Handels- und Gesellschaftsrecht

Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung

Aktenzeichen  3 Ca 38/16

Datum:
28.9.2016
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 826
StGB StGB § 266, § 299

 

Leitsatz

1. Die für den Verjährungsbeginn maßgebliche grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt eine persönliche, schwere Obliegenheitsverletzung des Gläubigers voraus.
2. Aus dem Merkmal der Persönlichkeit ergibt sich, dass die Merkmale in der Person des gesetzlichen oder vertraglich bestimmten Vertreters des Gläubigers auftreten müssen. Hierbei sind die einzelnen Umstände im Rahmen einer Kenntnisnahmemöglichkeit ebenso zu berücksichtigen, wie die persönliche und berufliche Erfahrung des Vertreters.
3. Der Umfang der möglichen Verletzung einer Prüfungspflicht ist daher nach der Intensität der sich für die Person des Vertreters aufdrängenden Anzeichen eines Anspruch des Vertretenen zu bemessen.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 62.500.000,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Das Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Schweinfurt – ist hinsichtlich der Streitigkeit zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 1 bis 6 zur Entscheidung über den Rechtsstreit in der Hauptsache gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG im Rechtsweg zuständig. In Bezug auf die Beklagten zu 7 und 8 folgt die Zuständigkeit im Rechtsweg § 2 Abs. 3 ArbGG, da ein rechtlicher und unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zu den behaupteten unerlaubten Handlungen der anderen Beklagten besteht. Der geforderte Zusammenhang ist bei Klagen auf Schadensersatz aus behaupteter unerlaubter Handlung auch gegen Mittäter, die nicht Arbeitnehmer oder Arbeitgeber sind, gegeben (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, § 2 Rn. 118 m.w.N.).
Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache ist gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 32 ZPO begründet. Bei einer behaupteten Mittäterschaft hat sich jeder Beteiligte die von einem anderen Beteiligten erbrachten Tatbeiträge im Rahmen des § 32 ZPO zurechnen zu lassen. Soweit Schadensersatzansprüche auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 StGB geschützt werden, ist die Nachteilszufügung ein am Wohnort der Antragstellerin verwirklichtes wesentliches Tatbestandsmerkmal (BayObLG vom 30.3.1999, 1Z AR 16/99). Auch der Ort, an dem der Verletzungserfolg eintritt, begründet den Gerichtsstand nach § 32 ZPO, wenn die Rechtsverletzung zum Tatbestand der unerlaubten Handlung gehört (BGHZ 52/108).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Im Einzelnen war folgendes festzustellen:
1. Die erkennende Kammer geht von einer von umfänglichen Verjährung möglicher Ansprüche gegenüber den Beklagten zu 1-6 aus.
Gem. §§ 199 Abs. 1 Nr.2, 195 BGB verjähren Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung innerhalb von drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Hierbei genügt, dass der Gläubiger den Hergang des schadensbegründenden Sachverhalts in Grundzügen kennt und weiß, dass erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs vorliegen. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was in gegebenem Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH vom 29.6.1989, NJW 1990, S.179; BAG vom 13.3.2013, ZZA 2013, S.785; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 218 BGB, Rn.9).
Verjährungsbegründend ist hierbei aus Sicht des Gerichts die Mitteilung von Herrn Ra… an Herrn Ro… im Rahmen eines Treffens vom 25.10.2011.
Zwar mag der Klägerseite insofern beizupflichten sein, als die Kenntnis von möglichen Mittätern – unabhängig von deren Funktion – nicht verjährungsauslösend sein muss. Jedoch kann letztlich dahingestellt bleiben, ob durch das „Große Treffen“ ein verjährungsbegründender Sachverhalt entstanden ist. Das Vorstandsmitglied Ro… wird von der Klägerseite in keinem Fall als Mittäter gesehen, so dass seine Kenntnis in jedem Falle die Verjährungsfolgen auslösen kann. Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft durch aktives Handeln oder Unterlassen sind für die Zeit vor dem 25.10.2011 nicht ersichtlich, da er vorher offensichtlich keine Kenntnis der Türkei-Problematik hatte.
