Familienrecht

Versorgungsausgleich: Abänderungsverfahren beim Vorversterben des insgesamt ausgleichsberechtigten Ehegatten; Unzulässigkeit wegen Überkompensation

Aktenzeichen  11 UF 827/20

Datum:
27.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2021, 492
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VersAusglG § 51 Abs.
FamFG 225 Abs. 4
SGB VI § 5, § 6, § 50 Abs. 1, § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Im Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG ist auch die Vorschrift über den Tod eines Ehegatten (§ 31 VersAusglG) anzuwenden. Ein Versorgungsausgleich findet nicht mehr statt, wenn der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte nach dem Versterben des ausgleichsberechtigten Ehegatten unter den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 4 VersAusglG die Abänderung beantragt. (Rn. 16)
2. Allein die fiktive Erfüllung einer Wartezeit nach § 51 Abs. 5 VersAusglG i. V. m. § 225 Abs. 4 FamFG eröffnet dem insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten aber keinen Zugang zum Abänderungsverfahren. (Rn. 17 – 19)

Verfahrensgang

4 F 1355/19 2020-07-07 Bes AGERLANGEN AG Erlangen

Tenor

1. Die Beschwerde gegen den am 07.07.2020 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erlangen wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Abänderung eines vor dem 01.09.2009 durchgeführten Versorgungsausgleichs auf Antrag des per saldo ausgleichsverpflichteten Ehegatten nach dem Tod des Ausgleichsberechtigten.
Die am 21.01.1977 geschlossene Ehe der Antragstellerin mit ihrem früheren Ehemann wurde durch Endurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Erlangen vom 29.03.1993 geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt. Zu Lasten der Versorgung der Antragstellerin bei der Bezirksfinanzdirektion wurden auf dem Konto des Ehemanns Rentenanwartschaften von 511,10 DM bezogen auf den 30.11.1991 begründet. Dieser Entscheidung lagen ehezeitliche gesetzliche Rentenanwartschaften der Ehefrau in Höhe von monatlich 31,54 DM und des Ehemanns von monatlich 229,81 DM sowie eine ehezeitliche Anwartschaft der Ehefrau aus einer Beamtenversorgung von monatlich 1.220,46 DM zugrunde. Der Ehemann ist am 08.01.2019 verstorben, sein Erbe ist der Freistaat Bayern.
Mit am 20.11.2019 beim Amtsgericht eingegangen Schreiben hat die Antragstellerin, die bereits eine Pension bezieht, die Abänderung des Versorgungsausgleichs beantragt.
Nach den Ermittlungen des Amtsgerichts beträgt der monatliche Ehezeitanteil der gesetzlichen Rentenanrechte nunmehr beim Ehemann 117,44 €, der monatliche Ehezeitanteil der Beamtenversorgung der Ehefrau 1.187,22 DM. Die gesetzlichen Rentenanrechte der Ehefrau sind aufgrund einer Beitragserstattung weggefallen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 07.07.2020 den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil die [absolute Wesentlichkeits-] Grenze nach § 225 Abs. 3 FamFG von 33,60 DM bei keiner Versorgung überschritten werde.
Gegen diesen ihrer Bevollmächtigten am 10.07.2020 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 27.07.2020 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Sie moniert die fehlende Berücksichtigung einer fiktiven Wartezeiterfüllung. Auf der Zulässigkeitsebene müssten entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.02.2020 (FamRZ 2020, 743) die fiktiven Auswirkungen des Abänderungsantrags ohne Berücksichtigung des Todes des Ehemanns geprüft werden. Durch die Übertragung des Ausgleichswerts der gesetzlichen Rentenanrechte erhalte sie 2,7710 Entgeltpunkte. Die Entgeltpunkte seien durch den Faktor 0,0313 zu teilen, so dass sich 88 volle Monate ergäben. Die Voraussetzungen der Wartezeit von 60 Monaten für den Bezug einer Regelaltersrente würden fiktiv erfüllt. Damit sei ihr Antrag zulässig. Weil ihr früherer Ehemann verstorben sei, käme bei der Begründetheitsprüfung § 31 VersAusglG zur Anwendung.
Die weiteren Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 58 ff., 228 FamFG statthaft und zulässig, aber im Ergebnis nicht begründet.
Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 69 Abs. 3, § 221 Abs. 1 FamFG).
Der Antrag auf Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich ist unzulässig.
