Familienrecht

Verkehrsunfall, Nachlasspflegschaft, Erbengemeinschaft, Zahlung, Nachlass, Klage, Zinsen, Anwaltskosten, Teilklage, Forderung, Kinder, Anspruch, Kind, Schaden, vorgerichtlicher Anwaltskosten

Aktenzeichen  35 O 1590/19

Datum:
13.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49774
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von 20.941,62 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.12.2019 an die Erbengemeinschaft (…) zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 49% und die Beklagte 51%.
IV. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und teilweise in Höhe der Kosten für die Nachlasspflegschaft begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet und war demnach abzuweisen.
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Memmingen ist insbesondere sachlich gemäß den §§ 23, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gem. § 20 StVG zuständig.
B.
I. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 20.941,62 EUR als Kosten für die Nachlasspflegschaft an die Erbengemeinschaft, §§ 7 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
Die Klägerin ist bezüglich dieses Anspruchs aktivlegitimiert. Dies ergibt sich aus § 2039 BGB. Demnach kann jeder Miterbe die Leistung an alle Erben fordern.
Die Kosten für die Nachlasspflegschaft sind eine unmittelbare Folge des tödlichen Verkehrsunfalls des Erblassers und stellen damit einen ersatzfähigen Schaden dar, § 249 BGB. Die Nachlasspflegschaft war auch erforderlich, da ein Bedürfnis im Sinne des § 1960 Abs. 1 BGB bestand. Dieses Bedürfnis ergibt sich bereits daraus, dass die Erbengemeinschaft aus zwei minderjährigen Kindern und einem noch nicht geborenen Kind bestand und damit handlungsunfähig war. Die Bedürftigkeit wurde in der Vergangenheit bereits durch das Amtsgericht Aichach am 19.03.2019 im Festsetzungsbeschluss festgestellt (Anlage K 4). In diesem Beschluss wurden auch die Kosten für den geltend gemachten Zeitraum vom 19.01.2018 bis 22.01.2019 in Höhe von 20.941,62 EUR festgesetzt.
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass diese Kosten aus dem Nachlass beglichen wurden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem vom Klägervertreter vorgelegten Schreiben der Rechtsanwältin S. vom 20.07.2020, worin diese bestätigt, die Zahlung erhalten zu haben. Darüber hinaus ergibt sich dies auch aus dem vorgelegten Kontoauszug der Zeugin (…), aus welchem mit Datum vom 01.04.2019 eine Zahlung von 20.941,62 EUR mit dem Betreff „(…) Nachlass, Honorarnachlass (…), Beschluss vom 19.03.219“ hervorgeht. Vernünftige Zweifel daran, dass die Kosten für die Nachlasspflegschaft nicht aus dem Nachlass beglichen wurden, hat das Gericht nicht. Eine Vernehmung der Zeugin (…) konnte unter diesem Hintergrund unterbleiben.
II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB.
Nach Auffassung des Gerichts fällt die Klägerin bereits nicht unter den anspruchsberechtigten Personenkreis. Hierunter fallen gem. § 844 Abs. 3 S. 1 BGB Personen, die zum Zeitpunkt der Verletzung zu dem Getöteten, in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, wobei gem. Satz 2 der Vorschrift ein solches Näheverhältnis bei Ehegatten, Lebenspartnern, Elternteilen oder dem Kind des Getöteten vermutet wird. Zwar handelt es sich bei der Klägerin um das leibliche Kind des Getöteten, jedoch war sie zum Zeitpunkt des Todes noch nicht geboren, sondern „lediglich“ gezeugt (sog. Nasciturus). Der Nasciturus, der noch keine Bindung zu dem verstorbenen Elternteil aufgebaut haben kann, ist aber nicht vom Schutzbereich umfasst (vgl. BeckOK, BGB/Spindler, 53. Edition vom 01.02.2020, § 844 Rn 43 mit weiteren Fundstellen). Voraussetzung für ein besonderes persönliches Näheverhältnis ist nämlich zum einen eine tatsächlich gelebte soziale Beziehung (persönliche Nähe), die zum anderen besonders eng ist, das heißt in ihrer Intensität deutlich über übliche Verbindungen in der Sozialsphäre hinaus geht (vgl. Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 844, Rn 22). Allein aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin zum Todeszeitpunkt ihres Vaters noch nicht geboren war, ergibt sich bereits, dass sie eine soziale Beziehung zum Vater nie tatsächlich gelebt haben kann. Eine nie gelebte tatsächliche soziale Beziehung kann dann aber auch nicht besonders eng, also in ihrer Intensität deutlich über üblichen Verbindungen in der Sozialsphäre hinaus sein. Der Ansicht der Klägerin, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis nicht zwingend voraussetzt, dass einem der andere Mensch als Person bekannt ist, folgt das Gericht nicht. Das Gericht sieht dies vielmehr als Widerspruch zu dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „besonderes persönliches Näheverhältnis“. Selbiges gilt auch für das Argument, dass Kinder bereits ab der 10 Schwangerschaftswoche Hirntätigkeit entfalten und im weiteren Verlauf der Schwangerschaft auch Stimmen erkennen und unterscheiden können. Die bloße Kenntnis der Stimmen der Eltern begründet nach Auffassung des Gerichts noch lange kein besonderes persönliches Näheverhältnis. Ein solches muss vielmehr durch einen tatsächlich gelebten Umgang, gegenseitiges Vertrauen und einer inneren Verbindung der Personen begründet werden. Dies ist bei einem ungeborenen Kind jedoch alles nicht der Fall. Die Tatsache, dass ungeborene Kinder bereits teilweise rechtsfähig sind, steht dem nicht entgegen. In § 844 Abs. 2 S. 2 BGB wird dem ungeborenen Kind beispielsweise explizit ein Anspruch auf Zahlung von Unterhalt gegenüber dem Schädiger eingeräumt. Eine vergleichbare Regelung gibt es in § 844 Abs. 3 BGB jedoch nicht.
Nachdem die Klage hinsichtlich des Hinterbliebenengeldes unbegründet ist, war sie insoweit abzuweisen.
III. Der Zinsanspruch hinsichtlich der Kosten für die Nachlasspflegschaft ergibt sich aus den §§ 288, 291 ZPO.
Die Klage wurde der Beklagten am 14.12.2019 zugestellt, sodass Rechtshängigkeit und Zinsanspruch damit am dem 15.12.2019 gegeben sind.
IV. Ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nicht, da sich die Beklagte hinsichtlich der Kosten für die Nachlasspflegschaft nicht in Verzug befand. Zumindest wurden die Voraussetzungen des Verzugs von der Klägerin nicht nachgewiesen. So fehlt es an Vortrag dazu, dass der Beklagten vorgerichtlich eine Frist zur Zahlung der Kosten für die Nachlasspflegschaft gesetzt wurde, die fruchtlos verstrichen ist. In dem vorgelegten vorgerichtlichen Schreiben vom 20.03.2019 (Anlage K 2) wurde die Beklagte nämlich nur zur Zahlung von Kindesunterhalt und Hinterbliebenengeld, sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Hinblick auf diese Beträge aufgefordert. Eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der Kosten für die Nachlasspflegschaft in Höhe von 20.941,62 EUR enthält dieses Schreiben jedoch nicht. Weitere vorgerichtliche Schreiben an die Beklagte liegen dem Gericht nicht vor.
C.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.


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