Aktenzeichen IX ZB 94/07
Art 38 Abs 1 EGV 44/2001
Verfahrensgang
vorgehend OLG Dresden, 24. April 2007, Az: 3 W 594/06, Beschlussvorgehend LG Zwickau, 30. März 2006, Az: 2 O 479/06, Beschluss
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. April 2007 wie folgt geändert: Der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 30. März 2006 wird insgesamt aufgehoben.
Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Tribunale civile di Prato (Italien) vom 2. Mai 2005 wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens aller Instanzen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 18.437,57 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin (im Folgenden auch: Gläubigerin) erhob im Jahr 1998 in Italien Zahlungsklage gegen die Antragsgegnerin (im Folgenden auch: Schuldnerin). Mit einem am 6. September 2005 für vollstreckbar erklärten, nicht rechtskräftigen Urteil vom 2. Mai 2005 verurteilte der Tribunale civile di Prato die Schuldnerin zur Zahlung von 18.437,75 € zuzüglich Kosten. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts dieses Urteil mit Beschluss vom 30. März 2006 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt. Auf Beschwerde der Schuldnerin setzte die Corte d’Appello di Firenze am 29. Mai 2006/5. Juli 2006 die Vollstreckung des angefochtenen Urteils des Tribunale civile di Prato aus (Art. 283 c.p.c.). Termin zur Verhandlung über die Berufung der Schuldnerin vor der Corte d’Appello di Firenze ist auf den 9. November 2011 bestimmt. Zwischenzeitlich war auf Antrag der Gläubigerin durch das Amtsgericht Auerbach eine Kontenpfändung ausgebracht worden (§ 720a ZPO).
2
Mit Beschluss vom 24. April 2007 hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des Landgerichts vom 30. März 2006 geändert und das Urteil des Tribunale civile di Prato für die Zeit bis zum 28. Mai 2006 zur Vollstreckung zugelassen. Danach sei das Urteil wegen der Aussetzung der Vollstreckung oder Aufhebung der Vollstreckbarkeit in Italien nicht mehr vollstreckbar. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
3
Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein nicht rechtskräftiges ausländisches Urteil, dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat ausgesetzt oder aufgehoben worden ist, für einen begrenzten Zeitraum für vollstreckbar erklärt werden kann. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG.
III.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Landgerichts ist insgesamt aufzuheben. Eine zeitlich begrenzte Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen sieht das Gesetz nicht vor.
5
1. Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung.
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2. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es sei zu beachten, dass das Urteil des Tribunale civile di Prato in Italien bis zum 28. Mai 2006 vollstreckbar gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung des Landgerichts hätten die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung vorgelegen. Die Entscheidung der Corte d’Appello di Firenze habe die Vollstreckbarkeit in Italien nicht rückwirkend beseitigt, sondern nur die Weiterführung der begonnenen Vollstreckung verhindert. Dies ergebe sich aus einer Auskunft des italienischen Justizministeriums. Die Entscheidung habe eine der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach deutschem Recht vergleichbare Wirkung. Bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln blieben danach bestehen. Um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, sei die EuGVVO dahin auszulegen, dass gerichtliche Entscheidungen – soweit sie anzuerkennen seien – mit der Wirkung in den Vollstreckungsstaat zu übernehmen seien, die sie auch im Urteilsstaat hätten. Ergehe dort eine die Zwangsvollstreckung lediglich vorläufig beschränkende Entscheidung, seien im Vollstreckungsstaat zuvor bereits ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahmen aufrecht zu erhalten. Dies müsse auch im Hinblick auf die schon erfolgte Kontenpfändung gelten.
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3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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a) Mit der Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat fehlt eine nach der EuGVVO anzuerkennende Entscheidung (Art. 38 Abs. 1 EuGVVO). Auch für eine bloße Sicherungsvollstreckung ist Voraussetzung, dass im Urteilsstaat eine vollstreckbare Entscheidung vorliegt. Ob die dortige Entscheidung für einen begrenzten Zeitraum vollstreckbar war und ob eine Aufhebung der Vollstreckbarkeit dort ex nunc oder ex tunc wirkt, ist unerheblich. Entfällt während des Beschwerdeverfahrens die Vollstreckbarkeit der Entscheidung, so ist dies – wie auch sonst im Vollstreckbarerklärungsverfahren (vgl. BGHZ 171, 310, 316 Rn. 15; BGH, Beschl. v. 30. April 1980 – VIII ZB 34/78, NJW 1980, 2022) – uneingeschränkt zu berücksichtigen. Die Frage, ob aus der Entscheidung im Urteilsstaat für einen begrenzten Zeitraum hätte vollstreckt werden können, hat hiermit nichts zu tun. Ein “Gleichlauf” der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat und im Inland, wie ihn sich das Beschwerdegericht vorstellt, kommt wegen des Wegfalls der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nicht in Frage.
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b) Diese Sichtweise gebietet auch § 27 AVAG. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Aufhebung oder Änderung der Zulassung der Vollstreckung in einem besonderen Verfahren geltend machen, wenn der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert wird. Hieraus folgt, dass sogar die nachträgliche Aufhebung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu beachten ist und bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind (§ 27 Abs. 5 AVAG). Wenn für die Zeit nach Beendigung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem nachträgliche Veränderungen der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu berücksichtigen sind, muss dies erst recht für die Änderung der Vollstreckbarkeit während des laufenden Vollstreckbarerklärungsverfahrens gelten. Sicherungsmaßnahmen sind nach Art. 47 Abs. 3 EuGVVO ausdrücklich auf die Zeit bis zum Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts beschränkt. Bestätigt das Beschwerdegericht die Vollstreckbarerklärung nicht, dürfen auch keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen mehr aufrechterhalten werden. Die Vollstreckbarkeit entfällt in vollem Umfang.
IV.
10
Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.
Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp