Handels- und Gesellschaftsrecht

Verjährung des Nachlieferungsanspruchs bei mangelhaftem Kfz

Aktenzeichen  3 U 4029/18

Datum:
3.7.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13213
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 166, § 241 Abs. 2, § 242, § 275 Abs. 1, § 311, § 434, § 437 Nr. 1, § 438 Abs. 1 Nr. 3, § 439 Abs. 3
ZPO § 538

 

Leitsatz

1 Nach § 438 Abs. 3 BGB verjähren die Mängelansprüche in Arglistfällen in der regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB. Gerade vor dem Hintergrund, dass der arglistig Handelnde ansonsten privilegiert würde, erstreckt sich die Verweisung auf das allgemeine Verjährungsrecht nicht nur auf die Frist des § 195 BGB, sondern auch auf den Fristbeginn nach § 199 BGB. Damit beginnt die Verjährungsfrist innerhalb der Höchstgrenze erst mit Kenntnis des Mangels. Arglistiges Verschweigen eines Mangels ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass der Verkäufer einen Mangel verschweigt, den er zumindest für möglich hält und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Kenntnis den Vertrag jedenfalls nicht so abgeschlossen hätte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Berufung auf die Einrede der Verjährung kann zwar im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und Interessen der Gegenseite im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Es ist jedoch nicht als treuwidrig zu bewerten, wenn in einer im Vertragsrecht üblichen Konstellation und bei der in § 438 BGB angelegten Risikoverteilung letztlich der Käufer und nicht der ebenfalls gutgläubige Verkäufer das Risiko der Mangelhaftigkeit trägt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Deggendorf, Az.: 22 O 638/17, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das angefochtene Urteil und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, es sei denn, dass die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Der Zulässigkeit der Berufung stehen Bedenken nicht entgegen. Dass der Antrag auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung nicht begründet wurde, berührt die Zulässigkeit der Berufung nicht, zumal die hilfsweise gestellten Anträge den in I. Instanz gestellten entsprechen; es ist nicht erkennbar, dass sich aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO ergebende Anforderungen an die Berufungsanträge hier nicht eingehalten wären. Ungeachtet dessen, dass die Berufungsbegründung Ausführungen enthält, die inhaltsgleich in weiteren Parallelverfahren vorgebracht werden, sind jedenfalls Umstände, aus denen sich die vermeintliche Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die vorliegend angefochtene Entscheidung ergibt, angeführt, zumal im Zusammenhang mit der vom Landgericht als ein wesentlicher Grund für die Klageabweisung angeführten Unmöglichkeit der Nachlieferung gem. § 275 Abs. 1 BGB und der nach klägerischer Auffassung verfehlten Auslegung der Ziffer IV. 6. der Neuwagen-Verkaufsbedingungen. Von daher erfüllt die Berufungsbegründung auch die Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die mit Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 07.05.2019 (Bl. 645/647 d. A.) erhobene Einrede der Verjährung greift durch und führt dazu, dass die Beklagte die Leistung betreffend die seitens des Klägers geltend gemachten Ansprüche gem. § 214 Abs. 1 BGB dauerhaft verweigern kann.
Die im Kaufrecht geltende zweijährige Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB war im Januar 2015 abgelaufen, da das vom Kläger am 19.09.2012 verbindlich bestellte streitgegenständliche Kraftfahrzeug am 21.01.2013 an den Kläger ausgeliefert wurde.
An die Beklagte traten die anwaltlichen Vertreter des Klägers erstmals mit Schriftsatz vom 26.07.2017 (Anlage K 2) heran und machten Mängelansprüche geltend, wobei sie im Rahmen der vermeintlichen Nacherfüllungsrechte gem. § 439 BGB die Nachlieferung eines vertragsgemäßen mangelfreien Neuwagens forderten. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.08.2017 (Anlage K 3) die Nachbesserung abgelehnt, woraufhin Klage am 27.12.2017 zum Landgericht Deggendorf erhoben worden war.
Tatsächlich sind etwaige Gewährleistungsansprüche aus § 434, § 435, § 437 BGB gem. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB – entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung – verjährt.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die vom Kläger behaupteten Mängel Sach- (§ 434 BGB) oder Rechtsmängel (§ 435 BGB) darstellen, da die Gewährleistungsfristen gleichlaufen.
Auf § 438 Abs. 3 BGB kann sich der Kläger nicht berufen. Danach verjähren die Mängelansprüche in Arglistfällen in der regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB. Gerade vor dem Hintergrund, dass der arglistig Handelnde ansonsten privilegiert würde, erstreckt sich die Verweisung auf das allgemeine Verjährungsrecht nicht nur auf die Frist des § 195 BGB, sondern auch auf den Fristbeginn nach § 199 BGB. Damit beginnt die Verjährungsfrist innerhalb der Höchstgrenze erst mit Kenntnis des Mangels. Arglistiges Verschweigen eines Mangels ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass der Verkäufer einen Mangel verschweigt, den er zumindest für möglich hält und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Kenntnis den Vertrag jedenfalls nicht so abgeschlossen hätte. Hier kann von eigener Kenntnis eines solchen Mangels bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohnehin nicht die Rede sein.
