Handels- und Gesellschaftsrecht

Rechtswegverweisung – Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis

Aktenzeichen  M 18 K 16.2811

Datum:
11.10.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150162
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
GVG § 17a Abs. 2
SGB VIII § 78b
SGB XII § 75 Abs. 3
BSHG § 93 Abs. 2

 

Leitsatz

Für Forderungen aus einem Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers (durch Bewilligung der Kostenübernahme) im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis ist der Zivilrechtsweg eröffnet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die im Anschluss an das Verfahren M 18 K 15.4691 zu leistenden Zahlungen der Beklagten für die Betreuung von 14 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für den Zeitraum Februar bis April 2016 in der Einrichtung „… …“ angefallenen Kosten. Für die Einrichtung liegt wegen Differenzen über den geforderten Tagessatz i.H.v. 205,41 Euro keine Entgeltvereinbarung vor.
Die Beteiligten vereinbarten am 11. Dezember 2015, dass aufgrund der Ergebnisse der Überprüfung der Einrichtung „… …“ durch das Revisionsamt, die Zahlung für die Betreuungsleistungen bei „… …“ entsprechend den bisher gestellten Rechnungen des Jahres 2015 i.H.v. 90% des vorläufigen Tagessatzes freigegeben wird. 10% sollten bis zur Klärung der im Revisionsbericht dargestellten Abweichungen einbehalten werden. Ab 1. Januar 2016 sollte wieder für alle Einrichtungen der Klägerpartei Zahlung bei Vorliegen nachvollziehbarer Belege, insbesondere hinsichtlich der vereinbarten Personalausstattungen erfolgen.
Die Klagepartei ließ mit Schriftsatz vom … Juni 2016, eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht München Klage auf Begleichung von 14 Positionen in ungekürzter Höhe für den Zeitraum von Februar bis April 2016 erheben mit einer Gesamtforderung von 64.763,10 €. Die Klägerin habe von Februar bis April 2016 jeweils fünf und im März sechs unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. Die Beklagte habe die in Rechnung gestellten Beträge ohne nähere Erläuterungen gekürzt und lediglich einen Teilbetrag ausbezahlt.
Die Beklagte ließ unter dem 19. September 2016 die Klageabweisung beantragen.
Die Klagepartei reduzierte unter dem 27. September 2017 die Klagesumme auf 3.207,57 Euro, erklärte den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt und trug vor, dass die zu überwiegender Erledigung führenden Zahlungen erst am 17. Juni 2016 nach Androhung der Klageerhebung erfolgt seien.
Nach Hinweis des Gerichts auf eine zu erörternde Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit beantragten die Klägerbevollmächtigten unter dem *. Oktober 2017 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht München I; während die Beklagtenvertreter den Verwaltungsrechtsweg nach wie vor für gegeben ansehen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet.
Nach Anhörung der Parteien – in der mündlichen Verhandlung – war der Rechtsstreit daher nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Landgericht München I zu verweisen.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche Streitigkeit ist vorliegend jedoch nicht gegeben, sondern vielmehr eine zivilrechtliche.
Mit der Klage macht die Klägerin Ansprüche im Rahmen von sozialrechtlichen bzw. jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnissen geltend.
Im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer liegt zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag vor, dem der Jugendhilfeträger durch Bewilligung der Kostenübernahme im Rahmen der bewilligten Maßnahme als weiterer Schuldner beitritt. Durch diesen Schuldbeitritt mittels privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den der Leistungserbringer zugleich einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger erwirbt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen (Dienst-) Vertrag nicht in eine öffentlichrechtliche um. Denn ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird. (vgl. BGH v. 31.3.2016, III ZR 267/15 – juris, Rn. 20 ff.; BayVGH v. 21.4.2017 12 ZB 17.1 – juris, Rn. 2).
Auf einen solchen Schuldbeitritt ist auch die klägerische Forderung gegründet, es ist also der Zivilrechtsweg eröffnet.
An dieser Einschätzung würde auch eine geschlossene Leistungsvereinbarung und eine Entgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII nichts ändern (a.A. wohl OVG NRW v. 16.9.2011, 12 A 2308/10 – juris, Rn. 29 ff., ohne jedoch die Frage weiter zu problematisieren).
Zwar handelt es sich bei Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII um öffentlichrechtliche Verträge. Gegenstand dieser Vereinbarungen ist aber nicht die Beschaffung von Dienstleistungen gegen ein Entgelt, sondern die Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis im Einzelfall ( vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 78b, Rn. 7). Eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII führt also nicht dazu, dass der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger aus dem jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis herausverlagert wird. Der Anspruch des Leistungserbringers resultiert also nicht aus dem öffentlichrechtlichen Vertrag, sondern weiterhin aus dem Schuldbeitritt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. Die Vereinbarungen beeinflussen („überlagern“) lediglich das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis als zivilrechtliche Seite des sozialrechtlichen Dreiecks (vgl. BGH v. 31.3.2016 a.a.O. Rn. 18, zu Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII). Dadurch ändert sich aber nichts daran, dass der Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers zum zivilrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Hilfeberechtigten und Leistungserbringer Grundlage des geltend gemachten Anspruchs des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger bleibt.
Auch die von der Beklagten im Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 4. Oktober 2017 genannten höchstrichterlichen Entscheidungen (BGH v. 12.11.1991 BGHZ 116, 339; BVerwG v. 30.9.1993 BVerwG 94, 202) rechtfertigen nicht die Annahme der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, da sie keinen vergleichbaren Sachverhalt behandeln. Die beiden Entscheidungen betreffen die Klassifizierung von Pflegesatzvereinbarungen im Sinne von § 93 Abs. 2 BSHG als öffentlichrechtliche Verträge. Zur hier maßgeblichen Rechtsfigur des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses verhalten sich diese Entscheidungen indessen nicht. Letzteres gilt gleichermaßen für die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (v. 19.5.1994 BVerwG 96, 71) sowie des BayVGH (v. 14.9.2017, 12 CE 17.433 – bislang nicht veröffentlich).
Nach alledem ist für die vorliegende Streitigkeit nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet. Zuständig ist das Landgericht München I, da hinsichtlich der Bemessung des Streitwertes auf den Tag der Klageeinreichung abzustellen war (§ 4 Abs. 1 ZPO, § 17 b Abs. 1 Satz 2, § 23 Nr. 1 GVG).


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