Zutreffend und von der Beschwerde auch nicht angegriffen hat das Amtsgericht festgestellt, dass bei keiner der einzelnen Versorgungen (hierzu BT-Drs. 16/10144 S. 89; Borth, Versorgungsausgleich, 8. Aufl., Kap. 11 Rn. 146) die absolute Wesentlichkeitsgrenze gemäß § 51 Abs. 2 VersAusglG in Verbindung mit § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG überschritten ist. Die Grenze beträgt bei Ehezeitende (30.11.1991) 33,60 DM oder 17,18 €. Die Änderungen betragen bezogen auf den Ausgleichswert beim Rentenanrecht des Ehemannes 0,06 DM, bei der Beamtenversorgung der Antragstellerin 16,62 DM und bei dem Rentenanrecht der Antragstellerin 15,77 DM, wobei offenbleiben kann, ob die Änderung aufgrund einer Beitragserstattung berücksichtigungsfähig ist (BGH FamRZ 2005, 2055 juris Rn. 14).
Die Antragstellerin kann sich auf die fiktive Erfüllung der allgemeinen Wartezeit nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht berufen.
Da § 51 Abs. 5 VersAusglG auch auf § 225 Abs. 4 FamFG verweist, ist eine Abänderung zwar grundsätzlich unabhängig von einer Wertänderung auch zulässig, wenn durch die Abänderung eine Wartezeit wie diejenige nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt wird (OLG Celle FamRZ 2014, 479; BGH FamRZ 1989, 39; Wick, Der Versorgungsausgleich, 4. Aufl., Rn. 817).
Der Senat teilt die Auffassung der Antragstellerin, dass diese Wartezeit nach Umrechnung der fiktiv zu übertragenden Entgeltpunkte in Wartezeitmonate mit dem Faktor 0,0313 (§ 52 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) fiktiv erfüllt wäre. Die Erfüllung der Wartezeit lässt sich für die Antragstellerin auch fiktiv nicht auf andere Weise erreichen (hierzu OLG Celle FamRZ 2014, 479; Siede in MünchKomm, BGB, 8. Aufl., § 51 VersAusglG Rn. 100; Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 16. Aufl., § 51 VersAusglG Rn. 10; Bergner, KomRefVA, § 51 VersAusglG Nr. 8.1; Schwamb in Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 225 FamFG Rn. 14).
§ 225 Abs. 4 FamFG entspricht dem früheren § 10a Abs. 2 Nr. 2 VAHRG. Dieser wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses Gesetz (vgl. BT-Drs. 10/6369 S. 22) und soll dem Berechtigten auch dann eine Abänderungsmöglichkeit eröffnen, „wenn durch sie eine für seine Versorgung maßgebende Wartezeit erfüllt wird.“ § 51 Abs. 5 VersAusglG bezweckt dabei, wie § 10a VAHRG a. F. und § 225 FamFG insgesamt, die Berücksichtigung von tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen der (nunmehr einzelnen) Anrechte. Mit dem Übergang von der Gesamtsaldierung hin zum Einzelausgleich, der mit der Übergangsvorschrift des § 51 VersAusglG auch für Altentscheidungen eröffnet wird, kommt es nunmehr aber insbesondere bei Empfängern von Beamtenversorgungen wie der Antragstellerin, aber auch in sonstigen Fällen der Versicherungsfreiheit nach § 5 SGB VI oder der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI, nicht selten erstmals zur Übertragung oder Begründung von gesetzlichen Rentenanrechten bei der Abänderung von Altentscheidungen. Das gilt selbst bei Ehen von zwei Beamten, wenn der Träger der auszugleichenden Versorgung die interne Teilung nicht vorsieht (§ 16 Abs. 1 VersAusglG). Hat der ausgleichsberechtigte Beamte keine sonstigen Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, so genügt die Übertragung oder Begründung von 60 x 0,0313 Entgeltpunkten = 1,878 Entgeltpunkten, damit er die allgemeine Wartezeit erfüllen kann. In einer Vielzahl von Fällen stünde deshalb dem (früheren) Beamten anders als einem gesetzlich Versicherten die Abänderung auch ohne wesentliche Wertänderung offen.
Der erkennende Senat ist mit dem Bundesgerichtshof (grundlegend FamRZ 2013, 1287 mit zust. Anm. Holzwarth S. 1289; ebenso OLG Stuttgart FamRZ 2015, 759; OLG Koblenz FamRZ 2015, 1808; OLG Frankfurt NZFam 2016, 710; KG NZFam 2016, 470) der Auffassung, dass § 31 VersAusglG auch in den Fällen des § 51 VersAusglG zur Anwendung kommt und damit bei Vorliegen der Abänderungsvoraussetzungen ein Versorgungsausgleich für die Zeit nach Antragstellung auch dann nicht mehr stattfindet (§§ 51, 31 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG, § 224 Abs. 3 FamFG), wenn der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte nach dem Versterben des ausgleichsberechtigten Ehegatten die Abänderung beantragt. „Die sich – dann zu Lasten des Versorgungsträgers – auswirkende Entscheidung, dem insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten seine Anrechte mit Wirkung für die Zukunft ungeteilt zurückzugewähren, wird dadurch