Ausweislich der von der Klägerseite vorgelegten Unterlagen gibt Herr Ra… in seiner Befragung (Anlage K 108, S.26) an, am 25.10.2011 ein Exemplar der vorläufigen Berichterstattung über die Untersuchung zum Sachverhalt Provisionen Türkei (Anlage K 28) zum Treffen mitgebracht zu haben. Dieses Exemplar sei Herrn Ro… nicht übergeben, sondern im Gespräch lediglich gezeigt worden. In der Befragung ist weiter ausgeführt, dass Herr Ro… sich ein paar Notizen gemacht habe, „es“ durchgesprochen und schließlich gefragt wurde, wie verbucht worden sei. Sorge des Herrn Ro… sei insbesondere gewesen, wie die Zahlungen verbucht worden seien. Unstreitig erfolgte danach eine Verweisung an Herrn De… zur Klärung der steuerlichen Problematik.
In seiner schriftlichen Befragung führt Herr Ro… demgegenüber aus (Anlage K 113), dass Unterlagen weder vor, noch nach, noch während des Termins ausgetauscht wurden. Erst am Ende des Gesprächs habe Herr Ra… darauf hingewiesen, dass es in der Türkei in der Vergangenheit Vorgänge gegeben habe, die aus seiner Sicht steuerlich geprüft werden sollten.
Nach Aussagen des Vorstandsmitglieds Ro… sollte der Termin dem Kennenlernen beider Parteien dienen. Die über das Gespräch im Nachhinein und im Zusammenhang mit dem laufenden Rechtsstreit von Herrn Ro… niedergelegten Aufzeichnungen zeigen das Bild eines recht kurzes Gesprächs, das lediglich 15 Minuten angedauert hat und bei dem keine Unterlagen übergeben wurden. Jedoch räumt Herr Ro… ein, dass gegen Ende des Gesprächs auch das Türkeigeschäft und Vorgänge, die in steuerlicher Hinsicht geprüft werden sollten, zur Sprache kam.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass Herr Ro… bei dem Gespräch der Bericht nicht zumindest gezeigt wurde. Übereinstimmend führen beide Gesprächsteilnehmer aus, dass Unterlagen nicht übergeben wurden. Offensichtlich wurde aber in jedem Falle über den Türkei Sachverhalt gesprochen, da dies von beiden Seiten übereinstimmend wiedergegeben wird.
Sieht man sich den fraglichen Bericht (Anlage K 28) an, so fällt auf das bereits auf der Titelseite von einer Untersuchung zum Sachverhalt Provisionen Türkei gesprochen wird. In der Kurzzusammenfassung (Seite 5) ist in wenigen prägnanten Punkten unmittelbar von Provisionen als Gegenleistung für unlautere Bevorzugungen im Wettbewerb (z.B. Informationen über Preise von Wettbewerbern bei Ausschreibungen) die Rede. Weiter wird für den Zeitraum November 2000 bis Januar 2011 von 191 Transaktionen in Höhe von mindestens 873.000,– € gesprochen. Schließlich wird eine sogenannte Schwarzgeldkasse angesprochen. Das der Bericht gezeigt wurde, wird nicht ausdrücklich bestritten und muss mithin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden.
Selbst wenn Herr Ro… den Bericht im Rahmen des Treffens nicht im Einzelnen zur Kenntnis genommen hat oder infolge vermeintlicher Zeitknappheit nicht zur Kenntnis nehmen konnte, musste er zur Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt des Gesprächs deutlich alarmiert sein, dass in erheblichem Umfang als Provisionen verbuchte Zahlungen über eine Schwarzgeldkasse abgewickelt wurden. Hierbei kommt es – insbesondere aufgrund der beruflichen Erfahrung von Herrn Ro… – nicht darauf an, in welchem Umfang eine tatsächliche Kenntnisnahme erfolgte. Unbestritten war er bis zu seinem Wechsel als Finanzvorstand zur S… Gruppe 2009 Mitglied des Vorstands der Dr… AG mit den Aufgaben Finanzen und Controlling, Compliance und Beteiligungsrecht.
