Familienrecht

Scheinurteil mangels ordnungsgemäßer Verkündung

Aktenzeichen  10 U 703/20

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12946
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 128 Abs. 2, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
GKG § 21 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Ausweislich des Akteninhalts wurde das Ersturteil nicht verkündet, da ein Verkündungsprotokoll nicht vorliegt. Es handelt sich daher um ein Scheinurteil. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verkündungstermin, der bereits abgelaufen ist, kann nicht verlegt werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zustimmung zum schriftlichen Verfahren kann im Anwaltsprozess nicht telefonisch, sondern nur in mündlicher Verhandlung oder schriftlich erteilt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Als Folge der Nichtverkündung muss der Senat die Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

17 O 894/17 2020-01-02 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 07.02.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 02.01.2020 (Az. 17 O 894/17) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.
I.
Zwar hat das Landgericht nach derzeitigem Verfahrensstand zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz teilweise bejaht und dabei die sachlich-rechtlichen Fragen im Ergebnis zutreffend beantwortet. Allerdings wurde ausweislich des Akteninhalts das Ersturteil nicht verkündet, da ein Verkündungsprotokoll nicht vorliegt. Es handelt sich daher um ein Scheinurteil (vgl. hierzu genauer und hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen Senat NJW 2011, 689). Ein solches „Urteil“ beendet nicht die Instanz, vielmehr handelt es sich nur um einen Urteilsentwurf, der aber mit der Berufung zur Beseitigung des durch die Zustellung bewirkten Rechtsscheins angegriffen werden kann.
1. Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 02.08.2019 (Bl. 121 ff. d.A.) ist zu entnehmen, dass von beiden Parteien für den Fall des Vergleichswiderrufs, der dann erfolgt ist, Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt wurde. Mit Beschluss vom 22.08.2019 (Bl. 126/128 d.A.) wurde die Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen und ein Verkündungstermin am 22.10.2019 bestimmt. Eine Entscheidung vom 22.10.2019 ist der Akte nicht zu entnehmen. Es findet sich dann erst eine Verfügung der Berichterstatterin vom 30.12.2019 (Bl. 132 d.A.), wonach der bereits abgelaufene Verkündungstermin vom 22.10.2019 auf den 02.01.2020 verlegt werde.
2. Die vorstehende Vorgehensweise des Erstgerichts, auf der das Urteil beruht, war in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft:
a) Ein Verkündungstermin, der bereits abgelaufen ist, kann nicht verlegt werden. Es hätte bei einem Einverständnis der Parteien mit Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch das Gericht (§ 128 II ZPO) erneut ein Beschluss gefasst werden müssen, dass schriftlich entschieden wird.
b) Da jedoch dieses Einverständnis innerhalb der 3-Monatsfrist des § 128 II 3 ZPO nicht vorlag (maßgeblich für den Beginn der Frist war der 02.08.2019), hätte mündliche Verhandlung anberaumt werden müssen (Thomas / Putzo / Seiler, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 128 Rd. 29; vgl. hierzu auch BGH WM 2017, 1705).
c) Soweit das Landgericht offenbar der Ansicht ist, dass für die Erteilung eine telefonische Zustimmung reicht (vgl. Vermerk vom 04.12.2019, Bl. 131 d.A.), ist dies rechtsfehlerhaft, da die Zustimmung im Anwaltsprozess nur in mündlicher Verhandlung oder schriftlich erteilt werden kann (vgl. BVerwG NJW 1981, 1852; Thomas/Putzo/Seiler, a.a.O., Rd. 24).
d) Die Verlegung des Verkündungstermins im schriftlichen Verfahren alleine durch die Berichterstatterin war fehlerhaft, da das Gericht den Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt (§ 128 II 2 ZPO) und deshalb zwangsläufig auch eine Verlegung durch das Gericht und nicht durch den Berichterstatter, der als solches nach der ZPO hierfür überhaupt nicht zuständig ist, zu erfolgen hat.
II.
Als Folge der Nichtverkündung muss der Senat die Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen (Senat NJW 2011, 689). Die Frage der Zurückverweisung wurde mit den Parteivertretern mit Hinweisverfügung vom 16.04.2020 (Bl. 180 – 184 d.A.) ausführlich erörtert. Beide Parteivertreter sind einer Zurückverweisung nicht entgegengetreten.
III.
Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung der Beklagten erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., vgl. etwa VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729). Die Gerichtskosten waren gem. § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel, welcher allein gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt. Dies gilt insbesondere bei einem – hier gegebenen – offensichtlichen Verstoß gegen eine klare gesetzliche Regelung (BGH NJW 1962, 2107; BGHZ 98, 318 [320]; BGH, Beschluss vom 27.1.1994 – V ZR 7/92 [juris]; NJW-RR 2003, 1294; OLG Köln NJW 2004, 521; Senat in st. Rspr., vgl. etwa. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729; ferner OLG München, Urt. v. 11.7.2013 – 23 U 695/13 [juris Rz. 22 für unzulässiges Teilurteil und Übergehen von Beweisanträgen]). § 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. OLG Brandenburg OLGR 2004, 277 und OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151 jeweils für ein unzulässige Rechtsgutachten über inländisches Recht; OLG Celle OLGR 2005, 723 für eine umfangreiche Beweisaufnahme zur Höhe vor Klärung des Anspruchsgrundes; Senat, Beschluss vom 17.9.2008 – 10 U 2272/08 für Gutachten von wegen Befangenheit ausgeschlossenen Sachverständigen, st. Rspr., vgl. etwa Urt. v. 19.3.2010 – 10 U 3870/09 [juris Rz. 93] und v. 27.1.2012 – 10 U 3065/11 [juris Rz. 12]).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., vgl. etwa. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a. a. O.).
V.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben