Familienrecht

teilweise Entziehung der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB durch einstweilige Anordnung: Fremdunterbringung einer 7-Jährigen zum Schutz vor gewalttätigen Eltern

Aktenzeichen  2 UF 37/19

Datum:
28.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 12852
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1666 Abs. 1
SGB VIII § 27

 

Leitsatz

1. Im Verfahren der einstweiligen Anordnung sind zur Beurteilung einer Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.  (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Relativiert ein 7-jähriges Kind seine früheren glaubhaften Angaben über Schläge durch seine Eltern und Familienangehörige, auf Grund derer es in Obhut genommen wurde, nach seiner Inobhutnahme, kann sein geändertes Aussageverhalten darauf zurückzuführen sein, dass es sich die Schuld für die jetzige Inobhutnahme gibt oder eine Schuldzuweisung befürchtet.  (Rn. 55 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
3. Schlagen Eltern ein Kind aus Überforderung und verharmlosen und bagatellisieren sie diese häuslichen Verhältnisse, so kann die Inobhutnahme zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sein, weil mangels Problemeinsicht der Eltern mildere Mittel ausscheiden.  (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 F 17/19 2019-02-05 Bes AGFORCHHEIM AG Forchheim

Tenor

1. Die Beschwerde des Kindsvaters und die Anschlussbeschwerde der Kindsmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Forchheim vom 05.02.2019 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass auch die Herausgabeanträge zurückgewiesen werden.
2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge, insbesondere des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern für das gemeinsame Kind A. Z., geboren am xx.xx.2012, im Wege der einstweiligen Anordnung.
Die Beteiligten B. Z. und D. Z. sind die Eltern des Kindes A., geboren am xx.xx.2012. Zudem haben die Beteiligten die weiteren gemeinsamen Kinder E. und G.. Die am xx.xx.2001 geborene G. lebt mittlerweile bei ihrem Freund im Haushalt seiner Eltern in der Nähe von T., der am xx.xx.2006 geborene E. lebt noch im Haushalt der Eltern. Die Mutter B. Z. ist Hausfrau und im Alltag primär für die Versorgung und Betreuung der Kinder zuständig, der Kindsvater ist in Vollzeit als LKW-Fahrer tätig und tagsüber unterwegs. Die Familie bewohnt eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus in R.. Ebenfalls im Haus wohnt die Mutter der Kindsmutter.
Auf Antrag des Jugendamts … (Verfahren des Amtsgerichts Forchheim 2 F 221/18) wurde bereits gemäß § 157 FamFG eine Kindeswohlgefährdung erörtert und im Sitzungstermin vom 12.06.2018 vereinbart, dass die Eltern eine sozialpädagogische Familienhilfe annehmen und mit dieser und dem Jugendamt … konstruktiv zusammenarbeiten. Ferner erklärte die Kindsmutter, dass sie psychotherapeutische Hilfe annehmen würde und die bereits in Aussicht genommene Therapie antreten werde.
Hintergrund war die schulverweigernde Arbeitshaltung des Sohnes E., der von 120 möglichen Schultagen zum damaligen Zeitpunkt am 12.04.2018 an insgesamt 40 Tagen gefehlt hatte. Die Tochter G., die damals noch im Haushalt der Eltern lebte, war psychisch erheblich belastet. Das Jugendamt ging von einem dringenden kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsbedarf aus. Der Schulbesuch war problematisch. Ab September sollte sie eine BVB-Maßnahme in U. durchführen.
A. besuchte damals noch den Kindergarten. Bei ihr war eine Epilepsie festgestellt worden, die behandelt wurde.
Zudem stand die strafrechtliche Vorbelastung des Kindsvaters zur regelmäßigen Gefährdungsüberprüfung an. Der Kindsvater war im Juli 2002 wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in zwei tateinheitlichen Fällen, in einem Fall mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Zuvor war er bereits am 23.01.1998 durch das Amtsgericht Erlangen wegen zwei tateinheitlichen Fällen des sexuellen Missbrauchs zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt war, verurteilt worden.
