Handels- und Gesellschaftsrecht

Erfolgsaussicht, Berufung, Ware, Gutachten, Festsetzung, Revision, Spanien, Tatrichter, Beurteilung, Aufwendungen, Aktivlegitimation, Voraussetzungen, Zulassung, Klage, Gelegenheit zur Stellungnahme, Zulassung der Revision, Richter am Amtsgericht

Aktenzeichen  1 U 194/21

Datum:
25.8.2021
Fundstelle:
TranspR – 2022, 229
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1 HK O 1/19 2021-04-26 Urt LGHOF LG Hof

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 26.04.2021, Az. 1 HK O 1/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 5.505,87 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17.09.2021.

Gründe

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 26.04.2021, Az. 1 HK O 1/19, offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat der Beklagten auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt ihm zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu und zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreitwerts.
I.
Zu Recht und auch mit zutreffender Begründung hat das Landgericht Hof der Klage vollumfänglich stattgegeben. Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen im Ersturteil Bezug, die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden.
Zu den Berufungsangriffen ist lediglich Folgendes anzumerken:
1. Die Angriffe der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und die dabei getroffenen Feststellungen dringen in Anbetracht der Grundsätze tatrichterlicher Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung des berufungsrechtlichen Prüfungsumfangs nicht durch.
a) Aufgabe eines Zivilgerichtes ist es, aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlungen einschließlich durchgeführter Beweisaufnahme den Sachverhalt im Wege freier Beweiswürdigung festzustellen, d.h. sich eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung zu bilden, § 286 Abs. 1 ZPO. Die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse darf der Tatrichter folglich nach seiner eigenen individuellen Einschätzung bewerten und ist hierbei lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden (Greger-Zöller ZPO, 33. Aufl., Rn. 13 ff. zu § 286). Da eine absolute Gewissheit auch in einem Zivilprozess in der Regel nicht zu erreichen ist, darf und muss sich ein Zivilgericht jedoch für die Gewinnung der vollen Überzeugung von der Wahrheit behaupteter Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dies bedeutet, dass eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1970, 946; NJW 2004, 777; NJW-RR 2007, 312). Einer Korrektur durch das Berufungsgericht unterliegt eine solche tatrichterliche Entscheidung nur insoweit, als dem Erstgericht Fehler bei der Beweiserhebung unterlaufen sind oder eine Korrektur der Tatsachengrundlagen wegen eventueller fehlerhafter Erfassung oder gar eine neue Feststellung der Tatsachen geboten und zulässig ist, §§ 529, 531 ZPO.
Soweit der Tatrichter Sachverständigenbeweis erhebt, muss er nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGH VersR 2009, 518) auch die Äußerungen von Sachverständigen kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesondere auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den Äußerungen mehrerer Sachverständiger ergeben (vgl. BGH NJW 1997, 1638). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger wissenschaftlicher Fragen. Erst wenn solche Aufklärungsbemühungen erfolglos geblieben sind, dürfen Diskrepanzen vom Tatrichter frei gewürdigt werden, indem einer Aussage bzw. einem Gutachten mit logisch nachvollziehbarer Begründung der Vorzug gegeben wird (vgl. BGH VersR 2001, 859).
b) Das Erstgericht ist unter Zugrundelegung dieser Maßgaben in nicht zu beanstandender Weise aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen A. im Gutachten vom 20.03.2020 (Bl. 179 ff. d.A.) sowie der Einvernahme mehrerer Zeugen zu der Überzeugung gelangt, dass klägerseits nachgewiesen worden ist, dass die geltend gemachten Ansprüche nach Artikel 17, 25 CMR bestehen.
aa) Zunächst ist festzuhalten, dass die einzelnen Aufwendungen und damit die Anspruchshöhe nicht (mehr) angegriffen wird. Gleiches gilt für die erstinstanzlich in Zweifel gezogene Aktivlegitimation.
bb) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die streitgegenständlichen Fließstoffgebinde schadens-, insbesondere nässefrei waren und daraus den Schluss gezogen hat, dass Feuchtigkeitsauftragungen während des Transports entstanden sein müssen.
Dass die Ware von der Versicherungsnehmerin der Klägerin ordnungsgemäß verpackt wurde, wird durch das gerichtlich erholte Gutachten vom 20.03.2020 bestätigt (vgl. Bl. 179 ff. d.A.) und von der Beklagten auch nicht mehr in Zweifel gezogen.
