Handels- und Gesellschaftsrecht

Bindungswirkung eines im Haftpflichtverhältnis geschlossenen Vergleichs für das Deckungsverhältnis zwischen Architekt und Berufshaftpflichtversicherer

Aktenzeichen  8 U 1012/21

Datum:
9.8.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24810
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG §§ 100, 106 S. 1
ZPO § 72 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Hat ein Berufshaftpflichtversicherer gegenüber einem Architekten vorbehaltlos Abwehrdeckung erteilt, kann darin ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis der Leistungspflicht liegen. Dessen Folge ist, dass der Versicherer für die Zukunft mit solchen Einwendungen ausgeschlossen ist, die er im Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits gekannt hat oder bei gehöriger Prüfung hätte kennen müssen. Dies kann insbesondere den Einwand der bereits verstrichenen Nachhaftungsfrist betreffen.
2. Ein Versicherer, der zu Unrecht das Fortbestehen weiteren Deckungsschutzes in Abrede stellt, ist grundsätzlich an einen im Haftpflichtverhältnis geschlossenen Vergleich gebunden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Versicherungsnehmer in zumindest leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet, indem er einen Betrag anerkennt, der grob unbillig ist und den Versicherer in sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet (Anschluss an OLG Frankfurt, BeckRS 2013, 8425).

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.03.2021, Az. 17 O 8392/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über einen Deckungsanspruch aus einer Architektenhaftpflichtversicherung, die der Kläger seit 2001 bei der Beklagten unterhielt und die bis zum 06.03.2008 bestand (Anlage B 1). In den Vertrag waren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Haftpflichtversicherung (Anlage B 2; im Folgenden: AHB) sowie die Risikobeschreibungen und Besonderen Bedingungen für planende, beratende, begutachtende und technische Berufe (Anlage B 3; im Folgenden: RBHArch) einbezogen.
Hintergrund des Rechtsstreits sind gegenüber dem Kläger geltend gemachte Ansprüche im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit bei einem umfangreichen Bauvorhaben auf den Anwesen … in N. Bauträger dieses Vorhabens war Herr Dr. K. Gegen diesen leitete die Wohnungseigentümergemeinschaft … vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth ein selbständiges Beweisverfahren ein (Az.: 9 OH 502/12). Nachdem der dortige Antragsgegner Dr. K. dem Kläger den Streit verkündet hatte, trat der Kläger dem Verfahren mit Schriftsatz vom 12.06.2013 auf Seiten des Antragsgegners bei (Anlage K 2). Die anwaltliche Vertretung des Klägers in dem genannten gerichtlichen Verfahren erfolgte im Auftrag und auf Kosten der Beklagten.
Nachdem sich die Beteiligten des selbständigen Beweisverfahrens, darunter der anwaltlich vertretene Kläger, entschlossen hatten, die zwischen ihnen im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben im Raum stehenden Ansprüche einer gütlichen Einigung zuzuführen (Anlagenkonvolut K 4, Anlagen K 24 und K 26), erklärte die Beklagte am 20.09.2017 gegenüber dem Kläger, sie habe den Versicherungsschutz „aus Anlass des Vergleichsschlusses“ nochmals überprüft (Anlage K 7). Demnach sei eine Schadensmeldung erst nach dem am 06.03.2013 abgelaufenen Nachhaftungszeitraum erfolgt. Auch in der Folgezeit lehnte die Beklagte weiteren Deckungsschutz ab (Anlagen K 8, K 10 und K 11).
Der Kläger schloss mit dem Bauträger Dr. K. am 12.02.2019 einen außergerichtlichen Vergleich, in dem er sich zur Abgeltung der im Zusammenhang mit dem betroffenen Bauvorhaben geltend machten Ansprüche zur Zahlung eines Schadenersatzbetrages von 130.000,- € verpflichtete (Anlage K 6). Nachfolgend schlossen die Hauptparteien des selbständigen Beweisverfahrens am 16.05.2019 einen Prozessvergleich, wonach der Antragsgegner Dr. K. an die Wohnungseigentümergemeinschaft einen Betrag von 200.000,- € zu zahlen hatte (Anlage K 5).
Das Landgericht hat der auf Freistellung von der Zahlungsverpflichtung gegenüber Herrn Dr. K. und von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.611,93 € gerichteten Klage ohne Beweisaufnahme überwiegend stattgegeben. Es hat einen Freistellungsanspruch betreffend die Forderung des Herrn Dr. K. in Höhe von 122.330,- € sowie hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.480,44 € zugesprochen. Das Landgericht hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass ein bedigungsgemäßer Versicherungsfall vorliege, der in die Vertragslaufzeit falle und dem die vereinbarte Nachhaftungsfrist von fünf Jahren nicht entgegenstehe. Der Kläger habe diese Frist nicht schuldhaft versäumt. Der zwischen dem Bauträger und dem Kläger geschlossene Vergleich vom 12.02.2019 habe Bindungswirkung für das Deckungsverhältnis der Parteien. Der Kläger müsse sich lediglich den vertraglich vereinbarten Selbstbehalt von 7.670,- € in Abzug bringen lassen.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.
II.
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Zu Recht und mit weitgehend überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus §§ 100, 106 Satz 1 VVG, Ziffer 5.1 AHB bejaht und der Klage daher überwiegend stattgegeben. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
1. Die Vorinstanz hat fehlerfrei festgestellt, dass ein Versicherungsfall vorliegt.
a) Der Kläger ist aufgrund gesetzlicher privatrechtlicher Haftungsbestimmungen von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden (§ 100 VVG, Ziffer 1.1 AHB). Wie sich aus der Vergleichsvereinbarung vom 12.02.2019 ergibt, wurde der Bauträger Dr. K. im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben … seitens der Bauherren (der Wohnungseigentümergemeinschaft) wegen Mangelbeseitigungs- und Mangelfolgekosten in Höhe von insgesamt 557.000 € in Anspruch genommen (Anlage K 26). Die geltend gemachten Mängel am Gemeinschaftseigentum lagen dem vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth geführten selbständigen Beweisverfahren (Az.: 9 OH 502/12) zugrunde, in welchem der Antragsgegner Dr. K. dem Kläger den Streit verkündet hatte, um sich einen möglichen Rückgriff offen zu halten (§ 72 Abs. 1 ZPO). In diesem Zusammenhang hat der Bauträger gegenüber dem Kläger aus dem zwischen diesen Beteiligten geschlossenen Werkvertrag Schadensersatz geltend gemacht. Folglich hat die Beklagte dem Kläger – zunächst – Deckungsschutz gewährt und gemäß Ziffer 25.5 AHB einen Rechtsanwalt beauftragt, der für den Kläger insbesondere den Beitritt zum vorbenannten selbständigen Beweisverfahren auf Seiten des Antragsgegners erklärt hat (§ 70 Abs. 1 ZPO; Anlage K 2). Dieser Rechtsanwalt hat darüber hinaus gegenüber dem Gericht und den anderen Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, dass ihn die hiesige Beklagte beauftragt habe, eine „Gesamtlösung“ zu finden (Anlage K 24).
b) Diese Inanspruchnahme des Klägers betrifft auch das versicherte Risiko.
aa) Nach Ziffer A I. 1.1 RHBArch und den Angaben im Versicherungsschein (Anlage B 1) ist die gesetzliche Haftpflicht des Klägers bei der Ausübung seiner Tätigkeit für Planung und Bauleitung als Architekt im Bereich allgemeiner Hochbau versichert. Dass der Kläger gegenüber dem Bauträger im Rahmen dieses Berufsbildes tätig geworden ist, hat das Landgericht zutreffend festgestellt (LGU 4/5). Wie sich aus den vorgelegten Vertragsunterlagen, insbesondere Anlage K 20, mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, war der Kläger im Rahmen des Bauvorhabens … mit einer sog. „Vollarchitektur“ beauftragt, hatte also Tätigkeiten nach den Leistungsphasen 1 bis 9 gemäß § 15 HOAI a.F. zu erbringen.
