Familienrecht

Staats- und Verfassungsrecht; Verfassungsbeschwerde

Aktenzeichen  VerfGH 104/20

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
Art 2 Abs 1 VGHG TH
Art 42 Abs 5 VGHG TH
Art 88 Abs 1 VGHG TH
§ 2a FeiertG TH
§ 144 Abs 1 ZPO
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Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Einzelfall einer teilweise unzulässigen, teilweise unbegründeten Verfassungsbeschwerde.

Verfahrensgang

vorgehend LG Erfurt, 14. Februar 2019, 10 O 1706/18, Beschlussvorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 27. April 2020, 4 W 91/19, Beschlussvorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 19. August 2020, 4 W 91/19, Beschluss

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen, soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 14. Februar 2019 und den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 19. August 2020 richtet. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.
1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 14. Februar 2019, Aktenzeichen 10 O 1706/18, den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27. April 2020, Aktenzeichen 4 W 91/19, und den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 19. August 2020, Aktenzeichen 4 W 91/19.
Der Beschwerdeführer und seine Schwester waren am 17. Juni 2015 von der Zwangsräumung der von beiden bewohnten Wohnung in der Landeshauptstadt Erfurt betroffen. Ende 2018 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Erfurt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der festgestellt werden sollte, dass der Freistaat Thüringen und die Stadt Erfurt ihm gegenüber zum Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung durch die aus seiner Sicht rechtswidrige Räumung der Wohnung verpflichtet seien. Da er Opfer des SED-Unrechtsregimes sei, sei der Termin der Zwangsräumung am Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR für ihn besonders schmerzhaft gewesen. Der Beschwerdeführer sieht sein eigenes Schicksal dabei im Zusammenhang mit dem Schicksal seiner Schwester, die, ebenfalls ein Opfer des SED-Unrechtsregimes, sich zusätzlich „durch rechtswidrige Akte der Verwaltung und Justiz“ um ihr Recht an einer Immobilie gebracht sieht, aus welcher beide in die später zwangsweise geräumte Wohnung hatten ziehen müssen.
Das Landgericht Erfurt wies den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 14. Februar 2019 zurück. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach den Darlegungen des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass ein rechtskräftiger Räumungstitel zu Gunsten der Stadt vorgelegen habe. Es fehle an rechtlichen Anknüpfungspunkten für einen Amtshaftungsanspruch gegen die Stadt und den Freistaat. Aus dem Umstand, dass die Räumung am 17. Juni 2015 stattgefunden habe, lasse sich keine Amtspflichtverletzung ableiten, auch wenn es hierbei an „Fingerspitzengefühl“ gefehlt habe.
Gegen den Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11. März 2019 Beschwerde ein. Die Zwangsräumung am 17. Juni 2015 sei amtspflichtwidrig gewesen. Auch die Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts seien im Lichte der Verfassung des Freistaats Thüringen auszulegen. Insbesondere das Persönlichkeitsrecht nach Art. 6 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Thüringer Verfassung – ThürVerf) und die Menschenwürde seien zu berücksichtigen. Die Maßnahme sei zur Unzeit erfolgt. Der Beschwerdeführer habe sich in „schlimmste DDR-Zeiten zurückversetzt“ gefühlt, zumal er mit seiner Schwester bereits aus seiner ursprünglichen Wohnung „vertrieben“ worden sei, weil die Stadt das betreffende Grundbuch habe „fälschen“ lassen.
Das Thüringer Oberlandesgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 27. April 2020 zurück. Nach summarischer Prüfung habe der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Freistaat und die Stadt. Das Oberlandesgericht verwies auf die Begründung des Landgerichts und führte ergänzend aus, dass dann, wenn eine schuldhafte Amtspflichtverletzung vorläge, ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden des Beschwerdeführers in Betracht käme. Zu berücksichtigen sei, dass der Beschwerdeführer, dem es darauf angekommen sei, dass die Zwangsräumung nicht am 17. Juni 2015 stattfinde, dies durch vorherige freiwillige Herausgabe hätte vermeiden können.
Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge. Die Verweisung des Oberlandesgerichts auf die Begründung des Landgerichts sei eine bloße Leerformel, der sich eine eigenständige Befassung mit seinem Vorbringen nicht entnehmen lasse. Sein Vorbringen in der Beschwerde werde vom Oberlandesgericht nicht erwähnt. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum Mitverschulden seien überraschend und nicht vorhersehbar gewesen. Vor Berücksichtigung dieses neuen rechtlichen Gesichtspunktes hätte ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Dass dies unterblieben sei, verletze sein Recht auf rechtliches Gehör.