Zuletzt mit Strafbefehl des Amtsgerichts Forchheim vom 02.03.2018 war er wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35,00 Euro verurteilt worden (Az.: 1105 Js 9897/17).
Das Amtsgericht leitete daher zusätzlich zum genannten Verfahren 2 F 221/18 ein Hauptsacheverfahren wegen elterlicher Sorge ein (Az. 2 F 222/18). Dieses Verfahren ist noch anhängig.
Im Rahmen dieses Hauptsacheverfahrens wurde mit Beweisbeschluss vom 12.06.2018 ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit der Eltern beauftragt und mit weiterem Beschluss vom 04.07.2018 die Diplom-Psychologin M. mit dem Gutachtensauftrag betraut.
Daneben wurde auf Anregung der Sachverständigen M. ein psychiatrisches Zusatzgutachten bezüglich des Kindsvaters eingeholt dahingehend, ob beim Kindsvater eine Störung der Sexualpräferenz vorliegt und hierdurch das Wohl des Kindes bzw. der Kinder bei einem Verbleib bei den Eltern gefährdet ist.
Das fachpsychiatrische Gutachten des Dr. O. wurde mittlerweile unter dem 13.02.2019 im Hauptsachverfahren vorgelegt.
Das Gutachten der Sachverständigen M. steht noch aus.
Die Sachverständige M. hatte am 21.11.2018 das Jugendamt … darüber informiert, dass sie im Rahmen ihrer Begutachtung durch ein Gespräch mit A. erfahren habe, dass die Mutter sie schlage. Nach Mitteilung des Jugendamts habe A. geäußert, dass sie auf den Backen, auf den Hintern, auf den Rücken und auf die Beine geschlagen werde. Dies passiere oft bei den Hausaufgaben. Auch der Bruder E. schlage sie und auch der Vater und auch die Oma. Einmal habe sie die Mutter auch eingesperrt und E. habe sie wieder befreit.
Darauf kam es am 29.11.2018 im Rahmen einer Gefährdungsüberprüfung mit den Eltern zu einem Gespräch mit Mitarbeitern des Jugendamtes. Nach Mitteilung des Jugendamts habe die Kindsmutter berichtet, dass sie gegenüber A. nur einmal vor ca. zwei Jahren handgreiflich gewesen sei, als es mit G. und E. zu stressig gewesen sei. Sie habe mit der Hand auf Po und Finger gehauen. Der Kindsvater habe erklärt, dass er A., wenn sie sehr frech sei, einen Klapps auf die Finger geben würde, damit sie spüre, dass sie sich falsch verhalte. Das sei in den letzten Monaten wenige Male vorgekommen. Die Großmutter würde häufiger gegenüber A. handgreiflich werden, z.B. beim gemeinsamen Abendessen.
Das Jugendamt hat sodann am 29.11.2018 eine Schutzvereinbarung mit den Eltern geschlossen, in der die Eltern u.a. erklärten, dass sie ihre Tochter A. gewaltfrei erziehen wollen und vom Jugendamt darüber aufgeklärt worden seien, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schutzvereinbarung vom 29. 11.2018 (Bl. 12 d.A.) Bezug genommen.
Die Diplom-Psychologin M. hat mit Schreiben vom 12.12.2018 Stellung genommen.
Das Jugendamt hat sodann am 08.01.2019 das Kind in Obhut genommen und regte eine Entscheidung des Amtsgerichts durch einstweilige Anordnung an. Die Eltern hätten im Gespräch vom 09.01.2019 der Inobhutnahme widersprochen. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass die bestehende Gefährdung des Kindes A. nicht anders abgewendet werden könne. Auch durch die bereits am 22.08.2018 installierte ambulante Erziehungshilfe in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe hätte die Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht erreicht werden können. A. werde nicht nur in der Hausaufgabensituation durch Schläge, sondern auch z.B. durch die Großmutter beim gemeinsamen Abendessen gemaßregelt. Die Eltern zeigten keinerlei Problemeinsicht. Auch einen Wechsel in die Ganztagesklasse hätten sie abgelehnt.
Der Kindsvater hat in erster Instanz beantragt, das Kind A. Z. an die Eltern D. und B. Z. zurückzugeben.
Das Amtsgericht hat dem Kind A. daraufhin eine Verfahrensbeiständin bestellt und zudem die Sachverständige gebeten, einen Zwischenbericht zu übersenden, in dem zu der Notwendigkeit einer Inobhutnahme des Kindes A. Stellung genommen wird. Mit Schreiben vom 15.01.2019 hat die Sachverständige schriftlich Stellung genommen. Sie gab an, dass A. im Rahmen der Befragungen vom 02.10.2018 und 12.11.2018 angegeben habe, von allen Familienmitgliedern, die derzeit im Hause lebten (Mutter, Vater, E., Oma), geschlagen worden zu sein. Sie betonte auch, dass die Hausaufgabensituation für sie belastend sei. Die Sachverständige führte weiter aus, dass für den Fall, dass das Gericht davon ausgehen sollte, tätliche Übergriffe von Familienmitgliedern gegenüber A. hätten stattgefunden, im Ergebnis ein wesentliches Wiederholungsrisiko bestehe, verbunden mit potenziell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingten Schutz und Betreuungsbedarfs von A. und fehlender Möglichkeit des Kindes zum selbständigen Schutz. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme der Sachverständigen M. vom 15.01.2019 Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat im Termin vom 17.01.2019 die Sachverständige angehört, ferner äußerten sich die Verfahrensbeiständin und die Vertreterin des Jugendamts. Die Kindseltern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk über die nichtöffentliche Sitzung des Amtsgerichts vom 17.01.2019 Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat ferner das Kind A. Z. angehört. Insoweit wird auf den Vermerk vom 22. 01.2019 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 05.02.2019 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Forchheim den sorgeberechtigten Eltern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Recht zur Regelung des Umgangs für das Kind A. Z., geb. am xx.xx.2012, vorläufig entzogen. Soweit den Eltern die Rechte entzogen worden sind, wurde die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die entzogenen Rechte übertragen auf das Landratsamt …, Amt für Jugend, Familie und Senioren.
Das Amtsgericht stützt seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass die Eltern zur Überzeugung des Gerichts nicht in der Lage sind, die bestehende Gefahr für das Kindeswohl von A. abzuwenden. Es bestehe eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich ohne Maßnahme des Familiengerichts bei einer weiteren aktuellen Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes A. mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lasse.
Die Sachverständige M. habe im Rahmen der Begutachtung zurückgemeldet, dass das Kind A. ihr am 02.10.2018 und am 12.11.2018 mitgeteilt habe, dass sie von allen derzeit zuhaue lebenden Familienmitgliedern (Vater, Mutter, E. und Oma) geschlagen worden sei. Das Kind habe auch betont, dass besonders die Hausaufgabensituation belastend sei. Darüber hinaus zeigten sich nach den bisherigen Ergebnissen der Sachverständigenuntersuchung im häuslichen Umfeld bei A. stark expansive und externalisierende Verhaltensmuster, auf die insbesondere die Mutter aufgrund derer starken psychischen Belastung – die auch im Rahmen bislang stattgefundener gerichtlicher Anhörungen deutlich zu Tage getreten seien – nur wenig reagieren könne. Die Sachverständige sehe daher nach derzeitiger Einschätzung die Gefahr, dass im Falle eines Verbleibens des Kindes in der Familie A. einem erhöhtem Risiko ausgesetzt sei.
Das Amtsgericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass mildere Maßnahmen nicht ausreichend sind. Die Eltern würden sich nicht öffnen und es sei unklar, wo genau ambulante Maßnahmen ansetzen könnten.
Das Amtsgericht ist davon überzeugt, dass aktuell eine Gefährdung des Kindeswohls beim Verbleib des Kindes A. im Haushalt der Eltern vorliegt. Mildere Mittel, wie die Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe (die ja bereits bestehe) sowie die Ganztagsbeschulung des Kindes seien zum Schutz des Kindes nicht ausreichend. Das Amtsgericht habe keine Zweifel, dass die körperlichen Übergriffe auf das Kind tatsächlich erfolgt sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 05.02.2019 Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Verfahrensbevollmächtigten des Kindsvaters am 05.02.2019 per Telefax zugegangen ist, legte dieser mit Schriftsatz vom 05.02.2019, eingegangen beim Amtsgericht Forchheim am 05.02.2019 im Namen des Kindsvaters Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und anzuordnen, dass das Kind A. sofort an die Eltern herauszugeben sei.
