Insolvenzrecht

Besserstellungszuschlag für Berufstätigkeit bei Berechnung des Pfändungsfreibetrages

Aktenzeichen  3 T 26/17

Datum:
28.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155531
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 850d Abs. 1

 

Leitsatz

Dem berufstätigen Schuldner ist einerseits als Anreiz für die Fortsetzung der Berufstätigkeit, andererseits aber auch zum Ausgleich berufsbedingter Aufwendungen wie etwa Fahrtkosten grundsätzlich auch ein pauschalierter sog. „Besserstellungszuschlag“ in angemessener Höhe zu belassen, dessen Höhe in Anlehnung an § 82 Abs. 3 SGB XII vom Vollstreckungsgericht festzusetzen ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

610 M 7257/15 2016-11-29 Bes AGBAMBERG AG Bamberg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 29.11.2016 (Az.: 610 M 7257/15) in Ziffer 1 des Beschlusses abgeändert:
Der Freibetrag des Schuldners aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.06.2015 wird von 883,00 EUR monatlich auf 1.091,00 EUR monatlich erhöht.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 8.640,00 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
5. Der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 29.11.2016 (Az.: 610 M 7257/15) wird in Ziff. 1 aufgehoben.
6. Dem Gläubiger wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mit Wirkung ab Antragstellung bewilligt.