Er war daher zwingend persönlich sensibilisiert für die Fragen und möglichen Auswirkungen von Compliance-Problematiken. Darüber hinaus war Herrn Ro… bekannt, dass Herr Ra… als Complianceverantwortlicher der Klägerin tätig war und auch in dieser Funktion berichtete. Soweit das Gespräch auf „Vorgänge in der Türkei“ kam, hätten im buchstäblichen Sinn daher „die Alarmglocken läuten“ müssen.
Herr Ro… hätte allein unter Berücksichtigung des unstreitigen Gesprächsverlaufs die Problematik zwingend vertiefen und gegebenenfalls einer weiteren Besprechung zuführen müssen. Der Hinweis auf ein 15-Minuten-Gespräch erscheint hier unpassend, da Hinderungsgründe für eine Verlängerung oder ein Folgegespräch nicht ersichtlich sind und nicht vorgetragen werden. Ein bloßer Verweis auf den für Steuerfragen zuständigen Mitarbeiter ist sicherlich keinesfalls ausreichend.
Werden einem Mitglied des Vorstands auch nur im Ansatz Complianceverstöße bekannt, so besteht seine Verantwortung darin, sich umfassend zu den einzelnen bekannt gewordenen Vorwürfen zu informieren. Erst nach entsprechender umfassender Information kann überhaupt sachgerecht entschieden werden, ob und gegebenenfalls in welcher Form möglichen Verstößen beizukommen ist. Unterlässt das Vorstandsmitglied die weitere Informationsgewinnung jedoch trotz ausreichender Warnindizien, so handelt er zumindest in grob fahrlässiger Unkenntnis. Jedem verständigen Dritten hätte in der Situation einleuchten müssen, dass eine Weiterverfolgung des Themas zwingend geboten war.
Selbst wenn dem Vorstandsmitglied Ro… daher seitens des Gerichts nicht der Vorwurf gemacht werden kann, positive Kenntnis von den Schmiergeldvorwürfen gehabt zu haben, trifft ihn zumindest der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis, der ebenfalls verjährungsauslösend ist.
Die maßgebliche Verjährungsfrist beginnt, wie dargelegt, mit Ablauf des Jahres der Kenntnis oder der grob fahrlässigen Unkenntnis. Der Drei-Jahres-Zeitraum war folglich mit dem 31.12.2014 abgelaufen, ohne dass bis zu diesem Zeitpunkt verjährungsunterbrechende Maßnahmen getroffen wurden.
Da sich alle Beklagte ausdrücklich auf die Einrede berufen, waren mögliche Ansprüche nicht mehr durchsetzbar. Auf eine Einordnung des Verhaltens der einzelnen Beklagten als vorsätzliche Pflichtverletzung kommt es daher nicht an.
Die Verjährung trifft nicht nur den Zahlungssondern auch eine Geltendmachung der Feststellungsanträge. Folgeschäden sind ebensowenig ersatzfähig, wie die Feststellung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung, da mögliche Ansprüche zu 2a nicht durchsetzungsfähig sind.
Aus vorgenannten Erwägungen war die Klage gegenüber den Beklagten zu 1 bis 6 abzuweisen.
2. Gleiches gilt im Wesentlichen für Ansprüche hinsichtlich der Beklagten zu 7 und 8. Ansprüche sind bis zum 18.1.2011, deren Vorliegen unterstellt, verjährt.
Im Einzelnen gilt folgendes:
a. Dem Beklagten zu 8 kann bereits kein Tatvorwurf gemacht werden; die Vorhaltungen der Klägerin bleiben unbewiesen.
Für den Vorwurf einer Mittäterschaft oder Teilnahme durch Dulden oder Unterlassen kommt es zunächst darauf an, ob und ggf. wann eine entsprechende Kenntnis von Schmiergeldzahlungen im Türkeigeschäft begründet wurde. Ohne Kenntnis des Beklagten kann einen Unterlassen in zurechenbarer Form nicht vorliegen.
