Handels- und Gesellschaftsrecht

Zum Ersatz eines fiktiven Verdienstausfallschaden wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bei tatsächlicher Vollzeittätigkeit

Aktenzeichen  10 U 6603/19

Datum:
25.3.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4747
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91, § 92, § 128 Abs. 2
BGB § 252, § 253

 

Leitsatz

1. Auch bei einem abhängig Beschäftigten liegt ein Verdienstausfallschaden nur dann vor, wenn der Geschädigte aus unfallbedingten Gründen nicht voll erwerbstätig sein kann und dadurch einen Schaden erleidet. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Schadensersatzrecht kennt im Bereich des Verdienstausfallschadens zwar hinsichtlich des Zukunftsschadens fiktive Berechnungen des Schadens (was in der Natur der Sache liegt), es gibt aber keinen fiktiven Verdienstentgang (ebenso OLG Frankfurt BeckRS 2016, 128132). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 O 1313/16 2019-10-17 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 20.11.2019 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 17.10.2019 (Az. 8 O 1313/16) in Nr. 2 bis 6 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4.
4. -6. weggefallen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.770,43 € festgesetzt.

Gründe

B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I.
Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf fiktiven Verdienstausfallschaden bejaht.
Da die Beklagte die vom Landgericht vorgenommene Verrechnung des Vorschusses akzeptiert hat, geht es in der Berufungsinstanz ausweislich des Berufungsantrags und des Berufungsvorbringens ausschließlich darum, ob die Klägerin von der Beklagten gleichsam fiktiv einen Verdienstausfallschaden wegen einer Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit von 20% für Vergangenheit und Zukunft verlangen kann, weil sie überobligatorisch Vollzeit arbeite.
Ein derartiger fiktiver Verdienstausfallschaden ist jedoch entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts abzulehnen.
Auch bei einem abhängig Beschäftigten liegt ein Verdienstausfallschaden nur dann vor, wenn der Geschädigte aus unfallbedingten Gründen nicht voll erwerbstätig sein kann und dadurch einen Schaden erleidet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Landgericht zitierten Entscheidungen des BGH (NJW 1971, 836) und OLG Frankfurt (Urteil vom 08.07.2016 – 10 U 150/14), wobei darauf hinzuweisen ist, dass beide Entscheidungen entgangenen Gewinn eines Selbständigen betroffen haben (und die Entscheidung des OLG Frankfurt teilweise durch das BVerfG aufgehoben wurde). Das Schadensersatzrecht kennt im Bereich des Verdienstausfallschadens zwar hinsichtlich des Zukunftsschadens fiktive Berechnungen des Schadens (was in der Natur der Sache liegt), es gibt aber keinen fiktiven Verdienstentgang, was sich im Übrigen auch ausdrücklich aus dem nicht aufgehobenen Teil der vorstehend zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt ergibt.
Da die Klägerin voll arbeitet, hat sie keinen Verdienstentgang und deshalb auch insoweit keinen Schaden. Dies stellt keine „Bestrafung“ desjenigen Geschädigten dar, der trotz ärztlich bestätigter Minderung der Erwerbsfähigkeit vollständig, also vermeintlich überobligationsmäßig arbeitet. Dies erkennt auch das Landgericht, indem es zutreffend auf S. 12 des Ersturteils darauf hinweist, dass der zu ersetzende Schaden nicht in der Minderung der Arbeitskraft liegt, sondern ein Schaden voraussetzt, dass sich diese Beeinträchtigung im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt hat, was hier gerade nicht der Fall ist. Es sei darauf hingewiesen, dass bei Fällen geringerer Beeinträchtigungen Arbeitgeber nicht selten durch unterstützende Maßnahmen (Auswahl eines besonders geeigneten Arbeitsplatzes, Zurverfügungstellung besonderer Arbeitsmittel, Gewährung von längeren Pausen, etc.) ermöglichen, dass die (theoretische) Minderung der Erwerbsfähigkeit in der konkreten Berufspraxis keine Rolle spielt.
Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf Bezahlung eines fiktiven Verdienstausfallschadens, was dazu führt, dass entsprechend dem Antrag der Beklagten (auch wegen der Aufrechnungserklärung) hinsichtlich der Ziff. 2 bis 4 die Klage abgewiesen werden muss (siehe Ziff. 5 des Ersturteils).
Der restliche unverbrauchte Vorschuss ist mit den berechtigten 1.954,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.05.2016 für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten (1,3 Gebühr aus 55.230,00 € [40.000,00 € + 10.118,00 € + 112,00 € + 5.000,00 €] nebst Pauschale 20 € und Mehrwertsteuer) zu verrechnen. Dies erschöpft den unverbrauchten Vorschuss von 4.770,00 € nicht, so dass auch insoweit die Klage im Übrigen abzuweisen ist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 91 ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
V.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.


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