Familienrecht

Verstoß gegen JArbSchG durch Musikdarbietung eines Kindes im Rahmen einer kommerziellen Konzertveranstaltung

Aktenzeichen  201 ObOWi 735/21

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25640
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
StPO § 349
OWiG § 71 Abs. 1
OWiG § 79
OWiG § 80a
JArbSchG § 1 Abs. 1 Nr. 3
JArbSchG § 1 Abs. 2 Nr. 1
JArbSchG § 3
JArbSchG § 5 Abs. 1
JArbSchG § 6 Abs. 1 Nr. 2a
JArbSchG § 58 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Die Beteiligung eines vierjährigen Kindes an einer kommerziellen Bühnenshow in der Form, dass das Kind am Abend vor großem Publikum im Rahmen einer etwa halbstündigen Musikdarbietung als Solosänger ein Lied in ein eigens aufgestelltes Mikrofon singt und auf einer Kindergitarre spielt, ist als Beschäftigung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 3 JArbSchG anzusehen.
2. Geschieht dies auf Veranlassung und unter Leitung seines erziehungsberechtigten Vaters, welcher der Musik- und Interpretengruppe verantwortlich vorsteht, und ist das Kind in erster Linie im wirtschaftlichen Interesse des Erziehungsberechtigten tätig, so ist dieser als Arbeitgeber i.S.v. § 3 JArbSchG anzusehen.

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 12.02.2021 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 12.02.2021 schuldig gesprochen, als Arbeitgeber vorsätzlich in verbotener Weise ein Kind beschäftigt zu haben, und gegen ihn eine Geldbuße von 3.000 Euro verhängt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Sachrüge wird insbesondere beanstandet, dass das Kind des Betroffenen keine Beschäftigung im Sinne des JArbSchG ausgeübt und der Betroffene diesem gegenüber auch nicht die Rolle eines Arbeitgebers übernommen habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 09.06.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen. Der Verteidiger des Betroffenen hat sich mit Schriftsätzen vom 14.06.2021 und vom 06.07.2021 geäußert.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts trat der Betroffene im Rahmen der kommerziellen X-Tour 2019 mit der von ihm geleiteten Interpretengruppe am 26.07.2019 in X auf Schloss X bei einem Konzert, das gegen 20.00 Uhr, frühestens jedoch um 19.00 Uhr begann, vor einem großen Publikum auf. Bei Konzertbeginn erschien neben mehreren angestellten Musikern zunächst der Betroffene alleine auf der Bühne und sang etwa 10 bis 15 Minuten, ehe die gesamte Familie des Betroffenen einschließlich des am 2015 geborenen Sohnes X die Bühne betrat. Der damals gerade Vierjährige wirkte für einen Zeitraum von mindestens 30 Minuten, der jedenfalls nach Konzertbeginn lag, auf der Bühne mit. Dabei bespielte er phasenweise eine Kindergitarre und sang in englischer Sprache ein Lied in ein eigens für ihn aufgestelltes Mikrofon. Gegen Ende des Auftritts vor der Konzertpause kündigte der Betroffene dem Publikum an, dass der Sohn X nun gleich zu Bett gehen müsse. Eine behördliche Ausnahmegenehmigung für den Bühnenauftritt des Vierjährigen lag, wie der Betroffene wusste, nicht vor und kam wegen des abendlichen Veranstaltungstermins mit Blick auf die in § 6 Abs. 1 Nr. 2a JArbSchG auf 17.00 Uhr bestimmte Zeitgrenze von vornherein nicht in Betracht.
2. Die Verfahrensrügen versagen aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 09.06.2021 genannten Gründen.
3. Auch die Sachrüge vermag dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Entgegen den Ausführungen der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts als Arbeitgeber seinen damals vierjährigen Sohn im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 JArbSchG beschäftigt.
a) Die Beschäftigung von Kindern ist nach § 5 Abs. 1 JArbSchG grundsätzlich verboten. Das Kinderarbeitsverbot bezieht sich auf alle Tätigkeiten, die von § 1 JArbSchG erfasst werden. Der Gesetzgeber wollte durch das Jugendarbeitsschutzgesetz Kinder und Jugendliche möglichst lückenlos vor Überforderung und Überanstrengung schützen (vgl. Begr. zu § 1 des Entwurfs, BT-Drs. 7/2305, S. 25 ff.), und hat deshalb den Begriff der Beschäftigung weit gefasst. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist deshalb unter Beschäftigung grundsätzlich jede privatrechtliche, weisungsgebundene Tätigkeit zu verstehen, die in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird (Erfurter Kommentar/Schlachter Arbeitsrecht 21. Aufl. § 1 JArbSchG Rn. 4 m.w.N.; Ambs/Häberle, in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze § 1 JArbSchG Rn. 1). Maßgeblich ist die tatsächliche Beschäftigung im Dienste eines anderen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Beschäftigung ein (wirksamer) Vertrag zugrunde liegt oder ob sie nur faktisch erfolgt (OVG Münster NJW 1987, 1443; ErfK/Schlachter a.a.O. m.w.N.). Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 JArbSchG gilt das JArbSchG über die Berufsausbildung (Nr. 1) und Tätigkeiten als Arbeitnehmer oder Heimarbeiter (Nr. 2) hinaus für sonstige Dienstleistungen, die der Arbeitsleistung von Arbeitnehmern oder Heimarbeitern ähnlich sind. Die Norm will damit möglichst jede Form der Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, die nicht schon unter Nr. 1 und 2 fällt, erfassen (ErfK/Schlachter a.a.O. Rn. 9). Die erforderliche Ähnlichkeit mit Dienstleistungen von Arbeitnehmern liegt vor, wenn das Kind oder der Jugendliche mit seiner Tätigkeit Arbeit im wirtschaftlichen Sinne im Interesse eines Dritten leistet. Maßgeblich für die Frage, ob Arbeit in abhängiger Stellung erbracht wird, ist insbesondere die Frage, ob Kinder oder Jugendliche durch Dritte in einer Weise zur Erzielung einer wirtschaftlich verwertbaren Leistung nachhaltig angehalten werden, die sie so schutzbedürftig macht, als ob sie in einem Arbeitsverhältnis stünden (OVG Münster a.a.O.). Dabei ist der insgesamt geplante Umfang der Dienstleistung, mithin die Frage, ob diese ständig, gelegentlich oder nur vorübergehend erbracht wird, ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage, ob eine Vergütung vereinbart ist (ErfK/Schlachter a.a.O.). Die Tätigkeit muss jedoch zumindest auch für einen anderen erfolgen; daher unterfallen die Erledigung eigener Angelegenheiten des Kindes oder eine selbständige, eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht einem Abhängigkeitsverhältnis i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 JArbSchG (ErfK/Schlachter a.a.O. Rn. 5).
b) Gemessen an diesen Maßstäben stellt sich der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme frühestens ab 19.10 Uhr beginnende und etwa 30 Minuten dauernde Bühnenauftritt des damals vierjährigen Sohnes des Betroffenen mit seiner musikalischen Darbietung als Beschäftigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 JArbSchG dar. Diese ist rechtlich als Dienstleistung im Sinne einer gestaltenden Mitwirkung zu bewerten, welche der Arbeitsleistung der auf der Bühne tätigen angestellten Musiker sowie der weiteren Interpreten der Musikgruppe ähnlich war. Der Vierjährige war organisatorisch in den Gesamtauftritt der Interpretengruppe eingegliedert, indem er wie die anderen Interpreten auch seinen Beitrag zu dem Gesamtablauf des Konzerts erbrachte. Der Betroffene war leitende Person der Interpretengruppe, er bestimmte jedenfalls das Ende des Auftritts des Kindes im Rahmen der kommerziellen Konzertveranstaltung, die einer offensichtlich eingeübten