Familienrecht

Vertretungsmacht eines ersten Bürgermeisters

Aktenzeichen  34 Wx 325/17

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RPfleger – 2018, 195
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art.29, Art. 37, Art. 38 Abs. 1

 

Leitsatz

Die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen Gemeinde ist im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt; infolgedessen wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet. Der Vorlage eines Gemeinderatsbeschlusses zur Grundbucheintragung bedarf es daher nicht (Anschluss an BGH NJW 2017, 2412). (Rn. 13)

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck – Grundbuchamt – vom 18. August 2017 aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, tragen die Beteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, beträgt der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens 100 €.

Gründe

I.
Im Grundbuch ist die Beteiligte zu 2 als Eigentümerin von Grundbesitz eingetragen.
Diesen veräußerte sie mit notariellem Kaufvertrag vom 20.6.2017 an die Beteiligte zu 1, eine bayerische Gemeinde. Bei Beurkundung war die Beteiligte zu 1 vertreten durch den zweiten Bürgermeister, der dabei die Verhinderung des ersten Bürgermeisters angezeigt hatte.
In Ziffer VI. 1. Auflassung ist vereinbart:
Hinsichtlich der dinglichen Einigung gelten die in der beigefügten Anlage 2 enthaltenen Erklärungen. Auf die mitverlesene Anlage wird verwiesen.
Die Vertragsteile weisen den Notar übereinstimmend an, die Eigentumsumschreibung unter Vorlage dieser Anlage beim Grundbuchamt erst zu veranlassen, wenn entweder der Veräußerer dem schriftlich zustimmt oder der Erwerber nachgewiesen hat, dass der gesamte vorstehend bezeichnete Kaufpreis – ohne Zinsen – bezahlt worden ist …
Am 10.8.2017 legte der Notar eine beglaubigte Abschrift der Anlage 2 zur zuvor schon im Auszug vorgelegten Urkunde vom 20.6.2017 dem Grundbuchamt vor und beantragte den Gesamtvollzug sämtlicher noch nicht vollzogener Eintragungsanträge.
Daraufhin erließ das Grundbuchamt am 18.8.2017 fristsetzende Zwischenverfügung, wonach ein Gemeinderatsbeschluss zu dem Geschäft fehle.
Dagegen wenden sich die Beteiligten mit der Beschwerde vom 23.8.2017, mit der sie auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.11.2016, V ZR 266/14, verweisen. Neben der Aufhebung der Zwischenverfügung beantragen sie die Anweisung an das Grundbuchamt, die Auflassung einzutragen.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
1. Das nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 73, 15 Abs. 2 GBO) Rechtsmittel der Beteiligten gegen die formal unbedenkliche Zwischenverfügung des Grundbuchamts (§ 18 Abs. 1 GBO) ist überwiegend erfolgreich.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen das vom Grundbuchamt angenommene Eintragungshindernis wendet, hat die Beschwerde Erfolg, da ein Gemeinderatsbeschluss zum Grundstücksgeschäft nicht erforderlich ist.
a) Die bisherige Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Senats hat zwar bislang eine unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters verneint (vgl. BayObLGZ 1952, 271 ff.; 1974, 81/84; 1974, 374/376; 1997, 37/41; Senat vom 4.2.2009 – 34 Wx 114/08 = MittBayNot 2009, 222 f.; Senat vom 18.6.2010 – 34 Wx 65/10, juris Rn. 7; Senat vom 28.1.2013 – 34 Wx 390/12, juris Rn. 9). Art. 38 Abs. 1 BayGO begründe lediglich das Vertretungsrecht des ersten Bürgermeisters, nicht aber seine Vertretungsmacht. Letztere ergebe sich aus Art. 37 BayGO, sofern das Rechtsgeschäft unter den dort genannten Voraussetzungen in dessen eigenen Zuständigkeitsbereich falle. Soweit dagegen der Gemeinderat als willensbildendes Organ der Gemeinde zu entscheiden habe (Art. 29 BayGO), werde die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters erst durch einen entsprechenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss begründet (vgl. nur BayObLGZ 1974, 81/84). Der erste Bürgermeister sei dann lediglich Vollzugsorgan (Art. 36 Satz 1 BayGO).
