Familienrecht

Zur gerichtlichen Überprüfung des Zeitaufwands eines Sachverständigen bei betreuungsrechtlichen Gutachten

Aktenzeichen  8 Wx 1657/15

Datum:
4.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BtPrax – 2016, 160
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
JVEG JVEG § 4 Abs. 1, Abs. 5, § 8 Abs. 2 S. 1
ZPO § 577 Abs.5

 

Leitsatz

1. Bei der Kürzung der Rechnung eines medizinischen Sachverständigen in Betreuungsverfahren wegen nicht erforderlichen Zeitaufwands ist Augenmaß zu bewahren und mit Zurückhaltung vorzugehen; die Kürzung bedarf einer Begründung im Einzelfall. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass konkrete Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewendete Zeit richtig sind und die erforderliche Zeit widerspiegelt. (amtlicher Leitsatz)
2. Ergibt sich im Einzelfall Anlass für die nähere Prüfung der Rechnung des Sachverständigen, kann die vom Bayerischen Landessozialgericht für Gutachten in sozialgerichtlichen Verfahren entwickelte und gefestigte Rechtsprechung (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2015 – L 15 RF 5/15 -, juris) entsprechend herangezogen werden, die der Prüfung bestimmte praktisch handhabbare Kriterien zugrunde legt. (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

32 T 1063/14 2015-06-25 Bes LGAMBERG LG Amberg

Gründe

Oberlandesgericht Nürnberg
Az.: 8 Wx 1657/15
Beschluss
vom 4. März 2016
Vorangehend: Landgericht Amberg, Beschluss vom 25. Juni 2015, Az.: 32 T 1063/14
405 XVII 330/14 AG Schwandorf
Leitsätze:
In Sachen
B. P.
– Betroffener –
Beteiligte:
1) Dr. I. S.
– Sachverständiger, Beschwerdegegner
2) Freistaat Bayern, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Amberg, Regierungsstraße 8 – 10, 92224 Amberg
– Beschwerdeführer –
wegen Betreuung
hier: Festsetzung der Sachverständigenvergütung
Weitere Beschwerde des Vertreters der Staatskasse
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg – 8. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Voll, den Richter am Oberlandesgericht Reichard und den Richter am Oberlandesgericht Weidensteiner am 04.03.2016 folgenden Beschluss
Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Amberg gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg – 3. Zivilkammer – vom 25.06.2015, Az. 32 T 1063/14, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Im Auftrag des Amtsgerichts Schwandorf – Abteilung für Betreuungssachen – hat der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Funktionsoberarzt Dr. S. I. unter dem 04.08.2014 ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der medizinischen Voraussetzungen der Anordnung einer Betreuung erstattet und hierfür mit Liquidation vom 04.08.2014 einen Gesamtbetrag von 763,44 € (einschließlich 19% MwSt.) in Rechnung gestellt.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Amberg hat beantragt, den in Rechnung gestellten Zeitaufwand (gerundet 8 Stunden mit Fahrtzeiten, davon 7 Stunden betreffend Gutachtenserstellung) als unangemessen hoch zu kürzen und eine Sachverständigenvergütung nur in Höhe von 540,32 € brutto festzusetzen, da ein abrechenbarer Gesamtzeitaufwand von 5,5 Stunden ausreichend und somit als „erforderlich“ anzusehen sei.
Nach Anhörung des Sachverständigen, der auf seiner Rechnungstellung beharrte, hat das Amtsgericht Schwandorf durch den zuständigen Betreuungsrichter mit Beschluss vom 20.10.2014 die Vergütung des Sachverständigen antragsgemäß auf 763,44 € festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss hat der Bezirksrevisor Beschwerde erhoben mit dem Ziel, die Sachverständigenvergütung auf 540,32 € herabzusetzen.
Nach Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Frage des erforderlichen Zeitaufwandes für die fragliche Erstellung eines Gutachtens zur Beurteilung der Betreuungsbedürftigkeit hat die zuständige Zivilkammer des Landgerichts Amberg als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 25.06.2015 die Beschwerde des Bezirksrevisors zurückgewiesen und gleichzeitig die weitere Beschwerde zugelassen.
