Handels- und Gesellschaftsrecht

Verrechnung von Teilzahlungen des Vollstreckungsschuldners nur auf die titulierte Forderung, die dem Vollstreckungsauftrag zugrunde liegt

Aktenzeichen  17 U 199/16

Datum:
11.4.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 121205
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 366 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 753, § 754 Abs. 1, § 775 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Auch bei Teilleistungen, die im Rahmen der Zwangsvollstreckung vom Schuldner an die vom Gläubiger beauftragte Gerichtsvollzieherin  geleistet werden, ist eine Verrechnung nur auf die titulierte Forderung, derentwegen die Vollstreckung erfolgt, vorzunehmen (Rn. 9). (red. LS Andrea Laube)
2. Aus § 754 Abs. 1 ZPO ergibt sich nicht, dass die Gerichtsvollzieherin auch zur Entgegennahme von den Titel übersteigenden Beträgen ermächtigt ist (Rn. 10). (red. LS Andrea Laube)
3. Das Verfahren zur Abgabe der Vermögensauskunft wird mit einem Vollstreckungsauftrag nach § 753 Abs. 1 ZPO eingeleitet, sodass sich auch in diesem Fall die Vollmacht zur Entgegennahme von Zahlungen durch die Gerichtsvollzieherin aus § 754 Abs. 1 ZPO ergibt (Rn. 12). (red. LS Andrea Laube)
4. Das Vollstreckungsorgan hat bei Vorlage eines (teil-)quittierten Titels in eigener Verantwortung, also ohne gerichtliche Einstellungsentscheidung nach § 775 Nr. 4 ZPO, zu prüfen und gegebenenfalls beim Gläubiger nachzufragen (Rn. 11). (red. LS Andrea Laube)