Die Klägerin bleibt jedoch für eine Kenntnisnahme vor dem Treffen im Oktober 2011 beweisfällig. Zwar wird ausgeführt, das Bestreiten des Zugangs der auf den 19.1.2006 datierten internen Mitteilung von Frau K… sei unglaubhaft und im Rahmen eines Anscheinsbeweis durch den üblichen Geschäftsgang widerlegt.
Dem vermag sich die erkennende Kammer jedoch nicht anzuschließen. Offensichtlich – so zeigen die Ausführungen hinsichtlich des Auffindens des Originals der internen Mitteilung im Archiv des Beklagten zu 7 (Bl. 1774 d.A.) – wurden im Rahmen der umfangreichen Ermittlungen durch die Klägerin (Bl. 343 d.A.) Archive und Ablageräume durchsucht, bei denen sich hinsichtlich des Beklagten zu 7 ein Ordner mit der unterschriebenen Version der internen Mitteilung vom 19.1.2006 aufgefunden hat. Demgegenüber scheint sich bei Ermittlungen gegenüber dem Beklagten zur 8 keinerlei Mitteilung gefunden zu haben. In der mündlichen Verhandlung vom 27.9.2016 räumten die Klägervertreter auf Frage des Vorsitzenden ausdrücklich ein, dass (bisher) nichts aufgefunden wurde.
Eine Anscheinsbeweis für den Zugang ist nicht begründet. Erfahrungen des täglichen Lebens und auch eigene Erfahrungen des Gerichts zeigen, dass Schriftverkehr immer wieder verloren geht. Dies gilt zwar in erster Linie für auf dem Postweg versendete Schriftstücke, jedoch kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass im internen Verteiler Weg ein Schriftstück den Empfänger nicht erreicht. Die Klägerin gibt an, der Beklagte zu 8 habe, da er auf dem Verteiler stand, ebenso wie der Beklagte zu 7 die für ihn gedachte Post über das Sekretariat bekommen. Die von der Klägerin insoweit in Anspruch genommene Fehlerfreiheit der Übermittlung per Hauspost kann das Gericht nicht nachvollziehen. Nicht im Ansatz ist dargelegt unter unter Beweis gestellt, dass der Postlauf bei der Klägerin stets fehlerfrei funktioniert. Fehler können insoweit sowohl beim Kopieren im Verteiler, als auch bei der Übermittlung an das Sekretariat oder durch das Sekretariat an den Beklagten vorkommen. Auch wird nicht einmal konkret vorgetragen, wie der genaue Postlauf im vorbezeichneten Fall durchgeführt wurde (also wer wem zu welchem Zeitpunkt Unterlagen übergeben hat, wie der weitere Verteilungs Weg ausgestaltet war und welche Kontrollmechanismen vorgehalten werden, um eine lückenlose Übermittlung sicherzustellen (z.B. durch Übergabebestätigungen oder Postlauflisten).
Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine Beweiserleichterung des Zugangs im Rahmen der Organhaftung berufen. Eine solche mag zwar im Rahmen der Verantwortlichkeit der Organe bei Pflichtverletzungen begründet sein, nicht aber im Rahmen der Prüfung, ob überhaupt eine solche vorliegt.
Die Kenntnis des Berichts ist aber Voraussetzung eines möglichen Haftungsanspruchs und muss, da bestritten, nach allgemeinen Beweislastregeln nachgewiesen werden. Hierbei genügt selbst ein möglicher Zugang im Sekretariat nicht, da die Pflichtverletzung nicht vor tatsächlicher Kenntnisnahme ansetzen kann. Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit der Büroleitung werden dem Beklagten nicht substantiiert vorgeworfen.
Auch der Vortrag, dass der Zugang der Berichte regelmäßig mit Frau K… abgestimmt wird, führt nicht zu einem Anscheinsbeweis. Das Frau K… ausdrücklich auf den Zugang des fraglichen Berichts angesprochen hat, wird nicht vorgetragen. Auch im Rahmen dieses Gesprächs kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Zugang übersehen wurde. Dies muss umso mehr gelten, als der Bericht möglicherweise nicht isoliert übergeben wurde, sondern zusammen mit einem 25-seitigen Revisionsbericht übermittelt wurde. Die Klägerseite führt diesbezüglich nichts zur Methode der Kontrolle des Berichtszugangs aus. Ob lediglich die Daten abgeglichen wurden oder in verkörperter Form die Berichte nochmals gegengeprüft wurden, ist nicht ersichtlich.
