Familienrecht

Unterhaltspflichtiger Elternteil beantragt Unterhaltsabänderung – Ergänzungspfleger muss nicht bestellt werden

Aktenzeichen  7 UF 872/18

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2019, 295
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1629 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2, § 1692, § 1909
FamFG § 58 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Befindet sich ein minderjähriges Kind in der Obhut eines Elternteils, ist dieser gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB auch dann berufen, Unterhaltsansprüche des Kindes geltend zu machen oder das Kind in einem gegen dieses gerichteten Abänderungsverfahren zu vertreten, wenn, beim im Übrigen gemeinsamer elterlicher Sorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind im Wege der einstweiligen Anordnung dem anderen Elternteil übertragen worden ist. Der Bestellung eines Ergänzungspflegers für ein von dem bisherigen barunterhaltspflichtigen Elternteil angestrebtes Unterhaltsabänderungsverfahren bedarf es daher in diesen Fällen nicht. (Rn. 21 – 22)
2. Der Begriff der Obhut im Sinn des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB wird ausschließlich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. (Rn. 23)

Verfahrensgang

107 F 585/18 2018-05-27 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Stadt N…, Stadtjugendamt, wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 27.5.2018 aufgehoben.
2. Die Beschwerde der Beteiligten S… S…l gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 27.5.2018 wird als unzulässig verworfen.
3. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen, außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und die Beteiligte S… S… sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des Kindes D… F…, geboren am … Von den Eltern ist am 15.7.2011 eine gemeinsame Sorgeerklärung für das Kind abgegeben worden. Der Antragsteller hat sich zur Niederschrift des Amtes für Jugend, Familie und Bildung der Stadt L… am 27.9.2012 unter der Urk.-Nr. … verpflichtet, für das gemeinsame Kind D… ab 1.10.2012 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 128% des Mindestunterhalts abzüglich der Hälfte des staatlichen Kindergeldes zu bezahlen.
Seit der Trennung seiner Eltern im März 2013 lebt D… bei seiner Mutter. Seit Ende 2017 halten sich die Beteiligte S… S… und D… in der U… auf.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg hat in dem Verfahren … dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind D… zur alleinigen Ausübung übertragen.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 3.1.2018 bei dem Amtsgericht – Familiengericht – L… beantragt, auszusprechen, dass er mit Wirkung ab dem 1.12.2017 nicht mehr zur Zahlung von Kindesunterhalt für D… verpflichtet sei und die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Amtes für Jugend, Familie und Bildung der Stadt L…, Urk.-Nr. … vom 27.9.2012 mit Wirkung ab dem 1.12.2017 eingestellt werde.
Das Amtsgericht – Familiengericht – L… erklärte sich mit Beschluss vom 20.2.2018 für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg hat mit Beschluss vom 27.5.2018, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, für das Kind D… Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Stadt N…, Stadtjugendamt, zum Ergänzungspfleger bestellt.
Gegen diese Entscheidung, welche ihr am 18.6.2018 zugestellt worden ist, hat die Stadt N…, Stadtjugendamt, mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 3.7.2018, eingegangen per Fax bei dem Amtsgericht Nürnberg an diesem Tag, Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft sei nicht erforderlich, weil sich das Kind mit ausdrücklicher Genehmigung des Antragstellers bei der Mutter aufhalte und diese auch die tatsächliche Fürsorge für das Kind erbringe. Durch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf den Antragsteller werde die Vertretungsbefugnis der Eltern für das Kind in Unterhaltsangelegenheiten nicht tangiert.
Den übrigen Verfahrensbeteiligten ist im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör eingeräumt worden.
II.
Die zulässige Beschwerde der Stadt N…, Stadtjugendamt, führt zur Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 27.5.2018.
1. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 27.5.2018 findet die Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG statt.