Festzustellen ist daneben, dass bereits nach dem unstreitigen Tatbestand feststeht, dass bei der geplanten Ablieferung in Spanien Feuchtigkeitsauftragungen auf den Fließstoffgebinden innerhalb des Fahrzeugs auf der Verpackung vorhanden waren, die Annahme daher verweigert wurde. Dass Undichtigkeiten im Planenaufbau des Transporters vorhanden waren, wird auch von der Beklagten letztlich nicht mehr in Abrede gestellt, aber auch durch das als Anlage K 5 vorgelegte Gutachten vom 13.11.2018 von Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) U. bestätigt.
cc) Daneben ist zu beachten, dass die Klägerin ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt hat, dass es sich bei der Ware um empfindliches Material handelt, dessen mikrobiologische Verseuchung durch etwaige Feuchtigkeit vorliegend nicht auszuschließen gewesen sei.
Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung behauptet, nach der Beweisaufnahme habe sich lediglich ergeben, dass geringfügige Wassertropfen auf der Transportverpackung vorhanden gewesen seien, setzt sie lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle des Gerichts, ohne relevante Fehler im erstinstanzlichen Urteil aufzuzeigen. Im Übrigen wird die Würdigung des Gerichts durch das vorgelegte Gutachten vom 13.11.2018 (Anlage K 5) bestätigt, wonach u.a. das Abdeckpapier in Teilbereichen feucht, stellenweise sogar nass gewesen sei, daneben auch Feuchtigkeit zwischen den Folienverpackungen und Deckeln festgestellt und an 21 Gebinden partielle Nässespuren gezählt worden seien (S. 7); hierbei wurde von Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) U. zudem festgehalten, dass bei den Gebinden, bei welchen Feuchtigkeit zwischen den Folienverpackungen und Deckeln festgestellt wurde, mikrobiologische Beeinträchtigungen nicht auszuschließen gewesen seien.
Demnach hat die Klägerseite ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die Annahme der Ware in Spanien berechtigt nicht angenommen worden ist. Etwas anderes kann auch die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht darlegen. Die Annahmeverweigerung führt damit insbesondere nicht zu einem Verstoß der Versicherungsnehmerin der Klägerseite gegen die ihr obliegende Schadenminderungspflicht.
2. Die Beklagte kann zuletzt nicht mit Erfolg einwenden, das Landgericht habe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Rechtsgrundsätzen des Schadenverdachts (insb. Urteil vom 11.07.2002, Az. I ZR 36/00 = TranspR 2002, 440) nicht auf die vorliegende Konstellation anwenden dürfen.
a) Eine Sachbeschädigung kann auch ohne festgestellte Substanzverletzung allein aufgrund eines der betroffenen Sache anhaftenden Schadensverdachts in Betracht kommen. Denn der potentielle Erwerber einer mit einem Schadensverdacht behafteten Sache wird im Allgemeinen nicht bereit sein, ohne vorherige Ausräumung des Verdachts für die betroffene Sache den vollen Marktpreis zu zahlen bzw. diesen anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 – I ZR 36/00 -, Rn. 14, juris). In diesem Fall ist es grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Eigentümer die Sache daraufhin untersuchen lässt, ob unsichtbare Schäden tatsächlich vorhanden sind, die zur Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der betroffenen Sache behoben werden müssen. Die Untersuchung der Sache dient dazu, deren objektiven Verkehrswert wiederherzustellen, weil nur auf diese Weise der sich wertmindernd auswirkende Schadensverdacht ausgeräumt werden kann (vgl. BGH a.a.O., Rn. 15).
b) Auch wenn die beiden Sachverhalte nicht identisch sind, durfte das Landgericht ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen nach der durchgeführten Beweisaufnahme von einem hinreichend konkreten Schadensverdacht ausgehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Erforderlichkeit einer Untersuchung auf unsichtbare Schäden grundsätzlich bereits dann gegeben, wenn ein hinreichend begründeter Schadensverdacht vorliegt. Das ist weniger als eine hohe Schadenswahrscheinlichkeit (vgl. BGH a.a.O., Rn. 16). Gerade bei sensibler Ware für den sanitären Gebrauch wie hier dürfen die Anforderungen an die entsprechende Darlegung nicht überhöht werden (vgl. BGH a.a.O., Rn. 17).
Der Planenaufbau des Aufliegers enthielt – nunmehr unstreitig – mehrere Undichtigkeiten. Es ist auch zu einem nicht unerheblichen Feuchtigkeitseintritt gekommen. Zum Zeitpunkt der Warenlieferung hat es in der Region des Empfängers stärker geregnet (vgl. Anlage K 5, S. 9). Bei der Ware handelt es sich um empfindliches Material. Dessen mikrobiologische Verseuchung konnte durch die festgestellte Feuchtigkeit vorliegend nicht ohne genauere Untersuchung ausgeschlossen werden (s. o.).
Nachdem das Landgericht der Klage aus den dargelegten Gründen zu Recht stattgegeben hat, muss der hiergegen gerichteten Berufung der Beklagten der Erfolg versagt bleiben und sie wird zurückzuweisen sein.
II.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen.
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.
III.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein.


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