Handels- und Gesellschaftsrecht

Berufung, Wiedereinsetzung, Rechtsanwaltskosten, Verschulden, Frist, Versicherung, Schriftsatz, Glaubhaftmachung, Einstellung, Kostenentscheidung, Beendigung, Wiedereinsetzungsantrag, verwerfen, Zinsen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, eidesstattliche Versicherung, anwaltliche Versicherung

Aktenzeichen  2 U 649/21

Datum:
1.6.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49697
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

8 O 6187/20 2021-02-24 LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.02.2021, Aktenzeichen 8 O 6187/20, wird verworfen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.749,69 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.02.2021 Bezug genommen.
Gegen das am 26.02.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 08.03.2021 Berufung eingelegt. Am 26.04.2021 ging beim Oberlandesgericht aus dem beA der Rechtsanwältin H ein qualifiziert signierter Schriftsatz ein, der mit „Berufungsbegründung“ überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Noch am selben Tag teilte die Geschäftsstelle des Senats den Beklagtenvertretern in deren beA mit, dass der angefügte PDF-Schriftsatz nur aus der ersten Seite bestehe. Am Morgen des 27.04.2021 ging sodann aus dem beA der Rechtsanwältin H die vollständige Berufungsbegründung mit qualifizierter Signatur ein. Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung trägt er vor, die Rechtsanwältin habe am Morgen des 26.04.2021 ihre Sekretärin angewiesen, den fertigen Berufungsbegründungsschriftsatz zur Signierung in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem Signierungsvorgang habe sie das eingestellte Dokument darauf geprüft, ob es sich um das richtige Dokument gehandelt habe. Ferner habe sie den Schriftsatz, bestehend aus insgesamt fünf Seiten, auch nochmals im Hinblick auf das zuständige Gericht, Aktenzeichen, Parteienbezeichnung, die gestellten Anträge und die Vollständigkeit des Schriftsatzes geprüft. Auf Seite 1 habe sie noch einen kleinen Tippfehler festgestellt und ihre Sekretärin angewiesen, diesen auszubessern und den Berufungsbegründungsschriftsatz sodann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor dem erneuten Signierungsvorgang habe die Rechtsanwältin den Schriftsatz nochmals geöffnet und überprüft, ob die angewiesene Änderung auf der Seite 1 übernommen worden sei. Die Rechtsanwältin habe dabei festgestellt, dass die Büroangestellte den Tippfehler weisungsgemäß auf der ersten Seite ausgebessert habe, und habe anschließend das Dokument signiert. Nach Beendigung des Signaturvorgangs erhalte die Büroangestellte über die Anwaltssoftware die Information, dass das Dokument signiert sei und nunmehr per beA verschickt werden könne. Dies sei am 26.04.2021 um 14.33 Uhr geschehen. Die Verfügung des Gerichts vom 26.04.2021 sei erst nach Kanzleischluss um 19.11 Uhr eingegangen. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Sekretärin weisungsgemäß den Berufungsbegründungsschriftsatz auf der Seite ausgebessert habe. Die geänderte Seite habe sie für die Papier-Handakte ausgedruckt. Anschließend habe sie das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um dieses sodann in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Bei dem „Print-to-PDF“-Vorgang habe das Programm die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs, nämlich Ausdruck nur der Seite 1, übernommen. Das habe die Sekretärin übersehen. Das von der Rechtsanwältin signierte Dokument habe die Sekretärin sodann per beA verschickt. Dabei habe sie aus der Eingangsbestätigung die Anzahl der Seiten nicht erkennen können. Die Sekretärin, Frau K, sei seit Januar 2006 ununterbrochen in der Kanzlei der Beklagtenvertreter tätig, für die Versendung von Dokumenten geschult und zuständig. Sie arbeite sehr zuverlässig und setze Anweisungen korrekt und umgehend um. Im Rahmen der Einführung von beA sei das Büropersonal dahingehend belehrt und angewiesen worden, bei der Übermittlung von Dokumenten per beA stets zu kontrollieren, dass die richtigen Dokumente (und selbstredend auch vollständig) dem Rechtsanwalt zur Signatur eingestellt werden. Ferner habe das Büropersonal auch den Erhalt der Eingangsbestätigung bzw. des Sendeberichts über beA zu kontrollieren. Die Rechtsanwältin sei ihren Pflichten vollständig nachgekommen. Nach der korrekten Änderung des Tippfehlers habe sie davon ausgehen können und müssen, dass der Schriftsatz im Übrigen genau wie zuvor vollständig eingestellt gewesen sei. Sie habe sich darauf verlassen können, dass die Büroangestellte, die sonst völlig zuverlässige arbeite und der noch nie ein derartiger Fehler unterlaufen sei, den Schriftsatz im Übrigen inhaltsgleich wieder zur Signatur einstellen würde. Für die Rechtsanwältin habe es daher keinen Anlass gegeben, den restlichen Schriftsatz nochmals bis zum Ende durchzusehen. Zur Glaubhaftmachung verweist der Beklagte auf eine eidesstattliche Versicherung von Frau K und die anwaltliche Versicherung der Rechtsanwältin.