Er wendet sich gegen die Inobhutnahme und führt aus, dass möglicherweise die Eltern aufgrund des Förderbedarfs dazu zu verpflichten gewesen seien, einer Ganztagsbeschulung ihres Kindes zuzustimmen. Nur aufgrund der Tatsache, dass die Eltern (jedenfalls auf die Schnelle) nicht bereit gewesen seien, dieser Maßnahme zuzustimmen, könne eine so schwere Beeinträchtigung sowohl des Kindeswohls auch der Rechte der Eltern durch Inobhutnahme und nunmehr durch teilweise Entziehung der elterlichen Sorge nicht gerechtfertigt werden.
Das Beschwerdegericht hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Die Verfahrensbeiständin hat Schriftsatz vom 12.02.2019 mitgeteilt, dass A. lange gebraucht habe, um in der Pflegefamilie ein wenig anzukommen. Die Pflegeeltern hätten berichtet, dass sie viel geweint habe und immer Angst gehabt hätte, dass die Mutter sich jetzt Sorgen machen könnte. Sie habe mitgeteilt, sie werde nicht geschlagen. Die Pflegemutter würde berichten, dass A. selbst bei den belanglosesten Fragen immer angebe, dies sei ein Geheimnis. Die Unsicherheit vor Erlass des Beschlusses, wie es weitergehen werde, habe sie sehr verunsichert und beunruhigt. Nun sei sie eher offen für Planungen der Tage. Die Verfahrensbeiständin regt eine Lösung an, die dahin geht, dass A. bis zum Vorliegen des Gutachtens bzw. zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch in der Pflegefamilie verbleibt und danach eine dauerhafte Lösung gefunden wird. Dies würde A. einen möglichen weiteren Wechsel des Wohnortes ersparen, der sicherlich auch nicht zu ihrem Wohl wäre. Eine Lösung über die angedachte Ganztagsbeschulung wird als wenig zielführend von der Verfahrensbeiständin erachtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Verfahrensbeiständin vom 12.02.2019 Bezug genommen.
Der Beschwerdeführer hat in der Folgezeit ergänzend Stellung genommen. Er führt im Wesentlichen aus, dass eine Kindeswohlgefährdung nicht vorliege. Nach Abschluss der Schutzvereinbarung mit dem Jugendamt habe es keinerlei gravierenden Vorfälle gegeben, die eine Ausweitung der jugendamtlichen Maßnahmen bis hin zur tatsächlich erfolgten Inobhutnahme auch nur ansatzweise rechtfertigen könnte.
Die Eltern hätten zudem erklärt, dass sie ihre Tochter nicht schlagen würden. A. selbst habe gegenüber der Verfahrenspflegerin als auch bei der gerichtlichen Anhörung erklärt, nicht geschlagen worden zu sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf den Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten des Kindsvaters vom 14.02.2019 Bezug genommen.
Das Jugendamt hat mit Schreiben vom 19.02.2019 im Beschwerdeverfahren Stellung genommen und hält weiterhin die Aufrechterhaltung der Inobhutnahme für dringend notwendig, um A. weiterhin vor körperlicher Gewalt im familiären Kontext zu schützen. Insoweit wird auf die schriftliche Stellungnahme vom 19.02.2019 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 26.02.2019 hat die Kindsmutter Anschlussbeschwerde erhoben und beantragt, den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Kindesherausgabe anzuordnen. Sie bezieht sich insoweit auf die Ausführungen des Kindsvaters.
Das Beschwerdegericht hat am 28.02.2019 einen Erörterungstermin durchgeführt und darüber hinaus das Kind A. durch die Mitglieder des Senats angehört.
