Insolvenzrecht

Insolvenzanfechtung – Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit bei Stundungsbitten

Aktenzeichen  5 U 80/18

Datum:
5.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13688
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
InsO § 130 Abs. 2, § 133 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es stellt ein gewichtiges Indiz für die Kenntnis des Gläubigers von einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners dar, wenn der Schuldner seit 6 Wochen keine Forderungen bezahlt hat und ankündigt, dass eine Zahlung erst nach weiteren 5 Wochen möglich sein wird.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einwilligung des Gläubigers in die Stundung beseitigt die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit regelmäßig nicht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 5984/17 2017-12-07 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 07.12.2017, Az. 6 O 5984/17, wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 07.12.2017, Az. 6 O 5984/17, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 529.381,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.10.2013 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist, soweit es aufrechterhalten wurde, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 339.587,97 € festgesetzt. Hiervon entfallen auf die Berufung des Klägers 159.313,27 € und auf die Berufung der Beklagten 180.274,70 €.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist begründet, weil die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO bereits am 2.1.2013 vorlagen; die Berufung der Beklagten ist demzufolge unbegründet.
1. Die Feststellung der objektiven Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ab dem 1.12.2012 greift die Beklagte nicht an, ebenso nicht den darauf beruhenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin bei Vornahme der angefochtenen Zahlungen.
2. Aufgrund der äußeren Umstände (vgl. § 130 Abs. 2 InsO, der auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO Anwendung findet) musste die Beklagte bereits spätestens am 2.1.2013 auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
Die Zahlungseinstellung ist dasjenige äußerliche Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen und eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (BGH, Urteil vom 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn. 20; Urteil vom 18.7.2013 – IX ZR 143/12, Rn. 9).
a) Schon mit E-Mail vom 30.10.2012 (Anl. K2) bat die Schuldnerin um Stundung ihrer ab 9.11.2012 fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten. Für die ab 21.11.2012 fällig werdenden Verbindlichkeiten bat sie um Prolongation bis zur 51. KW 2012 (= 17.12.–23.12.12). Als Grund gab sie die Verschiebung von Auslieferungen und Zahlungseingängen des Projekts „Sputnik“ an und erklärte, die „Liquiditätsspitze“ werde sich „in KW51 durch Einzahlungen aus den Sputnik-Lieferungen (1.920 T€) sowie der Anzahlung eines weiteren Abschnitts eines bereits laufenden Projektes (2.813 T€) auflösen“ (Anl. K2). Die Beklagte verlangte für die Prolongation die Abgabe eines notariellen Schuldanerkenntnisses (Anl. K3, K4) und ließ – nach unbestrittenem Vortrag des Klägers – ab sofort keine weiteren Verfügungen der Schuldnerin über den noch nicht ausgeschöpften Rahmenkredit mehr zu (Schriftsatz vom 19.7.2017, S. 4 = Bl. 32 d.A.). Nach dem Geschäftsmodel der Beklagten („Gewährung eines verlängerten Zahlungsziels“) stundete die Beklagte der Schuldnerin den Kaufpreis für deren Wareneinkäufe, den die Beklagte sofort an den Lieferanten zahlte, zu monatlich steigenden Gebühren (Rahmenvertrag Ziff. 4.4 sowie Anlage 1 zum Rahmenvertrag, vgl. Anl. K19). Aus Anl. K2 ergibt sich, dass sämtliche offenen Forderungen bereits zum ursprünglichen Fälligkeitstermin seit knapp 4 Monate offen, d.h. gestundet waren und somit bereits zum Zeitpunkt des Wunsches nach Verlängerung Stundungsgebühren der höchsten Stufe anfielen.
