Familienrecht

Verwaltungsrechtsweg, Fortsetzungsfeststellungsklage, Versäumung der Klagefrist, Antragsbefugnis eines Elternteils allein bei gemeinsamem Sorgerecht, berechtigtes Interesse, Rehabilitationsinteresse, dringende Gefahr für das Wohl des Kindes, Erforderlichkeit der Inobhutnahme, kein milderes Mittel

Aktenzeichen  W 3 K 20.797

Datum:
3.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 218
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
SGG § 51
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
SGB VIII § 42
BGB § 1666
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nunmehr, wie die Auslegung des Begehrens der Klägerin (§ 88 VwGO) ergibt, ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide vom 13. September 2017 und vom 12. Februar 2020, bestätigt mit Bescheid vom 16. Juli 2020 nach Maßgabe des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, der hier teilweise analog anzuwenden ist (Fortsetzungsfeststellungsklage).
Zunächst hatte die Klägerin gegen die Inobhutnahmen sinngemäß Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhoben. Die Inobhutnahmen ihrer beiden Söhne haben sich jedoch mit deren Entlassung aus Inobhutnahme und vollstationärer Unterbringung am 3. November 2017 bzw. 1. September 2020 erledigt. Denn damit entfalten die Inobhutnahmebescheide keine Rechtswirkung mehr, von ihnen geht keine Belastung für die Klägerin mehr aus (vgl. § 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII). Somit besteht auch kein Bedürfnis (mehr) für die Anrufung des Gerichts zur Aufhebung der Bescheide.
Hat sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht allerdings gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Einen solchen Antrag hat die Klägerin hier mit Schreiben vom 20. Januar 2021 gestellt.
Soweit sich dieser Feststellungsantrag jedoch auf den am 3. November 2017 erledigten Inobhutnahmebescheid vom 13. September 2017 bezieht, kommt eine direkte Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht in Betracht, da dieser eine Erledigung vor Klageerhebung – die hier am 17. Juni 2020 erfolgt ist – nicht erfasst. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Norm sowie deren Stellung im Gesetz. Allgemein anerkannt aber ist, dass im Fall vorprozessualer Erledigung die Norm des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog angewandt werden kann (statt vieler VG München, Urteil v. 26.09.2017 – M 13 K 16.3400; VG Würzburg, Urteil v. 23.01.2019 – W 2 K 18.1268).
Die Umstellung der Klage ist gem. § 173 Satz 1 i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO kraft Gesetzes zulässig. § 91 VwGO steht dem nicht entgegen (vgl. VG Würzburg, U.v. 22.1.2021 – W 8 K 20.519 – juris Rn. 18; Decker in BeckOK, VwGO, 57. Edition Stand: 1.4.2021, § 113 Rn. 81; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 88), da eine Umstellung von einer Anfechtungsklage zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage keine Klageänderung im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
1. Die Klage ist nur teilweise zulässig.
a) Für ein Verfahren, mit welchem sich ein betroffener Elternteil gegen die Inobhutnahme seines Kindes wendet, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dies ergibt sich zunächst aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 51 SGG, der Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch nicht den Sozialgerichten zuweist. Es liegt auch keine anderweitige Sonderzuweisung an das Familiengericht vor. Denn die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB VIII, wonach das Jugendamt unverzüglich eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohle des Kindes herbeizuführen hat, wenn ein Kind aufgrund des Vorliegens einer dringenden Gefahr für sein Wohl in Obhut genommen wird und die Personen- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme widersprechen, stellt keine Sonderzuweisung von Streitigkeiten über Inobhutnahmen an die Familiengerichte dar. Die Familiengerichte entscheiden in diesem Rahmen lediglich über die dann erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Minderjährigen, nicht aber über die Rechtmäßigkeit der zurückliegenden Inobhutnahme. Denn die Inobhutnahme ist eine kurzfristige Maßnahme, die gerade durch die Gewährung von Hilfen abgelöst werden soll, die auf einer Entscheidung des Familiengerichts beruhen. Das familiengerichtliche Verfahren ist also allein darauf ausgerichtet, die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen zu regeln, die sich an die Inobhutnahme anschließen. Dies bedeutet, dass es für die Frage, ob die Inobhutnahme rechtswidrig erfolgte, bei den Regelungen über das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO verbleibt und auf der verwaltungsgerichtlichen Ebene die Rechtmäßigkeit der zurückliegenden Inobhutnahme zu beurteilen ist (Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 27.1.2020, § 42 Rn. 193 und Rn. 204 m.w.N.; OLG Frankfurt, B.v. 22.1.2019 – 4 WF 145/18 – juris; Kirchhoff, juris-PR-SozR 13/2019 Anm. 4; Brandenburgisches OLG, B.v 10.7.2019 – 13 UF 121/19 – juris Rn. 4; a.A.: Trenczek, JAmt 2010, 543, 544; differenzierend: Lauterbach, JAmt 2014, 10).