Ohne Nachweis der Kenntnis des Beklagten kommt jedoch eine Tatbeteiligung weder durch Tun noch durch Unterlassen überhaupt nicht in Betracht. Verfolgt werden ausweislich der Klageschrift vorliegend keine Ansprüche, die nach Oktober 2011 entstanden sind. Mangels Nachweis der Kenntnis des Beklagten von etwaigen Tathandlungen in der Zeit zwischen 2006 und 2011 kann daher kein vorwurfbares Unterlassen festgestellt werden.
Ein etwaiges Unterlassen nach Kenntnis im Oktober 2011 kann dagegen nicht haftungsauslösend sein. Voraussetzung einer Haftung ist ein Schaden, der adäquat kausal auf einer Pflichtverletzung beruht. Ginge man davon aus, dass für den Beklagten im Oktober 2011 eine Offenbarungspflicht – auch gegenüber Straf- und Finanzbehörden – bestanden hat, müsste diese Pflichtverletzung zu einem Schaden geführt haben. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Denn bereits die Schmiergeldzahlungen selber und die möglicherweise unterlassene steuerliche Behandlung lösen die Folgen zivil- und strafrechtlicher Art aus. Bereits mit Zahlung an und Bestechung von Mitarbeitern werden die Haftungsfolgen initiiert. Die schadensbegründenden Umstände bestanden also vor Kenntnis des Beklagten bereits.
Eine etwaige Pflichtverletzung führt nun jedoch nicht erkennbar zu einer Erweiterung des Schadens, so dass – diese unterstellt – ein weiterer haftungsauslösender Umstand nicht begründet wurde.
Eine Haftung scheidet mithin aus.
b. Darüber hinaus muss beim Beklagten zu 8, ebenso wie beim Beklagten zu 7, selbst bei unterstellter Kenntnisnahme des Berichts darauf hingewiesen werden, dass aus Sicht des Gerichts die bloße Untätigkeit hierauf keine Pflichtverletzung bildet. Aus dem Bericht von Frau K… ergibt sich, dass insgesamt zwei Fälle im Jahr 2005 mit Zahlungen von 3.400,– € und von 1.500,– € erwähnt sind. Ein Hinweis auf eine bereits länger geübte Praxis oder auf weitere Fälle findet sich nicht. Die Kammer geht daher davon aus, dass selbst bei unterstellter Kenntnisnahme des Beklagten zu 8 (diejenige des Beklagten zu 7 wird als nachgewiesen angesehen) keine unmittelbare Pflicht des Einschreitens bestanden hat. Insbesondere Aufklärungs- und Präventionshandlungen waren für die Beklagten zu 7 und 8 nicht naheliegend. Die beiden Vorgänge werden als abgeschlossen gewertet und tragen kein erhebliches Folgerisiko. Das Nichteinschreiten entspricht der aus damaliger Sicht angemessenen Einschätzung der Bedeutung der Angelegenheit und kann nicht als fahrlässige Handlung eingestuft werden.
Mangels Pflichtverletzung scheidet eine Haftung der nicht aktiv beteiligten Beklagten zu 7 und 8 damit aus.
c. Schließlich sind etwaige Ansprüche gegen den Beklagten zu 7 und 8 ebenfalls zum größten Teil verjährt. Hinsichtlich der Ansprüche, die auf deliktische Anspruchsgrundlagen gestützt werden, wird insoweit auf die Ausführungen zu den Beklagten 1-6 verwiesen.
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von Herrn Ro… sei unbehilflich, da dieser zu keinem Zeitpunkt Mitglied des Aufsichtsrates gewesen sei, vermag sich das Gericht dieser Wertung nicht anzuschließen. Gem. § 90 AktG besteht eine Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat. § 90 Abs. 3 AktG eröffnet dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, vom Vorstand jederzeit Berichte über Angelegenheiten der Gesellschaft und geschäftliche Vorgänge verlangen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein können. Völlig unzweifelhaft ist dies im Rahmen von langanhaltenden und erheblichen Verstößen gegen gesetzliche Vorgaben, die auch strafrechtliche Relevanz haben (wie über längere Zeit vorgenommene, erhebliche Schmiergeldzahlungen), der Fall.
Aus Sicht der erkennenden Kammer ist jedoch nicht nur ein Anspruch des Aufsichtsrats, sondern gleichzeitig eine Verpflichtung des Vorstands zum Hinweis auf schwerwiegende geschäftliche Vorfälle begründet. Um das Auskunftsrecht gem. § 90 Abs. 3 AktG wirksam ausüben zu können, muss der Aufsichtsrat laufend in die Lage versetzt werden, zu prüfen, ob und inwieweit weitere Berichte und Informationen eingeholt werden. Der Vorstand ist in diesem Fall Auge und Ohr des Aufsichtsrats.
Dies entspricht im Übrigen auch der ausdrücklich geäußerten Auffassung der Klägerseite im Schriftsatz vom 11.8.2016 (Bl. 1797 d.A.). Im Rahmen der Darstellung der Pflichtverletzungen der Vorstände, der Beklagten zu 7 und 8 wird ausführt: „Zudem informierten die Beklagten zu 7 und 8 auch weder den Gesamtvorstand noch den Aufsichtsrat. Auch dies wäre zwingend geboten gewesen.“. Selbst die Beklagte geht also zwingend von einer Informationspflicht des Vorstands und einer Pflichtverletzung bei Unterlassen aus.
Besteht aber eine solche Informationspflicht, so ist eine Wissenszurechnung der Erkenntnisse des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat geboten. Der Aufsichtsrat hat durch entsprechende Weisungen sicherzustellen, über ungewöhnliche und einschneidende Vorgänge – insbesondere mit erheblichen strafrechtlichen Auswirkungen – unverzüglich und umfassend informiert zu werden. Unterlässt er dies, ist die Kenntnis oder Kenntnismöglichkeit des Vorstands dem Aufsichtsrat zuzurechnen. Unterbleibt ein Mindestmaß an organisiertem Informationsaustausch, der bei möglicherweise strafrechtlich relevanten Vorgängen erheblichen Umfangs stets geboten ist, begründet dies ebenfalls die grob fahrlässige Unkenntnis auch des Aufsichtsrats. Die zumindest grob fahrlässige Unkenntnis des Vorstandsmitglied Ro… führt also dazu, dass mit Nichtbeachten des Berichts und der Ausführungen des Compliance Verantwortlichen Ra… ein Verjährungsbeginn auch bei den Beklagten zu 7 und 8 begründet wurde.
Im Ergebnis sind daher Ansprüche, die auf deliktischer Haftung beruhen, ausgeschlossen.
Gleiches gilt im Wesentlichen für mögliche Ansprüche aus Organhaftung.
Jedoch geht das Gericht von einer Begründung der Verjährung – die Kenntnis der Beklagten zu 7 und 8 unterstellt – bereits im Januar 2006 aus. Bei mehreren Pflichtverletzungen ist Verjährungsbeginn stets der Einzelanspruch, nicht der letzte Tatbeitrag (BGH vom 9.11.2007, NJW 2008, S.506). Jede Pflichtverletzung, die Vermögensnachteile mit sich bringt, ist eigenständig zu behandeln. Eine Zusammenschau mehrerer Teilbeiträge ist vorliegend nicht angezeigt.
Der Vorwurf gegenüber den Beklagten zu 7 und 8 liegt letztlich in einem Unterlassen. Trotz Kenntnis des Berichts der internen Revision im Jahr 2006 seien die Beklagten zu 7 und 8 nicht tätig geworden. Hier ist daher auf den Zeitpunkt rechtmäßigen Alternativverhaltens abzustellen. Folgt man dem Vorwurf der Klägerin, so wäre eine Reaktion bei Kenntnis des Revisionsberichts 2006 anspruchsbegründend. Im Zeitpunkt der Kenntnis hätten die Vorstandsmitglieder tätig werden können. Das Ignorieren der Berichte ist der eigentliche Tatvorwurf. Weitere Tat-Teilbeiträge sind nicht ersichtlich. Eine Zurechenbarkeit der Folgeverstöße der Mitarbeiter durch Förderung, wissentliches Dulden oder Unterstützen ist nicht nachgewiesen.