Mit am 25. August 2020 zugestellten Beschluss vom 19. August 2020 wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei zur Kenntnis genommen, aber nicht für durchgreifend erachtet worden. Eine darüber hinausgehende Begründung sei nicht veranlasst gewesen. Es habe auch keinen vorherigen Hinweis zu den Hilfserwägungen geben müssen, da die Beschwerdeentscheidung nicht auf diesen beruhe.
2. Mit am 24. September 2020 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom 23. September 2020 hat der Beschwerdeführer die vorliegende Verfassungsbeschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer hat zur Begründung ausgeführt:
a) Das Landgericht und das Oberlandesgericht verletzten mit den angefochtenen Entscheidungen das Recht auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf, weil sie die tragende Begründung für die beabsichtigte Klage völlig ignorierten.
Das Landgericht habe keine rechtliche Relevanz des Datums erkannt oder erkennen wollen. Es hätte entweder erklären müssen, warum die Voraussetzungen des § 758a Abs. 4 ZPO – wonach der Gerichtsvollzieher eine Vollstreckungshandlung u. a. an Sonn- und Feiertagen u. a. dann nicht vornimmt, wenn dies eine unbillige Härte darstellt, und in Wohnungen nur auf Grund einer besonderen richterlichen Anordnung tätig wird – nicht erfüllt seien, oder es hätte darlegen müssen, warum die gleichwohl durchgeführte Vollstreckung keine Amtspflichtverletzung sei.
Der Wortlaut von § 758a Abs. 4 ZPO verbiete Vollstreckungshandlungen an Feiertagen. Zwar sei der 17. Juni kein Feiertag, seine Proklamation als Gedenktag bestehe aber fort. Die Verfassung des Freistaats Thüringen mit ihrem besonders starken Schutz des Persönlichkeitsrechts in Art. 6 Abs. 1 ThürVerf und dem in der Präambel erwähnten Bewusstsein um die Überwindung des Unrechtsregimes auch der SED-Diktatur ließen keinen Zweifel daran, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 758a Abs. 4 ZPO die Zwangsräumung des als SED-Unrechtsopfer anerkannten Beschwerdeführers aus seiner Wohnung am Gedenktag des 17. Juni verbiete. Zumindest wäre eine substantielle und damit prüfbare juristische Begründung nötig gewesen.
Das Oberlandesgericht habe die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht nur wiederholt, sondern noch vertieft. Es habe jede eigenständige Begründung verweigert. Der Verweis auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verletze das Recht des Beschwerdeführers. Das Oberlandesgericht setze sich auch nicht ansatzweise mit § 758a ZPO und den verfassungsrechtlichen Vorgaben auseinander. Die Begründung für die Zurückweisung der Gehörsrüge bestätige die „offenkundige Ignoranz des Gerichts gegenüber dem Begehren des Beschwerdeführers“; wenn nicht entscheidungserhebliche Gründe „wortreich dargetan“ würden, müssten auch die tragenden Gründe eingehend dargestellt werden.
b) Die angefochtenen Entscheidungen verletzten ihn zudem in seiner Menschenwürde und in seinem Recht auf freie Entfaltung, Achtung und Schutz seiner Persönlichkeit nach Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 ThürVerf.
Er sei schwersten Verfolgungen durch das SED-Unrechtsregime ausgesetzt gewesen und auch durch die Erfahrungen seiner „im Leiden eng verbundenen Schwester“ und „die rechtswidrigen Akte der Verwaltung und Justiz“ im Zusammenhang mit der Immobilie geprägt. Deswegen sei zumindest eine kurze substantielle Begründung geboten gewesen. Gerade wenn eine Partei eine persönlichkeitsrelevante Rechtsverletzung durch staatliche Organe rüge, sei die augenfällige Missachtung des Vorbringens in einer richterlichen Entscheidungsbegründung mit der durch Art. 6 Abs. 1 ThürVerf gebotenen Achtung der Person des Rechtsunterworfenen nicht mehr vereinbar.