b) Eine Unzulässigkeit der Klage ergibt sich zunächst nicht daraus, dass die Klägerin aufgrund einer vom Amtsgericht W … angeordneten Betreuung prozessunfähig wäre (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 25. Aufl. 2019, § 62 Rn. 13 und 17). Zwar war die Klägerin in der Vergangenheit unter Betreuung gestellt, im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung ist dies jedoch gemäß Auskunft des Amtsgerichts W … nicht mehr der Fall.
Die Klage ist auch nicht deswegen unzulässig, weil sie die Klägerin allein gestellt hat, ohne Beteiligung der jeweiligen Väter, die die jeweilige Vaterschaft anerkannt haben und erklärt haben, das Sorgerecht gemeinsam mit der Klägerin ausüben zu wollen. Die Klägerin ist allein klagebefugt. Da die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII nicht als Leistung im Sinn des § 2 Abs. 2 SGB VIII einzuordnen ist, sondern als „andere Aufgabe“ im Sinn des § 2 Abs. 1 SGB VIII (vgl. Kepert in LPK-SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 42 Rn. 26), kann es bei der Frage der Klagebefugnis nicht um die Frage gehen, ob die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern lediglich – wie z.B. bei der Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 ff. SGB VIII (vgl. VG Augsburg, U.v. 25.7.2018 – Au 3 K 15.1892 – juris) – gemeinsam einen Anspruch gerichtlich durchsetzen können. Vielmehr handelt es sich bei der Inobhutnahme als „andere Aufgabe“ um einen Akt der Eingriffsverwaltung, der in erster Linie das Kind betrifft (Kepert, a.a.O., Rn. 123, Rn. 126; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 67) und daneben auch die erziehungsberechtigten Eltern. Diese sind insofern von der Inobhutnahme betroffen, als in ihre Rechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8 EMRK eingegriffen wird (Kepert, a.a.O., Rn. 123 und Rn. 126). Dass die Abwehr eines derartigen Eingriffs lediglich von beiden sorgeberechtigten Elternteilen gemeinsam erfolgen dürfte, ergibt sich insbesondere nicht aus § 1627 BGB. Vielmehr muss jedes sorgeberechtigte Elternteil den Eingriff in sein grundgesetzlich geschütztes Sorgerecht unabhängig vom anderen sorgeberechtigten Elternteil gerichtlich überprüfen lassen können.
Dem steht auch nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall das Amtsgericht – Familiengericht – W … den jeweiligen Eltern zunächst vorläufig und sodann endgültig bestimmte Elternrechte entzogen hat. Denn die Inobhutnahme betrifft nicht allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfeleistungen, sondern vor allem auch das aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG fließende umfassende Recht, sein Kind zu erziehen (BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 – juris Rn. 5 und Rn. 6 m.w.N.; Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, juris-PK, SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 27.1.2020, § 42 Rn. 92).
c) Die Klage ist jedoch insoweit unzulässig, als sie im Hinblick auf den Inobhutnahmebescheid vom 13. September 2017, der hier mit der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angegangen wird, nicht fristgerecht erhoben wurde.
Während in der Rechtsprechung geklärt ist, dass bei verspätet erhobener Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage und Erledigungseintrittes während des Rechtsstreits auch bei Übergang der Klage zum Fortsetzungsfeststellungsantrag die Klage wegen abgelaufener Frist unzulässig bleibt (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 94 m.w.N.), ist dies für Fälle, bei denen die Erledigung bereits vor Ablauf der Klagefrist eintritt, umstritten.
Da im vorliegenden Fall die Erledigung erkennbar während der laufenden Klagefrist – die im Fall mangelnder oder fehlender Rechtsbehelfsbelehrungsogar ein Jahr betragen hätte, vgl. § 58 Abs. 2 VwGO – eingetreten ist, handelt es sich um die in der Rechtsprechung umstrittene Fallgestaltung.
Das Gericht schließt sich der Rechtsmeinung an, dass die Frist des § 74 VwGO auch bei Fortsetzungsfeststellungsklagen analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, bei der sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, entsprechende Anwendung findet (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 74 Rn. 2; Kopp in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 74 Rn. 2, § 113 Rn. 99, 128; BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – juris; BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 46; VGH BW, U.v. 4.6.1980 – VI 1949/79 – juris; VG Frankfurt, U.v. 19.8.1986 – IV/2 – E 1867/84 – NVwZ 1988, 381; R. P. Schenke, NVwZ 2000, 1255 ff.). Hierbei wird zum größten Teil angenommen, dass es sich bei der analogen Fortsetzungsfeststellungsklage nicht um eine Feststellungsklage im Sinne von § 43 VwGO handelt, sondern um einen Unterfall der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO, bei der auch die für Anfechtungsklagen vorgeschriebenen Prozessvoraussetzungen wie Klagebefugnis und Klagefrist erfüllt sein müssen. Selbst ohne Einordnung in eine bestimmte Klageart ist die Anwendung von § 74 VwGO sachgerecht. Die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann wegen der für Rechtsprechung und Verwaltung vordringlichen Aufgabe, aktuelle Lebenssachverhalte zu regeln, und auch aus Gründen des Rechtsfriedens nicht ohne jede zeitliche Beschränkung zugelassen werden. Wenn nämlich schon Verwaltungsakte, die den Betroffenen noch beschweren, durch Fristablauf in Bestandskraft erwachsen, so müssen erst recht gegenstandslos gewordene Verwaltungsakte nach einer angemessenen Frist auf sich beruhen bleiben, um dem Gedanken des Rechtsfriedens Geltung zu verschaffen (VGH BW, U.v. 4.6.1980 – VI 1949/79 – juris Rn. 33; VG Frankfurt, U.v. 19.8.1986 – IV/2 – E 1867/84 – NVwZ 1988, 381). Bereits im Jahr 1967 hat das BVerwG darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft sein kann, ob eine Klage zeitlich unbeschränkt erhoben werden kann, wenn der Verwaltungsakt sich innerhalb der Widerspruchsfrist oder Klagefrist erledigt hat. Es möge manches dafür sprechen, die Fristvorschriften in § 74 Abs. 1 VwGO entsprechend anzuwenden (BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – juris Rn. 19). Damit ist die Klage hinsichtlich des Inobhutnahmebescheides vom 13. September 2017 unzulässig.
Im Hinblick auf den Inobhutnahmebescheid vom 12. Februar 2020, bestätigt mit Bescheid vom 16. Juli 2020, liegt keine Verfristung vor. Mangels Rechtsbehelfsbelehrungkonnte auch am 17. Juni 2020 noch Klage erhoben werden (§ 58 Abs. 2 VwGO), zumal die schriftliche Bestätigung des Verwaltungsakts erst am 16. Juli 2020 erfolgt ist.
d) Das von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geforderte besondere Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme vom 12. Februar 2020 hat die Klägerin hinreichend dargelegt.
Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, soweit sich ein Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hat. Für das insoweit erforderliche besondere Feststellungsinteresse kommt ein berechtigtes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art in Betracht (st. Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – beckOK Rn. 20 m.w.N.; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 108 f.). Ein solches liegt nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Konstellationen insbesondere vor, wenn eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr, ein Genugtuungs- oder Rehabilitationsinteresse oder eine Fortdauer von Grundrechtsbeeinträchtigungen besteht (vgl. BVerwG, B.v. 26.7.2011 – 1 WB 13.11 – beckOK Rn. 19; Schübel-Pfister, a.a.O. Rn. 111). Vorliegend besteht ein Rehabilitationsinteresse.
Hat ein Verwaltungsakt außer seiner – erledigten – belastenden Wirkung zusätzlich einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt, der dem Ansehen des Betroffenen abträglich ist, so kann das ideelle Interesse an einer Rehabilitierung, also an der Beseitigung dieser Rufminderung, eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen, wenn es nach der Sachlage als schutzwürdig anzuerkennen ist (BVerwG, U.v. 9.2.1967 – I C 49.64 – BVerwGE 26, 161; BVerwG, U.v. 21.11.1980 – 7 C 18/79 – BVerwGE 61, 164; BVerwG, B.v. 17.12.2001 – 6 B 61/01 – NVwZ-RR 2002, 323). Hierfür genügt allerdings nicht ein abstraktes Interesse an der endgültigen Klärung der Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungshandelns ohne Rücksicht darauf, ob abträgliche Nachwirkungen dieses Handelns fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Sachentscheidung wirksam begegnet werden könnte (BVerwG, U.v. 21.11.1980 – 7 C 18/79 – BVerwGE 61, 164). Auch der Wunsch nach Genugtuung reicht nicht aus (BVerwG, B.v. 4.3.1976 – I WB 54/74 – BVerwGE 53, 134; VGH BW, U.v. 8.5.1989 – 1 S 722/88 – NVwZ 1990, 378). Vielmehr besteht mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – BVerwGE 146, 303). Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Schübel-Pfister, a.a.O., § 113 Rn. 119).
Die vorliegende Inobhutnahme eines ihrer Kinder stellt einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8 EMRK dar. Die Maßnahme hat neben der grundrechtlichen Schwere auch eine nach außen wirkende Stigmatisierung zur Folge, nämlich dahingehend, der Sorge um ein eigenes Kind nicht mächtig zu sein bzw. sogar eine Gefahr für das Kind darzustellen. Gerade im Hinblick auf den umfassenden Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG bzw. die sehr weiten elterlichen Bestimmungsrechte im Hinblick auf ihr Kind erscheint die staatliche Inobhutnahme als ultima ratio, die zugleich eine erhebliche Unfähigkeit des betroffenen Elternteils zum Ausdruck bringt. Hinzu kommt vorliegend, dass die Inobhutnahme im Krankenhaus und damit für unbeteiligte Dritte hör- und sichtbar erfolgte. Die Inobhutnahme war damit auch erweislich geeignet, das Ansehen der Klägerin in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Sie wirkt zudem in die Gegenwart fort, weil das Kind der Klägerin letztlich weiterhin nicht in ihren Haushalt und unter ihre Sorge zurückgekehrt ist und es für Dritte nicht erkennbar ist bzw. faktisch keine Rolle spielt, auf welcher rechtlichen Grundlage bzw. aufgrund welcher behördlichen Zuständigkeiten dieser Zustand besteht.
Damit hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an ihrer Rehabilitierung.
2. Die Klage ist in ihrem zulässigen Teil jedoch unbegründet.
Die angegriffene Inobhutnahme war rechtmäßig und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO).
Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.
In diesem Zusammenhang ist der Gefahrenbegriff nach dem Maßstab des § 1666 BGB zu verstehen. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift geht es um die Frage, ob das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird und seine Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (B.v. 6.2.2019 – XII ZB 408/18 – juris Rn. 18) besteht eine derartige Gefährdung des Kindeswohls, wenn bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Dringend im Sinne der Vorschrift ist eine Gefahr dann, wenn im Zeitpunkt des behördlichen Vorgehens die Prognose getroffen werden kann, dass bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens der Eintritt des Schadens hinreichend wahrscheinlich ist. Bloße Zweifel beispielsweise an der Erziehungsfähigkeit der Eltern genügen nicht. Vielmehr ist Voraussetzung, dass ein das Kind gravierend schädigendes Erziehungsversagen mit hinreichender Gewissheit feststeht, wobei allerdings nicht der Staat seine eigenen Vorstellungen von einer gelungenen Kindererziehung an die Stelle der elterlichen Vorstellungen setzen darf (Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 27.1.2020, § 42 Rn. 78; Trenczek in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 42 Rn. 17).
An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen (BGH, a.a.O. Rn. 19).
Die dringende Gefahr muss darüber hinaus stets eine konkrete Gefahr sein; aus konkreten Tatsachen muss erkennbar sein, dass bei einer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist. Dringend im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist die Gefahr also dann, wenn damit zu rechnen ist, dass der Schaden in naher Zukunft eintritt, wenn ihre Beseitigung also bereits vor einer möglichen familiengerichtlichen Entscheidung erforderlich ist (Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 27.1.2020, § 42 Rn.79 und 82; Trenczek in Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 42 Rn. 18).
Neben dem Vorliegen einer dringenden Gefahr setzt § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII die Erforderlichkeit der Inobhutnahme voraus. Diese ist nur dann gegeben, wenn allein die Inobhutnahme das Kindeswohl sichern kann und andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen. Dies wäre z.B. auch dann der Fall, wenn das Jugendamt in der Lage ist, die Gefährdung dadurch abzuwenden, dass es sich rechtzeitig durch das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Ergänzungspfleger übertragen lässt (Kirchhoff, a.a.O., Rn. 87 und 91).
Im vorliegenden Fall bestand im Zeitpunkt seiner Geburt eine dringende Gefahr für das Wohl von T. S. und die Inobhutnahme war erforderlich.
Diesbezüglich war zunächst der langfristige psychische Zustand der Klägerin und die daraus folgenden Konsequenzen für ihre Erziehungsfähigkeit in den Blick zu nehmen.
Aus den Beschlüssen des Amtsgerichts W … vom 19. Oktober 2017 und vom 15. Oktober 2018 ergab sich, dass bei der Klägerin von einer lang anhaltenden Erkrankung im Sinne einer schizoaffektiven Störung mit vorwiegend manischen Symptomen ausgegangen werden musste. Dieser Zustand ist von hohem Stresserleben, manischen Tendenzen und antisozialen Verhaltensmerkmalen geprägt. Die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Klägerin ist stark eingeschränkt, sie erscheint sozial isoliert. Demgegenüber ist eine dauerhafte adäquate Behandlung der Klägerin und eine Langzeitprophylaxe der festgestellten Störung aufgrund fehlender Krankheitseinsicht der Klägerin über viele Jahre gescheitert. Hieraus hat sich in der Vergangenheit eine erhebliche Einschränkung der grundlegenden Erziehungsfähigkeit der Klägerin ergeben. Sie hat lediglich eine eingeschränkte Fähigkeit, Bedürfnisse und Signale ihres Kindes richtig wahrzunehmen und in adäquater Weise hierauf zu reagieren. Ihr fehlt die erforderliche emotionale Feinfühligkeit, die sie gegenüber den Bedürfnisstrukturen des Kindes aufbringen müsste; hierbei stellt sie auch ihre eigenen Bedürfnisse über die des Kindes. Es gelingt ihr nur schwer, entsprechende Signale und Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und ihr Verhalten demgemäß zu reflektieren und zu ändern. Aufgrund ihrer krankheitsbedingten Selbstfokussierung fehlt ihr auch die Kooperationsfähigkeit, um mit einem Helfersystem zusammenarbeiten zu können (vgl. B.v. 15.10.2018, S. 14, hier Zitat aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen, Dipl.-Psych. L. vom 25.9.2018).
Wie das Amtsgericht W … ausführt (vgl. B.v. 15.10.2018, S. 18), handelt es sich bei der schizoaffektiven Störung um eine solche, bei der sowohl eindeutig schizophrene als auch Symptome einer gemischten bipolaren affektiven Störung vorliegen. Die vom Amtsgericht beauftragten Sachverständigen haben bei der Klägerin eine erhebliche Antriebssteigerung mit Logorrhoe, formale Denkstörungen mit einem zerfahrenen und inkohärenten Gedankengang, optische Halluzinationen, Ich-Störungen und inhaltliche Denkstörungen festgestellt.
Diese schon seit mehreren Jahren bestehende Situation hat sich auch zum Zeitpunkt der Inobhutnahme von T. S. nicht grundlegend geändert.