Mit Schreiben vom 09.07.2015 hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Amberg in Verfolgung seines unveränderten Begehrens, die Sachverständigenvergütung auf 540,32 € herabzusetzen, weitere Beschwerde erhoben und diese begründet.
Mit Beschluss vom 08.09.2015 hat das Beschwerdegericht eine Abhilfe abgelehnt und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung über die weitere Beschwerde vorgelegt.
II. Die weitere Beschwerde des Vertreters der Staatskasse ist statthaft (§ 4 Abs. 5 Satz 1 JVEG) und wurde auch in zulässiger Form und Frist erhoben, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Die weitere Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, die revisionsrechtlichen Vorschriften der §§ 546 und 547 ZPO gelten entsprechend (§ 4 Abs. 5 Satz 2 JVEG).
2. Das nach Stundensätzen zu bemessende Honorar eines Sachverständigen wird gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt.
Nach der Konzeption der gesetzlichen Regelung bedarf es für das hier nach Stundensätzen zu bemessende Honorar einer Ermittlung der tatsächlich aufgewandten Zeit nicht. Maßgeblich für die Vergütung des Sachverständigen ist nämlich nicht die tatsächlich aufgewandte, sondern gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG die für die Erstattung des Gutachtens erforderliche Zeit.
Diese ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem Aufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen orientiert. Eine Schätzung des tatsächlichen Zeitaufwands als Grundlage eines nach Stundensätzen bemessenen Honorars ist daher der gesetzlichen Regelung fremd. Um die Erforderlichkeit feststellen zu können, muss sich das Gericht im Einzelnen mit dem geltend gemachten Arbeitsaufwand des Sachverständigen auseinander setzen. Maßstab hierfür ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss v. 26.07.2007, 1 BvR 55/07, juris, Rn. 22 f BGH, Beschluss v. 16.12.2003, X ZR 206/98, juris, Rn. 11.; Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage, § 8 JVEG Rn. 35 – 37; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 26. Auflage, § 8, Rn. 13 f).
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass konkrete Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewendete Zeit richtig und sind und auch die erforderliche Zeit widerspiegeln (vgl. Hartmann, a. a. O., Rn. 36 Meyer/Höver/Bach, a. a. O., Rn. 14). Da die Arbeitsweise des gerichtlichen Sachverständigen grundsätzlich diesem selbst überlassen bleibt (BGH, Beschluss v. 07.11.2006, X ZR 138/04, GRUR 2007, 175), muss bei der Prüfung der erforderlichen Zeit auch ein gewisser Toleranzrahmen Beachtung finden (BayLSG, Beschluss v. 18.05.2012, L 15 SF 104/11, juris). Eine Kürzung der Rechnung eines Sachverständigen bedarf einer entsprechenden Begründung im Einzelfall (BVerfG, a. a. O., Rn. 25) und sollte „mit Augenmaß“ erfolgen (BayLSG, Beschluss v. 14.05.2012, L 15 SF 276/10 B E, juris, Rn. 33; Keller, jurisPR-SozR 19/2012, Anm. 5).
Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung jedenfalls der Sache nach zugrunde gelegt.
3. Letztlich rügt der Bezirksrevisor mit seiner weiteren Beschwerde die Beweiswürdigung des Landgerichts, die weder auf die von ihm vorgetragenen und in den Vordergrund gerückten Erfahrungswerte ausgewählter Amtsgerichte des OLG-Bezirks in Betreuungssachen eingehe noch sich mit seinen Einwänden gegen das erholte Sachverständigengutachten auseinandersetze.
Die Beweiswürdigung gehört zum Kernbereich tatrichterlicher Tätigkeit. Das an Revisionsrecht gebundene Gericht kann nur überprüfen, ob die vom Tatrichter gewonnene Überzeugung, die es grundsätzlich hinzunehmen hat, auf einer gesicherten, verfahrensfehlerfreien und vollständigen Tatsachengrundlage beruht. Seiner Kontrolle unterliegt, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und wiederum nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Kessal-Wulf in Beck-OK, ZPO, Stand: 01.09.2015, § 546, Rn. 19; BGH, Urteil v. 11.02.1987, IVb 23/86, NJW 1987, 1557, 1558). Ergeben sich Widersprüche innerhalb eines Gutachtens, muss der Tatrichter auf deren Aufklärung vor einer Verwertung des Gutachtens in der Beweiswürdigung hinwirken (BGH, Urteil v. 24.09.1996, VI ZR 303/95, NJW 1997, 794).