Die Verjährung möglicher Ansprüche aus Organhaftungsansprüchen beruht daher auf dem Zeitpunkt der mutmaßlichen Pflichtverletzung und daher mit Ablauf der Jahres 2006.
Ablauf der Verjährungsfrist ist daher das Kalenderjahr 2011 hinsichtlich aller streitgegenständlicher Ansprüche aus Organhaftung.
Da sich auch die Beklagten zu 7 und 8 auf die Verjährung ausdrücklich berufen haben, sind mögliche Ansprüche nicht mehr durchsetzbar.
Hinsichtlich der Auswirklungen der Verjährung auf die Feststellungsanträge wird auf die Ausführungen zu 1 (S.91) verwiesen.
d. Schließlich wären etwaige Ansprüche gegen die Beklagten zu 7 und 8 verwirkt.
Der letzte Teilakt der Schmiergeldzahlungen wurde im Januar 2011 vorgenommen. Unterstellt man dem Grunde nach eine Haftung für einen oder mehrere Zahlungsabflüsse und Bestechungshandlungen, war im Zeitpunkt der Geltendmachung von Ansprüchen bereits Verwirkung eingetreten.
Ein Anspruch verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung bereits längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und darüber hinaus weitere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).
Seit dem letzten schadensbegründenden Ereignis ist ein Zeitraum von recht genau fünf Jahren vergangen. Nach derartig langer Zeit, die mit dem zwischenzeitlichen Ausscheiden der Beklagten zu 7 und 8 bei der Klägerin einherging, rechnet ein möglicher Schuldner nicht mehr mit der Geltendmachung von Ansprüchen. Darüber hinaus wurde – zumindest in Teilen – den Beklagten Entlastung erteilt. Zwar mag dies nicht unmittelbar zu einem Verzicht möglicher Ansprüche führen, jedoch setzt die Entlastung in Verbindung mit dem erheblichen Zeitablauf einen Vertrauenstatbestand, nach dem die Beklagten redlicherweise nicht mehr mit einer Inanspruchnahme für etwaige Pflichtverletzungen rechnen mussten.
Aus vorgenannten Erwägungen war die Klage daher abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm § 91 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 2 ff. ZPO festgesetzt.
Hinsichtlich der Streitwerbemessung folgt das Gericht im Wesentlichen den Ausführungen des Beklagtenvertreters zu 4 im Schriftsatz vom 31.8.2016 (Bl.2368 d.A.). Die Klägerin berühmt sich Ansprüchen von geschätzt 62,5 Mio €, die nach dem Bericht des Complianceverantwortlichen Ra… im Raum stehen sollen. Zwar ist wegen des feststellenden Teils grundsätzlich ein Abschlag angezeigt, jedoch wird vorliegend trotzdem der gesamte Wert für den Streitgegenstand eingestellt. Ausweislich der Ausführungen der Klägerseite (Bl.105 d.A.) dient – insbesondere der Feststellungsantrag zu 2 – dazu, sich vor etwaigen Schadenersatzansprüchen Dritter (Wettbewerber und Kunden) zu sichern, deren Höhe weder bezeichnet, noch ansatzweise nachvollziehbar ist.
Diese Beträge sind in der Einschätzung des Compliancebeauftragten jedoch nicht enthalten und mussten daher geschätzt werden, § 3 ZPO. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte und aufgrund der möglicherweise erheblichen Ersatzansprüche, die im Raum stehen können, wurde statt eines gesonderten Wertansatzes auf einen Abschlag hinsichtlich des feststellenden Teils verzichtet, so dass der Wert des Streitgegenstandes auf insgesamt 62.500.000,– € festzusetzen war.


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