Bereits aus der polizeilichen Meldung vom 5. Oktober 2019 an das Jugendamt der Beklagten ergibt sich, dass sich die Klägerin auch zu diesem Zeitpunkt in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Beim Gespräch zwischen dem Jugendamt der Beklagten und der Klägerin am 7. November 2019 hat die Klägerin eine medikamentöse Behandlung erneut kategorisch abgelehnt, da sie nicht psychisch krank sei. In diesem Zusammenhang hat auch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau Dr. G., die an diesem Gespräch teilgenommen hat, eine akute psychische Erkrankung gesehen und den Hinweis gegeben, dass die Klägerin unter diesen Umständen nicht in der Lage sein werde, sich adäquat um ein Neugeborenes zu kümmern.
Aus dem Beschluss des Amtsgerichts W … vom 24. Februar 2020 (vgl. Seite 9 bis Seite 10 des Beschlusses) ergibt sich die mündliche Beurteilung der vom Amtsgericht beauftragten Sachverständigen Diplom-Psychologin A., wonach es bei der Klägerin mit schizoaffektiven und bipolaren Störungen der Eltern-Kind-Beziehung meist an Kontinuität und Stabilität fehle, da die Erkrankung mit starken Schwankungen der Stimmung und des Affekts sowie eingeschränkten Kompetenzen und Toleranzen im zwischenmenschlichen Kontakt- und Kommunikationsverhalten einhergehe. Die Klägerin könne sich nur eingeschränkt auf das Kind einlassen. Es könne zur Einschränkung von Steuerungs- und Urteilsfähigkeit kommen, auch könne ein Kind in das Wahnsystem eines psychotischen Elternteils miteinbezogen sein. Ein Kind sei jedoch auf die Steuerungs- und Urteilsfähigkeit seiner Bezugspersonen elementar angewiesen, vor allem, wenn gleichzeitig eine soziale Isolation vorliege. Bei Einbeziehung in ein Wahnsystem könne ein Kind dauerhaft mit psychotisch verzerrter Wahrnehmung der Realität und Sinnestäuschung konfrontiert werden und dadurch in seiner eigenen Wahrnehmung beeinflusst und in seiner emotionalen Entwicklung verunsichert werden. Aufgrund dieser Vernachlässigungen oder Gefährdungen könne ein Kind mnestische Störungen, Beeinträchtigungen der Gedächtnisfunktion, der Aufmerksamkeit und der Konzentration ausbilden. Im Falle von Suizidalität bestehe immer die Gefahr eines erweiterten Suizids, da das Kind eventuell in das Wahnerleben eingebaut werde. Das emotionale Reagieren des Elternteils sei häufig unangemessen und für das Kind nicht vorhersehbar und damit stark verunsichernd. Soziale Isolierung könne zu einer völlig abhängigen Beziehung des Elternteils zum Kind führen. In der Folge übernehme das Kind die unrealistischen Vorstellungen des krankhaften Elternteils.
Aus dem Beschluss des Amtsgerichts W … vom 24. Februar 2020 ergibt sich weiter (vgl. Seite 7 des Beschlusses) die Einschätzung der Sachverständigen Dipl.-Psych. A., dass bei einem Belassen des Kindes bei seinen Eltern weitere (über die pränatalen körperlichen Schäden aufgrund bewussten Rauchens der Klägerin in der Schwangerschaft, um ihr Kind „durchzubringen“, hinaus) Schädigungen zu erwarten seien, denn die Erkrankungen beider Elternteile führten zu einer massiven Einschränkung der Feinfühligkeit, der emotionalen Responsivität und Empathie. Es müsse mit abrupten Stimmungswechseln und aggressiven Impulsdurchbrüchen gerechnet werden, die immer wieder stationär aufgefangen werden müssten. Hinzu kämen Realitätsverzerrungen und formal gedankliche Auffälligkeiten der Kindseltern, die ein massives Risiko für die körperliche Unversehrtheit des Kindes darstellten.
Aus diesen Gegebenheiten und Einschätzungen hat das Jugendamt der Beklagten vorliegend zu Recht eine dringende Gefahr für das Wohl von T. S. ab dem Zeitpunkt seiner Geburt gesehen.
