Handels- und Gesellschaftsrecht

Leistungen, Abtretung, Auslegung, Streitwertfestsetzung, Einstandspflicht, Verletzung, Reiseveranstalter, Reisemangel, Zeuge, Zeitpunkt, Gefahr, Vollstreckbarkeit, Flughafen, Flugzeug, Treu und Glauben, Frankfurt Main

Aktenzeichen  275 C 17530/19

Datum:
20.8.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40075
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.473,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat sich als unbegründet erwiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 1.473 €. Die Klägerin kann gegen die Beklagte weder Ersatzvornahmekosten gem. § 651k BGB noch Minderungsansprüche gem. § 651m BGB geltend machen.
1. Unstreitig waren die Parteien durch einen Pauschalreisevertrag gem. § 651 a BGB miteinander verbunden. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin aufgrund der vom Zeugen I… bestätigten Abtretung auch zur Geltendmachung von dessen Gewährleistungsansprüchen berechtigt ist.
2. Jedoch fehlt es vorliegend bereits an einem Reisemangel gem. § 651 i BGB.
2.1 Ein Reisemangel liegt vor, wenn bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht nur in den Risikobereich des Reisenden liegen nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht wird (vgl. Palandt, 80. Aufl., 2021, § 651 i BGB, Rdn. 6). Insoweit ist hier unstreitig, dass die Beklagte die vertraglich geschuldete Beförderungsleistung von F. nach H. am 16.03.2019 gegenüber der Klägerin nicht erbracht hat.
Dabei ist das deutsche Reisevertragsrecht hinsichtlich des Begriffs des Reisemangels verschuldensunabhängig ausgeprägt. Der Reiseveranstalter haftet grundsätzlich für den Erfolg der Reise und trägt die Gefahr des Nichtgelingens der einzelnen übernommenen Reiseleistungen (BGH NJW 1986, 1748/1749). Die Grenzen dieses Grundsatzes sind durch Auslegung zu bestimmen. Dabei folgt das Gericht der zutreffenden Auslegung des OLG Frankfurt (NJW-RR 1988, 1328/1329; vgl. zum Ganzen auch: Führich, § 7 Rdn. 113 ff), wonach die Einstandspflicht nur so weit gehen kann, wie der vertraglich übernommene Bindungswille und Leistungsumfang gehen kann und dies der Reisende unter den ihm erkennbaren Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte annehmen durfte.
Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass nicht im Verantwortungsbereich des Veranstalters liegende Umstände, die zu einer Beeinträchtigung der Pauschalreise führen, keinen Mangel begründen. Der Verantwortungsbereich ist dabei weit gespannt; allerdings fallen Umstände die allein aus der Sphäre des Reisenden stammen oder die zum allgemeinen Lebensrisiko zählen, in den Risikobereich des Reisenden.
2.2 Gemessen an diesen Grundsätzen, ist vorliegend kein Reisemangel gegeben.
Es steht gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Reisenden tatsächlich erst nach Abschluss des Boardings, mithin nach 17:13 Uhr am Gate erschienen sind (vgl. hierzu unter 2.2.1). Zu diesem Zeitpunkt war das Boarding jedoch bereits beendet und die Weigerung der Fluggesellschaft, die Reisenden zu befördern, war nicht zu beanstanden (vgl. hierzu unter 2.2.2).
2.2.1 Nach Überzeugung des Gerichts sind die Reisenden erst um 17:13 Uhr am Gate erschienen.
(1) Die Klägerin hat in ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 141 ZPO angegeben, dass sie und der Zeuge bereits kurz nach 17:00 Uhr, maximal um 17:10 Uhr am Abfluggate erschienen sind. Ein Ausruf sei noch erfolgt als sie schon am Gate angekommen waren. Demgegenüber hat der Zeuge … angegeben, dass die Klägerin und er das Abfluggate spätestens zwischen 17:10 und 17:14 Uhr erreicht hätten. Ein Aufruf sei erfolgt, bevor sie sich am Gate befunden hätten, für den Weg zum Gate seien maximal zwei Minuten angefallen.
Demgegenüber hat der Zeuge …, unter Bezugnahme auf eine E-Mail vom 18.03.2019 dargelegt, dass die Reisenden um 17:13 Uhr abgeladen worden seien; daraus lasse sich schließen, dass die Passagiere erst weniger als 12 Minuten vor Abflug (planmäßig um 17:25 Uhr) am Gate erschienen seien.
