Handels- und Gesellschaftsrecht

Hemmung der Verjährung einer Insolvenzforderung nach widerspruchsloser Anmeldung

Aktenzeichen  7 U 4914/20

Datum:
21.12.2020
Fundstelle:
ZInsO – 2021, 2376
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2
HGB § 159 Abs. 1, Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 171, § 172 Abs. 4

 

Leitsatz

Die Verjährung des Anspruchs auf Rückzahlung von Ausschüttungen gegen den Kommanditisten ist auch dann bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens gehemmt, wenn der Insolvenzverwalter der Forderungsanmeldung durch den Gläubiger der Schuldnerin nicht widersprochen hat (Weiterentwicklung von BGH BeckRS 2010, 2412). (Rn. 8 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 13512/19 2020-07-22 Berichtigungsbeschluss LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10.07.2020, Az. 22 O 13512/19, berichtigt durch Beschluss vom 22.07.2020, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 25. Januar 2021.

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
Die Parteien streiten um die Inanspruchnahme der Beklagten als Rechtsnachfolgerin eines Kommanditisten in Höhe von 265.000 € durch den Insolvenzverwalter der Kommanditgesellschaft aus § 172 Abs. 4 iVm § 171 Abs. 2 HGB. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Kommanditgesellschaft in dieser Höhe Ausschüttungen an den Kommanditisten vorgenommen hat, während sein Kapitalanteil durch Verluste unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert war. Ebenso ist unstreitig, dass sämtliche ausstehenden Kommanditeinlagen zur Befriedigung von zur Tabelle angemeldeten und nicht bestrittenen Insolvenzforderungen (in Höhe von ca. 54,8 Mio €) benötigt werden. Die Beklagte verteidigt sich folgerichtig ausschließlich mit dem Einwand der Verjährung nach § 159 HGB und der Verwirkung. Das Landgericht, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Im Kern macht sie – in tatsächlicher Hinsicht zutreffend – geltend, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 7. Mai 2014 in das Handelsregister der Insolvenzschuldnerin eingetragen worden sei. Die Anmeldung der Forderungen erfolgte bis zum 7. Juli 2014. Die Beklagte leitet daraus ab, dass die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 159 HGB jedenfalls ab diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe. Der Insolvenzverwalter könne sich insoweit nicht darauf berufen, dass er die von ihm selbst in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter anderer Gesellschaften angemeldeten Forderungen in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin des hiesigen Verfahrens zunächst vorsorglich bestritten habe (die Feststellung zur Tabelle erfolgte erst nach Bestellung eines Sonder-Insolvenzverwalters 2017). Bei Klageeinreichung am 30. September 2019 sei daher bereits Verjährung nach § 159 HGB eingetreten; jedenfalls seien die Ansprüche vorliegend verwirkt.
Mit diesen Angriffen wird die Berufung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Die Annahme des Landgerichts, dass Verjährung – und dementsprechend auch Verwirkung – nicht eingetreten sei, ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO).
1. Im Ausgangspunkt trifft zu, dass Ansprüche gegen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren nach der Auflösung der Gesellschaft verjähren (§ 159 Abs. 1 HGB). Diese Vorschrift findet über § 161 Abs. 2 HGB auf Kommanditgesellschaften Anwendung und damit auch auf eine – während des laufenden Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter vorbehaltene (§ 171 Abs. 2 HGB) – Inanspruchnahme der Kommanditisten aus § 172 Abs. 4 HGB wegen Rückzahlung der Einlage (Hillmann in Ebenroth/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 159 Rn. 7; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019 Rn. 4; Schmidt in MüKo HGB, 4. Aufl., § 159 Rn. 13, 20). Die Gesellschaft wurde vorliegend durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 131 Abs. 1 Nr. 3, § 161 Abs. 2 HGB). Maßgeblich für den Anlauf der Verjährung ist nach § 159 Abs. 2 HGB die Eintragung der Auflösung in das Handelsregister.
2. Der Senat folgt allerdings dem Landgericht nicht darin, dass eine Berufung auf die Verjährung schon deshalb ausscheide, weil die unbestrittene Feststellung zur Tabelle die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils habe. Zwar trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 20. Februar 2018 – II ZR 272/16) die in § 178 Abs. 3 InsO angeordnete Rechtskraftwirkung mittelbar über § 201 Abs. 2 InsO auch gegenüber den Kommanditisten wirkt.
Für die Verjährung folgt daraus aber nur, dass die Verjährungsfrist für die festgestellte Forderung gegenüber der Gesellschaft 30 Jahre ab Feststellung beträgt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3, § 201 BGB). Die eigenständige 5-jährige Verjährung des Gesellschafters aus § 159 Abs. 1 HGB bleibt hiervon unberührt. Aus § 159 Abs. 4 HGB ergibt sich nichts anderes (LAG München, NJW 1978, 1877, 1878 mwN zur Rspr des RG; Hillmann in Ebenroth(Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 159 Rn. 10; Schmidt in MüKo HGB, 4. Aufl., § 159 Rn. 25; Boesche in Oetker, HGB, 6. Aufl., § 159 Rn. 9 – jeweils zu dem Fall einer Titulierung der Forderung gegenüber der Gesellschaft vor Auflösung). Danach wirkt der Neubeginn der Verjährung und ihre Hemmung nach § 204 BGB gegenüber der Gesellschaft auch gegenüber den Gesellschaftern, die zur Zeit der Auflösung der Gesellschaft dieser angehört haben. Zwar mag man annehmen, dass in der Feststellung zur Tabelle zugleich ein Anerkenntnis der Gesellschaft liegt, hierdurch ein Neubeginn der Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB ausgelöst wird, der nach § 159 Abs. 4 HGB auch Kommanditisten gegenüber wirkt (anders für den Sonderfall, dass der Insolvenzverwalter den Widerspruch gegen eine bereits verjährte Forderung zurücknimmt: BGH, NJW 1982, 2443, juris-Rn. 16). Der Neubeginn hat aber nur zur Folge, dass – vorbehaltlich der fortdauernden Hemmung wegen des noch laufenden Insolvenzverfahrens, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB, dazu sogleich – die Verjährungsfrist, hier die 5-jährige Frist nach § 159 Abs. 1 HGB, erneut anläuft. Nicht etwa wird – wofür es auch keine Rechtsgrundlage gäbe – die 5-jährige eigenständige Verjährungsfrist des § 159 Abs. 1 HGB für den Kommanditisten von der 30-jährigen Frist nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB verdrängt. § 159 Abs. 1 HGB bezweckt eine solche Abkürzung der Haftung der Gesellschafter für etwaige Gesellschaftsschulden – gerade auch dann, wenn die Verjährung gegenüber der Gesellschaft erst später eintritt (vgl. BFH, Urteil vom 26. August 1997 – VII R 63/97, juris-Rn. 22).
3. Hierauf kommt es aber auch nicht an. Denn der Lauf der Verjährung ist ab Anmeldung einer Forderung zur Tabelle während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB). Diese Hemmung der Verjährung gegenüber der Gesellschaft wirkt, wie bereits ausgeführt, gemäß § 159 Abs. 4 HGB auch zu Lasten der Gesellschafter. Die Ansicht der Beklagten, die Hemmung ende bereits mit dem Prüfungstermin über die angemeldeten Forderungen im Juli 2014, trifft nicht zu. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob für das Ende des Prüfungsverfahrens wirklich – wie die Beklagte meint – auf den Prüfungstermin im Juli 2014 abzustellen ist, obwohl der Insolvenzverwalter dort die – allerdings von ihm selbst angemeldeten – Forderungen noch bestritten hatte.
a) Der Beklagten ist insoweit zuzugeben, dass der Wortlaut des § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB („Die Verjährung wird gehemmt […] durch die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahrens […]“) auch in Zusammenschau mit Abs. 2 Satz 1 (“endet sechs Monate nach rechtskräftiger Entscheidung oder anderweitiger Beendigung des eingeleiteten Verfahrens“) nicht unmittelbar regelt, was der Bezugspunkt für das relevante Verfahren ist. Vom Wortlaut her erscheint es denkbar, auf das Verfahren zur Anmeldung zur Tabelle abzustellen, zumal die Insolvenzordnung der Feststellung Rechtskraftwirkung beimisst. Andererseits ist zu bedenken, dass das Prüfungsverfahren lediglich einen unselbständigen Teil des Insolvenzverfahrens mit oftmals wenig klar konturiertem Ende bildet. Beendet ist das Prüfungsverfahren mit der Feststellung zur Tabelle nämlich nur, wenn kein Widerspruch erfolgt. Im Falle des Bestreitens bleibt jedoch zunächst in der Schwebe, ob und wann die Berechtigung zum Widerspruch einer gerichtlichen Klärung zugeführt wird. Es erscheint jedoch nicht angängig – erst recht nicht ohne klare gesetzliche Regelung -, die Beendigung eines einheitlichen Hemmungstatbestandes je nach Ergebnis des jeweiligen (Teil-)Verfahrens zur Prüfung der angemeldeten Forderungen unterschiedlich auszugestalten. Auch der systematische Vergleich mit den übrigen genannten Hemmungstatbeständen – die ebenfalls auf eine Geltendmachung in förmlichen Verfahren, etwa Klageverfahren, schiedsgerichtliche Verfahren u.ä. abstellen – spricht für ein Abstellen auf das ebenso förmlich eingeleitete und beendete Insolvenzverfahren.
b) Diese Sichtweise entspricht der des BGH (Urteil vom 8. Dezember 2009 – XI ZR 181/08, juris-Rn. 45 ff.). Zwar trifft zu, dass der BGH-Entscheidung der Fall einer bestrittenen Forderung zugrunde lag; es ist jedoch nicht ersichtlich, dass – insbesondere unter Berücksichtigung der vom BGH angeführten Gründe – für den Fall einer festgestellten Forderung etwas anderes gelten sollte. Dies verdeutlicht folgende Überlegung: Mit der Feststellung zur Tabelle hat der Gläubiger die berechtigte Erwartung einer Befriedigung, soweit die Insolvenzmasse ausreicht. Er hat weder Veranlassung – seine Forderung ist rechtskräftig festgestellt – noch Möglichkeit, weitere Maßnahmen zu seinem Schutz zu ergreifen, sondern darf und muss abwarten, ob und inwieweit er im Insolvenzverfahren Befriedigung zu erlangen vermag, ohne dass ihm dies verjährungstechnisch zum Nachteil gereichen kann. Eigene Maßnahmen kann der Gläubiger nicht ergreifen, vgl. § 89 Abs. 1 InsO und – für den hier streitgegenständlichen Fall – § 171 Abs. 2 HGB. Auch wertungsmäßig fügt sich die Annahme der Fortdauer der Hemmung während des gesamten Insolvenzverfahrens nahtlos in das Konzept des Verjährungsrechts ein: während des Laufs eines Insolvenzverfahrens versucht der Gläubiger gleichsam permanent – über den Insolvenzverwalter – die Vollstreckung; jede Vollstreckungshandlung löst aber den Neubeginn der Verjährung aus § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB aus, die auch zu Lasten des Gesellschafters wirkt.
c) Dieser Befund deckt sich mit der Entstehungsgeschichte der Norm. Die Norm erhielt ihre jetzige Fassung im Rahmen der Schuldrechtsreform. Zuvor stellte die Anmeldung einer Forderung im Insolvenzverfahren einen Unterbrechungstatbestand dar (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB in der Fassung bis 2001). § 214 BGB ordnete an:
„(1) Die Unterbrechung durch Anmeldung im Insolvenzverfahren dauert fort, bis das Insolvenzverfahren beendet ist. […]
(3) Wird bei der Beendigung des Insolvenzverfahrens für eine Forderung, die infolge eines bei der Prüfung erhobenen Widerspruchs in Prozeß befangen ist, ein Betrag zurückbehalten, so dauert die Unterbrechung auch nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fort; das Ende der Unterbrechung bestimmt sich nach den Vorschriften des § 211.“
Die Vorschrift regelte unmissverständlich (MüKo BGB/Grothe, BGB, 4. Aufl., § 214 Rn. 1 und 4; Staudinger/Peters, BGB, Neubearb. 2001, § 214 Rn. 1 und 4; vgl. auch BGH, NJW 1982, 2443, juris-Rn. 7), dass die Unterbrechungswirkung für die Dauer des gesamten Insolvenzverfahrens gilt. Eine Einschränkung für nicht bestrittene Forderungen lässt sich ihr nicht entnehmen; im Gegenteil enthält die Vorschrift für bestrittene Forderungen eine Sonderregelung in Absatz 3, wonach in diesen Fällen die Unterbrechung noch über das Ende des Insolvenzverfahrens fortdauert. Den Motiven des BGB zu dieser Regelung lässt sich entnehmen, dass es dem historischen Gesetzgeber bei Einführung des BGB darum ging, Klarheit zu schaffen, wie lange die Unterbrechungswirkung dauern sollte. Ausdrücklich ist in den Motiven der Fall behandelt, dass die Forderung unbestritten bleibt (Motive, S. 334 f.):
„2. Findet die angemeldete Forderung von keiner Seite Widerspruch, so wird dieselbe bei der Vertheilung der Konkursmasse entsprechend berücksichtigt; außerdem verleiht die Eintragung in die Tabelle einen vollstreckbaren Titel gegen den Gemeinschuldner (Konk.O § 152 Abs. 2). Die Unterbrechung der Verjährung währt hier bis zur Beendigung (Aufhebung oder Einstellung) des Konkursverfahrens. Mit der Möglichkeit einer Verschleppung des letzteren braucht nicht gerechnet zu werden.“
Mit der Neuregelung im Rahmen der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber – außer im Hinblick auf die Umwandlung von Unterbrechungstatbeständen in Hemmungstatbestände und dem Wegfall des Entfallens der bisherigen Unterbrechungswirkung bei Antragsrücknahme – keine sachliche Änderung der Regelung beabsichtigt; als überflüssig gestrichen wurde lediglich die Regelung des § 214 Abs. 3 BGB a.F. (BT-Drs. 14/6040, S. 117f.). Entsprechend stellt auch die Literatur – weit überwiegend – für das Ende des Hemmungstatbestandes weiterhin auf das Ende des Insolvenzverfahrens ab (Meller-Hannich in BeckOGK, BGB, § 204 Rn. 351 und 351.1 [Stand: 01.12.2020]; Grunewald/Maier-Reimer/Westermann in Erman, BGB, 16. Aufl., § 204 Rn. 48; Grothe in MüKo BGB, 8. Aufl., § 204 Rn. 102 mit Nachweisen zur Gegenansicht; Ellenberger in Palandt, BGB, 79. Aufl., § 204 Rn. 42; Peters/Jacoby in Staudinger (2019), BGB, § 204 Rn. 98).