Ein neugeborenes Kind ist vollumfänglich und jederzeit auf eine adäquate Pflege, Unterstützung, Ernährung und emotionale Zuwendung angewiesen. Die zur Verfügung stehenden oben dargestellten Informationen ließen konkret befürchten, dass das Kind T. S. ohne die Inobhutnahme alsbald sowohl körperlich als auch emotional erheblichen Schaden nehmen werde. Dies ergibt sich schon daraus, dass es als sehr wahrscheinlich anzusehen war, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Situation mit einer damit einhergehenden starken Ich-Bezogenheit nicht in der Lage sein werden würde, für die regelmäßige Pflege und Ernährung des Kindes zu sorgen. Hierdurch drohte dem Kind konkreter körperlicher Schaden. Darüber hinaus war es erkennbar sehr wahrscheinlich, dass das Kind auch psychisch-emotional alsbald Schaden nehmen werde, dies aufgrund der oben dargestellten fehlenden Fähigkeit der Klägerin, sich dem Kind positiv emotional zuzuwenden und ihm dauerhaft jederzeit die erforderliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Weiterhin war die Befürchtung der Diplom-Psychologin A. nicht von der Hand zu weisen, dass das Kind auch im Rahmen eines möglichen Suizids der Klägerin konkret in seinem Leben bedroht gewesen sein könnte.
Da die Klägerin weiterhin keinerlei Krankheitseinsicht hatte und jegliche diesbezügliche Behandlung verweigerte, war die oben beschriebene Gefährdung des Kindeswohls mit großer Wahrscheinlichkeit alsbald zu erwarten. In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass es um äußerst gravierende Schäden hinsichtlich der körperlichen und psychischen Gesundheit und des Lebens von T. S. geht.
Auf dieser Grundlage hat die Beklagte zu Recht eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes T. S. ab dem Zeitpunkt seiner Geburt angenommen. In diesem Zusammenhang musste davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ohne eine entsprechende Inobhutnahme des Kindes jederzeit rechtlich dazu in der Lage gewesen wäre, alsbald nach der Geburt das Krankenhaus gemeinsam mit ihrem Kind zu verlassen, sodass auch ein entsprechender Schutz durch die Mitarbeitenden des Krankenhauses in den ersten Tagen nach der Geburt nicht sichergestellt gewesen wäre.
Die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der dringenden Gefahr für das Wohl des Kindes ist zu Recht auch nicht durch das ärztliche Schreiben des Dr. Oe. vom 16. Oktober 2019 zum Positiven gewendet worden. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass sich die Klägerin in geordnetem Zustand vorgestellt habe und wegen der Drogenanamnese eine Haaranalyse durchgeführt worden sei, deren Befund negativ ausgefallen sei. Das Schreiben spricht auch die Schwangerschaft der Klägerin an, geht auf die Behandlung des Sohns der Klägerin (diese Passage kann sich nur auf J. R. beziehen) ein und enthält den abschließenden Satz: „Zusammenfassend ist aus der jetzigen Sicht eine Erziehungsfähigkeit gegeben“. Allerdings ist hieraus nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar, auf welcher Grundlage Dr. Oe. zu dieser Einschätzung kommt. Diesbezügliche Ausführungen enthält das Schreiben nicht; es konnte damit nicht die oben dargestellten Gegebenheiten und Einschätzungen in Frage stellen.
Zur Abwendung dieser dringenden Gefahr für das Wohl von T. S. war die Inobhutnahme direkt im Anschluss an die Geburt auch erforderlich. Ein milderes Mittel stand der Beklagten nicht zur Verfügung.
Zunächst lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kindsvater G. S. dazu in der Lage gewesen wäre, das Kind T. S. angemessen zu versorgen, zu betreuen und zu erziehen.
Aus dem Polizeibericht vom 5. Oktober 2019 ergibt sich, dass der Kindsvater im Rahmen des Polizeieinsatzes, hervorgerufen durch mehrere Notrufe der Klägerin, einen Verwirrtheitszustand aufwies, der mit demjenigen der Klägerin vergleichbar war.