legitimiert, dass dieser Personenkreis einerseits einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch darauf hat, die für ihn günstigen Wertveränderungen der in die Ausgangsentscheidung einbezogenen Anrechte in einem Abänderungsverfahren geltend machen zu können, der Gesetzgeber aber andererseits das bisherige Ausgleichssystem einschließlich der darauf beruhenden Abänderungsmöglichkeiten (§ 10a VAHRG) auch mit Wirkung für Übergangsfälle außer Kraft gesetzt und an seiner Stelle eine erneute Entscheidung über den Versorgungsausgleich angeordnet hat, die in ihren Wirkungen einer Erstentscheidung nach neuem Recht entspricht“ (BGH FamRZ 2020, 743 Rn. 25; FamRZ 2018, 1496 Rn. 23).
In seiner Entscheidung vom 05.02.2020 hat der Bundesgerichtshof hierzu klargestellt, dass der Zugang zum Abänderungsverfahren dann nicht eröffnet ist, wenn sich aus dem Wegfall der Abänderungsmöglichkeiten nach früherem Recht keine oder keine wesentlichen Nachteile ergeben haben (BGH FamRZ 2020, 743 Rn. 26). Dabei ist zu prüfen, ob sich die fiktive Totalrevision des Ausgleichs gemäß § 51 Abs. 5 VersAusglG iVm § 225 Abs. 5 FamFG zugunsten der Antragstellerin auswirkt (BGH a.a.O. Rn. 27). Den Schluss der Antragstellerin, dementsprechend müsse auch die Erfüllung der Wartezeit auf der Grundlage der fiktiven Totalrevision geprüft werden, zieht der Senat aber jedenfalls für den Fall des Ausgleichs nach dem Tod des insgesamt ausgleichsberechtigten Ehegatten nicht.
Mit der Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG in den Fällen des § 51 VersAusglG ist, wovon auch der Bundesgerichtshof ausgeht (a.a.O. Rn. 26), eine vom Gesetzgeber in Übergangsfällen hingenommene Überkompensation von Nachteilen verbunden, die für den insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten wegen des Wegfalls der nach früherem Recht bestehenden Abänderungsmöglichkeiten entstehen. Bei der Antragstellerin liegt schon kein Wegfall einer früheren Abänderungsmöglichkeit vor, weil sich die (fiktive) Wartezeiterfüllung bei ihr nicht aus der tatsächlichen oder rechtlichen Änderung der Anrechte, sondern allein aus der Systemumstellung von der Gesamtsaldierung zum Einzelausgleich ergibt. Die genannte Überkompensation würde sich nun, wie oben aufgezeigt, in einer Vielzahl von Fällen zugunsten von Beziehern einer Versorgung aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis auswirken, nicht aber zugunsten gesetzlich Versicherter, wenn man die Erfüllung der Wartezeit am fiktiven Ausgleich messen würde. Es ist nicht zu erkennen, dass diese dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufende Privilegierung vom Gesetzgeber gewollt oder im Gesetz bewusst angelegt wäre. Die Antragstellerin hätte bei wertgleicher Versorgung aus der gesetzlichen Rente keine Abänderungsmöglichkeit.
Aus Sicht des Senats ist deshalb eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 51 Abs. 5 VersAusglG iVm § 225 Abs. 4 FamFG dahingehend geboten, dass sich die Erfüllung der Wartezeit zu Gunsten der Antragstellerin im Ergebnis tatsächlich und nicht nur fiktiv auswirkt. Nur in diesem Fall könnten sich „nachträglich eintretende grundrechtswidrige Auswirkungen des Versorgungsausgleichs“ (BVerfG FamRZ 1980, 326 juris Rn. 168) ergeben, wie sie das Bundesverfassungsgericht vor Einführung der Regelung des § 10a VAHRG moniert hatte. Der Senat ist sich bewusst, dass damit ein Teil der Rechtsfolge der Abänderung in die Prüfung der Zulässigkeit der Abänderung verlagert wird. Dieses Ergebnis ist aber aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen.
Ob insgesamt eine teleologische Reduktion des § 51 Abs. 5 VersAusglG mit Verweis auf § 225 Abs. 4 FamFG geboten ist, wonach sich die Erfüllung der Wartezeit nicht allein aus der Systemumstellung ergeben darf, kann dahingestellt bleiben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Rechtsfrage, ob die Erfüllung der Wartezeit gemäß § 51 Abs. 5 VersAusglG iVm § 225 Abs. 5 FamFG nach dem Vorversterben des per saldo ausgleichsberechtigten Ehegatten an der fiktiven Durchführung des Versorgungsausgleichs zu messen ist, stellt sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen. Sie ist vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Ihr kommt aber grundsätzliche Bedeutung zu, weshalb der Senat die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG).


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