bb) Die Kosten der Beseitigung von baulichen Mängeln, die auf eine fehlerhafte Planung und/oder Überwachung durch den beauftragten Architekten zurückzuführen sind, stellen einen vom streitgegenständlichen Vertrag umfassten Vermögensschaden dar. Der allgemeine Ausschluss von Ansprüchen wegen Erfüllung oder Nacherfüllung von Verträgen sowie an Stelle der Erfüllung tretender Ersatzleistungen (Ziffer 1.2 AHB) greift im vorliegenden Fall nicht ein. Denn in den Besonderen Bedingungen ist zum einen geregelt, dass Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung eingeschlossen sind, wenn es sich um einen Schaden an einem Bauwerk handelt (Ziffer A I. 1.2.2 RBHArch). Darüber hinaus sind sonstige Sach- und Vermögensschäden mit der im Versicherungsschein genannte Versicherungssumme vom Deckungsschutz umfasst (Ziffer A I. 1.5 RBHArch). Der Versicherungsschein vom 28.02.2007 enthält im Bereich Berufshaftpflicht für Sach- und Vermögensschäden eine Versicherungssumme von „256.000 EUR – Pauschal“. Die letztgenannte Klausel stellt eine Erweiterung des Versicherungsschutzes „durch besondere Vereinbarung“ i.S.d. Ziffern 2 und 2.1 AHB dar. Demgegenüber findet die Interpretation der Beklagten, der Vertrag biete keinen Schutz gegen sog. reine (oder echte) Vermögensschäden, in der Gesamtschau des maßgeblichen Bedingungswerkes keine Stütze und ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse kann sie diesem Klauselwerk auch nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen.
Hat sich der Mangel des Architektenwerks im Bauwerk bereits verkörpert und fallen im Rahmen der Schadensbeseitigung durch den Auftraggeber des Architekten Kosten an, so kann letztlich kein Zweifel daran bestehen, dass diese – einschließlich des Neuplanungsaufwands – von der Architektenhaftpflichtversicherung umfasst sind (vgl. KG, BeckRS 2005, 13311). Bei den in Ziffer A I. 1.2.2. RBHArch angesprochenen Schäden am Bauwerk handelt es sich im Übrigen um eine deklaratorische Klarstellung des Versicherungsschutzes für Mangelfolgeschäden (vgl. VersRHdb/v. Rintelen, 3. Aufl., § 26 Rn. 202).
2. Der Versicherungsfall fällt in den zeitlichen Rahmen des Versicherungsschutzes.
a) Abweichend von Ziffer 1.1 AHB, der auf ein während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenes Schadensereignis abstellt, umfasst der Versicherungsschutz im Rahmen der hier vorliegenden Architektenhaftpflichtversicherung „Verstöße, die zwischen Beginn und Ablauf des Versicherungsvertrages begangen werden“ (Ziffer A III. 1. RBHArch). Gemeint sind damit Verstöße gegen Berufspflichten bei Ausübung der im Versicherungsschein beschriebenen Tätigkeit (Ziffer A I. 1.1 RBHArch). Für die Gewährung des Versicherungsschutzes kommt es demnach nicht auf das eingetretene Schadensereignis (d.h. konkrete bauliche Mängel und daraus resultierende Folgen) an, sondern auf den Zeitpunkt der fehlerhaften Planung bzw. Bauüberwachung des Architekten – sog. Kausalereignistheorie (vgl. Senatsurteil vom 26.05.1994 – 8 U 658/94, VersR 1994, 1462; OLG Hamm, NJW-RR 2001, 391, 392). Diese Sichtweise erscheint im Übrigen auch sachgerecht. Denn anders als in den meisten sonstigen Zweigen der Haftpflichtversicherung bedarf es im Rahmen der Architektenhaftpflichtversicherung im Regelfall noch einer Umsetzung der vom Versicherungsnehmer erbrachten Leistung. Das Schadensereignis wird auf Grund der Besonderheit des geistigen Werkes des Architekten oftmals erst einige Zeit nach dem Verstoß eintreten.
Frei von Beanstandungen hat das Landgericht festgestellt, dass der Kläger die hier maßgeblichen Planungs- und Überwachungsleistungen in den Jahren 2006 und 2007 erbracht hat. Im Jahre 2007 ist das Bauvorhaben fertiggestellt worden (LGU 5). Der Versicherungsvertrag der Parteien endete hingegen erst zum 06.03.2008.
b) Letztlich nicht entscheidend ist, ob der Versicherungsfall der Beklagten innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Vertrages gemeldet worden ist (Ziffer A III. 1. RBHArch; sog. Nachhaftung).
