Familienrecht

Voraussetzungen für eine Rückführungsanordnung bei Antragstellung nach Ablauf der Jahresfrist des Art. 12 HKÜ

Aktenzeichen  2 UF 91/16

Datum:
27.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134849
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HKÜ Art. 12 Abs. 1, Abs. 2
IntFamRVG § 40 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ wird die Rückführung eines Kindes angeordnet, wenn es widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrages beim zuständigen Gericht eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist. Vor Ablauf dieser Frist spricht die gesetzliche Vermutung dafür, dass eine Rückführung dem Kindeswohl am besten dient. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Versäumung dieser Jahresfrist erfolgt eine Rückführung nicht, sofern erwiesen ist, dass das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Einleben iSv Art. 12 Abs. 2 HKÜ ist anzunehmen, wenn das Kind sich in seinem unmittelbar familiären und sozialen Umfeld in stabilen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen befindet. Das Kind muss mit dem neuen Wohnort und den Bezugspersonen verbunden und verwachsen und in seinem neuen Freundes- und Verwandtschaftskreis verwurzelt sein. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

206 F 253/16 2016-04-07 Bes AGBAMBERG AG Bamberg

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht -Bamberg vom 07.04.2016 wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
4. Das Gesuch des Antragstellers, ihm Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren, wird abgewiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin die Rückführung des gemeinsamen Kindes M., geb. X., nach S. auf der Grundlage des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ). Die Beteiligten waren nicht verheiratet. Sie lebten, seit M. zwei Monate alt war, gemeinsam mit ihm bis 13.03.2014 in Ma., S.
Am 13.03.2014 verließ die Antragsgegnerin das bis dahin gemeinsam bewohnte Anwesen zusammen mit dem Sohn M. über P. nach Deutschland, wo sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem deutschen Staatsangehörigen Herrn H., den sie im Juli 2014 geheiratet hat, in B. lebt. Gemeinsam mit dem Sohn M. ist sie seit 05.04.2014 in B., X.-Straße, gemeldet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller zwischenzeitlich Kenntnis vom Ort des Aufenthalts der Antragsgegnerin in B. erlangt hatte.
Der Antragsteller hatte seit der Ausreise aus S. jedenfalls keinen Umgang mit dem Sohn M. und führte in S. ein Sorgerechtsverfahren, in dem ihm durch Versäumnisbeschluss vom 08.06.2015 die Personensorge und das alleinige Sorgerecht für M. hinsichtlich der Festlegung des Wohnortes übertragen wurde.
Mit Schriftsatz vom 24.02.2016, eingegangen beim Amtsgericht Bamberg am 24.02.2016, stellte der Antragsteller erstmals den Antrag auf Rückführung des Kindes und führte aus, dass eine außergerichtliche Aufforderung zur Rückkehr unterblieben sei, da bei der Kindsmutter Fluchtgefahr bestehe.
Nach Anhörung der beteiligten Eltern, der vom Amtsgericht bestellten Verfahrensbeiständin sowie des Jugendamtes B. in nichtöffentlicher Sitzung vom 24.03.2016 wies das Amtsgericht Bamberg den Antrag auf Rückführung des Kindes mit Beschluss vom 07.04.2016 zurück.
Das Amtsgericht führte im Wesentlichen aus, dass die Antragsgegnerin das betroffene Kind zwar seit 14.03.2014 in der Bundesrepublik gegen den erkennbaren Willen des Antragstellers zurückhalte, der Antrag auf Rückführung des Kindes scheitere jedoch an Art. 12 Abs. 2 HKÜ. Der erst am 24.02.2016 eingegangene Antrag könne die Jahresfrist nicht wahren.
Eine Rückführung müsse unterbleiben, weil nachgewiesen sei, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt habe. M. habe nur die ersten sechs Monate seines Lebens in S. gelebt, lebe nunmehr seit knapp zwei Jahren in B. und habe sich in die neue Umgebung vollständig eingelebt. Dies stützt das Amtsgericht auf die Anhörung der Kindsmutter, den Bericht des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin, wonach sich M. umfassend in sein bestehendes soziales familiäres Umfeld integriert habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht -Bamberg vom 07.04.2016 im Verfahren (Az.: 0206 F 253/16) Bezug genommen.