Im Termin hatten die Kindeseltern Gelegenheit zur Stellungnahme. Zudem wurde die Sachverständige zunächst als Zeugin zu ihren Wahrnehmungen angehört und darüber hinaus als Sachverständige bestellt und angehört. Weiterhin hatten Jugendamt und Ergänzungspflegerin Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk über die nichtöffentliche Sitzung vom 28.02.2019 und den Vermerk über die Kindesanhörung vom 28.02.2019 Bezug genommen.
Das Beschwerdegericht hat zudem die Verfahren 2 F 221/18 und 2 F 222/18 des Amtsgerichts -FamiliengerichtForchheim sowie das Strafverfahren 1105 Js 9897/17 des Amtsgerichts Forchheim beigezogen, dies den Beteiligten bekannt gemacht und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
Die Beschwerde des Kindsvaters ist zulässig (§§ 58 ff. FamFG), ebenso die Anschlussbeschwerde der Kindsmutter (§ 66 FamFG), in der Sache sind jedoch beiden Beschwerden nicht begründet.
Auch der Senat ist davon überzeugt, dass hier eine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliegt, weil es gegenüber A. zu wiederholten körperlichen Übergriffen insbesondere durch die Eltern und die Großmutter gekommen ist und weitere Gefährdungshandlungen drohen. Er nimmt vollumfänglich auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug. Im übrigen wird ergänzend ausgeführt:
Eine Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
So liegt der Fall hier.
Auch der Senat ist davon überzeugt, dass das Kind A. in der Vergangenheit mehrfach und regelmäßig von den Eltern, aber auch von der Großmutter und vom Bruder E. geschlagen worden ist. Die Sachverständige M. hat im Rahmen ihrer Begutachtung im Hauptsacheverfahren des Amtsgerichts Forchheim, Az. 2 F 222/18, A. mehrfach gesehen und im Termin vor dem Senat ausführlich und nachvollziehbar erklärt, wie es zu den Äußerungen A.s gekommen ist. Hierbei gab die Sachverständige die sorgfältig dokumentierten Gesprächsverläufe mit A. wieder, so dass sich der Senat ein genaues Bild davon machen konnte, wie es zu den Angaben gekommen ist. Die Angaben A.s sind letztlich erlebnisfundiert und der Senat zweifelt nicht daran, dass diese Angaben auch zutreffen.
Die Sachverständige hat ausgeführt, dass im Rahmen des zweiten Hausbesuches am 02.10.2018 A. von sich aus auf die Frage, wie es jetzt zu Hause laufe, erzählt habe, dass es schlecht laufe, da sie die M’s (gemeint war der Buchstabe M) nicht kenne und sie dann schreie und deshalb von ihrer Mutter geschlagen werde. Auf Frage der Sachverständigen habe sie dann auf ihre Arme und ihre Beine gezeigt und gesagt, dass sie dahin geschlagen werde. Auf die Frage, ob sie auch von anderen geschlagen werde, habe sie gesagt, dass der Kindsvater sie auch schlage und dass die Oma sie anbrülle und auch schlage.
Beim nächsten Hausbesuch am 12.11.2018, so die Diplom-Psychologin M., habe A. offensichtlich unter dem Eindruck der Hausaufgabensituation gestanden. Sie habe sie zunächst gefragt, wie es in der Schule laufe. Dort laufe es gut. Auf die Frage, wie es zu Hause laufe, habe A. erklärt, „nicht gut, weil ich die Hausaufgaben nicht machen will“. Auf Nachfrage, wie ein Tagesablauf aussehe, hat A. dann diesen berichtet. Die Sachverständige habe dann gefragt, wie das denn sei, wenn sie die Hausaufgaben nicht machen wolle. A. habe dann erklärt, die Mutter mache dann „Patsch-Bum-Patsch“, wobei sich A. hierbei selbst in das Gesicht und auf Arme und Beine geschlagen habe. An jenem Tag hat A. der Sachverständigen auch erzählt, dass ihre Mutter sie im Zimmer eingesperrt habe. Auf die erneute Frage, ob sie auch von anderen geschlagen werde, hat sie gegenüber der Sachverständigen erklärt, ihr Vater sage: „Willst du eine Backpfeife?“ und habe sie ohne Anlass auf den Kopf gehauen. Zur Großmutter sagte sie: „Die blöde Kuh, die schlägt mich immer“ und zeigte auf ihr Gesicht, Bauch und Rücken. Weiterhin werde sie auch von E., ihrem Bruder, geschlagen.