Dies gelte umso mehr, wenn die entscheidungsgegenständliche Rüge der Persönlichkeitsverletzung unter ausdrücklicher Berufung auf eine spezifische Verfassungsnorm erfolge. Das Oberlandesgericht habe die „Leidensgeschichte des Beschwerdeführers mit keiner einzigen Silbe gewürdigt“. Umso eingehender habe es ihm ein Mitverschulden vorgehalten. Deutlicher könne ein „völliges Desinteresse an der massiven Unrechtserfahrung des Beschwerdeführers und damit die Missachtung seiner Person eigentlich nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden“. Zwar habe das Landgericht sein Unverständnis für die Wahl des Gedenktags zum Ausdruck gebracht. Allerdings habe es die „massive Unrechtserfahrung gleichsam zum Resultat einer Überempfindlichkeit“ gemacht. Damit sei „der Beschwerdeführer gleichsam zum Objekt einer zivilprozessualen Erledigungshandlung“ degradiert und in seiner Menschenwürde verletzt worden.
c) Die angefochtenen Entscheidungen verletzten schließlich sein Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 5 ThürVerf. Dieses Recht gebiete wie auch das Verbot der Benachteiligung wegen der sozialen Stellung nach Art. 2 Abs. 3 ThürVerf eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Eine Auslegung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin gehend, dass ein Rechtsschutzbegehren hinreichende Erfolgsaussichten habe, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer im hohen Maße streitigen Rechtsfrage abhänge, werde dem Gebot der in Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG wie in Art. 2 Abs. 1, Art. 3 i. V. m. Art. 42 Abs. 5 ThürVerf verbürgten Rechtsschutzgleichheit gerecht. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin gehend auslege, dass auch schwierige und noch nicht geklärte oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren durchentschieden werden könnten, verkenne die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit. Namentlich die Frage, ob der Gedenktag des 17. Juni ein Feiertag im Sinne des § 758a ZPO sei, sei eine Rechtsfrage, deren Klärung einem Hauptsacheverfahren mit dem dort vorhandenen Instanzenzug vorbehalten bleiben müsse.
3. Die Anhörungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
4. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Schreiben vom 25. Mai 2021 mitgeteilt, dass es mit Beschluss vom 18. Mai 2021 die sachgleiche Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen hat.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig, aber insoweit unbegründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27. April 2020 richtet; im Übrigen ist sie unzulässig.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerf, § 11 Nr. 1, § 31 Abs. 1 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG) statthaft. Der Beschwerdeführer ist beschwerdeberechtigt. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sind taugliche Beschwerdegegenstände.
b) Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt. Er kann geltend machen, durch die Beschlüsse in – erstens – seinem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf, – zweitens – seiner Menschenwürde, seinem Recht auf freie Entfaltung, auf Achtung und Schutz der Persönlichkeit nach Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 ThürVerf sowie – drittens – seinem Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 5 ThürVerf, verletzt zu sein; diese Grundrechtsverletzungen sind möglich.
c) Die innerhalb der Monatsfrist des § 33 Abs.1 Satz1 ThürVerfGHG erhobene Verfassungsbeschwerde genügt den Begründungsanforderungen, § 18 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Satz 1, § 32 ThürVerfGHG.
Der Beschwerdeführer muss die Grundrechtsverletzung substantiiert und schlüssig vortragen. Dabei hat der Beschwerdeführer auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. nur ThürVerfGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – VerfGH 28/12 -, juris Rn. 56 m. w. N.; ständige Rspr.). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, hat sich der Beschwerdeführer mit deren Begründung im Einzelnen und in Bezug auf die einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe auseinanderzusetzen (vgl. nur ThürVerfGH, Beschluss vom 9. Juli 2014 – VerfGH 17/13 -, juris Rn. 22 m. w. N.; ständige Rspr.). Greift der Beschwerdeführer mehrere gerichtliche Entscheidungen eines Instanzenzugs an, muss der Beschwerdeführer auf die Begründung jeder einzelnen Entscheidung eingehen (vgl. ThürVerfGH, a. a. O.).
Zwar fehlt es hinsichtlich – erstens – des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf und – zweitens – der Menschenwürde, dem Recht auf freie Entfaltung und des Rechts auf Achtung und Schutz der Persönlichkeit nach Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 ThürVerf an der Darlegung des verfassungsrechtlichen Maßstabs. Allerdings ist hinsichtlich des Rechts auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 5 ThürVerf, der verfassungsrechtliche Maßstab dargelegt. Im Übrigen genügen die Ausführungen des Beschwerdeführers den Begründungsanforderungen.
d) Den Erfordernissen des § 31 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG, wonach die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden kann, ist genügt. Wenn ein Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf rügt, gehört die Anhörungsrüge zum Rechtsweg; das Anhörungsrügeverfahren nach § 321a Abs. 1 ZPO ist vorliegend durchgeführt worden.
e) Die Verfassungsbeschwerde ist nur hinsichtlich des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 27. April 2020 zulässig.