d) Auch nach Sinn und Zweck des § 159 Abs. 4 HGB erscheint es sachgerecht, die Verjährung während der Dauer des gesamten Insolvenzverfahrens zu hemmen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, den Neubeginn und die Hemmung der Verjährung (nach früherem Recht: die Unterbrechungstatbestände) zu Lasten der Gesellschafter wirken zu lassen. Dem Gläubiger soll erspart bleiben, Gesellschaft und Gesellschafter parallel in Anspruch nehmen zu müssen (vgl. nur Klimke in BeckOK HGB, § 159 Rn. 20 [Stand: Okt. 2020]). Der Gesetzgeber verneint insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen in ein Unterbleiben der Inanspruchnahme als Gesellschafter (und zwar unabhängig davon, ob der Gesellschafter Kenntnis von verjährungshemmenden Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft hat). Für den hier einschlägigen Fall des Insolvenzverfahrens und die damit verbundene Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB kann nichts anderes gelten: Die Gesellschafter wissen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; mit ihrer Inanspruchnahme während dessen Dauer müssen sie bei Vorliegen der tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen somit rechnen. Dies gilt umso mehr, wenn den Gesellschaftern regelmäßig – so auch hier – die Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme zeitnah vor Augen geführt wird; umgekehrt ist die mutwillige Verschleppung eines Insolvenzverfahrens durch einen der Aufsicht des Insolvenzgerichts unterstehenden (§ 58 InsO) und ggf. auch persönlich haftenden (§ 60 InsO) Insolvenzverwalter regelmäßig, wie schon der Gesetzgeber bei Einführung des BGB erkannte, nicht zu besorgen. Korrelierend sind die Gläubiger sogar gehindert, eigenmächtig die Vollstreckung zu betreiben.
Wenn die Beklagte meint, die Gläubiger müssten sich gleichsam zurechnen lassen, wenn der Insolvenzverwalter die rechtzeitige Inanspruchnahme der Gesellschafter unterlässt – denn darauf läuft im Ergebnis die Argumentation der Beklagten hinaus -, verkennt sie die Wertung des Insolvenzrechts: Nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens sind die Gläubiger – zwecks Vermeidung eines Wettlaufs der Gläubiger – an der eigenmächtigen Durchsetzung dieser Ansprüche gehindert (§ 89 InsO, § 171 Abs. 2 HGB). Gelingt ihre Befriedigung im Insolvenzverfahren nicht, so können sie nach dessen Abschluss ihre – ggf. sogar titulierten – Ansprüche wieder selbst geltend machen (§ 201 InsO). Für die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden gilt nichts anderes (§ 171 Abs. 2 HGB: „während der Dauer des Verfahrens“). Der Gläubiger kann also den Gesellschafter in Höhe der rückständigen Einlage unmittelbar in Anspruch nehmen, wenn der Insolvenzverwalter – aus welchen Gründen auch immer – dies unterlassen haben sollte. Wie dargelegt, ist die Verjährung der Ansprüche – auch im Rahmen des § 159 HGB – gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB; § 159 Abs. 4 HGB). Es erscheint nicht begründbar, wie die Beklagte eine solche spätere Inanspruchnahme durch Gesellschaftsgläubiger abwehren wollte. Dann aber kann während der Dauer des Insolvenzverfahrens – mag es kurz oder lang dauern – auch der Insolvenzverwalter nicht gehindert sein, rückständige Einlagen einzutreiben.