3.1 Die vom Bezirksrevisor vorgetragenen Erfahrungswerte sind nicht geeignet, die Beweiswürdigung des Landgerichts in Zweifel zu ziehen. Die Abweichung einer Liquidation von diesen Erfahrungswerten führt allenfalls dazu, den vom Sachverständigen angesetzten Zeitaufwand eingehend zu überprüfen (Meyer/Höver/Bach, a. a. O., Rn. 14). Bei der Überprüfung der Erforderlichkeit des von dem Sachverständigen geltend gemachten Zeitaufwandes ist auf die Umstände des Einzelfalls und nicht – wie es der Beschwerdeführer getan hat – pauschal auf so genannte Erfahrungswerte abzustellen (OVG Lüneburg, Beschluss v. 22.01.2015, 5 OA 193/14, juris, Rn. 10). Dies gilt umso mehr, als nach den eigenen Ausführungen des Bezirksrevisors im – zumal relativ großen – Landgerichtsbezirk Regensburg bei vergleichbaren Gutachten höhere Erfahrungswerte, nämlich im Sinne der hier zu prüfenden Liquidation, vorliegen. Es bestand deshalb für das Beschwerdegericht keine Veranlassung, sich mit diesem Punkt in der Beweiswürdigung auseinanderzusetzen, nachdem es die eingehende Prüfung der Rechnung unternommen hat.
3.2 Die weitere Beschwerde zeigt Widersprüche innerhalb des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. H. auf.
Das Gutachten befasst sich unter dem Punkt „2. Zeitbedarf“ zunächst inhaltlich mit der in der Rechnung Dr. I. ausgewiesenen Position Studium der Kranken- und Gerichtsunterlagen, Erhebung der Fremdanamnese, Exploration und Untersuchung. Hier wird an Hand des Einzelfalls schlüssig dargelegt, dass die von Dr. I. angesetzten 3 Stunden angemessen berechnet sind, sogar 3,5 Stunden noch angemessen wären.
Zur weiteren Rechnungsposition Ausarbeitung, Abfassung, Diktat und Korrektur des Gutachtens wird sodann auf Richtlinien Bezug genommen, die für 6 Seiten Gutachten 1 Stunde Arbeitszeit veranschlagen, so dass bei 15 Seiten Gutachten eine Arbeitszeit von 3 Stunden den Richtlinien entspreche.
Dies greift der Sachverständige unter dem Punkt „4. Beurteilung“ bei Zeitbedarf nochmals auf, indem er ausführt, dass der Zeitbedarf weitgehend angemessen sei.
Abschließend kommt er unter „5. Beantwortung der Beweisfrage“ zum Ergebnis, dass der von Dr. I. berechnete Zeitaufwand von 7 Stunden, 40 Minuten erforderlich war.
Dies ist zunächst insofern widersprüchlich, als sich rechnerisch bei Zugrundelegung von 3 Stunden im Punkt Studium der Unterlagen, Anamnese und Untersuchung und 3 Stunden im Punkt Ausarbeitung etc. unter Einbeziehung der Fahrtzeit von 40 Minuten eine Summe von 6 Stunden, 40 Minuten ergibt. Zum anderen hat der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 09.04.2015 ausführlich dargelegt, dass der Sachverständige aus seiner Sicht „überflüssige“ Seiten in die Berechnung mit einbeziehe und keine nach DIN 1422 standardisierten Seiten zugrunde lege, wie dies die sozialgerichtliche Rechtsprechung mache. Es ergebe sich damit auch bei dem vom Sachverständigen gewählten Ansatz eine geringere erforderliche Stundenzahl.
