129,04 € vor. Diesen Bescheid muss der Kläger gegen sich gelten lassen, denn nach seinen Angaben war ihm kein anderer Bescheid zugegangen.
b) Seit dem Abzweigungsbescheid vom 01.08.2012 war für den Klagezeitraum kein Bescheid ergangen, der die Abzweigung aufgehoben, widerrufen oder eingeschränkt hätte. Der Kläger musste also im gesamten Klagezeitraum von Februar 2015 bis August 2017 davon ausgehen, dass von dem an ihn für B ausgezahlten Kindergeld ein Betrag i.H.v. 129,04 € ihm nicht zusteht.
c) Eine abweichende Entscheidung über die Auszahlung des Kindergelds für B ergibt sich auch nicht aus dem Bescheid der Familienkasse vom 06.07.2016. Nach diesem Bescheid wird das Kindergeld für C auf 190 € festgesetzt und davon werden 33 € an den Bezirk abgezweigt. Dieser Bescheid betrifft ausschließlich den Sohn C. Aus dem Bescheid ergibt sich nichts für das hier streitige Kindergeldverhältnis von B und insbesondere die Abzweigung an den Bezirk. Die Tochter des Klägers wird nur bezüglich der Benennung der Ordnungszahl der Kinder angeführt.
d) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Die Familienkasse hatte an den Kläger monatliche Kindergeldzahlungen für B in Höhe von 188 € von Februar bis Dezember 2015, 190 € von Januar bis Dezember 2016 und 192 € von Januar bis August 2017 vorgenommen. Damit war für 31 Monate in Höhe eines monatlichen Betrages von 129,04 € eine Leistung an den Kläger ohne Rechtsgrund ergangen (129,04 € x 31 = 4.000,24 €).
e) Entscheidend für das vorliegende Klageverfahren gegen den Rückforderungsbescheid ist hierbei die Frage, ob an den Kläger Kindergeldleistungen erbracht wurden, für die keine Rechtsgrundlage bestand. Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist es nicht zu überprüfen, ob das Kindergeld hier zu Recht an den Bezirk abgezweigt wurde. Die entsprechenden Entscheidungen sind bestandskräftig. Damit ist hier nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 74 EStG oder einer Änderungsnorm wie § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen und welche Stelle dem Kind Unterhalt gewährt hat. Auch ist es ohne Bedeutung für den Rückzahlungsanspruch, ob die Sozialleistungen des Klägers im Klagezeitraum wegen des dem Kläger vermeintlich zustehenden Kindergelds geringer ausgefallen sind.
f) Gegen die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides spricht auch nicht das Schreiben der Familienkasse an die Betreuerin D vom 10.06.2015. In dem Schreiben teilt die Familienkasse der Betreuerin mit, dass „das Kindergeld für B derzeit an den Kindergeldberechtigen A in Höhe von monatlich 184 abzüglich 33 € an den Bezirk X auf das Konto von C überwiesen“ werde. Dieses Schreiben ist zwar inhaltlich unrichtig, es trifft jedoch keine Regelung zur Gewährung von Kindergeld. Es ist damit kein Verwaltungsakt. Aufgrund dieses Schreibens wurden auch keine Zahlungen oder Änderungen von Zahlungen vorgenommen.
g) Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht zur Rückzahlung in der Lage sieht. Der Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar. Es besteht auch kein allgemeiner Rechtsgedanke, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist. Ein Wegfall der Bereicherung führt daher nicht zum Wegfall des abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruchs (BFH-Beschlüsse vom 16.11.2010 VI B 120/10, BFH/NV 2011, 405; und vom 28.03.2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117).
h) Für einen Ausschluss des Erstattungsanspruchs der Familienkasse wegen Verstoßes nach Treu und Glauben bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verwirkung) steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 22.09.2011 III R 82/08, BStBl. II 2012, 734, Rz 26 m.w.N.) einer Rückforderung des Kindergeldes nur dann entgegen, wenn sich der Rückzahlungsschuldner nach dem gesamten Verhalten der Familienkasse darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass diese das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Hierfür liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben