Familienrecht

Vollstreckung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ergangenen einstweiligen Entscheidung

Aktenzeichen  7 W 1210/20

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29974
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 890 Abs. 2, § 1086 Abs. 1, § 1117
VO (EU) Nr. 1215/2012 Art. 42 Abs. 2 lit. b, Art. 53

 

Leitsatz

1. Für die Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 2 ZPO ist dann, wenn der Unterlassungstitel von einem Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates stammt, in entsprechender Anwendung der §§ 1117, 1086 Abs. 1 ZPO dasjenige deutsche Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat gerichtlich angeordnet wurde, setzt voraus, dass die nach § 53 EuGVVO erforderliche Bescheinigung den Tenor der zu vollstreckenden einstweiligen Entscheidung wiedergibt. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 18435/19 2020-06-18 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners werden der Beschluss des Landgerichts München I vom 18.06.2020, Az. 20 O 18435/19, aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin vom 23.12.2019, dem Antragsgegner zur Erzwingung der in dem vollstreckbaren Beschluss des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 ausgewiesenen Verpflichtung, wonach es dem Antragsgegner vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 untersagt ist, als Handelsvertreter eine jegliche Geschäftstätigkeit auf dem Schnittblumenmarkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auszuüben, ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen, zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird (für die Rechtsanwaltsgebühren) auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 11.06.2018, n. 65/2018 RG lav (Anl. K 1), bestätigte das Tribunale di Vicenza seine vorläufige Verfügung vom 09.04.2018 und untersagte dem Antragsgegner bis 31.12.2019, auf jede Art und Weise, direkt oder indirekt, Schnittblumen in Österreich, Deutschland und der Schweiz zu vertreiben, es sei denn, dies erfolgt im Auftrag der Antragstellerin. Darüber hinaus wurde dem Antragsgegner für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 „untersagt, als Agent eine jegliche Geschäftstätigkeit auf dem Schnittblumenmarkt im geografischen Gebiet, das durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gekennzeichnet ist, auszuüben“.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.12.2019 beantragte die Antragstellerin,
dem Antragsgegner zur Erzwingung der in dem vollstreckbaren Beschluss des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 ausgewiesenen Verpflichtung, wonach es dem Antragsgegner vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 untersagt ist, als Handelsvertreter eine jegliche Geschäftstätigkeit auf dem Schnittblumenmarkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auszuüben, ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Der Antragsgegner beantragte,
Der Antrag wird abgewiesen.
Mit Beschluss vom 18.06.2020, Az. 20 O 18435/19, der den Antragsgegnervertretern am 30.06.2020 zugestellt wurde, sprach das Landgericht München I die beantragte Androhung aus (Bl. 29/33 d.A.).
Mit Schriftsatz der Antragsgegnervertreter vom 09.07.2020, eingegangen per Fax am selben Tag, legte der Antragsgegner gegen den Beschluss vom 18.06.2020 sofortige Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss vom 18.06.2020 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers [sic] auf Androhung von Ordnungsgeld/Ordnungshaft gemäß § 890 Abs. 2 ZPO abzuweisen.
Das Landgericht München I sei nicht zuständig. Zuständig sei vielmehr ausschließlich dass Tribunale di Vicenza.
Die Antragstellerin beantragte, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 28.08.2020 (Bl. 42/44 d.A.) half das Landgericht München I der sofortigen Beschwerde des Antragsgegners nicht ab und ordnete die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München an.
Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 09.09.2020 Hinweise erteilt, zu denen der Antragstellervertreter mit Schriftsatz vom 23.10.2020 (Bl. 57/64 d.A.) Stellung nahm. Auf den Beschluss vom 09.09.2020 (Bl. 47/53 d.A.), die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten und den sonstigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Zwar war das Landgericht München I entgegen der Ansicht des Antragsgegners international, sachlich und örtlich zuständig, jedoch entspricht die vom Tribunale di Vicenza ausgestellte Bescheinigung nach Art. 53 Brüsel Ia-VO nicht den Vorgaben des Art. 42 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (im Folgenden als Brüssel Ia-VO bezeichnet), sodass die Entscheidung des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 in Deutschland nicht vollstreckbar ist.
1. Das Landgericht München war für den Erlass des Androhungsbeschlusses zuständig.
a. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 41 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO.
b. Das Landgericht war auch – ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme – (§ 571 Abs. II S. 2 ZPO) sachlich zuständig. Nach Art. 41 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO gilt für das Verfahren zur Vollstreckung deutsches Recht. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich daher in Ermangelung von spezielleren Regelungen nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 23, 71 GVG), sodass in Anbetracht des über 5.000,00 € liegenden Streitwerts das Landgericht zur Entscheidung berufen war (vgl. insoweit BT-Drs. 18/823, S. 23 vorletzter Absatz zur sachlichen Zuständigkeit bei Vollstreckungsabwehrklagen iSd. § 1117 ZPO).