Gründe

A.
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.06.2015 wurde dem Schuldner das Arbeitseinkommen bei der Fa. … mit Sitz in der … Straße …, gepfändet. Der Pfändung lag die Urkunde des Stadtjugendamtes vom 11.07.2007, UR …/2007, bei einem Unterhaltsrückstand im Zeitraum vom 01.12.2010 bis zum 31.05.2015 in Höhe von 12.619,80 EUR zugrunde. Der Freibetrag wurde auf 883,00 EUR festgesetzt.
Vor der Rechtsantragsstelle beantragte der Schuldner in den Verfahren 640 M 7026/16 und 640 M 7257/15 den pfandfreien Betrag neu zu berechnen und die drei Kinder gleichzustellen. Zur Begründung trug er vor, dass er täglich eine einfache Wegstrecke zur Arbeit von ca. 80 km zurücklegen müsse und die monatlichen Mehrausgaben für Benzin mindestens 500,00 EUR betragen würden. Sollte der pfandfreie Betrag nicht erhöht werden, könne er dauerhaft nicht weiter arbeiten gehen.
Mit Beschluss vom 08.06.2016 (Bl. 18 f. d.A.) stellte das Amtsgericht – Abteilung für Vollstreckungssachen – die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss einstweilen ein.
Mit Beschluss vom 29.11.2016 erhöhte das Amtsgericht antragsgemäß den Freibetrag des Schuldners auf monatlich 1.603,00 EUR mit der Begründung, dass weitere 120 km mit einem Pauschalbetrag von 0,30 EUR berücksichtigt werden könnten.
Hiergegen legte der Gläubiger, vertreten durch das Stadtjugendamt mit Schreiben vom 13.12.2016 sofortige Beschwerde ein. In Ziffer 2 wird beantragt, den Beschluss vom 29.11.2016 dahingehend abzuändern, dass der Pfändungsfreibetrag von 883,00 EUR auf 1.091,00 EUR monatlich erhöht wird. Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich das Amtsgericht zu Unrecht an unterhaltsrechtlichen Maßstäben orientiert habe. Bei der Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges könnten nicht mehr als 40 km berücksichtigt werden. Der anzusetzende Betrag sei auf 208,00 EUR begrenzt.
Das Amtsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30.01.2017 nicht ab (Bl. 42 d. A.).
Mit Verfügung vom 06.02.2017 wurde dem Schuldner im Beschwerdeverfahren ergänzend rechtliches Gehör gewährt (Bl. 45 d.A.). Der Schuldner äußerte sich nicht zu den Hinweisen der Beschwerdekammer.
B.
Die gemäß §§ 793, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Unterhaltsgläubigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 29.11.2016, Az. 610 M 7257/15, hat Erfolg. Der pfändungsfreie Betrag ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten auf (max.) 1.091,00 EUR festzusetzen. Der Ausgangsbetrag von 883,00 EUR ist nicht gegenständlich (Ziffer I.), eine Erhöhung um 208,00 EUR erscheint angemessen und ausreichend (Ziffer II.).
I.
Der pfändungsfreie Betrag richtet sich, da Unterhaltsansprüche vollstreckt werden, nach § 850 d Abs. 1, 2, 850 f Abs. 1 ZPO. Grundlage der Berechnung des pfändungsfreien Betrages ist § 850 d Abs. 1 S. 2, 3 ZPO. Im Rahmen von § 850 d Abs. 1 S. 2 ZPO bestimmt sich der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners grundsätzlich nach dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne der Kapitel 3 und 11 des SGB XII. Dazu zählt der gesamte Lebensbedarf des Schuldners am Ort seiner Wahl. Grundlagen für die Berechnung des Schuldnerbedarfs sind dabei der einfache ortsübliche Regelsatz gemäß § 28 SGB XII i.V.m. der jeweiligen Verordnungen zur Festsetzung der Regelsätze gemäß § 40 SGB XII, wobei noch Einmalbedarf, angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung, arbeitsbedingter Mehraufwand, besondere Bedürfnisse und Verbindlichkeiten des Schuldners hinzuzurechnen sind (vgl. zum Ganzen Musielak, ZPO -Kommentar, 13. Aufl. 2016, § 850 d Rn. 5, 6; Zöller – Stöber, ZPO – Kommentar, 31. Aufl. 2016, § 850 d Rn. 7 f.; BGH, Beschluss vom 12. 12. 2007 – VII ZB 38/07 = NJW-RR 2008, 733).
Der Regelsatz nach § 28 Abs. 1, 2 SGB XII beträgt ab 01.01.2017 409,00 EUR (vgl. Anlage zu § 28 SGB XII – Regelbedarfsstufe 1). In diesem Regelsatz sind die allgemeinen Lebenshaltungskosten, inkl. Strom, Nahrung, Versicherungen bereits mit enthalten.
Dem Schuldner wurde eine Erhöhung zugebilligt. Der pfandfreie Betrag in Höhe von 883,00 EUR ist mangels Vortrag der Beteiligten nicht gegenständlich.
II.
Dem berufstätigen Schuldner ist daneben einerseits als Anreiz für die Fortsetzung der Berufstätigkeit, andererseits aber auch zum Ausgleich berufsbedingten Aufwendungen wie etwa Fahrtkosten (vgl. zu dieser Doppelfunktion insb. LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 29.08.2011 – 1 T 175/11 = zitiert nach juris) grundsätzlich auch ein pauschalierter sog. „Besserstellungszuschlag“ in angemessener Höhe zu belassen, dessen Höhe in Anlehnung an § 82 Abs. 3 SGB XII vom Vollstreckungsgericht festzusetzen ist (vgl. Zöller – Stöber, a.a.O., § 850 d Rn. 7 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen).
In der Rechtsprechung werden für durchschnittliche Fahrtstrecken zur Arbeit unterschiedliche pauschale Besserstellungen von Erhöhungen des Regelsatzes um 25% (BGH, Beschluss v. 12.12.2007 – VII ZB 38/07 = NJW-RR 2008, 733; LG Kassel, Beschluss vom 11.04.2005 – 3 T 147/05 = JurBüro 2005, 379), 30% (LG Stuttgart, Beschluss vom 10.02.2005 – 10 T 144/04 = FamRZ 2005, 1103), 40% (LG Detmold, Beschluss vom 06.10.2008 – 3 T 136/08 = FamRZ 2009, 1083) bis hin zu 50% (LG Mönchengladbach, Beschluss vom 13.09.2005 – 5 T 51/05 = RPfleger 2006, 28) angesetzt – wobei die landgerichtlichen Entscheidung aber jeweils die berufsbedingten Mehraufwendungen in die Pauschale (auch ohne Nachweise) mit einbeziehen.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sind bei langen Arbeitswegen die Regelungen der Durchführungsverordnung (DV) zu § 82 SGB XII heranzuziehen. Nach § 3 Abs. 6 Nr. 2a DV zu § 82 SGB XII sind bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, 5,20 EUR anzusetzen, jedoch nicht mehr als 40 km. Damit ist der für den Schuldner anzusetzende Betrag auf 208,00 EUR monatlich begrenzt.
Selbst für den Fall, dass die Regelung des § 850 f Abs. 1 lit b ZPO zugrundezulegen ist, kommt eine Erhöhung des pfandfreien Betrages auf 1.603,00 EUR nicht in Betracht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist dem Schuldner ein Wohnsitzwechsel nach Sch. zumutbar. Hilfsweise wäre der Schuldner gehalten, die Wegstrecke …-S und zurück mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen (vgl. Zu den Voraussetzungen LG Detmold, Beschluss vom 06.10.2008, 3 T 136/08 = BeckRS 2009, 19086). Nahezu jede Stunde steht eine Zugverbindung zur Verfügung und die Strecke ist in durchschnittlich 1,5 Stunden zurückzulegen. Der Preis für eine Monatskarte beträgt derzeit 288,00 EUR (Auskunft bei www.bahn.de/p/view/angebot/pendler/fernundnahverkehr/monatskarten.shtml).
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen.
Der Beschwerdewert war gemäß § 47 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 42 GKG auf 8.640,00 EUR festzusetzen. Dies ist der Jahresbetrag der vom Schuldner begehrten Differenz des pfändungsfreien Betrages zwischen 883,00 EUR und 1.603,00 EUR (12 x 720,00 EUR).


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