e) Ergänzend merkt der Senat an: Es liegt in der Natur der Sache und auch im Interesse der Gesellschafter, dass der Insolvenzverwalter Gesellschafter erst in Anspruch nimmt, wenn die Notwendigkeit hierfür feststeht. Insofern kann die Beklagte auch wertungsmäßig nicht einwenden, der Insolvenzverwalter hätte nicht zuwarten dürfen, bis – durch einen vom Insolvenzgericht durch Beschluss vom 8. November 2017 eingesetzten Sonderinsolvenzverwalter – die schlussendlich festgestellten Forderungen tatsächlich unstreitig gestellt wurden (offenbar nach dem Sonder-Prüfungstermin am 11. Dezember 2017). Wenn die Beklagte meint, die von ihr als fragwürdig bezeichnete Doppelrolle des Insolvenzverwalters als Insolvenzverwalter der hiesigen Gesellschaft und von weiteren Gesellschaften mit Forderungen gegenüber der hiesigen Insolvenzschuldnerin, die zu einem vorläufigen Bestreiten der namens der weiteren Gesellschaften angemeldeten Forderungen durch den Kläger und zur Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters führte, dürfe nicht zu ihren Lasten gehen, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass diese – vom Insolvenzgericht zu verantwortende – Doppelrolle ebenso wenig zu Lasten der (übrigen) Gläubiger der Gesellschafter gehen darf. Es ist daher schon nicht ersichtlich, dass von einem Ende des Prüfungsverfahrens im Juli 2014 auszugehen ist.
4. Schließlich verkennt die Beklagte, dass die streitgegenständliche Forderung auch dann nicht verjährt wäre, wenn man ihre Rechtsauffassung einer Hemmung der Verjährung nur während des Prüfungsverfahrens als zutreffend unterstellen würde. Ginge man nämlich von einem Abschluss des Prüfungsverfahrens im Juli 2014 durch Feststellung zur Tabelle aus, müsste sie auch nach eigener Rechtsauffassung berücksichtigen, dass die Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gemäß dessen Absatz 2 erst sechs Monate später endet. Der Kläger hat die Klage aber bereits weniger als 5 Jahre und 5 Monate nach Eintragung der Auflösung in das Handelsregister erhoben.
5. Soweit die Beklagte erstinstanzlich zur Untermauerung ihrer Rechtsauffassung auf die Entscheidung des BGH vom 19. Oktober 2017 – III ZR 495/16, Bezug nimmt, ist dies unbehelflich: Die Entscheidung betrifft den Verjährungsanlauf bei Befreiungsansprüchen. Für die Auslegung von Hemmungstatbeständen kann ihr nichts entnommen werden.
6. Auch für die Annahme einer Verwirkung ist kein Raum:
Wie dargelegt, entspricht es der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, ab Anmeldung von Forderungen zur Insolvenztabelle bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens die Verjährung zu hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 BGB, § 214 BGB a.F.) und diese Hemmung auch Lasten der haftenden Gesellschafter wirken zu lassen (§ 159 Abs. 4 HGB). Diese Wertung, nach der in dieser Zeitspanne grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen auf ein Unterbleiben einer Inanspruchnahme entsteht, darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass Gerichte stattdessen Verwirkung nach § 242 BGB annehmen.
Richtig ist dabei, dass die gesetzgeberische Entscheidung für einen Hemmungstatbestand, wie auch der BGH in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (Beschluss vom 31. Januar 2018 – XII ZB 133/17, juris-Rn. 17) annimmt, Verwirkung nicht per se ausschließt. Voraussetzung ist aber, dass die Umstände des Einzelfalls einen besonderen Vertrauenstatbestand (der sich nicht in dem bloßen Zeitablauf erschöpfen darf) begründen, die eine Inanspruchnahme treuwidrig und damit verwirkt erscheinen lassen (§ 242 BGB). An einem solchen Vertrauenstatbestand fehlt es vorliegend. Er kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass der Insolvenzverwalter den Anspruch im März 2018 „letztmalig“ anmahnen ließ, jedoch erst 1,5 Jahre später Klage erhob. Die Anmahnung verdeutlichte vielmehr den Willen zur Inanspruchnahme der Beklagten und zerstört etwaiges Vertrauen in eine Nicht-Inanspruchnahme. In der bloßen Zeitverzögerung bis zur Klageerhebung liegt ebenfalls kein Umstand, der besonderes Vertrauen in eine Nicht-Inanspruchnahme begründen kann, sondern die Ausschöpfung der vom Gesetzgeber ausdrücklich zugebilligten Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen.
Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen, im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.


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