Der Beschwerdeführer richtet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde sowohl gegen den Beschluss des Landgerichts vom 14. Februar 2019 als auch gegen die Beschlüsse des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27. April 2020 und vom 19. August 2020. Der Beschluss des Landgerichts ist jedoch prozessual überholt, da das Thüringer Oberlandesgericht eine eigenständige Sachentscheidung getroffen hat und eine fortwirkende Beschwer aus dem Beschluss des Landgerichts weder vorgetragen noch ersichtlich ist (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – VerfGH 36/09 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks; ThürVerfGH, Beschluss vom 30. März 2011- VerfGH 23/09 -, S. 6 des amtlichen Umdrucks). Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 19. August 2020 über die Gehörsrüge beinhaltet hingegen keine eigenständige Beschwer (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – VerfGH 29/17 -, S. 15 des amtlichen Umdrucks).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.
a) Der Verfassungsgerichtshof ist trotz des Umstands, dass Grundrechtsverletzungen bei der Anwendung von Bundesrecht geltend gemacht werden, nicht an einer Sachprüfung gehindert.
Landesverfassungsgerichte können das von Gerichten des betreffenden Bundeslandes durchgeführte Verfahren daraufhin überprüfen, ob durch die konkrete Verfahrensgestaltung die in der Landesverfassung gewährleisteten sogenannten Verfahrensgrundrechte verletzt wurden, sofern das Landesverfassungsrecht inhaltlich mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland deckungsgleich ist (ThürVerfGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – VerfGH 3/99 -, juris Rn. 20). Diese Deckungsgleichheit besteht für die vom Verfassungsgerichtshof heranzuziehenden Grundrechte. Dabei handelt es sich insbesondere um den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf, der mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 102 Abs. 1 GG inhaltlich deckungsgleich ist (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 12. September 2018 – VerfGH 28/17 -, juris Rn. 24; zum Verstoß gegen das Willkürverbot nach Art. 2 Abs. 1 ThürVerf: ThürVerfGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – VerfGH 52/16 -,juris Rn. 45).
Auch sonstige Grundrechte einer Landesverfassung müssen von Landesgerichten angewandt werden, wenn das Bundesrecht Spielräume zur Konkretisierung eröffnet, so dass der Verfassungsgerichtshof auch insoweit eine Prüfung vornimmt (ThürVerfGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – VerfGH 52/16 -, juris Rn. 48). Dies ist auch bei § 114 ZPO der Fall, wonach die Gewährung von Prozesskostenhilfe von der hinreichenden Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abhängt.
b) Allerdings ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, seine Vorstellung von einer zu treffenden Entscheidung nach Art einer Superrevisionsinstanz an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der verfassungsgerichtlichen Prüfung entzogen. Der Verfassungsgerichtshof überprüft eine fachgerichtliche Entscheidung vielmehr nur auf Auslegungs- und Anwendungsfehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des als verletzt bezeichneten Grundrechts beruhen. Dabei beschränkt der Verfassungsgerichtshof seine Kontrolle auf die Prüfung, ob das Fachgericht bei der Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch machte. Auch hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu entscheiden, welcher dieser Auslegungen nach einfachem Recht der Vorzug gebührt oder ob gar noch eine weitere Auslegung denkbar wäre. Dies ist vielmehr allein Sache der fachlich zuständigen Gerichte (ThürVerfGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 – VerfGH 12/18 -, juris Rn. 102 m. w. N.).
c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. April 2020 verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf.