aa) Dabei kann offen bleiben ob die genannte Klausel überhaupt einer Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 307 BGB standhält (bejahend: OLG Stuttgart, r+s 2009, 188; mit beachtlichen Gründen verneinend: VersRHdb/v. Rintelen, aaO. Rn. 215 m.w.N.). Denn nach der Interessenlage der Parteien handelt es sich bei dieser Klausel um eine Ausschlussfrist (vgl. LG Mönchengladbach, VersR 2000, 754; LG Düsseldorf, r+s 2008, 103, 104; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 31. Aufl., BBR Arch Ziffer A. 2. Rn. 1). Demzufolge kann sich der Versicherer – hier die Beklagte – nicht auf eine Versäumung der Ausschlussfrist berufen, wenn den Versicherungsnehmer kein Verschulden daran trifft (vgl. BGH, Urteile vom 24.03.1982 – IVa ZR 226/80, VersR 1982, 567 und vom 20.07. 2011 − IV ZR 209/10, BeckRS 2011, 20475 Rn. 15; MüKo-VVG/Büsken, 2. Aufl., Allgemeine Haftpflichtversicherung Rn. 19). Dies stellt auch die Berufung nicht in Abrede und neuere Bedingungswerke regeln die Entlastungsmöglichkeit ausdrücklich.
Zutreffend hat das Landgericht (LGU 6) ausgeführt, dass sich das Verschulden in dem vorbenannten Sinne auf den konkreten Verstoß gegen eine Berufspflicht beziehen muss, weil dieser dem Wortlaut der Klausel in Ziffer A III. 1 RBHArch entsprechend innerhalb von fünf Jahren nach Vertragsende zu melden ist. Weder aus der in Anlage K 7 angedeuteten Schadensmeldung eines anderen Baubeteiligten noch aus der Streitverkündungsschrift des Antragsgegners im selbständigen Beweisverfahren musste sich dem Kläger aufdrängen, inwiefern ihm eine fehlerhafte Planung und/oder eine unzureichende Bauüberwachung vorgeworfen wird. Die vorgerichtlich bspw. aus Anlage K 11 zum Ausdruck kommende Ansicht des Sachbearbeiters der Beklagten trifft demnach nicht zu. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in diesem Zeitpunkt bereits gerichtliche Gutachten vorlagen, aufgrund derer der Kläger von einem eigenen Verstoß gegen eine Berufspflicht ausgehen musste. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Erklärung einer Streitverkündung auch prozessual (noch) keine Inanspruchnahme auf Schadensersatz i.S.d. Ziffer 1.1 AHB darstellt (vgl. auch Mansel in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 72 Rn. 1) und von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch nicht in dieser Weise verstanden werden muss.
Bei dieser Sachlage hatte die Beklagte als Versicherer substantiiert Umstände darzulegen, die gleichwohl für eine bereits vor dem 06.03.2008 vorhandene Kenntnis des Klägers von einem konkreten Verstoß sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.1967 – II ZR 217/64, VersR 1967, 769). Dies ist nicht erfolgt. Unzureichend ist namentlich der Verweis auf die letztlich am 14.03.2013 erfolgte Anmeldung des aus seiner Sicht bestehenden Versicherungsfalls durch den Kläger. Denn die objektive Versäumung der Frist erlaubt keinen zwingenden Rückschluss auf eine subjektive Vorwerfbarkeit.
bb) Der Beklagten ist es aus einem weiteren Grund versagt, sich auf den Ablauf der Nachhaftungsfrist zu berufen.
Nach Zustellung der Streitverkündung hatte die Beklagte gegenüber dem Kläger eine – zumindest konkludente – Deckungszuge erteilt und gemäß Ziffer 25.5 AHB einen Rechtsanwalt beauftragt, der den Kläger im selbstständigen Beweisverfahren vertrat, Einsicht in die Gerichtsakten nahm (Anlage K 1), den Beitritt zum Rechtsstreit erklärte (Anlage K 2) und mit den Rechtsanwälten anderer Verfahrensbeteiligter korrespondierte (Anlagenkonvolut K 4). Da der Kläger bedingungsgemäß verpflichtet war, der Beklagten die Führung des Verfahrens auf deren Kosten zu überlassen, durfte er das Verhalten der Beklagten als Deckungszuge verstehen. Dies gilt umso mehr, als der Versicherer die Prozessführung zu übernehmen hat, wenn es zu einem Versicherungsfall gekommen ist (Ziffer 5.2 AHB). Anderenfalls hätte die Beklagte rechtzeitig und unmissverständlich erklären müssen, dass sie den vertraglich vorgesehenen Rechtsschutz nicht gewährt (vgl. Prölss/Martin/Lücke, aaO., AHB Ziffer 5 Rn. 4). Darüber hinaus hat die Beklagte über den von ihr beauftragten Rechtsanwalt verlauten lassen, dass eine „Gesamtlösung“ gefunden werden solle (Anlage K 24). Dies konnte der Kläger nicht anders verstehen, als dass die Beklagte nicht nur Abwehrdeckung erteilt, sondern auch zur Befriedigung von Ansprüchen Dritter – in noch näher festzulegender Höhe – bereit ist.