Der Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 24.02.2021, Az.: 8 O 6187/20, dahin abgeändert, dass der Beklagte an den Kläger 4.384,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2020 sowie außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 480,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2020 zu bezahlen hat und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
Der Kläger beantragt,
den Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen und die Berufung zu verwerfen.
Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die Schriftsätze, die vorgelegten Unterlagen und die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
II.
1. Die Berufung des Beklagten war als unzulässig zu verwerfen, § 522 Abs. 1 ZPO, weil innerhalb der bis zum 26.04.2021 laufenden Frist zur Berufungsbegründung kein vollständiger Begründungsschriftsatz eingegangen ist. Eine vollständige Berufungsbegründung ist beim Oberlandesgericht erst am 27.04.2021 eingegangen.
2. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist war zurückzuweisen, weil der Beklagte nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war, § 233 ZPO. Dem Beklagten wird nämlich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zugerechnet, während ein Verschulden des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten nicht zugerechnet wird (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 233 Rdnr. 16 m. w. N.).
a) Wird die Berufungsbegründungsfrist versäumt, weil innerhalb der laufenden Frist ein zur Einhaltung der Frist nicht geeigneter Schriftsatz bei dem Gericht eingegangen ist, ist grundsätzlich vom einem dem Berufungskläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden auszugehen. Es ist nämlich die Pflicht des Rechtsanwaltes, für einen mangelfreien Zustand der ausgehenden Schriftsätze zu sorgen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2015 − V ZB 161/14, juris, Rdnr. 10 für den Fall des Fehlens einer Unterschrift). Die Rechtsanwältin des Beklagten hätte sich daher nicht darauf verlassen dürfen, dass das von der Sekretärin erneut in die Anwaltssoftware zur Signatur eingestellte PDF-Dokument vollständig war; sie hätte das Dokument, das sie nach ihrem eigenen Vorbringen auch geöffnet hatte, vielmehr nochmals vollständig überprüfen müssen. Dann wäre ihr aufgefallen, dass das Dokument nur eine Seite umfasste.
b) Dieses anwaltliche Versehen stünde einer Wiedereinsetzung aber dann nicht entgegen, wenn die Beklagtenvertreter ihre Kanzlei durch allgemeine oder einzelne Weisung so organisiert hätten, dass Dokumente, die vom Rechtsanwalt qualifiziert signiert wurden und über das beA bei Gericht eingereicht werden sollen, vor der Übertragung noch einmal auf Vollständigkeit überprüft werden. Wäre eine solche Anweisung, durch die etwa vorkommende Fehler des Rechtsanwalts bei der Signatur aufgefangen werden können, von einer ansonsten zuverlässigen Bürokraft versehentlich nicht befolgt worden, wäre deren Versehen der Partei nicht zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 15.07.2014 − VI ZB 15/14, juris, m. w. N., für den Fall des Fehlens einer Unterschrift).
Dass die Beklagtenvertreter ihren Kanzleibetrieb in dieser Weise organisiert hätten, trägt der Beklagte aber nicht vor. Zu den Anweisungen an das Büropersonal im Zusammenhang mit der Einreichung von Schriftsätzen über das beA trägt der Beklagte vor, im Rahmen der Einführung von beA sei das Büropersonal dahingehend belehrt und angewiesen worden, bei der Übermittlung von Dokumenten per beA stets zu kontrollieren, dass die richtigen Dokumente (und selbstredend auch vollständig) dem Rechtsanwalt zur Signatur eingestellt würden. Ferner habe das Büropersonal auch den Erhalt der Eingangsbestätigung bzw. des Sendeberichts über beA zu kontrollieren. Von einer nochmaligen Kontrolle des qualifiziert signierten Schriftsatzes durch die Bürokraft vor dem Absenden ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Darauf, dass aus dem Sendebericht bzw. der Eingangsbestätigung die Anzahl der Seiten des Dokuments nicht ersichtlich ist, wie der Beklagte vorträgt, kommt es nicht an. Denn die Bürokraft hätte bei einer angeordneten Überprüfung vor dem Absenden über das beA (wenn eine solche Überprüfung denn im Rahmen der Kanzleiorganisation angeordnet gewesen wäre) jedenfalls beim Öffnen des Dokuments die Anzahl der Seiten feststellen können. Zu einer entsprechenden Anweisung des Rechtsanwalts hätte gerade im Hinblick darauf Anlass bestanden, dass (nach dem Vortrag des Beklagten) aus dem Sendebericht bzw. der Eingangsbestätigung die Seitenanzahl nicht ersichtlich ist.
Daraus folgt, dass die Büroangestellte nach dem von der Rechtsanwältin durchgeführten Signaturvorgang keine Anweisungen zur Kanzleiorganisation verletzt hat, sondern dass vielmehr derartige Anweisungen fehlten, die ein Versehen des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Signatur noch hätten auffangen können. Darin liegt ein Organisationsverschulden der Beklagtenvertreter, das sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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