b) Trotz der Verweigerung einer weiteren Inanspruchnahme des Kreditrahmens, welche dazu führte, dass die Schuldnerin weitere Zulieferungen für ihren Geschäftsbetrieb nicht mehr finanzieren konnte, und trotz der nicht unerheblichen Stundungsgebühren hielt die Schuldnerin ihre eigene Zahlungszusage nicht ein. Die für den 9.12.2012 zugesagte Zahlung von 24.339,15 € (= 1. Position lt. Anl. K2) erfolgte zunächst nicht; erst auf Nachfrage („friendly reminder“) der Beklagten am 10.12.12 (Anl. K16, S. 1) überwies die Schuldnerin diesen Betrag am 13.12.2012 und entschuldigte sich mit einem internen Versehen (diese Zahlung wurde nicht angefochten und ist nicht streitgegenständlich). Zugleich kündigte die Schuldnerin einen weiteren „Verschiebebedarf“ hinsichtlich der weiteren offenen Rechnungen an, da die für die 51. Kalenderwoche avisierte Anzahlung nun wohl erst in der 52. Kalenderwoche eingehen würde, und bat um eine weitere Stundung bis maximal Ende der 1. Kalenderwoche 2013 (E-Mail vom 13.12.2012. Anl. K16, S. 2). Während also die Zahlungszusage bezüglich der 1. Position aus Anl. K2 nur um wenige Tage überschritten und mit einem Versehen entschuldigt wurde, wurde die Zahlungszusage hinsichtlich der übrigen Positionen aus Anl. K2 vor Ablauf der vereinbarten Stundung wieder in Frage gestellt. Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Schuldnerin weder in der E-Mail vom 30.10.2012 noch in der E-Mail vom 13.12.2012 ausdrücklich angibt, zu einer Zahlung zum aktuell vereinbarten Zeitpunkt nicht in der Lage zu sein. Dennoch wird wegen der auch der Beklagten bekannten Nachteile (Sperre bzgl. weiterer Kredite, Stundungsgebühren) aus dem Verhalten der Schuldnerin bereits hier deutlich, dass diese ohne den von ihr angesprochenen, aber bisher ausgebliebenen Zahlungseingang nicht in der Lage war, die Forderungen der Beklagten derzeit zu erfüllen. Dies war auch für die Beklagte erkennbar, die sich mit einer weiteren Stundung bis zum Ende der 1. Kalenderwoche 2013 offenbar „inoffiziell“ einverstanden erklärte (vgl. E-Mail der Schuldnerin vom 13.12.2012, Anl. K5). Die 1. Kalenderwoche 2013 endete am 6.1.2013.
c) Auf die Nachfrage der Beklagten mit E-Mail vom 2.1.2013 (Anl. K6.2), ob die erwarteten Zahlungen mittlerweile eingegangen seien und mit einer Begleichung der offenen Posten wie verabredet in der 1. Kalenderwoche 2013 gerechnet werden könne, erklärte die Schuldnerin mit E-Mail vom 2.1.2013 (Anl. K6, S. 1 unten), bei ihr bestünde aktuell ein „Liquiditätsengpass“, der durch Verzögerungen bei der Durchführung eines Projekts und Verzögerungen bei der Vertragsunterzeichnung eines anderen Projekts verursacht sei. Wörtlich schrieb die Schuldnerin; „In Erwartung der Vertragsunterzeichnung (…) und der zu erwartenden Anzahlung bis Ende 2012 stellten wir Ihnen die Zahlung der offenen Rechnungen in KW 52 in Aussicht. Nun haben wir erfahren, dass diese Vertragsunterzeichnung erst Mitte Januar erfolgen und die Anzahlung (4 Mio €) bis Ende Januar eingehen wird (…). Daraus ergibt sich nun, dass wir Sie höflich bitten möchten, uns über diese Liquiditätsklemme hinwegzuhelfen und Ihnen 2/3 der zur Zahlung fälligen Rechnungen spätestens in der KW 6 zu zahlen.“ 158.000,– € überwies die Schuldnerin der Beklagten am selben Tag; dies ist die erste angefochtene streitgegenständliche Zahlung. Hinsichtlich der übrigen 2/3 der offenen Forderungen erklärte die Schuldnerin mithin zum dritten Mal, diese bei Eintritt der vereinbarten Fälligkeit nicht zahlen zu können, und zum zweiten Mal, die selbst gegebene Zahlungszusage nicht einhalten zu können. Sie räumte einen „Liquiditätsengpass“ und eine „Liquiditätsklemme“ ein, aus ihren Ausführungen in Verbindung mit der Inkaufnahme der beschriebenen Nachteile wird – und wurde auch für die Beklagte – deutlich, dass eine Zahlung sämtlicher offener Forderungen nur möglich wäre, wenn das aus den Geschäften erwartete Geld, insbesondere aus einem überhaupt erst abzuschließenden Geschäft, einginge.