Gegen diesen der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 12.04.2016 zugestellten Beschluss legte dieser mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 22.04.2016, eingegangen beim Amtsgericht Bamberg am 22.04.16, Beschwerde ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 26.04.2016, eingegangen beim Amtsgericht Bamberg am 26.04.2016.
Im Wesentlichen trägt der Antragsteller vor, dass das Erstgericht dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen habe, dass der Antragsteller den Antrag binnen Jahresfrist aus tatsächlichen Gründen nicht habe stellen können, weil von ihm zu einem früheren Zeitpunkt der derzeitige Aufenthaltsort der Kindsmutter mit dem Kind nicht habe ermittelt werden können. Der Auszug der Kindsmutter am 13.03.2014 sei für ihn vollkommen überraschend gekommen.
Ferner habe sie eine falsche Adresse in P. gegenüber der Polizei angegeben.
Auch habe sich das Kind nicht in seine neue Umgebung eingelebt. Bei einem 2 1/2 jährigen Kind könne nicht ernsthaft die Rede davon sein. Auch wenn sich das Kind an seine Umgebung gewöhnt habe, könne sich ein Kind dieses Alters jederzeit an einen neue Umgebung gewöhnen, ohne in seiner frühkindlichen Entwicklung Schaden zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 26.04.2016 Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt,
Der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 07.04.2016 wird abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kind M., geboren am X. in Ma., derzeitige Anschrift X.-Straße in B., innerhalb einer angemessenen Frist nach S. zurückzuführen, sowie sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes an den Antragseller zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach S. anzuordnen.
Ferner beantragt er, ihm für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt im wesentlichen vor, dass der Antragsteller zu jeder Zeit gewusst habe, dass sich die Antragsgegnerin mit M. in B. aufhalte und dort seit August 2014 mit dem deutschen Staatsangehörigen H. verheiratet sei.
Der Antragsteller habe auch jederzeit die Gelegenheit gehabt, sein Sohn in B. zu besuchen und Kontakt durch Telefon oder Skype zu haben.
Die Antragsgegnerin sei bereits am 05.04.2014 mit M. ordnungsgemäß in B. angemeldet gewesen. Demzufolge hätte M. auch leicht ausfindig gemacht werden können.
M. habe den tatsächlichen Mittelpunkt seiner Lebensführung in B. und eine Rückführung könne nur zu einer Traumatisierung des Kindes führen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeerwiderung vom 24.05.2016 Bezug genommen.
Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und im Übrigen mit Verfügung vom 27.05.2016 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen. Insoweit wird auf die Verfügung vom 27.05.2016 Bezug genommen.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat daraufhin weiterhin vorgetragen, dass er bestreite, dass sich M. in seine neue Umgebung eingelebt habe und beantragt die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, dass bei einem Kind dieses Alters ein Einleben in die neue Umgebung nicht in Betracht komme.
Das Jugendamt B. hat am 12.05.2016 unter Bezugnahme auf den Bericht in erster Instanz vom 21.03.2016 und die Ausführungen im Termin am Familiengericht Bamberg am 24.03.2016 erneut Stellung genommen. Insoweit wird auf die Ausführungen der Dipl.-Soz.-Päd. Sch. vom 12.05.2016 Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG i. V. m. § 58 FamFG statthafte und gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht B. hat auf Grundlage des § 12 Abs. 2 des HKÜ zutreffend die Herausgabe des Kindes zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach S. verweigert.
Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ wird die Rückführung eines Kindes angeordnet, wenn es widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrages beim zuständigen Gericht eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist. Bei Versäumung dieser Jahresfrist erfolgt eine Rückführung, sofern nicht erwiesen ist, dass das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). Unabhängig davon, ob der Kindsvater den Aufenthalt des Kindes kannte oder nicht, hat der am 24.02.2016 beim Amtsgericht Bamberg eingegangene Antrag jedenfalls die Jahresfrist nicht eingehalten.
