Handels- und Gesellschaftsrecht

Grundsatz der Subsidiarität: Verpflichtung zur Ausschöpfung aller prozessualer Möglichkeiten zur Korrektur einer behaupteten Gehörsverletzung

Aktenzeichen  VI ZR 410/17

Datum:
21.1.2020
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:210120BVIZR410.17.0
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zum Grundsatz der Subsidiarität im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 5. September 2017, Az: I-26 U 108/16vorgehend LG Bielefeld, 28. Juni 2016, Az: 4 O 122/12

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 5. September 2017 wird zurückgewiesen.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
1. Soweit die Klägerin unter anderem rügt, ihr Antrag im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 30. November 2015, ihren Ehemann zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sie in der gesamten Folgezeit nach dem Unfall Kopf- sowie Nackenschmerzen verspürt und bei jedem Folgebesuch bei den Beklagten darüber geklagt habe, sei übergangen worden, steht einem durchgreifenden Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bereits der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
a) Nach diesem Grundsatz muss ein Beteiligter die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. Senat, Beschluss vom 26. September 2017 – VI ZR 81/17, NJW-RR 2018, 404 Rn. 8; BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Beschlüsse vom 28. März 2019 – IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; jeweils mwN). Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht geltend machen, wer es versäumt hat, zuvor die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfGE 74, 220, 225; 28, 10, 14; 15, 256, 267 f.; BVerfGK 17, 479, 485; Senat, Beschluss vom 19. August 2014 – VI ZR 560/13, juris Rn. 2; BGH, Urteile vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; vom 8. November 1994 – XI ZR 35/94, NJW 1995, 403). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26. September 2017 – VI ZR 81/17, NJW-RR 2018, 404 Rn. 8; BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Beschlüsse vom 28. März 2019 – IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 4; jeweils mwN). Besteht im Berufungsverfahren eine solche Gelegenheit, darf die Partei sie nicht ungenutzt lassen und den Ausgang des Berufungsverfahrens abwarten, um dann erst das für sie ungünstige Berufungsurteil im Revisionsverfahren mit der Gehörsrüge anzugreifen (vgl. BGH, Urteile vom 21. Februar 2019 – I ZR 99/17, ZUM 2019, 521 Rn. 69; vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; Beschluss vom 17. März 2016 – IX ZR 211/14, NJW-RR 2016, 699 Rn. 5).
b) Davon ausgehend ist die Gehörsrüge der Klägerin unbegründet.
aa) Die Klägerin hat den als übergangen gerügten Beweisantrag bereits in erster Instanz gestellt. Das Landgericht hat sich damit nicht befasst. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass die Klägerin in der Berufungsinstanz die Nichtberücksichtigung durch das Landgericht beanstandet hat. Damit hat sie gegen das Gebot verstoßen, alle prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Korrektur einer behaupteten Gehörsverletzung zu erwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 – I ZR 99/17, ZUM 2019, 521 Rn. 69). Ergänzend ist anzumerken, dass der Klägervertreter im Termin vor dem Landgericht am 28. Juni 2016 ausdrücklich (nur) den Beweisantrag gestellt hat, den von ihm mitgebrachten Ehemann der Klägerin zum Unfallhergang zu vernehmen, und mit der Berufungsbegründung lediglich dieser Beweisantrag als übergangen beanstandet worden ist.
bb) Der von der Klägerin benannte Zeuge ist vom Berufungsgericht geladen worden mit folgendem Zusatz: “Das Gericht erwägt, Sie ggf. zu folgender Frage als Zeugen zu vernehmen: Unfallhergang und medizinische Versorgung” und hat bei seiner Vernehmung Angaben zur Sache gemacht.
Die Klägerin hat nicht ausgeführt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, warum es ihr nicht möglich oder nicht zumutbar war, entweder auf eine Erweiterung des ihrer (jetzigen) Ansicht nach zu eng gefassten Beweisthemas (§ 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) hinzuwirken und/oder bei der Vernehmung des Zeugen die weiteren aus ihrer Sicht relevanten Fragen zu stellen (§ 397 Abs. 1 und 2 ZPO). Darüber hinaus macht die Klägerin nicht geltend und ergibt sich aus dem Protokoll nicht, dass Fragen zurückgewiesen worden sind (§ 397 Abs. 3 ZPO).
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 700.000,00 €
Seiters     
      
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Offenloch
      
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