Der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 88 Abs. 1 ThürVerf ist dann verletzt, wenn Beteiligtenvorbringen, das nicht offenbar unerheblich ist, durch den zuständigen Spruchkörper missachtet wurde oder wenn die Entscheidung sich mit dem wesentlichen Kern eines entscheidungserheblichen Tatsachenvortrages nicht befasst (ThürVerfGH, Beschluss vom 29. August 2005 – VerfGH 30/04 -, juris Rn. 71). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen; er gewährt hingegen keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, auch wenn es nicht auf jedes Vorbringen ausdrücklich eingeht. Nur dann, wenn sich dies aus besonderen Umständen des Falles ergibt, kann die Verletzung der Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, festgestellt werden (vgl. für Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1997- 1 BvR 1621/94 -, BVerfGE 96, 205 [216] = juris Rn. 44 m. w. N.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Thüringer Oberlandesgericht mit seinem Beschluss vom 27. April 2020 den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Es hat das zentrale Vorbringen des Beschwerdeführers – die Zwangsräumung am 17. Juni sei rechtswidrig – in mehrfacher Weise gewürdigt: Zum einen verweist der Beschluss auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts. In diesem Beschluss war auf dieses Vorbringen in der Weise eingegangen worden, dass die Zwangsräumung an diesem Tag mit Unverständnis zur Kenntnis genommen werden könne, aber mangelndes „Fingerspitzengefühl“ noch keine relevante Amtspflichtverletzung sei. Zum anderen verweist das Thüringer Oberlandesgericht darauf, dass der Beschwerdeführer eine Zwangsräumung an diesem Tag durch eine freiwillige Herausgabe vor diesem Datum hätte vermeiden können. Letztlich haben beide Gerichte das zentrale Vorbringen des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen, es als rechtlich unerheblich bewertet und ergänzende Ausführungen zur Zweckmäßigkeit bzw. Vermeidbarkeit einer Zwangsräumung an diesem Tag gemacht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist damit erfüllt. Dieser Anspruch erstreckt sich nicht auf vertiefte oder gar „richtige“ rechtliche Ausführungen. Auch eines vorherigen Hinweises auf den vom Oberlandesgericht nur ergänzend und damit nicht tragend herangezogenen Umstand eines möglichen Anspruchsausschlusses wegen Mitverschuldens des Beschwerdeführers bedurfte es nicht.
d) Der Beschluss verletzt den Beschwerdeführer auch nicht in seiner Menschenwürde oder seinem Recht auf freie Entfaltung und auf Achtung und Schutz der Persönlichkeit nach Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 ThürVerf.
Aus den genannten Verfassungsbestimmungen folgt grundsätzlich weder die Pflicht eines Gerichts, die individuelle Vorgeschichte eines Prozessbeteiligten zu erwähnen, noch eine besondere Begründungspflicht. Im Übrigen ist das Oberlandesgericht mit der Inbezugnahme der Ausführung des Landgerichts, dass die Zwangsräumung an diesem Tag mit Unverständnis zur Kenntnis genommen werden könne und von mangelndem Fingerspitzengefühl zeuge, auf das persönliche Schicksal des Beschwerdeführers gerade eingegangen; dass es ihm im vorliegenden Zusammenhang keine maßgebliche rechtliche Relevanz beimaß, ändert hieran nichts.
e) Der Beschluss verletzt den Beschwerdeführer schließlich nicht in seinem Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 5 ThürVerf.
Anders als vom Beschwerdeführer angenommen, ging es im vorliegenden Fall nicht um die Entscheidung von schwierigen oder nicht geklärten oder im hohen Maße streitigen Rechtsfragen. Insbesondere regelt der von ihm angeführte § 758a Abs. 4 Satz 1 ZPO zwar unter anderem, dass der Gerichtsvollzieher eine Vollstreckungshandlung an Feiertagen nicht vornimmt, wenn dies für den Schuldner eine unbillige Härte darstellt. Nach Art. 70 ff., Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ist es Sache der Länder, durch Gesetz Feiertage anzuerkennen. Das Thüringer Feier- und Gedenktagsgesetz (ThürFGtG) unterscheidet ausdrücklich zwischen Feiertagen einerseits und Gedenktagen andererseits. Der 17. Juni ist in § 2a ThürFGtG als Gedenktag für die Opfer des SED-Unrechts eingeordnet. Anders als die gesetzlichen Feiertage ist er aufgrund dieser gesetzgeberischen Entscheidung kein Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung im Sinne von Art. 139 WRV bzw. § 4 ThürFGtG. Der Tatbestand des § 758a Abs. 4 Satz 1 ZPO ist damit unabhängig vom Vorliegen weiterer Tatbestandsmerkmale bereits aus diesem Grund nicht erfüllt. Es handelt sich um eine einfache Subsumtion, die auch in einem Prozesskostenhilfeverfahren vorgenommen werden kann. Die bundesrechtliche Norm des § 758a Abs. 4 Satz 1 ZPO kann nicht durch die Heranziehung von Landesverfassungsrecht einen bundesrechtlich oder landesrechtlich nicht vorgesehenen Inhalt erhalten. Der Begriff des Feiertages ist gesetzgeberisch eindeutig definiert und lässt – anders als ein unbestimmter Rechtsbegriff – keinen Spielraum für die Berücksichtigung etwaiger verfassungsrechtlicher Wertungen.
III.
Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei.
Gegen die Entscheidung ist nach § 25 Abs. 1 ThürVerfGHG kein Rechtsmittel zulässig.


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