Bei der Entscheidung vom 27.5.2018, mit welcher für das Kind D… Ergänzungspflegschaft angeordnet und ein Ergänzungspfleger bestellt worden ist, handelt es sich um eine Endentscheidung i. S. des § 58 Abs. 1 FamFG und nicht etwa lediglich um eine die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens vorbereitende Zwischenentscheidung im Unterhaltsverfahren, welche einer gesonderten Anfechtung nicht zugänglich wäre. Für diese Wertung ist ausschlaggebend, dass die Entscheidung, ob das Kind D… F… in dem vorliegenden Unterhaltsverfahren von seiner Mutter gesetzlich vertreten wird oder die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich ist, in einem grundsätzlich selbständigen Verfahren zu treffen war, welches für das vorliegende Unterhaltsstreitverfahren lediglich präjudizielle Wirkung hat. Das Verfahren über die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft auf der Grundlage der §§ 1692, 1909 BGB ist mit der Entscheidung des Amtsgerichts vom 27.5.2018 abgeschlossen worden. Es handelt sich daher um eine Endentscheidung in einer Kindschaftssache gemäß § 151 Nr. 5 FamFG. Als solche unterliegt sie grundsätzlich dem Rechtsmittel der Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG.
Die Stadt N…, Stadtjugendamt, ist i. S. des § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, weil ihr mit der Entscheidung des Amtsgerichts die Verpflichtung der Vertretung des Kindes in dem vorliegenden Unterhaltsstreitverfahren auferlegt worden ist.
Die Beschwerde ist auch im Übrigen form- und fristgerecht erhoben worden.
2. In der Sache führt die Beschwerde zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
2.1. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist allerdings nicht bereits deshalb aufzuheben, weil sie von der für das Unterhaltsverfahren zuständigen Richterin und nicht von dem zuständigen Rechtspfleger erlassen worden ist.
Jedenfalls dann, wenn D… auch deutscher Staatsangehöriger sein sollte, wäre für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 3 Nr. 2 RPflG der Rechtspfleger zuständig gewesen. Etwas anderes würde gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 10 RPflG nur gelten, wenn D… alleine die u… Staatsangehörigkeit besitzen würde.
Letztlich bedarf es insoweit allerdings keiner weiteren Aufklärung, weil die für das Unterhaltsstreitverfahren zuständige Richterin gemäß § 6 RPflG berechtigt war, die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Ergänzungspflegschaft an sich zu ziehen, die Entscheidung jedenfalls aber gemäß § 8 Abs. 1 RPflG wirksam ist.
2.2. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist dennoch aufzuheben. Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft war nicht erforderlich, weil das Kind D… in dem vorliegenden Unterhaltsstreitverfahren gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB von seiner Mutter vertreten wird.
Die genannte Vorschrift lautet:
„Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, so kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen.“
Sie enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei gemeinsamer elterlicher Sorge das Kind nur von beiden Elternteilen gemeinsam vertreten werden kann. Voraussetzung ist zunächst, dass die Eltern ansonsten die elterliche Sorge für das Kind, um dessen Unterhalt es geht, gemeinsam ausüben. Grundsätzlich steht die elterliche Sorge für D… dem Antragsteller und der Beteiligten S… S… aufgrund gemeinsamer Sorgeerklärung vom 15.7.2011 zur gemeinsamen Ausübung zu, § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB.
Allerdings hat das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg inzwischen mit Beschluss vom 16.11.2017 dem Vater im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind D… zur alleinigen Ausübung übertragen. Eine von der gemeinsamen elterlichen Sorge abweichende Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes führt jedoch, wenn und solange hierdurch das tatsächliche Obhutsverhältnis nicht tangiert wird, nicht zu einer Beeinträchtigung der alleinigen Vertretungsbefugnis des Elternteils in Unterhaltsstreitigkeiten, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Wie bereits dargestellt, regelt § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Sonderfall der gesetzlichen Vertretung eines Kindes in Unterhaltsstreitigkeiten. Eine von der gemeinsamen elterlichen Sorge abweichende Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts – noch dazu, wenn sie im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgt – hat keinen unmittelbaren Bezug zum Kindesunterhalt. Die Vertretungsbefugnis eines Elternteils gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB besteht also auch dann, wenn sich das Kind in seiner Obhut befindet und er darüber hinaus auch alleiniger Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für das Kind ist. Durch die Regelung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht wird insoweit das Obhutsverhältnis dieses Elternteils sogar noch rechtlich untermauert, weshalb es unverständlich wäre, wollte man einem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet und der zugleich auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind inne hat, die alleinige Vertretungsbefugnis in Angelegenheiten des Kindesunterhalts absprechen.