Die Beklagte hat also mit Einverständnis des Klägers sowohl vorbehaltlos Rechtsschutz gewährt als auch dem Grunde nach eine Freistellung von gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüchen in Aussicht gestellt. Nach den Umständen des vorliegenden Falles liegt in diesem Verhalten des Versicherers ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis seiner Leistungspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.1953 – II ZR 176/52, VersR 1953, 316, 318; OLG Hamm, VersR 1981, 178). Dessen Folge ist, dass die Beklage für die Zukunft mit solchen Einwendungen ausgeschlossen ist, die sie im Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits gekannt hat oder bei gehöriger Prüfung hätte kennen müssen. Dies betrifft im Streitfall den Einwand der bereits verstrichenen Nachhaftungsfrist. Die näheren Umstände hätte die Beklagte prüfen müssen, bevor sie einen Rechtsanwalt mit der – mehr als 4 Jahre andauernden – Vertretung des Klägers in dem selbständigen Beweisverfahren beauftragt.
3. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht schließlich eine Bindungswirkung des (außergerichtlichen) Vergleichs vom 12.02.2019 für den hier anhängigen Deckungsprozess angenommen (LGU 7).
a) Dieser Vergleich hatte zum einen zur Folge, dass das im pflichtgemäßen Regulierungsermessen des Versicherers liegende Wahlrecht zwischen Abwehr der Haftpflichtforderung und Freistellung nicht mehr besteht, weil ersteres nicht mehr möglich ist und daher nur noch die Leistungsalternative der Freistellung in Betracht kommt (vgl. Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 100 Rn. 106; Lange, r+s 2007, 401, 402).
b) Einem vom Versicherungsnehmer mit dem Geschädigten geschlossenen Vergleich kommt grundsätzlich nur dann Bindungswirkung für das Deckungsverhältnis i.S.v. § 106 Satz 1 VVG, Ziffer 5.1 AHB zu, wenn dieser Vergleich mit Zustimmung des Versicherers abgeschlossen worden ist oder wenn und soweit ohne den Vergleich eine Haftpflichtschuld nach materieller Rechtslage tatsächlich bestehen würde (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.2021 – IV ZR 309/19, NJW 2021, 1823 Rn. 12 m.w.N.). Letzteres ist gegebenenfalls inzident im Deckungsprozess gegen den Versicherer zu klären.
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Denn tragender Grund für die Bindungswirkung und maßgeblich für die Bestimmung von Reichweite und Umfang dieser Bindungswirkung ist die Möglichkeit des Versicherers, die ihm eingeräumten Rechte bei dem gerichtlich und außergerichtlich geführten Haftpflichtstreit wahrzunehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 55/12, NJW 2013, 1163 Rn. 12 m.w.N.). Keine Bindungswirkung besteht, wenn der Versicherer keine Kenntnis und daher auch keine Möglichkeit hatte, den Versicherungsnehmer zu unterstützen. Ob der Versicherer von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist dagegen ohne Bedeutung. Entscheidet er sich gegen die Übernahme der Prozessführung, weil er sich nicht als zur Deckung verpflichtet ansieht, ist er grundsätzlich an die Feststellungen im Haftpflichtverhältnis gebunden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich getroffen worden sind (vgl. Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 106 Rn. 18). Der Versicherer kann sich dann nicht darauf berufen, dass der Vergleich nicht sachgerecht gewesen sei (vgl. BGH, Urteil vom 16.05.1966 – II ZR 21/64, VersR 1966, 625; OLG Hamm, VersR 1994, 925; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 748). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Versicherungsnehmer in zumindest leichtfertiger Weise seine eigenen wohlverstandenen Interessen missachtet, indem er einen Betrag anerkennt, der grob unbillig ist und den Versicherer in sachlich nicht gerechtfertigter Weise belastet (vgl. OLG Frankfurt, VersR 2013, 617, 619). Außerhalb solcher Ausnahmefälle ist der Versicherer auch ohne Regelung in den AVB nach Treu und Glauben so zu behandeln, als habe er seine Zustimmung zum Abschluss des Vergleichs erteilt (vgl. Koch, VersR 2013, 617, 623).