d) Bei Eingang der ersten angefochtenen Zahlung in Höhe von 158.000 € wusste die Beklagte daher, dass die Schuldnerin die ursprünglich ab dem 21.11.2012 (= 2.–6. Position lt. Anl. K2) zu begleichenden Forderungen derzeit nicht bezahlen konnte, weil sich die dafür erforderlichen Zahlungseingänge immer wieder verzögerten, und dass diese aus diesem Grund bereits drei Fälligkeitstermine und zwei selbst gegebene Zahlungszusagen nicht bzw. nicht in vollem Umfang hatte einhalten können. Sie wusste, dass die Schuldnerin üblicherweise ihre eigenen Zulieferungen über die Beklagte vorfinanzierte (vgl. Rahmenvertrag Anl. K19) und dass durch die von der Schuldnerin verfügte Sperre für weitere Kredite die Generierung neuer Einnahmen für die Schuldnerin derzeit nicht möglich oder zumindest erschwert war, während gleichzeitig für die fortlaufende Stundung einer Summe von über 430.000 € nicht unerhebliche Zusatzkosten die wirtschaftliche Situation weiter verschlechterten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kreditsperre, zu der die Beklagte gemäß Ziff. 3.2, letzter Spiegelstrich, des Rahmenvertrags (Anl. K19) im Übrigen berechtigt war, eine Überreaktion der Beklagten darstellte (wie sie selbst jetzt meint). Maßgeblich ist, dass sie diese verhängt hatte und dass ihr bewusst war, dass hierdurch erheblicher Druck auf die Schuldnerin bestand. Aus dem Umstand, dass die Schuldnerin trotz der damit für sie verbundenen Nachteile weiterhin nicht sämtliche offenen Rechnungen beglich, konnte die Beklagte in Verbindung mit den eigenen Erklärungen der Schuldnerin sich der Einsicht nicht verschließen, dass die Schuldnerin derzeit zur Zahlung schlicht nicht in der Lage war. Aufgrund der Erklärungen der Schuldnerin wusste sie auch, dass mit der Überwindung der selbst eingeräumten Liquiditätsklemme erst Ende Januar zu rechnen war, mithin erst rund 2 Monate nach der ursprünglichen Fälligkeit, und dass das eine Projekt, aus dem die erhofften Zahlungen fließen sollten, noch nicht einmal verbindlich abgeschlossen worden war, die erhofften Geldeingänge folglich nicht sicher waren.