Choreographie folgte und bei der das Kind, das der Betroffene schon bei anderen Gelegenheiten auf der Bühne beschäftigt hatte, einen eigenständigen und nicht lediglich unbedeutenden Beitrag als Solosänger mit eigenem Mikrofon und Kinderinstrument übernahm und damit zum künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg der gesamten Interpretengruppe beitrug. Diese Mitwirkung des Vierjährigen an einem kommerziellen Bühnenauftritt vor großem Publikum stellt auch keine selbständige, eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar, nachdem ein vierjähriges Kind bereits aufgrund seines Entwicklungsstandes zu einer solchen nicht in der Lage ist. Aber auch die Erledigung selbstgewählter eigener Angelegenheiten des Kindes liegt ersichtlich nicht vor, denn die Beteiligung an einer kommerziellen Bühnenshow unter Leitung des Betroffenen unterliegt nicht dem freien Willen des Kindes, wird nicht in dessen eigenem Interesse ausgeführt und stellt auch keine alltägliche Verhaltensweise wie Spielen, Schlafen, Essen dar (vgl. auch Nomos-BR/Weyand JArbSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 34 [zu Foto- und Filmaufnahmen]). Vielmehr wurde die Mitwirkung des Kindes vermarktet, sodass von einer Beschäftigung i.S.d. JArbSchG auszugehen ist (Nomos-BR/Weyand a.a.O. § 1 Rn. 28, 30). Dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Kind freiwillig und aus eigener Motivation aufgetreten ist; entscheidend ist vielmehr, dass der Auftritt mit Zustimmung und unter Anleitung des Betroffenen durchgeführt wurde (BayObLGSt 1973, 217, 218).
c) Zutreffend hat das Amtsgericht die festgestellte Beschäftigung des vierjährigen Sohns des Betroffenen auch nicht als „geringfügige Hilfeleistung“ i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG angesehen, die vom Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes ausgenommen wäre. Der Begriff der Hilfeleistung umfasst jede unterstützende Tätigkeit, für die ein anderer einen entsprechenden Beistand benötigt; sie setzt zwar keine Notlage voraus, jedoch ein persönliches Bedürfnis, Hilfe zu erhalten (Nomos-BR/Weyand a.a.O. Rn. 53). Danach kann die Mitwirkung eines vierjährigen Kindes an einem kommerziellen Konzert, das dabei wie andere Mitglieder der Interpretengruppe agiert, schon nicht als Hilfeleistung i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG angesehen werden. Auch fehlt es nach den Feststellungen an der Geringfügigkeit. Entscheidend hierfür ist, ob die Hilfeleistung nach Art und Umfang das bei Kindern oder Jugendlichen dieses Alters übliche Maß überschreitet (BayObLGSt 1982, 32, 33; Nomos-BR/Weyand a.a.O. § 1 Rn. 55), mithin ein – bezogen auf den zeitlichen Umfang und die kräftemäßige Anstrengung – lediglich geringes Maß an Inanspruchnahme vorliegt, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, insbesondere den Alters- und Entwicklungsstand des Kindes sowie die Art der Tätigkeit (Tischer, in Hahn/Pfeiffer/Schubert Arbeitszeitrecht 2. Aufl. 2018 JArbSchG § 1 Rn. 5). Bei einem halbstündigen Auftritt eines gerade einmal Vierjährigen mit Sologesang und Spiel auf einem Kinderinstrument im Rahmen eines kommerziellen Konzerts vor zahlendem Publikum ist ein geringes Maß an Inanspruchnahme überschritten. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde hat das Amtsgericht gerade nicht eine nur passive Anwesenheit des Kindes auf der Bühne festgestellt, sondern seine aktive Mitwirkung an dem Bühnenauftritt, bei dem es phasenweise auf einer Kindergitarre mitmusiziert und selbst ein Lied gesungen hat, das nach dem eigenen Vortrag der Rechtsbeschwerde bei dem Publikum besondere Resonanz fand.
d) Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht den Betroffenen auch als Arbeitgeber i.S.v. § 3 JArbSchG angesehen, der das Kind beschäftigt hat. Arbeitgeber ist derjenige, zu dessen Gunsten und unter dessen Leitung die Beschäftigung i.S. v. § 1 JArbSchG ausgeübt wird (Tillmanns, in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar. 9. Aufl. § 3 JArbSchG Rn. 1). Auch die Eltern des Kindes können, wenn diese Voraussetzungen in ihrer Person vorliegen, Arbeitgeber nach § 58 JArbSchG sein (OLG Köln NStZ 1984, 460). Der Begriff des Arbeitgebers ist dabei – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 09.06.2021 zutreffend hinweist – umfassender zu verstehen als der allgemeine Arbeitgeberbegriff (ErfK/Schlachter a.a.O. § 3 Rn. 1). Selbst darauf, ob die Konzerttournee in rechtlicher Hinsicht von dem Betroffenen oder einem Dritten veranstaltet wurde, kommt es nicht entscheidend an (Tillmanns a.a.O.). Voraussetzung ist aber, dass die Tätigkeit (auch) zu Gunsten der Eltern oder Erziehungsberechtigten und unter ihrer Leitung ausgeübt wird und die Erziehungsberechtigten dem Kind selbst in einer zumindest arbeitgeberähnlichen Stellung gegenübertreten (OLG Köln a.a.O. S. 460, 461). Dies war hier mit Blick auf die festgestellte leitende Stellung des Betroffenen innerhalb der Musik- und Interpretengruppe, die er auch während der Aufführung ausübte, der Fall. Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde, das Kind habe interaktiv in „einer spontanen Dynamik mit seinen älteren Geschwistern“ mitgewirkt, ist ebenso urteilsfremd und daher unbeachtlich wie das Vorbringen, der Betroffene habe ausschließlich höchstpersönlich gegenüber dem Veranstalter die Leistung geschuldet. Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich um eine kommerzielle Tour der Musik- und Interpretengruppe des Betroffenen, innerhalb derer das Kind bei dem hier maßgeblichen Bühnenauftritt nach einer musikalischen Einzeldarbietung des Betroffenen mit der ganzen restlichen Familie die Bühne betrat und als Hauptperson ein Lied in ein eigens für den Vierjährigen (und nicht durch ihn) aufgestelltes Mikrofon sang. Damit war das Kind in erster Linie im wirtschaftlichen Interesse seines Vaters, des Betroffenen, tätig und ihm gegenüber arbeitnehmerähnlich gebunden.
4. Zur weiteren Begründung kann der Senat Bezug nehmen auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 09.06.2021.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


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