3.3 Mit dieser Argumentation des Sachverständigen hat sich das Landgericht nicht vollständig befasst und nicht alle vom Bezirksrevisor aufgezeigten Widersprüche aufgelöst.
3.3.1. In zutreffender Weise hat das Beschwerdegericht allerdings einen „überflüssigen Inhalt“ des Gutachtens verneint.
Der Bundesgerichtshof stellt durchaus strenge Anforderungen an den Inhalt von Gutachten in Betreuungsverfahren. Die in § 280 Abs. 3 FamFG genannten formalen Anforderungen sollen gewährleisten, dass das Gericht seiner Pflicht, das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, nachkommen kann Das Gutachten muss daher Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen. Nur dann ist das Gericht in der Lage, das Gutachten zu überprüfen und sich eine eigene Meinung von der Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen zu bilden (BGH, Beschluss v. 19.01.2011, XII ZB 256/10, juris, Rn. 12).
Vergleichbar mit sozialgerichtlichen Gutachten (BayLSG, Beschluss v. 14.05.2012, L 15 SF 276/10 B E, juris, Rn. 35 – 39, 46) ist deshalb in Übereinstimmung mit der vom Kostensachverständigen zitierten medizinischen Fachliteratur auch für Betreuungsgutachten folgender Aufbau sachgerecht:
– Knappe Wiedergabe des Akteninhalts, soweit für das Verständnis des Gutachtens erforderlich,
– Anamnese, Untersuchungsbefund, gegebenenfalls technische Untersuchungsbefunde,
– Beurteilung als wesentlicher Teil des Gutachten und daran anschließend die Beantwortung der Beweisfragen (unter einmaliger Wiedergabe derselben) und
– Literaturnachweis, falls Literaturstudium (bei schwierigen Gutachten) erforderlich gewesen ist.
Soweit der Beschwerdeführer prinzipielle Einwendungen gegen die Berücksichtigung der Wiedergabe der Beweisfragen (im vorliegenden Fall auf Seiten 12 bis 15 des Betreuungsgutachtens) erhebt, ist dieses Vorbringen nicht stichhaltig. Es handelt sich um keine „unnötige Umfangmehrung“, wenn der Betreuungssachverständige im Beurteilungsabschnitt des Gutachtens seinen Antworten die jeweilige Gutachtensfrage voranstellt. Dies dient der Selbstvergewisserung des Sachverständigen, erlaubt eine die Lesbarkeit des Gutachtens erleichternde schnelle und inhaltlich richtige Zuordnung von Frage und Antwort durch den Richter sowie eine Vollständigkeitskontrolle und ist damit als „erforderliche Zeit“ im Sinne des § 8 JVEG anzusehen. Die hiergegen vom Beschwerdeführer angeführte Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.09.2014 (S 1 SF 3240/14 E) ist für die vorliegende Sache nicht einschlägig. Die Entscheidung äußerst sich zur Frage der Entschädigung für einen sachverständigen Zeugen, der vorgebracht hat, seine Leistung sei „außergewöhnlich umfangreich“; es geht im hiesigen Streitfall nicht um eine außerordentliche Vergütung für den Betreuungssachverständigen. Die vom Beschwerdeführer vorgelegte Entscheidung des Landgerichts Amberg vom 04.12.2014 (2 XVII 394/14) behandelt ein Betreuungsgutachten, in dem die Gutachtensfragen zweimal zitiert wurden. Die Entscheidung des OLG München vom 02.12.1994 (11 WF 1015/94) betrifft eine familienrechtliche Angelegenheit, ist in dem zur Debatte stehenden Punkt nicht eindeutig und enthält hierzu im Übrigen keine nähere Begründung. Der Beschluss des 15. Senats des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19.03.2007 (L 14 R 42/03.Ko), auf den sich der Beschwerdeführer schließlich beruft, ist überholt durch die vorerwähnte Entscheidung desselben Senats vom 14.05.2012 (L 15 SF 276/10 B E, juris; seitdem ständige Rechtsprechung, s. etwa Beschluss vom 10.03.2015, L 15 RF 5/15, juris, Rn. 56). Dessen Bewertung, dass die einmalige Wiedergabe der Beweisfragen zu dem kostenrechtlich relevanten Gutachtensumfang gehört, trifft zu, ihr ist aus den dargelegten Gründen zu folgen.
