Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz, Rechtsanwaltskosten, Berufung, Fahrzeug, Kaufpreis, Erstattung, Revision, Ersatzpflicht, Gegenstandswert, Zinsen, Vorteilsausgleichung, Zahlung, Anspruch, Darlegungslast, Zug um Zug, Fortbildung des Rechts, Kosten des Rechtsstreits

Aktenzeichen  12 U 2265/18

Datum:
28.10.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47493
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

81 O 283/18 2018-10-11 Endurteil LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 11. 10.2018, Az. 81 O 283/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 5.857,98 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.03.2018 sowie weitere Zinsen in Höhe von 170,78 € zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Kfz VW Golf VI 1.6 TDI, FIN …25.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
III. Es tragen von den Kosten des Rechtsstreits
– im ersten Rechtszug die Klagepartei 68% und die Beklagte 32%,
– im zweiten Rechtszug die Klagepartei 74% und die Beklagte 26%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 11.10.2018, Az. 81 O 283/18, ist, soweit die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen wird, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.400,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Das Landgericht Regensburg hat mit dem angefochtenen Ersturteil die Klage abgewiesen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen dieser Entscheidung wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Die Klagepartei hat Berufung eingelegt und beantragt im Berufungsrechtszug,
I. unter Abänderung des am 11.10.2018 verkündeten Urteils des LG Regensburg, Az. 81 O 283/18 die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf mit der Fahrgestellnummer …25 an den Kläger 18.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 17.01.2018 zu zahlen;
I. unter Abänderung des am 11.10.2018 verkündeten Urteils des LG Regensburg, Az. 81 O 283/18 festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 17.01.2018 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet;
I. unter Abänderung des am 11.10.2018 verkündeten Urteils des LG Regensburg, Az. 81 O 283/18 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 1.514,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 17.07.2020 hat die Klagepartei die Klage dahin erweitert, dass nunmehr deliktische Zinsen aus der Klageforderung gemäß § 849 BGB seit 09.12.2011 begehrt werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klagepartei diesen Antrag nicht mehr gestellt.
Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Von der Darstellung des weiteren Tatbestandes wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
II.
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist zum Teil begründet.
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung).
Hierbei kann sie Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises verlangen, muss sich aber den gezogenen Nutzungsvorteil anrechnen lassen und der Beklagten das Fahrzeug zur Verfügung stellen.
a) Der Senat folgt der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19).
Danach steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Fahrzeugkäufers gleich, wenn ein Fahrzeughersteller – wie hier – im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts erschleicht und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr bringt und dadurch die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.
Im vorliegenden Fall bestehen zudem hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von einer so getroffenen strategischen Entscheidung. Deshalb trägt die Beklagte als Herstellerin des Motors die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen.
Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.
b) Der der Klagepartei kausal entstandene Schaden liegt im Abschluss eines Kaufvertrags über ein infolge der erschlichenen Typgenehmigung bemakeltes Fahrzeug, den sie bei Kenntnis der Fakten nicht geschlossen hätte. Denn bei einem Kaufvertrag über einen Pkw ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ein Käufer kein Fahrzeug erwerben würde, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann.
c) Zur Rückgängigmachung der Folgen des Abschlusses des Kaufvertrags hat die Beklagte an die Klagepartei eine Zahlung in Höhe des von dieser geleisteten Kaufpreises zu erbringen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei.
2. Die Klagepartei hat sich die von ihr durch die Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile anrechnen zu lassen.
Denn die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.
a) Die Höhe des anzurechnenden Nutzungsvorteils hat der Senat nach folgender Formel ermittelt:
Nutzungsvorteil = [Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) ]: erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt.
Dabei geht der Senat von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km aus (§ 287 ZPO).
Die Klagepartei hat das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 18.400,00 € bei einem Kilometerstand von 14.983 km erworben. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat wies dieses Fahrzeug eine Fahrleistung von 175.178 km auf.
Dies ergibt einen anzurechnenden Nutzungsvorteil von 12.542,02 €.
Damit kann die Klagepartei als Schadensersatz von der Beklagten lediglich 5.857,98 € beanspruchen.
3. Ein Anspruch auf Zinsen besteht nur für die Zeit ab 07.03.2018.
a) Deliktszinsen gemäß § 849 BGB stehen der Klagepartei nicht zu.
Sie hat für die Hingabe ihres Geldes beim Kauf des Fahrzeugs – im Wege des Leistungsaustauschs – eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhalten. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (BGH, Urteile vom 30.07.2020, VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19).