(2) Das Gericht legt bei seiner Entscheidung die Angaben des Zeugen … und des Zeugen … zugrunde, die sich zeitlich entsprechen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Abladung tatsächlich um 17:13 Uhr erfolgt ist, da diese Zeitangabe in unmittelbarem zeitlichen Kontext zu dem Vorfall von den damals diensthabenden Mitarbeitern erfragt worden ist. Die Angaben des Zeugen … sind in sich widerspruchsfrei und schlüssig.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Zeuge für einen Leistungsträger der Beklagten tätig ist und dieser Leistungsträger im Falle einer Verurteilung der Beklagten möglicherweise haften würde. Ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat der Zeuge jedoch nicht. Der Zeuge hat in nachvollziehbarer Weise auf seine Unterlagen Bezug genommen und die Abfolgen am Flughafen schlüssig dargelegt. In seiner Schilderung war der Zeuge ruhig und unaufgeregt und konnte auch Nachfragen der Klagepartei nachvollziehbar beantworten.
Im Übrigen stimmen die Angaben des Zeugen … zur zeitlichen Abfolge auch mit denen überein, die der Zeuge … getätigt hat. Wenn der Zeuge … ausführt, dass das Gate spätestens zwischen 17:10 und 17:14 Uhr erreicht worden sei, lässt sich dies mit den Angaben des Zeugen …, dass die Passagiere um 17:13 Uhr noch nicht am Gate gewesen wären, in Einklang bringen.
(3) Soweit die Schilderung der Klägerin hiervon abweicht, folgt das Gericht deren Angaben nicht. Dies resultiert auch daraus, dass sich dem Gericht nicht erschließt, warum ein Aufruf erfolgen sollte, wenn sich die Reisenden bereits am Gate befunden hätten.
(4) Soweit sowohl die Klägerin als auch der Zeuge … darauf abstellen, dass die Nichtbeförderung darauf zurückgehe, dass das Flugzeug tatsächlich bereits voll besetzt war und mithin eine Überbuchung vorlag, folgte das Gericht diesen Angaben nicht. Sowohl die Klägerin als auch der Zeuge führten aus, dass bei dem Gespräch mit den Mitarbeitern am Gate nicht davon die Rede gewesen wäre, dass sie zu spät gekommen seien. Vielmehr hätten die Mitarbeiter darauf abgestellt, dass eine gewisse Anzahl von Passagieren in den Flieger rein passe und dass eben diese Anzahl an Passagieren im Flieger wäre. Zum einen führte der Zeuge … auf Nachfrage des Gerichts auch aus, dass die Mitarbeiter am Gate gesagt hätten, das Boarding sei beendet. Zum anderen erschließt sich – würde man den Schilderungen der Reisenden folgen – nicht, weshalb überhaupt noch ein Ausruf erfolgt sein sollte, wenn doch sämtliche Passagiere bereits im Flugzeug sitzen. Im Übrigen ergibt sich auch aus der E-Mail der Klägerin vom 17.03.2019, die im Termin vorgelegt wurde, dass die Mitarbeiter ihnen vorgeworfen hätten, dass sie zu spät gekommen seien. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass die in unmittelbarem zeitlichen Kontext zum Vorfall getroffene Schilderung zutreffend ist und der Grund für die Nichtbeförderung daran begründet war, dass die Reisenden nach Abschluss des Boarding am Gate erschienen sind.
Dies deckt sich auch mit den Angaben des Zeugen …, der ausführt, dass in das Flugzeug 189 Personen rein passen, und 187 Sitzplätze besetzt gewesen seien, sodass noch 2 Personen reingepasst hätten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Schilderungen der Klägerin und des Zeugen … zu den 2 weiteren Bordkarten und den Scanner-Etiketten bezüglich des Gepäcks. Der Zeuge … hat ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, wenn es zu Unregelmäßigkeiten mit den Bordkarten komme. Dies allein lässt jedoch aus Sicht des Gerichts noch nicht den Schluss zu, dass das Flugzeug tatsächlich überbucht war oder dass die Koffer der Reisenden tatsächlich nicht ins Flugzeug verbracht worden sind. Aus den Unterlagen, die der Zeuge … mit sich führte, ergab sich, dass die Verspätung des Flugzeugs darauf zurückzuführen ist, dass Gepäckstücke ausgeladen werden musste.
2.2.2 Die verweigerte Mitnahme, ist mithin nach Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO darauf zurückzuführen, dass die Reisenden erst nach 17:13 Uhr am Abfluggate angekommen sind. Auf den Bordkarten ist unstreitig als Boardingtime 16:55 Uhr genannt. Das Schließen des Boardings um 17:13 Uhr war auch nicht zu beanstanden.
(1) Einem Reisenden obliegen bei der Durchführung einer Reise grundsätzlich Mitwirkungsobliegenheiten, wie etwa bei Flugreisen die Pflicht, rechtzeitig am Flughafen zur Abfertigung und zum Boarding zu erscheinen. Eine auf Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheiten zurückzuführende Gefährdung der Durchführung der Reise liegt im Risiko des Reisenden (vgl. Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 07.11.2017, Aktenzeichen 2-24 S 40 aus 17) und begründet daher keinen Reisemangel.