3.3.2. Mit dem Argument der Umrechnung der tatsächlichen Seitenzahl in standardisierte Seiten, die sich erheblich auswirkt (Reduzierung der Seitenzahl auf rechnerisch 8,3), hat sich das Landgericht aber nicht befasst.
Unabhängig von den Einwänden des Bezirksrevisors bestand auch von Amts wegen Prüfungsbedarf, allerdings im Sinne von Dr. I.. Der Wert von 1 Stunde je 6 (standardisierten) Seiten betrifft nämlich nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nur das Diktat und die Durchsicht (= Korrektur). Für die Abfassung von 1 Seite der Beurteilung und Beantwortung der gestellten Beweisfragen wird 1 Stunde zugrunde gelegt (BayLSG, Beschluss v. 17.12.2013, L 15 SF 275/13, juris, Rn. 36; Beschluss v. 10.03.2015, L 15 RF 5/15, juris, Rn. 41; Beschluss v. 01.07.2015, L 15 SF 180/13, juris, Rn. 34).
3.4. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts beruht auch auf vorgenanntem Rechtsfehler. Die Möglichkeit, dass das Landgericht ohne diesen Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, kann revisionsrechtlich nicht ausgeschlossen werden (BGH, Urteil v. 20.03.1995, II ZR 198/94, NJW 1995, 1841, 1842; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 545, Rn. 11).
Das Beschwerdegericht hat unter Ziffer II 1b der Beschlussgründe ausgeführt:
Für die Ausarbeitung, Diktate und Korrektur des Gutachtens hält der Sachverständige einen Zeitbedarf von 3 Stunden für angemessen. Dabei ist es nicht zu beanstanden, wenn zunächst eine Orientierung an der Seitenzahl erfolgt, wenn das hieraus resultierende Ergebnis letztendlich auf seine Plausibilität hin überprüft wird. Vorliegend erscheint bei Art und Umfang des vorgelegten Gutachtens eine Arbeitszeit von 3 Stunden für Ausarbeitung, Diktate und Korrektur angemessen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Gutachten aus verschiedenen Teilen aufgebaut ist, wobei der Gutachter den Inhalt der Akte sowie den Inhalt der Krankenunterlagen aufbereiten, seine eigenen Erkenntnisse darstellen und schließlich sämtliche Grundlagen seiner Wertung zufügen musste.
Damit hat das Landgericht zwar eine eigenständige Bewertung der Frage der Erforderlichkeit des für den Bereich Ausarbeitung, Diktat und Korrektur angesetzten Stundenansatzes vorgenommen. Es kann aber, da Ausgangspunkt der Überlegungen das in diesem Punkt widersprüchliche Sachverständigengutachten ist, nicht ausgeschlossen werden, dass die Würdigung des Beschwerdegerichts von diesen Ausführungen beeinflusst war.
3.5. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 5 ZPO, in der Sache selbst zu entscheiden, Gebrauch gemacht.
3.5.1. Der Senat ist der Auffassung, dass bei der Prüfung der Rechnung eines in einem Betreuungsverfahren hinzugezogenen Sachverständigen die vom Bayerischen Landessozialgericht entwickelte und gefestigte Rechtsprechung (BayLSG, Beschluss v. 14.05.2012, L 15 SF 276/10 B E, juris; Beschluss v. 17.12.2013, L 15 SF 275/13, juris; Beschluss v. 24.04.2014, L 15 SF 368/13, juris; Beschluss v. 10.03.2015, L 15 RF 5/15, juris; Beschluss v. 01.07.2015, L 15 SF 180/13, juris) entsprechend herangezogen werden kann.