So liegt der Fall auch hier. Die Beklagte hat den zunächst gewährten Versicherungsschutz seit September 2017 zu Unrecht abgelehnt. Dies geschah just „aus Anlass des Vergleichsabschlusses“ (Anlage K 7). Die Beklagte hat sich damit der Möglichkeit begeben, auf die Gestaltung des abzuschließenden Vergleichs einzuwirken und die – nunmehr vermisste – Spezifizierung des Anspruchs nach Grund und Höhe der Schadenspositionen zu verlangen. Die in dem selbständigen Beweisverfahren erstatteten Sachverständigengutachten waren der Beklagten entweder bekannt oder sie hätte in diese problemlos Einsicht nehmen können. Gleiches gilt für die von Bauherrenseite beauftragten Privatgutachten. Der Kläger hatte die vor Vergleichsabschluss im Raum stehenden Ansprüche mit Schriftsatz vom 09.11.2020 näher dargelegt. Hierzu hatte die Beklagte mit Schriftsatz vom 04.01.2021 eingewandt, diese Darlegung sei nicht ansatzweise nachvollziehbar. Im Übrigen – so die Beklagte – schulde ein Architekt gegenüber dem Besteller keinen Ersatz fiktiver Mangelbeseitigungskosten.
Unabhängig von der Frage, ob die von der Wohnungseigentümergemeinschaft gegenüber dem Bauträger in den Raum gestellten 557.000 € (Anlage K 26) realistisch erschienen und vollständig durch entsprechende Gutachten abgebildet worden sind, lässt sich dem pauschalen Einwand nicht entnehmen, dass sich die Vergleichssumme von 130.000 € im Verhältnis des Bauträgers zum Kläger als grob unbillige Belastung der Beklagten und leichtfertige Missachtung der Interessen des Klägers darstellt. Der Verweis der Beklagten auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.02.2018 (VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 ff.) rechtfertigt keine andere Würdigung. Aus dieser auch in der Folgezeit aufrechterhaltenen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ergibt sich lediglich, dass der Besteller Schadensersatz in Gestalt fiktiver Mangelbeseitigungskosten nicht verlangen kann, wenn er das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt. Lässt er den aus einem Planungs- oder Überwachungsfehler resultierenden Mangel des Bauwerks hingegen beseitigen, sind die von ihm aufgewandten Kosten als Schaden gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB vom Architekten zu ersetzen. Dieser Anspruch ist auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags gegen den Architekten gerichtet. Selbstverständlich steht es den Beteiligten frei (und ist häufig zweckmäßig), sich auf die Zahlung eines einmaligen pauschalen Betrages zur Abgeltung der Mängelansprüche zu verständigen. So ist im vorliegenden Fall auch verfahren worden und nach Lage der Dinge entsprach dies grundsätzlich der von der Beklagten angestrebten „Gesamtlösung“ (Anlage K 24).
4. Die Erhebung der Verjährungseinrede der Beklagten erfolgt erstmals mit der Berufungsbegründung (Seite 7) in zweiter Instanz, ohne dass dargelegt wird, warum sie im Berufungsrechtszug zugelassen werden muss (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, 531 Abs. 2 ZPO).
Die Ausführungen gehen im Übrigen an der Sache vorbei. Unterstellt, der streitgegenständliche Freistellungsanspruch wäre mit Ablauf des 31.12.2020 verjährt, so ist die Verjährung durch Erhebung der Klage gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dies erfolgte im Streitfall durch Zustellung der Klageschrift am 23.01.2020 (§ 253 Abs. 1 ZPO). Ein Mahnverfahren ist weder aktenkundig noch kommt es hier auf ein solches an.
III.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).


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