Muss die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Frage des Zusammentreffens von Obhut und alleiniger Aufenthaltsbestimmungsbefugnis für die Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB außer Betracht bleiben, kann für den Fall, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Obhutsverhältnis auseinanderfallen, keine grundsätzlich andere Rechtsfolge gelten. Die Anwendung des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB scheitert daher in Fällen der von der gemeinsamen Sorge abweichenden gerichtlichen Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes nicht daran, dass das Erfordernis der „gemeinsamen elterlichen Sorge“ nicht erfüllt wäre (vgl. Staudinger/Peschel-Gutzeit (2007), Rn. 232 ff. zu § 1629 BGB; OLG Stuttgart, FamRZ 2017, 282, Rn. 3 und 26).
2.3. Die gesetzliche Vertretungsbefugnis gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 2 BGB umfasst grundsätzlich auch die Vertretung des Kindes im Passivverfahren, gilt also auch, wenn ein Abänderungsantrag gegen das Kind gerichtet ist.
2.4. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob sich das Kind D… in der Obhut der Beteiligten S… S… befindet. Diese Frage ist eindeutig zu bejahen. Der Begriff der Obhut ist ausschließlich von den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Es kommt daher alleine darauf an, unter wessen Aufsicht und Sorge ein Kind tatsächlich lebt. Dies ist in dem konkreten Fall zweifelsfrei die Beteiligte S… S… . D. lebt seit der Trennung der Eltern im Jahr 2013 mit seinem Lebensmittelpunkt und gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter. Seit Ende 2017 hält er sich zusammen mit der Mutter in der U… auf; seither bestehen zum Vater keinerlei unmittelbare Kontakte mehr. Darauf, dass der Vater D… zwischenzeitlich wohl unter seiner eigenen Anschrift in L… mit Wohnsitz angemeldet hat und auch darauf, ob der gegenwärtige Aufenthalt des Kindes bei der Mutter berechtigt ist oder möglicherweise i. S. des HKÜ widerrechtlich, kommt es für die Frage, ob das Kind sich in der Obhut der Mutter befindet, daher nicht an (vgl. Staudinger/Peschel-Gutzeit a.a.O., Rn. 337 zu § 1629 BGB).
III.
Auch die Beteiligte S… S… hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 27.5.2018 mit Schreiben vom 10.7.2018, eingegangen bei dem Amtsgericht Nürnberg am 17.7.2018, Beschwerde erhoben, mit welcher sie geltend macht, das Amtsgericht habe ihr zu Unrecht die Vertretungsbefugnis für das gemeinsame Kind in dem rechtshängigen Unterhaltsverfahren entzogen. Zur weiteren Begründung der Beschwerde wird auf Bl. 52/53 d. A. Bezug genommen.
Die Beschwerde der Beteiligten S… S… ist gemäß §§ 58 ff FamFG statthaft, weil durch die Entscheidung des Amtsgerichts in das elterliche Sorgerecht der Beteiligten eingegriffen wird. Die Beteiligte ist danach auch beschwerdeberechtigt i. S. des § 59 Abs. 1 FamFG.
Die Beschwerde ist dennoch als unzulässig zu verwerfen, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Der Beschluss vom 27.5.2018 ist der Beschwerdeführerin am 14.6.2018 zugestellt worden. Die Beschwerdefrist von einem Monat begann mit der Zustellung des Beschlusses zu laufen, § 63 Abs. 1 und 3 FamFG. Da der 14.7.2018 ein Samstag war, hätte die Beschwerde fristgerecht noch bis zum Ablauf des 16.7.2018 erhoben werden können. Tatsächlich ist die Beschwerdeschrift jedoch erst am 17.7.2018 und damit verspätet, bei dem Amtsgericht eingegangen.
Die Beschwerdeführerin ist mit Verfügung der Vorsitzenden des Senats vom 17.7.2018 auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hingewiesen worden. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 FamGKG, § 81 FamFG.
Die Entscheidung zum Verfahrenswert beruht auf §§ 40, 46 FamGKG.
Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt, weil die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nicht vorliegen.


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