Der Bundesgerichtshof hat allerdings zum zutreffenden Gesetzesverständnis am 18.11.2016 (BGH NJW 2017, 2412 ff.) und erneut am 1.6.2017 (NJW-RR 2017, 917 ff.) entschieden, dass die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen Gemeinde gemäß Art. 38 Abs. 1 BayGO im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt ist; infolgedessen wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung des Gemeinderats vorgenommen hat. Ob Beschränkungen Außenwirkung haben, ist durch Auslegung der die Vertretung regelnden Normen zu ermitteln; die Regelungen der bayerischen Gemeindeordnung weisen keine Besonderheiten auf, die eine von der Rechtslage in den anderen Bundesländern abweichende Reichweite der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters rechtfertigen könnten. Entscheidend für die Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO als Einräumung einer umfassenden Vertretungsmacht im Außenverhältnis spricht – wie in den anderen Bundesländern auch – das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und angemessenem Verkehrsschutz.
Die Erklärungsempfänger – in der Regel der Bürger, aber auch die Grundbuchämter – müssen sich auf die Vertretungsbefugnis des für die Gemeinde nach außen handelnden Organs verlassen können. Demgegenüber bleibt es der Gemeinde unbenommen, gegen ihr pflichtwidrig handelndes Organ beamtenrechtliche Sanktionen zu verhängen bzw. Schadensersatzforderungen geltend zu machen.
Soweit die Grundbuchämter bisher Eintragungen in das Grundbuch nur dann vorgenommen haben, wenn die Vertretungsbefugnis des ersten Bürgermeisters in der Form des § 29 GBO nachgewiesen war und in diesem Zusammenhang Gemeinderatsbeschlüsse vorlagen, ist ein solcher Nachweis nach der vom Bundsgerichtshof vorgenommenen Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO entbehrlich; es ist nicht Aufgabe der Grundbuchämter, die Einhaltung der gemeindlichen Zuständigkeitsordnung zu überwachen.
b) Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an.
Soweit das Grundbuchamt anführt, der Bundesgerichtshof habe am 18.11.2016 (NJW 2017, 2412 ff.) das Verfahren nur zu einer neuen Entscheidung zurückverwiesen, hat es verkannt, dass sich die Zurückverweisung allein auf eine vom Berufungsgericht nicht entschiedene andere Rechtsfrage bezogen hat.
Auch der Gesetzesentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Gesetze vom 6.12.2016 ist nicht geeignet, die bisherige Ansicht des Senats zu stützen. Zwar soll danach Art. 38 Abs. 1 BayGO geändert und ein Satz 2 eingefügt werden, der lautet: „Der Umfang der Vertretungsmacht ist auf seine Befugnisse beschränkt.“ Die Gesetzesinitiative begründet der Gesetzgeber damit, dass anlässlich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Umfang der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters „klargestellt“ werden solle. Die Gesetzesmaterialien zeigen allerdings keinerlei Gesichtspunkt auf, der bei der Auslegung der Norm in ihrer derzeit geltenden Fassung durch den Bundesgerichtshof nicht oder ungenügend berücksichtigt worden wäre. Der Senat hat daher mit Blick auf die Gesetzesinitiative und deren Begründung keinen Anlass, der überzeugenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zu folgen. Die Gesetzesänderung wiederum ist noch nicht in Kraft.
Auch Verträge, die Bürgermeister von bayerischen Gemeinden ohne den intern erforderlichen Gemeinderatsbeschluss abgeschlossen haben, sind somit nach der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht schwebend unwirksam, sondern aufgrund im Außenverhältnis bestehender Vertretungsmacht wirksam (Griwotz MittBayNot 2017, 302/303).
c) Nichts anderes gilt, wenn der zweite Bürgermeister – wie hier – in Vertretung des ersten Bürgermeisters handelt, vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayGO.
3. Soweit zudem beantragt ist, das Grundbuchamt anzuweisen, die Auflassung einzutragen, war die Beschwerde abzuweisen, da Gegenstand der Beschwerde gegen eine Zwischenverfügung (nur) die in der Zwischenverfügung erhobene Beanstandung, nicht hingegen der Eintragungsantrag selbst ist (vgl. nur: BayObLGZ 1967, 408/410).
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 84 FamFG.
Den Geschäftswert bestimmt der Senat, soweit die Beschwerde zurückgewiesen ist, nach billigem Ermessen, §§ 61, 36 Abs. 1 GNotKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.


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