Art. 12 HKÜ stellt nicht auf ein Verschulden oder eine Kenntnis, sondern stellt allein auf das objektive Verstreichen der Jahresfrist ab (vgl. OLG Stuttgart vom 23.04.2012, Az: 17 UF 35/12 und OLG Karlsruhe vom 25.05.1998, Az: 2 UF 69/98). Ziel des HKÜ ist zwar, das Elternrecht des anderen Elternteils zu schützen, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren Aufenthalts des Kindes sicherzustellen. Leitgedanke des HKÜ ist allerdings das Kindeswohl (Hanseatisches OLG vom 25.06.2014, 12 UF 111/13). Die Frage, ob eine Rückführung noch möglich ist, orientiert sich allein daran, ob man es dem Kind noch zumuten kann, wieder in die alte Umgebung zurückgeführt zu werden. Dies hat nichts mit Verschuldensgesichtspunkten bzw. der Kenntnis des anderen Elternteils zu tun. Vor Ablauf dieser Frist spricht die gesetzliche Vermutung dafür, dass eine Rückführung dem Kindeswohl am besten dient.
Hat sich nach Ablauf der Frist hingegen erwiesen, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat, erfolgt eine Rückführung nicht, Art. 12 Abs. 2 HKÜ. Ein Einleben ist anzunehmen, wenn das Kind sich in seinem unmittelbar familären und sozialen Umfeld in stabilen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen befindet. Das Kind muss mit dem neuen Wohnort und den Bezugspersonen verbunden und verwachsen und in seinem neuen Freundes- und Verwandtschaftskreis verwurzelt sein (OLG Stuttgart vom 23.04.2012, Az.: 17 UF 35/12).
Wie das Amtsgericht darlegt, hat sich der knapp dreijährige M. mittlerweile vollumfänglich in B. eingelebt. Die Vertreterin des Jugendamtes hat ausgeführt, dass sie Kontakt mit dem Kindergarten aufgenommen habe. Von dort sei bestätigt worden, dass das Kind gut integriert sei, regelmäßig auch vom Stiefvater, den es als Vater empfinde, in den Kindergarten gebracht werde und auch zu diesem eine gute Beziehung aufweise. Ferner sei er gut integriert über die Beziehung zu Tante und Cousine vor Ort.
Die Verfahrensbeiständin hat im Termin vor dem Amtsgericht ausgeführt, dass sich M. in B. eingelebt habe. Zwei Hauptbezugspersonen seien die Mutter und der Stiefvater, hinzu komme die Großmutter. Ferner gehe er seit sechs Monaten 4-5 Stunden täglich in den Kindergarten und habe dort einen spanischen und einen chinesischen Freund. Er sei insgesamt sozial integriert, spreche zu Hause mit dem Stiefvater deutsch, mit der Mutter portugiesisch. Die Integration gehe über die Hauptbezugsperson Mutter hinaus. Deshalb sei trotz des jungen Alters von 2 1/2 Jahren von einem Einleben auszugehen.
Der Senat schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an.
Es kommt nicht darauf an, ob sich ein Kind unter Umständen auch wieder an eine andere Umgebung gewöhnen könnte, sondern allein darauf, dass M. nunmehr in seiner neuen Umgebung in B. voll integriert ist. Das Kind hat sich an seine Umgebung gewöhnt und ist nicht nur auf die Mutter fixiert, sondern besucht den dortigen Kindergarten, hat dort Freunde und hat zudem gute Beziehungen zum Stiefvater und zu Verwandten, die in B. leben.
Hinzu kommt, dass das Kind sicherlich keine Erinnerung mehr an seinen Aufenthalt in S. hat, das es im Alter von knapp sieben Monaten wieder verlassen hat, und es hat keine Beziehung zum Vater. Umgangskontakte haben in der Vergangenheit nicht stattgefunden. Er hat mehr als 2/3 seines Lebens in B. verbracht.
Demzufolge ist der Senat davon überzeugt, dass sich das Kind in seinem unmittelbar familiären sozialen Umfeld in B. eingelebt hat. Letztlich wäre eine Bruch mit dem bestehenden Umfeld unzumutbar und nicht mit dem Kindeswohl vereinbar.
Der Senat musste hierzu keinen Sachverständigengutachten erholen, da er die erforderliche Sachkunde besitzt, die Tatsachen selbst zu werten. Zudem ist im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot der Art. 2, 11 HKÜ die Einholung von Sachverständigengutachten zu vermeiden.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass von einer erneuten mündlichen Verhandlung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, §§ 14 Nr. 2, 40 Abs. 2 IntFamRVG, 68 Abs. 3 FamFG.
Die Kostentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 45 Abs. 3 FamGKG.
Verfahrenskostenhilfe war dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu versagen, da sein Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hatte, §§ 43 IntFamRVG, 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt, § 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG.


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