Das Beschwerdegericht hat keinerlei Zweifel an den Angaben der Sachverständigen, die die Äußerungen A.s genau und sorgfältig wiedergegeben hat. Sie hat ausführlich dargestellt, wie es zu den Äußerungen des Kindes gekommen ist. Insbesondere wurde deutlich, dass sie dem Kind – zumal sie hierfür zumindest zu Beginn auch keinerlei Anlass hatte – nichts in den Mund gelegt hat, sondern es ist klar ersichtlich, dass es im normalen Gespräch und der Nachfrage nach den Hausaufgaben bzw. der Situation zu Hause letztlich zu dem eigenständigen Bericht A.s kam.
Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die Angaben A.s ihrer Einschätzung nach zu großen Teilen erlebnisfundiert waren und dass sie keinerlei Anhaltspunkte dafür hatte, weshalb das Kind diese Angaben hätten machen sollen, ohne dass diese zuträfen. Sie kannte das Kind zu dem Zeitpunkt schon und hatte nicht den Eindruck, dass es „fabuliert“.
Dies deckt sich mit dem Eindruck des Senats nach der heutigen Kindesanhörung, der die Angaben A.s für tatsächlich zutreffend und richtig hält. Das Kind war lebhaft und hat von sich aus viele Dinge erzählt. Es machte einen recht ausgeglichenen Eindruck, solange das Gespräch nicht auf die Situation daheim kam. Als das Kind auf die Hausaufgabensituation angesprochen wurde, erklärte es in der richterlichen Anhörung, dass die Pflegeeltern S. und P. ihr helfen. Die würden das gut machen. In dem Moment, als nach der Hausaufgabensituation daheim gefragt wurde, erstarrte das Kind fast und wurde traurig und erklärte letztlich, hierzu nichts sagen zu wollen. Das sei ein Geheimnis. A. wollte nicht über zuhause reden. Da müsse sie weinen. Das Kind zeigte sich insoweit extrem belastet.
Auf Nachfrage erklärte A. dann aber wiederum klar, dass sie nicht weine, weil sie mit S. und P. (den Pflegeeltern) weggehe. Das habe mit denen nichts zu tun.
Auch der Senat hatte daher nicht den Eindruck, dass A. Dinge erzählte, die so nicht zutrafen. Vielmehr konnte sie klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, was sie meint.
Hinzu kommen die ergänzenden Angaben der Sachverständigen, die im heutigen Termin noch von einem weiteren Gespräch von A. im Haus der Pflegeeltern im Februar 2019 berichtet hat. A. hat im Rahmen dieses Gesprächs die Schläge der Eltern zwar nicht zurückgenommen, aber von sich aus stark relativiert. A. habe etwa auch nach der Frage auf die „Backpfeife“ gefragt, woher die Sachverständige dies wisse und auf die Frage, ob das früher wehgetan habe, habe sie geantwortet: „Jetzt nicht mehr“.
A. war nach den Angaben der Sachverständigen in jenem Gespräch in ihrem Antwortverhalten oft blockiert. Die Sachverständige erklärte, dass sie davon ausgehe, dass A. sich die Schuld für die jetzige Situation, die Inobhutnahme, zuweist.
Diese Einschätzung teilt der Senat. Diese relativierenden Angaben A.s sind erklärlich, weil sie sich nach dem Eindruck des Senats in einem schweren Konflikt befindet. Auf der einen Seite will A. definitiv die Situation daheim, d.h. die Gewalt, die sie erfahren hat, nicht wieder erleben, auf der anderen Seite traut sie sich nicht mehr über die Dinge zu sprechen, da ihr dann die Schuld für die Inobhutnahme gegeben wird.
Die Kindseltern sind letztlich überhaupt nicht einsichtig und verharmlosen das Geschehen daheim. Im Termin vom 28.02.2019 haben sie jegliche Schläge verneint bzw. bestritten. Der Kindsvater behauptet grundlos, dass die Sachverständige nicht die Wahrheit sage. Noch im Gespräch mit dem Jugendamt am 29.11.2018 hatten die Kindseltern zumindest einzelne Schläge bzw. „Klapse“ zugegeben. Dieses Verhalten bzw. dieses Aussageverhalten zeigt, dass beide Kindseltern es völlig verharmlosen und bagatellisieren, dass A. geschlagen wird. Der Kindsvater hat im Termin insbesondere darauf abgestellt, dass keine sichtbaren Spuren bei A. zu sehen gewesen seien.
Ihm ist offensichtlich überhaupt nicht klar, dass das Kind auch psychisch unter Druck steht, wenn es immer dann damit rechnen muss, geschlagen zu werden, wenn es etwas „falsch macht“. Auch die Hausaufgabensituation, die für ein Schulkind völlig normal sein sollte, war für A. im Hause der Eltern offensichtlich nicht nur eine schwierige, sondern eine bedrohliche Situation. Sie hat gegenüber der Sachverständige sofort erklärt, dass es nicht gut laufe und sie hat von den Schlägen berichtet. Gegenüber dem Senat wurde sie bei der Frage nach der Hausaufgabensituation daheim traurig, wollte nichts dazu sagen und wirkte extrem belastet.
Die Sachverständige ist daher auch der Auffassung, dass aufgrund der fehlenden Problemeinsicht bei den Kindseltern ambulante Hilfen ins Leere laufen.
Da die Eltern nicht einsichtig sind und auch keinen Fehler bei sich sehen, teilt das Beschwerdegericht diese Auffassung. Mildere Mittel als die Inobhutnahme sind daher nicht ersichtlich und zum Schutz des Kindes dringend erforderlich. Es besteht – auch nach der Schutzvereinbarung mit dem Jugendamt – die konkrete Gefahr, dass es, sollte das Kind zurück in den elterlichen Haushalt kehren, zu weiteren Schädigungen des Kindes durch weitere körperlichen Übergriffe kommt. Hierbei ist die körperliche Unversehrtheit wie auch die seelische Unversehrtheit des Kindes gefährdet. Es ist nicht zu erwarten, dass die Eltern ausreichende Maßnahmen unternehmen werden, um ihr Verhalten zu ändern. Sie habe das auch bisher nicht getan. Die Kindsmutter hat zwar angegeben, dass sie demnächst in Therapie gehen wird, da sie offensichtlich durch die Gesamtsituation überfordert ist. Wann das sein wird, ist aber unklar. Eine Therapie steht schon seit ungefähr einem Jahr an. Die Überforderungssituation der Kindsmutter zeigt sich offensichtlich darin, dass sie das Kind A. schlägt. Aber auch die anderen Familienmitglieder schlagen nach der Überzeugung des Senats das Kind, so dass die Gefährdungssituation immanent ist.
Diese Erziehungsmethoden sind keinesfalls hinzunehmen und können letztlich nicht verharmlost werden, nur weil die Schläge nicht zu schwerwiegenden Verletzungen führten. Das Kind A. ist durch die Gewalterfahrung bereits belastet. Da die Kindseltern trotz der installierten sozialpädagogischen Familienhilfe keinerlei Änderungen im Erziehungsverhalten zeigten, sondern es in diesem Kontext zu den Schlägen kam, sind mildere Maßnahmen als die vorgenommene Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge nicht ausreichend, um der Kindeswohlgefahr zu begegnen.
Demzufolge waren die Beschwerde des Kindsvaters und die Anschlussbeschwerde der Kindsmutter sowie die Herausgabeanträge zurückzuweisen.
Es verbleibt bei der vom Amtsgericht vorgenommenen Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge. Jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens sind mildere Maßnahmen nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG. Da auch der Herausgabeantrag verfahrensgegenständlich war, ist der Verfahrenswert auf 3.000,00 Euro festzusetzen (jeweils halber Wert der Hauptsache, § 41 FamGKG).


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