Diese Rechtsprechung bietet einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Praxis, die Rechnungen von Sachverständigen ohne Erholung eines Gutachtens auf Plausibilität prüfen zu können, und den kostenrechtlichen Grundsätzen, dass die Kürzung einer Sachverständigenrechnung im Einzelfall einer Begründung bedarf und deshalb mit „Augenmaß“ erfolgen sollte. Soweit darin auf standardisierte Seitenzahlen abgestellt wird, mag es sein, dass sich ein gutes Sachverständigengutachten dadurch auszeichnet, komplexe Sachverhalte und Fachfragen gleichermaßen präzise und knapp „auf den Punkt zu bringen“ (OLG Koblenz, Beschluss v. 13.11.2012, 14 W 620/12, juris), ein anderer geeigneter, ebenso einfach zu handhabender Maßstab ist jedoch nicht ersichtlich, wie ausdrücklich auch das Bayerische Landessozialgericht hervorhebt (Beschluss vom 14.05.2012, L 15 SF 276/10 B E, juris). Mit Blick darauf, dass Schriftart und Schriftgröße sowie Seitenlayout je nach Sachverständigem deutlich voneinander abweichen können, ist bei der zugrunde zu legenden Seitenzahl im Sinne der Gleichbehandlung von einer Standardseite mit 1800 Anschlägen (30 Zeilen x 60 Anschläge nach DIN 1422) auszugehen. Gerade im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Einzelfallprüfung sind die in der Rechnungsstellung eines Sachverständigen enthaltenen Zeitangaben zu akzeptieren, wenn sich diese in einem gewissen Toleranzbereich gegenüber dem Gesamtergebnis der Kontrollberechnung bewegen, der mit 15% angemessen bewertet erscheint. Diese Kontrollberechnung erlaubt eine handhabbare Prüfung der Plausibilität der Kostenrechnung eines Betreuungssachverständigen.
3.5.2. Danach ist für die Plausibilitätsprüfung einer solchen Kostenrechnung von folgenden Grundsätzen auszugehen:
– Für das Aktenstudium werden 100 Blatt/Stunde einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten gerechnet bei mindestens 25% medizinisch gutachtensrelevantem Inhalt. In allen anderen Fällen dagegen erscheinen 150 bis 200 Blatt/Stunde angemessen. Die Blattanzahl ist, sofern die Akten nicht durchnummeriert sind, annähernd zu bestimmen. Soweit sich – wie wohl häufiger in betreuungsrechtlichen Angelegenheiten – nicht alle medizinischen Unterlagen in der Akte befinden, wie im streitgegenständlichen Fall eingesehene Krankenunterlagen des Bezirksklinikums, kann durch entsprechende Anfrage beim Sachverständigen eine geeignete Grundlage geschaffen werden.
– Die angegebene Untersuchungszeit kann, wenn sich diese im nach Erfahrung der Betreuungsgerichte üblichen Rahmen bewegt, vom Sachverständigen übernommen werden; dasselbe gilt für die Fahrzeit des Sachverständigen, die ebenfalls zu der zu vergütenden „erforderlichen Zeit“ gehört, § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG.
– Für die Abfassung von 1 Seite (im Sinne der DIN 1422) der Beurteilung und Beantwortung der gestellten Beweisfragen wird 1 Stunde zugrunde gelegt; dabei ist die (einmalige) Wiedergabe der Beweisfragen (unter der Überschrift „Beantwortung der Beweisfragen“) der Beurteilung ebenso zuzurechnen wie die (einmalige) Darstellung der „Diagnose“ (BayLSG, Beschluss vom 10.03.2015, L 15 RF 5/15, juris, Rn. 56).
– Für Diktat und Durchsicht wird 1 Stunde für je 6 Seiten (im Sinne der DIN 1422) angenommen.
Das so gewonnene Plausibilitätsergebnis, in der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts auch Kontrollberechnung genannt, ist sodann mit dem Rechnungsbetrag des Sachverständigen abzugleichen:
– Ist der tatsächliche Rechnungsbetrag niedriger oder genauso hoch wie das Ergebnis der Kontrollberechnung, wird wegen des Antragsprinzips der Rechnungsbetrag vergütet.
– Überschreiten die Zeitangaben des Sachverständigen das Ergebnis der Kontrollberechnung um nicht mehr als 15%, werden wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Prüfung einer Sachverständigenrechnung ebenfalls die Zeitangaben des Sachverständigen zugrunde gelegt.