c. Schließlich war das Landgericht München I auch örtlich zuständig. Zwar regelt das gemäß Art. 41 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO zur Anwendung berufene deutsche Recht nicht ausdrücklich, welches deutsche Gericht zum Erlass der Androhung nach § 890 Abs. 2 ZPO örtlich zuständig ist, da § 890 Abs. 2 ZPO auf das „Prozessgericht des ersten Rechtszuges“ verweist, es ein deutsches Prozessgericht jedoch nicht gibt. Diese Lücke ist durch eine entsprechende Anwendung der §§ 1117, 1086 Abs. 1 ZPO zu schließen, die die Frage der örtlichen Zuständigkeit für die Vollstreckungsabwehrklage gegen einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat vollstreckbaren ausländischen Titel regeln und insoweit als „Prozessgericht des ersten Rechtszuges“ iSd. § 767 Abs. 1 ZPO dasjenige Gericht bestimmen, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 33. Auflage, Köln 2020, Rdnr. 15 zu Art. 41 Brüssel Ia-VO). Denn sowohl § 890 Abs. 2 ZPO als auch § 767 Abs. 1 ZPO stellen wortgleich auf das „Prozessgericht des ersten Rechtszuges“ ab. Ein Grund, warum nicht auch im Fall des § 890 Abs. 2 ZPO das für den Wohnsitz des Schuldners örtlich zuständige deutsche Gericht zuständig sein soll, ist nicht ersichtlich.
Daran ändert auch die Bezugnahme der Antragsgegnervertreter auf die Kommentarstelle bei Zöller zu § 887 ZPO (dort Rdnr. 6) nichts. Denn dort wird für den Fall des § 887 ZPO in Bezug auf ausländische Urteile dasjenige Gericht als örtlich zuständig angesehen, das die Vollstreckbarkeitserklärung ausgesprochen hat. Ein solches Gericht gibt es aber hinsichtlich des streitgegenständlichen Titels gar nicht, da es insoweit nach der Brüssel Ia-VO einer Vollstreckbarerklärung nicht mehr bedarf.
Ob auf das dem Streit zwischen den Parteien zu Grunde liegende Vertragsverhältnis italienisches Recht zur Anwendung kommt, ist gemäß Art. 41 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO für die Vollstreckung ohne Bedeutung.
2. Es kann dahinstehen, ob – wie von der Antragstellerin im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.10.2020 (dort S. 1 – 5, Bl. 57 – 61 d.A.) in Abrede gestellt – § 929 Abs. 2 ZPO auf die Entscheidung des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 überhaupt anwendbar ist und ob – wie von der Antragstellerin behauptet (vgl. Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 23.10.2020, dort S. 5 – 8, Bl. 61 – 64 d.A.) – die Vollzugsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO jedenfalls eingehalten wurde. Denn die Vollstreckung der Entscheidung des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 in Deutschland scheitert an der Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 42 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO. Art. 42 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist anwendbar, da – auch nach Ansicht der Antragstellerin (vgl. Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 23.10.2020, S. 2 letzter Absatz, Bl. 58 d.A.) – die Entscheidung vom 11.06.2018 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erging.
a. Zwar hat die Antragstellerin aufgrund des Hinweises des Senats vom 09.09.2020 mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.10.2020 mittlerweile das Original der Bescheinigung des Tribunale di Vicenza vom 20.06.2018 gemäß Art. 53 Brüssel Ia-VO vorgelegt (Anl. K 8). Jedoch fehlt es darin an einer „Beschreibung der Maßnahme“, das heißt an der Wiedergabe des Tenors der zu vollstreckenden einstweiligen Entscheidung, da in der Bescheinigung weder unter Punkt 4.6.2.1 „Kurzdarstellung des Streitgegenstands und der angeordneten Maßnahme“ noch an anderer Stelle hierzu Ausführungen enthalten sind. Dass sich die angeordnete Maßnahme aus dem Tenor der Entscheidung des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 ergibt, reicht entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht aus. Dies folgt schon aus dem Wortlaut von Art. 42 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO, da demnach die Bescheinigung selbst eine Beschreibung der Maßnahme enthalten muss.
b. Darüber hinaus ist auch Art. 42 Abs. 2 lit b) i) Brüssel Ia-VO nicht Genüge getan, da in der Bescheinigung nicht bestätigt ist, dass das Tribunale di Vicenza auch in der Hauptsache zuständig ist. Denn weder ist in dem in der Bescheinigung nach Art. 53 Brüssel Ia-VO unter Punkt 4.6.2.2.1 vorgesehenen Kästchen ein Kreuz angebracht, noch erfolgt die Bestätigung an anderer Stelle in der Bescheinigung. Damit ist aber schon nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem Beschluss des Tribunale di Vicenza vom 11.06.2018 überhaupt um eine der Brüssel Ia-VO unterfallende Entscheidung handelt. Denn nach Art. 2 lit a Abs. 2 S. 1 Brüssel Ia-VO erfasst die Verordnung Entscheidungen über einstweilige Maßnahmen nur, wenn diese vom auch in der Hauptsache zuständigen Gericht getroffen wurden (vgl. Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage, München 2017, Rdnr. 6 zu Art. 42 Brüssel Ia-VO).
c. Eine Vorlage an den EuGH im Hinblick auf die oben unter a und b vorgenommene Auslegung des Art. 42 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO ist gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht geboten. Zwar ist aufgrund der Nichtanfechtbarkeit der Beschwerdeentscheidung des Senats das Oberlandesgericht München letztinstanzliches Gericht iSd. Art. 267 Abs. 3 AEUV, jedoch hat ein Vorabentscheidungsersuchen nach der „acte clair-Theorie“ zu unterbleiben. Denn das vom Senat gefundene Ergebnis folgt direkt aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der keine andere Auslegung zulässt. Da demnach für Zweifel kein Raum bleibt, ist der Senat der Überzeugung, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (zur acte clair-Doktrin und deren Voraussetzungen vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.10.2011, Az. 1 BvL 3/08, Rdnr. 51).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 891 S. 2, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
4. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 574 Abs. 2 ZPO).
5. Die Festsetzung des Werts des Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 23 Abs. 2 S. 1, 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG.


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