Soweit beim Hersteller des Fahrzeugs (VW AG) entsprechende Kenntnisse vorliegen sollten, können diese der Beklagten nicht nach § 166 BGB zugerechnet werden. Auch führen die für juristische Personen entwickelten Grundsätze hier nicht zu einer Wissenszurechnung; diese Rechtsprechung betrifft die Zurechnung des Wissens von Organvertretern im Verhältnis zu juristischen Personen. Letztere muss sich das Wissen aller ihrer vertretungsberechtigten Organe weiter zurechnen lassen, selbst wenn das „wissende“ Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt hat bzw. nichts davon gewusst hat (BGH, Urteil vom 17.05.1995, VIII ZR 70/94, Rn. 15). Die Herstellerin des Fahrzeugs, die VW AG und die Beklagte stehen sich jedoch als juristisch selbständige Personen gegenüber. Die Beklagte ist auch nicht als Handelsvertreterin der VW AG anzusehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Vorlieferant des Verkäufers im Übrigen nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer; ebenso ist auch der Hersteller der Kaufsache nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seinen Kunden verkauft hat (vgl. BGH NJW 2014, 2183, Tz. 31). Dementsprechend muss sich auch im Rahmen des § 123 BGB ein Automobilvertragshändler nicht das Wissen des Herstellers zurechnen lassen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 30.06.2016, 7 W 26/16, OLG Hamm, Beschluss v. 18.05.2017, 2 U 39/17).
Die im klägerischen Schriftsatz vom 29.05.2019 angeführten Entscheidungen sind solche von Eingangsgerichten und Mindermeinung geblieben. Soweit in dem zitierten Hinweisbeschluss des LG Köln, 32 O 219/16, die Auffassung vertreten wird, die Gestaltung der Außendarstellung des Vertragshändlers führe dazu, „dass der unbefangene Kunde sie leicht für eine Niederlassung des Herstellers halten könnte“, letztlich sei „das gesamte äußere Erscheinungsbild eines Vertragshändlers durch die „Corporate Identity“ des Herstellers vorgegeben“, fehlt hierzu ein entsprechender Vortrag, jedoch spricht allein schon die Gestaltung der Rechnung vom 21.01.2013 (Anlage K 1) gegen ein derartiges Erscheinungsbild. Die Bezeichnung der Beklagten lautet, ohne dass hier ein Markenname zu entnehmen ist, auf „AVP A. GmbH & Co A. KG“, die Logos VW auf der Rechnung lassen auch nicht die Annahme entstehen, die Beklagte sei eine Werksniederlassung bzw. Konzerntochter der VW AG. Soweit die Klagepartei einen Beschluss des Senats vom 23.03.2017, 3 U 4316/16 zitiert, wonach der Verkäufer sich das Verhalten des Herstellers zurechnen lassen müsse, ist diese Passage in anderem Zusammenhang zu sehen, nämlich dahingehend, dass sich der Verkäufer insoweit das Verhalten des Herstellers zurechnen lassen muss, als er sich dessen Mithilfe zur Nacherfüllung zu Nutze macht. Auf die hier fragliche Thematik ist dies nicht übertragbar. Auch kann eine Wissenszurechnung nicht über eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB begründet werden. Der Senat folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamm, Az.: 2 O 39/17, in seinem Beschluss vom 18.05.2017 (BeckRS 2017, 115495, Rn. 6). Für die in der Berufungsbegründung unter B. und C. herangezogenen weiteren angeblichen Anspruchsgrundlagen (vgl. dort S. 25/6) gilt das Vorstehende entsprechend.
Die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung ist auch nicht treuwidrig im Sinne des § 242 BGB. Zwar kann im Einzelfall eine Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und Interessen der Gegenseite im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Beschluss vom 28.07.2015, XII ZB 508/14). So liegt der Fall hier, ebenso wie in dem vom OLG Brandenburg, Beschluss v. 31.01.2017, Az.: 2 U 39/16 (BeckRS 2016, 126343, Rn. 20) entschiedenen Fall, nicht. Der Senat ist mit dem Oberlandesgericht Brandenburg der Auffassung, dass es nicht als treuwidrig zu bewerten ist, wenn in der vorliegenden im Vertragsrecht üblichen Konstellation und bei der in § 438 BGB angelegten Risikoverteilung letztlich der Käufer und nicht der ebenfalls gutgläubige Verkäufer das Risiko der Mangelhaftigkeit trägt. Die Beklagte hat beim Kläger zudem – A. eigener Kenntnis – im Hinblick auf den Lauf der Verjährung keinen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen. Soweit die Klagepartei unter Ziffer 3. ihres Schriftsatzes vom 29.05.2019 eine Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber der V. AG erwähnt, dass auf die Einrede der Verjährung verzichtet werde, hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht dargetan, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger auf die Einrede der Verjährung verzichtet hätte. Solches ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Anlagen K 5 (Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 16.10.2015) noch aus der Mitteilung der V. AG vom 16.12.2015 (Anlage K 6, wo ausdrücklich nur von der V. AG die Rede ist).
Der Senat geht von einem Verzicht der Beklagten auf die Einrede der Verjährung sonach nicht aus.
Die Berufung des Klägers war nach alledem zurückzuweisen.
III.
Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Ziffer 10, § 711 ZPO.
Anlass, die Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, sieht der Senat nicht. Dass dem Kfz-Vertragshändler nicht eine eventuelle Arglist des Herstellers zugerechnet wird, entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte. Von diesen weicht das Urteil des Senats nicht ab.
Verkündet am 03.07.2019


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