(2) Die Reisenden wussten, das Boarding-Time um 16:55 Uhr war, eine Mindestboarding Time ist dabei nicht geschuldet. Insbesondere geht die Klagepartei fehl in der Annahme, dass ein Zusteigen jederzeit bis zu dem Zeitpunkt gewährleistet sein muss, bis das Flugzeug das Gate verlässt.
(a) Den Grundsatz, dass der Einsteigevorgang grundsätzlich bis zum Wegrollen des Flugzeugs gewährleistet sein muss, hat der BGH auch nicht in seinem Urteil vom 30. April 2009 – Xa ZR 78/08 -, juris aufgestellt (vgl. auch OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 01.10.2009 – 16 U 18/08).
Dass es in Ausnahmefällen auch nach Schließung der Flugzeugtüren noch zur Aufnahme von Fluggästen kommt, steht dem nicht entgegen. Würde ein genereller Anspruch bestehen, wäre eine erhebliche Störung des Flugverkehrs zu erwarten (vgl. hierzu auch: AG München, Urteil vom 11.02.2019 – 223 C 13371/18).
Auch aus der Entscheidung des BGH lässt sich vielmehr ableiten, dass es für die Frage der Nichtbeförderung nicht ausschließlich darauf ankommt, ob ein Einstieg aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, etwa weil das Flugzeug seine Parkposition bereits verlassen hat. Der BGH führt insoweit aus, dass in diesen Fällen eine Verweigerung des Einstiegs jedenfalls nicht mehr in Betracht kommt. Daneben nimmt der BGH auch Bezug zu Fällen in denen der Reisende nicht rechtzeitig erscheint, etwa weil das Boarding bereits geschlossen war. Hieraus lässt sich ableiten, dass eine berechtigte Verweigerung der Mitnahme nicht daran geknüpft sein muss, ob eine Mitnahme tatsächlich noch möglich ist.
(b) Die Reisenden wären nach Auffassung des Gerichts gehalten gewesen, sich so rechtzeitig in Richtung des Abfluggates zu begeben, dass sie dieses zur Boarding-Time bzw. binnen weniger Minuten danach erreichen. Eine Ankunft 18 Minuten nach angegebener Boarding-Time ist insoweit nicht mehr rechtzeitig. Dem Amtsgericht Frankfurt (vgl. Urteil vom 02.10.2018 – 32 C 1560/18) ist auch darin zu folgen, dass die Airline nicht gehalten war, den Reisenden ein nachträgliches Boarding zu ermöglichen.
Zur Gewährleistung eines rechtzeitigen Verlassens der Parkposition ist es erforderlich, ab einem gewissen Zeitpunkt das Boarding zu schließen und keinen weiteren Passagieren mehr das Betreten des Flugzeugs zu gestatten, damit die erforderlichen Sichtkontrollen und weiteren Vorbereitungsaufgaben der Besatzung bis zur planmäßigen Abflugzeit abgeschlossen werden können. Ließe man auch noch den nachträglichen Zuständig weiterer, erst nach Boardingschluss eingetroffene Passagiere zu, wäre die zur Einhaltung der planmäßigen Abflugzeit erforderliche zeitliche Kalkulation der Besatzung gefährdet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass eine Verspätung des Flugzeugs daraus resultiert, dass das Gepäck der Reisenden noch aus der Maschine geholt werden musste.
(c) Es steht der jeweiligen Airline frei, den Schluss des Boardings entsprechend ihren Abläufen und den noch zu tätigenden Vorbereitungsmaßnahmen selbst zu bestimmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Airline vorliegend das Boarding in unvertretbarer Weise zu früh für abgeschlossen erklärt hat. Die Reisenden mussten damit rechnen, dass mit einem Eintreffen weniger als 12 Minuten vor der planmäßigen Abflugzeit eine Gefährdung der Durchführung der Reise einhergeht. Aus der Beweisaufnahme ergibt sich im Übrigen, dass die Reisenden mit den Verhältnissen am Flughafen vertraut sind. Ob ein namentlicher Ausruf erfolgt ist, kann daher dahinstehen, zumal anders als in dem vom Amtsgericht Frankfurt zu entscheidenden Fall, vorliegend die Boarding-Time bekannt war.
3. Im Ergebnis fällt die verweigerte Mitnahme der Klägerin und des Zeugen … mithin in deren Risikobereich und ist nicht der Beklagten anzulasten. Das Gericht geht deshalb – dogmatisch anders als das Amtsgericht Frankfurt – davon aus, dass bereits kein Reisemangel vorliegt.
Auf die Frage, ob und inwieweit dem Reiseveranstalter vor Ticketbuchung bzw. vor dem Minderungsverlangen Gelegenheit zur Abhilfe gegeben wurde, kommt es mithin nicht mehr an.
II.
Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptschuld.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 3 ff. ZPO i.V.m. 63 GKG.


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