b) Auch unter Verzugsgesichtspunkten besteht kein Zinsanspruch zu Gunsten der Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 86).
Der Schuldner kann nur in Verzug geraten, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet. Das war hier nicht der Fall. Die Klagepartei hat, weil sie einen Nutzungsersatz nicht bzw. nur in zu geringer Höhe in Abzug gebracht hat, die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie ihn hätte beanspruchen können.
c) Die Klagepartei kann aber gemäß §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit der Klage geltend machen.
Die Rechtshängigkeit ist mit Zustellung der Klage am 06.03.2018 eingetreten (§ 261 Abs. 1 ZPO). Deshalb sind der Klagepartei Zinsen aus der zuzuerkennenden Schadensersatzforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem auf die Zustellung folgenden Tag zuzusprechen (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, Rn. 103).
Unter dem Gesichtspunkt einer bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch höheren Forderung, die durch den Ausgleich für die nachfolgende Fahrzeugnutzung teilweise aufgezehrt wurde, schuldet die Beklagte noch weitere Zinsen (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 38). Diese schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO auf 170,78 €.
4. Feststellung des Annahmeverzugs könnte die Klagepartei nur beanspruchen, wenn sie der Beklagten die Leistung so wie geschuldet – insbesondere am richtigen Ort (§ 269 BGB), im richtigen Umfang (§ 266 BGB) und in der richtigen Weise – angeboten hat. Dieses Angebot muss so vorgenommen werden, dass der Gläubiger nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die Leistung anzunehmen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 85; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 294 Rn. 2 f., m.w.N.).
Ein entsprechendes Angebot wurde von der Klagepartei nicht unterbreitet; insbesondere hat sich diese keine bzw. lediglich eine zu geringe Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.
5. Die Klagepartei begehrt Anwaltskosten für außergerichtliches Vorgehen bei Ansatz einer 1,8-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 18.400,00 €.
a) Grundsätzlich können vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten beansprucht werden. Als Teil des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB besteht ein materiellrechtlicher
Kostenerstattungsanspruch. Die Schadensersatzpflicht der Beklagten erstreckt sich nämlich auch auf die durch die Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten, insbesondere auf Rechtsanwaltskosten.
Diese Ersatzpflicht setzt allerdings voraus, dass die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 249 Rn. 56 f., m.w.N.). Bei der vorliegenden Fallgestaltung ist dies nach Ansicht des Senats gegeben.
b) Hinsichtlich der in Ansatz gebrachten Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG sieht das Gesetz einen Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 vor, wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dies ist aber weder konkret dargelegt noch bei der vorliegenden Fallgestaltung – insbesondere unter Berücksichtigung der anwaltlichen Tätigkeit in einer Vielzahl gleichgelagerter Parallelverfahren – ohne weiteres anzunehmen.
c) Der von der Klagepartei angesetzte Gegenstandswert berücksichtigt ferner nicht, dass die als Schadensersatz verlangte Rückzahlung des Kaufpreises nur unter Abzug von Nutzungsentschädigung beansprucht werden kann. Gegenstandswert der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit ist deshalb hier nur die Forderung, die der Klagepartei zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens zustand.
Entsprechend der von den Parteien dahin erzielten Einigung, insoweit den Kilometerstand zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung (133.968 km) und die sich hieraus ergebende Nutzungsentschädigung (9.315,60 €) als gerechtfertigt anzusehen, hat der Senat einen Gegenstandswert von 9.084,41 € angenommen.
Hieraus ergibt sich folgende Berechnung:
1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG 725,40 €
Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 RVG 20,00 €
Zwischensumme 745,40 €
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG 141,63 €
Summe 887,03 €
Die Klagepartei hat insoweit lediglich Freistellung beantragt. Dieser Anspruch ist – da keine Geldschuld – nicht zu verzinsen (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 288 Rn. 6).
6. Soweit die Klagepartei weitergehende Forderungen geltend gemacht hat, ist die Klage abzuweisen.
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO sowie – soweit die Klagepartei den hinsichtlich der Deliktszinsen erweiterten Klageantrag nicht mehr gestellt hat – aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Hierbei ist auch das Teilunterliegen der Klagepartei mit deren Zinsforderung, insbesondere (betreffend die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz) hinsichtlich der bereits seit Fahrzeugerwerb beanspruchten Deliktszinsen, die sich auf mehr als 7.000,00 € belaufen, zu berücksichtigen, auch wenn diese Zinsen sich nicht streitwerterhöhend auswirken (BGH, Urteil vom 04.06.1992 – IX ZR 149/91, Rn. 108).
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine solche wäre lediglich dann anzunehmen, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwerfen würde, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat. Dies ist nicht der Fall.
Die Fortbildung des Rechts erfordert keine höchstrichterliche Entscheidung. Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht geboten; widersprüchliche Entscheidungen zu den maßgeblichen Rechtsfragen liegen nicht vor.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.
Verkündet am 28.10.2020


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