Verfahrensgang

17 U 199/16 2016-03-04 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.12.2015, Aktenzeichen 3 O 534/15 (2), wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 91.171,90 festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten um den vollstreckbaren Umfang eines zumindest teilweise noch vollstreckbaren Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts München I vom 09.06.2011 über den Nennbetrag in Höhe von € 113.964,87 nebst Zinsen (Anlage K 1). Die Klägerin ist der Ansicht, Teilzahlungen der Beklagten an die Gerichtsvollzieherin seien auf andere titulierte Forderungen nach § 366 Abs. 2 BGB zu verrechnen.
Hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf das klageabweisende Endurteil des LG München I vom 11.12.2015 (Bl. 98/105 d. A.), hinsichtlich des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und bezüglich der Berufungsanträge auf den Schriftsatz der Klägerin vom 08.02.2016 (Bl. 110 d.-A.) sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 15.02.2016 (Bl. 134 d. A.) verwiesen.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.12.2015, Aktenzeichen 3 O 534/15 (2), ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats im Beschluss vom 04.03.2016 (Bl. 137/139 d. A.) Bezug genommen.
Der Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2016 gibt zu folgenden Bemerkungen Anlass:
1. Die Feststellung des Erstgerichts, dass die Gerichtsvollzieherin lediglich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.06.2011 vollstreckte, ergibt sich zwar nicht aus dem Tatbestand des Endurteils, wohl aber aus den Entscheidungsgründen auf Seite 6 (= Bl. 103 d. A.) unten, wo es heißt: „… weil jeweils die Gerichtsvollzieherin von der Klägerin beauftragt worden war, den streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschluss zu vollstrecken…, weil konkret die Vollstreckung des streitgegenständlichen Titels anstand.“ Dagegen hat die Klägerin keinen Tatbestandsberichtigungsantrag (vgl. hierzu bei Tatbestandsteilen in den Entscheidungsgründen BGH, Urteil vom 17.05.2000, NJW 2000, 3007, 3007, Ziffer II 2 a) gestellt und in der Berufungsbegründung vom 08.02.2016 auch keine Einwendungen erhoben. Im Übrigen deckt sich dies mit ihrem erstinstanzlichen Vortrag auf Seite 19 der Klage vom 13.01.2015 zum Haftbefehl vom 22.10.2012 (K 18). Hierzu ist zu bemerken, dass zumindest mehrere Haftbefehle betreffend mehreren vollstreckbaren Forderungen gleichzeitig beantragt werden und ergehen können (vgl. Zöller-Stöber, 31. Auflage, § 802h Randziffer 21).
2. Die Entscheidung des 9. Zivilsenats des BGH vom 09.10.2014 (IX ZR 69/14) gibt für den vorliegenden Fall schon deshalb nichts her, weil es dort um die Verwertung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ging, also (durch den zuständigen Verwalter) immer eine Gesamtvollstreckung betrieben wird, um die Masse, soweit nach Abzug von Kosten usw. noch vorhanden, gleichmäßig auf alle Gläubiger zu verteilen. Die Ansicht der Klägerin, vom 9. Senat in der bereits zitierten Entscheidung so auch nicht entschieden, kann schon deshalb nicht richtig sein, weil dann für den Fall des Vorliegens mehrerer Forderungen desselben Gläubigers gegen denselben Schuldner ersterer immer nur die jüngste Forderung titulieren lassen müsste, um faktisch alle Forderungen, letztlich ohne gerichtliche Überprüfung, vollstrecken lassen zu können (abgesehen von der Möglichkeit des Schuldners, Vollstreckungsgegenklage zu erheben, was aber trotzdem die Beweislast für das Nichtbestehen nicht titulierter Forderungen zu seinen Lasten verschöbe). Dies würde das Rechtsstaatsprinzip unterlaufen.
3. Der vorliegende Sachverhalt hat im Übrigen mit § 366 Abs. 1 BGB schon deshalb nichts zu tun, weil, wie im Senatsbeschluss vom 04.03.2016 unter Ziffer 3 der Gründe ausgeführt, dem Schuldner gar kein Bestimmungsrecht zusteht, sondern es einzig und allein auf den Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin ankommt.
4. Wie die Klägerin selbst im Schriftsatz vom 25.03.2016, dort Seite 9 (= Bl. 149 d. A.) richtig ausführt, hat die Gerichtsvollzieherin empfangene Leistungen zu quittieren und nach vollständiger Erledigung die vollstreckbare Ausfertigung an den Schuldner herauszugeben. Wieso dann bei Teilleistungen eine anderweitige Verrechnung (außerhalb des Vollstreckungsauftrags) vorzunehmen sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Dabei hat sich der Senat in Ziffer 3 der Gründe im Beschluss 04.03.2016 nicht mit der Frage befasst, wann Erfüllung durch Zahlung an die Gerichtsvollzieherin eintritt (darauf kommt es im vorliegenden Fall schon deshalb nicht an, weil das Geld unstrittig zur Klägerin gelangt ist) sondern lediglich mit der Frage, welche Erfüllungswirkung hinsichtlich welcher Forderung eintritt.
5. Die Behauptung der Klägerin, die Gerichtsvollzieherin sei durch § 754 Abs. 1 ZPO auch zur Entgegennahme von den Titel übersteigenden Beträgen ermächtigt, hat die Klägerin mit nichts belegt. Nach Ansicht des Senats ergibt sich dies auch nicht aus dem Wortlaut, der Systematik oder dem Zweck der Vorschrift sondern genau das Gegenteil. Darüber hinaus schreibt die Kommentarliteratur von „der aus dem Titel geschuldeten Leistung“ (vgl. Thomas/Putzo-Seiler, 36. Auflage, § 754 Randziffer 3) bzw. von „Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung oder freiwillig“ (vgl. Zöller-Stöber, 31. Auflage, § 754 Randziffer 3). Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des § 60 GVGA ergibt sich, dass immer nur von Zahlungen auf den Titel (einschließlich Zinsen und Kosten) und nicht darüber hinaus ausgegangen wird;
6. Im Übrigen ist es nicht richtig, dass dem Schuldner nach Erfüllung bei (teil) quittiertem Titel nur die Vollstreckungsgegenklage bleibt: Das Vollstreckungsorgan hat nämlich bei Vorlage einer entsprechenden Urkunde in eigener Verantwortung, also ohne gerichtliche Einstellungsentscheidung nach § 775 Nr. 4 ZPO zu prüfen und gegebenenfalls beim Gläubiger nachzufragen (vgl. Zöller-Stöber, 31. Auflage, § 775 Randziffer 7).
7. Wenn die Klägerin jetzt vorträgt, der Auftrag an die Gerichtsvollzieherin habe lediglich auf Vollstreckung des Haftbefehls zur Abgabe der Vermögensauskunft gelautet, ändert sich an Vorstehendem nichts: Denn eingeleitet wird das Verfahren zur Abgabe der Vermögensauskunft mit einem Vollstreckungsauftrag nach § 753 Abs. 1 ZPO (Zöller-Stöber, 31. Auflage, § 802f Randziffer 2), sodass sich auch hier die Vollmacht zur Entgegennahme von Zahlungen durch die Gerichtsvollzieherin aus § 754 Abs. 1 ZPO ergibt.
8. Der Vortrag der Klägerin ergibt gerade nicht, dass entsprechende Vollstreckungsaufträge aus anderen Titeln auch an die Gerichtsvollzieherin erteilt gewesen seien, zumal der Haftbefehl des AG – Vollstreckungsgerichts – München vom 22.10.2012 (Anlage K 18) gerade nur die Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts München I vom 09.06.2011 ausweist. Die Vorlage von Kopien von vollstreckbaren Ausfertigungen von Titeln reicht für einen ordnungsgemäßen Vollstreckungsauftrag gerade nicht aus (Zöller-Stöber, 31. Auflage, § 754 Randziffer 2). Eine entgegenstehende Weisung der Klägerin stand damit im Widerspruch mit dem Gesetz und war für die Gerichtsvollzieherin unbeachtlich.
9. Selbst wenn man sich die Ansicht der Klägerin zu eigen machte, änderte dies das Ergebnis nicht (§ 366 Abs. 2 BGB): Sie hat nichts mitgeteilt zu Sicherheiten bezüglich ihrer einzelnen Titel gegenüber der Beklagten, zweifellos ist die Verbindlichkeit aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des LG München I vom 09.06.2011 aber die lästigste von allen, weil allein für sie ein Haftbefehl (Anlage K 18) zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802c ZPO besteht bzw. bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und dieses Beschlusses erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 708 Nr. 10 analog, § 711 ZPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13.11.2014, NJW2015, 77, 78, Randziffer 16).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 63 Abs. 2 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; §§ 3,4 Abs. 1 ZPO bestimmt.


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