Im Schreiben vom 7. November 2019 an das Amtsgericht W … führt die Beklagte aus, der Kindsvater wohne in einer Art betreutem Wohnen, habe einen Betreuer und arbeite im E …-S …; hierbei handelt es sich um eine Einrichtung für Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung, denen ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben ermöglicht werden soll.
Aus dem Schreiben der Beklagten an das Amtsgericht W … vom 11. Februar 2020 ergibt sich, dass der Kindsvater gemäß einer Auskunft der vom Amtsgericht beauftragten Diplom-Psychologin A. an Schizophrenie leidet.
Aus dem Beschluss des Amtsgericht W … vom 24. Februar 2020 (Seite 5 des Beschlusses) ergibt sich, dass der Kindsvater an einer psychischen Erkrankung leidet. Für ihn ist ein gesetzlicher Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Regelung von Fortbildung und beruflicher Integration, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt ab 25,00 EUR, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Aufenthaltsbestimmung. Gemäß eines im Betreuungsverfahren eingeholten nervenärztlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. M. vom 27. Mai 2012 liegt beim Kindsvater das Residualstadium einer endogenen Psychose vor. Nach diesem Gutachten besteht Antriebsschwäche und Selbstunsicherheit mit Versagensängsten und Entscheidungsschwäche. Hinzu kommt eine leichte Lernbehinderung und eine Konzentrationsschwäche. Weiterhin hat – so der Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Februar 2020, Seite 6 – das Krankenhaus für P … und P … M … S … W … am 3. August 2017 eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis attestiert.
Das Amtsgericht kommt in seinem Beschluss auf der Grundlage der Einschätzung der Diplom-Psychologin A. aufgrund der Erkenntnisse aus dem Betreuungsverfahren zu dem Ergebnis, dass der Kindsvater zur Abwendung von Gefahren für das Kind T. S. nicht in der Lage ist. Nach Einschätzung des Amtsgerichts hat diese Gefahr ihre Ursache in der Erkrankung des Kindsvaters.
All dies macht deutlich, dass der Kindsvater im Zeitpunkt der Inobhutnahme nicht in der Lage war, das Kind T. S. angemessen zu versorgen.
Das mildere Mittel der Einbeziehung weiterer Familienmitglieder der Kindseltern war ebenfalls nicht möglich, da eine derartige Option offensichtlich faktisch nicht zur Verfügung stand (vgl. Amtsgericht W …, B.v. 24.2.2020, Seite 11).
Auch ein milderes Mittel dergestalt, dass das Kind T. S. gemeinsam mit der Klägerin bis zu einer Entscheidung des Familiengerichts in der Entbindungsklinik bleiben könnte, war nicht erkennbar. Ohne die Inobhutnahme hätte die Klägerin gemeinsam mit dem Kind das Krankenhaus jederzeit und alsbald nach der Geburt verlassen können, ohne dass es ein rechtlich zulässiges Mittel gegeben hätte, sie daran zu hindern.
Auch das mildere Mittel einer rechtzeitigen Herbeiführung einer Entscheidung des Familiengerichts vor der Geburt (vgl. Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Stand: 27.1.2020, § 42 Rn. 91) war für die Beklagte nicht gegeben. Zwar hat die Beklagte das Familiengericht bereits im Vorfeld der Geburt über den Sachverhalt informiert und das Amtsgericht hat bereits vor der Geburt ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Kindseltern in Auftrag gegeben; ein formeller Antrag gemäß § 1666 BGB an das Amtsgericht war jedoch rechtlich erst ab der Geburt des Kindes zulässig (vgl. hierzu Palandt, BGB, Kommentar, 80. Aufl. 2021, § 1666 Rn. 5 m.w.N.).
Auch das mildere Mittel der Gewährung einer Jugendhilfemaßnahme gemäß §§ 27 ff. SGB VIII war für die Beklagte mangels entsprechenden Antrags der Kindseltern auf der Grundlage von deren fehlender Krankheits- und Einsichtsfähigkeit nicht erfolgversprechend.
Aus alledem ergibt sich die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme des Kindes T. S. durch die Beklagte.
3. Damit war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.


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