– Ist der tatsächliche Rechnungsbetrag höher als das Ergebnis der Kontrollberechnung samt einem Toleranzzuschlag von 15%, ist das Ergebnis alleine der Kontrollberechnung – also ohne einen Zuschlag – zugrunde zu legen, wenn im Einzelfall nach Anhörung des Sachverständigen keine überzeugende Begründung für den höheren Zeitaufwand gegeben werden kann.
Unberührt bleibt die generelle Leitlinie, dass bei der Überlegung einer Kürzung des vom Sachverständigen angegebenen Zeitaufwands „Augenmaß zu bewahren und mit Zurückhaltung vorzugehen“ ist (BayLSG, Beschluss vom 01.07.2015, L 15 SF 180/13, juris Rn. 30). Dahinter steht der Gedanke, dass letztlich in vielen Fällen der als objektiv erforderlich ermittelte Zeitaufwand kaum exakt und bis ins letzte Detail überzeugend begründet werden kann.
3.5.3. Umgesetzt auf die streitgegenständliche Rechnung des Sachverständigen Dr. I. bedeutet dies:
Vom Inhalt her entspricht das Gutachten im Wesentlichen dem unter Ziffer 3.3.1. dargestellten Grundsätzen. Allenfalls auf Seite 3 und 4 des Gutachtens (Darstellung der ergangenen Beschlüsse) bestehen Fragezeichen bezüglich einer knappen, für das Verständnis des Gutachtens erforderlichen Darstellung, die allerdings mit 13 Zeilen vernachlässigbar sind.
Anders als den Betreuungsrichtern am Amtsgericht, die regelmäßig auch für die gerichtliche Festsetzung der Sachverständigenvergütung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG sind, fehlt dem Senat die breite Erfahrung zur Angemessenheit der vom Sachverständigen Dr. I. angesetzten Untersuchungszeiten. Ebenso ist der vom Sachverständigen eingesehene Aktenumfang nicht vollständig sicher festzustellen. Deshalb greift der Senat ausnahmsweise für den Bereich Aktenstudium, Anamnese und Untersuchung auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. zurück, das auf den konkreten Einzelfall ausgerichtet, schlüssig und widerspruchsfrei ist und auch vom Landgericht in diesem Sinne gewürdigt wurde. Daraus ergibt sich für diesen Bereich der Arbeit des Sachverständigen Dr. I. ein in die Plausibilitätsprüfung einzusetzender Wert von 3 Stunden.
Die dem Bereich Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen zuzuordnenden tatsächlichen 3 Gutachtensseiten entsprechen mindestens 1,5 Standardseiten, so dass hier ein Ansatz von 90 Minuten geboten ist.
Bei Zugrundelegung von 8,3 Standardseiten und dem unter 3.5.2. angeführten Maßstab ergeben sich für das Diktat und Korrektur 83 Minuten (8,3 /6).
Hinzu kommt die außer Streit stehende Fahrzeit von 40 Minuten.
Dies ergibt bei der Kontrollberechnung zunächst einen Gesamtansatz von 6 Stunden, 33 Minuten und damit unter Beachtung der an dieser Stelle vorzunehmenden (BayLSG, Beschluss v. 10.03.2015, L 15 RF 5/15, juris, Rn. 66) Rundung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 JVEG dann von 7 Stunden. Die Rechnung des Betreuungssachverständigen vom 04.08.2014 weist demgegenüber zwar eine Gesamtzeit von 8 Stunden aus, übersteigt also die Gesamtzeit der (gerundeten) Kontrollberechnung. Weil sie sich allerdings innerhalb des sich aus der Kontrollberechnung samt Toleranzzuschlag von 15% ergebenden Korridors hält, ist unter dem Strich die von dem Betreuungssachverständigen angesetzte Gesamtrechnungszeit nicht zu beanstanden.
Da die sonstigen Rechnungselemente (Honorargruppe, Fahrtkosten, Schreibgebühren, Steuer) nicht angegriffen und auch zutreffend sind, konnte dem Rechtsmittel kein Erfolg verbeschieden sein; es war zurückzuweisen.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 4 Abs. 8 JVEG).


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