e) Sowohl die Nichteinhaltung von Zahlungszusagen als auch die Erklärung des Schuldners, die Zahlungsverbindlichkeiten bei Eintritt der Fälligkeit nicht erfüllen zu können, sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung deutliche Indizien für die eingetretene oder jedenfalls drohende Zahlungsunfähigkeit. Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind (BGH, Urteil vom 14.7.2016, IX ZR 188/15, Rn. 16, – juris). Zwar muss der Gegner aus diesem einen isolierten Beweisanzeichen allein nicht zwingend auf Zahlungseinstellung schließen, wenn in der Gesamtwürdigung auch andere, dieses Beweisanzeichen abmildernde Umstände zu berücksichtigen sind (BGH, a.a.O.). Zugunsten der Beklagten ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin zumindest die erste Bitte um Stundung mit E-Mail vom 30.12.2012 (Anl. K2) von sich aus ohne vorheriges Zahlungsverlangen der Beklagten gestellt hatte. Auch die Besonderheit ihres Gewerbes, in dem die Einkünfte vom Abschluss und von der Durchführung einzelner, weniger Großprojekte abhingen, so dass mit Liquiditätsschwankungen eher zu rechnen war, mildert das Beweisanzeichen ab, ebenso, dass die Schuldnerin immerhin zu Teilzahlungen, so z.B. am 13.12.2012, in der Lage war. Auf der anderen Seite ist aber zu sehen, dass die Beklagte nicht nur einmal, sondern bis einschließlich 2.1.2013 insgesamt dreimal gegenüber der Beklagten die weitere Prolongation ihrer Verbindlichkeiten mit der Begründung erzwungen hatte, sie befinde sich derzeit in einer Liquiditätsklemme. Dass die Beklagte dies so auch verstanden hatte, zeigt ihre E-Mail vom 30.10.2012 (Anl. B3). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits ab der ersten Stundung der ab 9.11.2012 fällig werdenden Verbindlichkeiten erheblichen Druck auf die Schuldnerin ausgeübt hatte, indem sie die Abgabe eines notariellen Schuldanerkenntnisses verlangte und trotz noch nicht ausgeschöpften Rahmenkredits keine weiteren Kredite an die Schuldnerin gewährte. Da davon auszugehen war, dass die Schuldnerin als gewerblich tätige Firma den Ansprüchen weiterer Gläubiger ausgesetzt sein würde, wusste die Beklagte auch, dass sie durch ihr eigenes Verhalten, den offenen Rahmenkredit nicht ausnutzen zu lassen, zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin beitrug. Dabei konnte die Beklagte am 2.1.2013 erkennen, dass es sich nicht (mehr) um eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung handelte, da die ältesten Forderungen mittlerweile seit 6 Wochen nicht bezahlt werden konnten und eine Nichtzahlung für mindestens 5 weitere Wochen (bis Ende KW6/2013) von der Schuldnerin angekündigt war. Eine bloße vorübergehende Zahlungsstockung, die von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen ist, liegt nach der Rechtsprechung in der Regel nicht mehr vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, innerhalb von 3 Wochen die fälligen Forderungen zu wenigstens 90 % zu begleichen (BGH, Urteil vom 24.5.2005 – IX ZR 123/04); vorliegend war es der Schuldnerin nach eigenem Bekunden vor Ende Januar nicht möglich, Forderungen der Beklagten zu begleichen, die ursprünglich seit Ende November fällig waren, womit die 3-Wochen-Frist weit überschritten wurde. Eine Ausnahme wäre nur dann anzunehmen, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigem ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, a.a.O.). Nach diesen Maßstäben konnte die Beklagte nicht nur von einer Zahlungsstockung ausgehen, weil ein Geldeingang, der auf einem bisher nicht einmal verbindlich abgeschlossenen Geschäft (Projekt „F…“) beruhen soll, gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sondern lediglich eine Hoffnung darstellt. Das Projekt „…“ war zwar schon verbindlich vereinbart und in der Ausführungsphase, allerdings war auch hier keinesfalls sicher, dass der russische Auftraggeber innerhalb den Gläubigern noch zumutbarer Zeit seiner Zahlungspflicht nachkommen würde. So war der ursprünglich für November 2012 erwartete Geldeingang weder wie prognostiziert (vgl. Anl. K2) bis zur 51. KW 2012 noch bis zum 2.1.2013 eingegangen (vgl. Anl. K16, E-Mail vom 2.1.2013). Nach Darstellung der Schuldnerin in ihrer E-Mail vom 2.1.2013 bestand zwar nun die Erwartung, dass das Geld nunmehr Ende Januar 2013 eingehen würde; dass dies aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschehen würde, war angesichts der bereits zweifachen Verzögerung nicht anzunehmen, was auch die Beklagte erkennen konnte. Zudem lag keinesfalls auf der Hand, dass selbst im Falle nur des Geldeingangs aus dem Projekt „…“ die Liquiditätslücke bereits vollständig oder jedenfalls fast vollständig behoben gewesen wäre, zumal die Schuldnerin selbst ihre schwierige wirtschaftliche Lage ausdrücklich auf das Ausbleiben von erwarteten Geldeingängen aus beiden Projekten stützte. Der Senat geht unter Würdigung aller Gesamtumstände daher davon aus, dass die Beklagte bereits am 2.1.2013 erkannt hatte, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig, zumindest aber drohend zahlungsunfähig war.
f) Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte im Rahmen einer Prognose davon ausgehen musste, dass die Schuldnerin am Ende der Stundungsfrist die geschuldete Gesamtforderung nicht würde zahlen können. Denn die Schuldnerin hatte die vorherigen Stundungen bereits mit dem Hinweis auf ihr momentanes Unvermögen, die offenen Forderungen zu begleichen, erzwungen. Bereits dies steht einer Zahlungseinstellung gleich (s.o.), so dass es auf eine prognostische Beurteilung der Situation nach dem 2.1.2013 nicht mehr ankommt.
g) Dass die Beklagte immer wieder einwilligte, die Stundung zu verlängern und den Eintritt der Fälligkeit damit hinauszuschieben, ändert ebenfalls nichts. In einer solchen Situation wird damit zwar auf dem Papier die Fälligkeit der Forderung beseitigt, tatsächlich weiß der Gläubiger aber, dass der Schuldner nicht in der Lage wäre, die Forderung zu begleichen, wenn der Gläubiger sich nicht auf weitere Stundungen einlassen würde. Insofern kann es letztlich keinen Unterschied machen, ob die Schuldnerin die Fälligkeit erst eintreten lässt und dann um Stundung bittet oder bereits einige Tage vor Ablauf der vorherigen Stundung die nächste erbittet. Die Erklärung, nicht zahlen zu können, ist ein Indiz für die Zahlungseinstellung, selbst wenn sie mit der Bitte um Stundung verbunden wird (BGH, Urteil vom 14.7.2016, IX ZR 188/15). Dies muss auch gelten, wenn der Schuldner erklärt, jetzt schon zu wissen, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit (ein paar Tage später) nicht wird zahlen können. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Schuldnerin nach der ersten gewährten Stundung von weiteren 30 Tagen (Anl. K2, K3) die danach am 9.12.2012 fällige erste Teilzahlung in Höhe von 24.339,15 € wiederum nicht fristgerecht erbrachte, sondern erst nach Erinnerung mit E-Mail vom 10.12.2012 (Anl. K16, S. 1) am 13.12.2012. Nicht eingehaltene Zahlungszusagen stehen einer auf eine Zahlungseinstellung hindeutenden Stundungsbitte gleich (BGH, Urteil vom 9.6.2016, IX ZR 174/15, Rn. 21).
3. Es kann daher dahinstehen, ob die Beklagte hinsichtlich der E-Mail vom 4.1.2013 (Anl. K18) ein Tatbestandsberichtigungsverfahren hätte durchführen müssen. Auch unter Zugrundelegung des Umstands, dass diese E-Mail nicht an die Beklagte gerichtet war, lagen die Voraussetzungen einer Anfechtung sogar schon vorher vor.
4. Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F. i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 BGB bis 04.04.2017 und war für die Zeit danach nach § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO i.V.m. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zuzusprechen (Art. 103 j Abs. 2 EGInsO). Die Beklagte befindet sich aufgrund Fristsetzung zum 19.10.2016 (Anl. K14) seit dem 20.10.2016 in Verzug.


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