Insolvenzrecht

Insolvenzverfahren, Ermessensentscheidung, Akteneinsicht, Insolvenzverwalter, Insolvenztabelle, Forderungsanmeldung, Verfahren, Auflage, Klageverfahren, Verfolgung, Anspruch, Voraussetzungen, Interesse, Bedeutung, rechtliches Interesse, kein Anspruch, Anspruch auf Akteneinsicht

Aktenzeichen  1500 IN 1567/17

Datum:
22.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29500
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die mit Schriftsatz vom 11.02.2021 durch Rechtsanwalt … beantragte Akteneinsicht für … wird gem. §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO versagt.

Gründe

Die Antragstellerin ist nicht Verfahrensbeteiligte im Sinne von § 299 Abs. 1 ZPO. Parteien im Sinne dieser Vorschrift sind Insolvenzgläubiger, deren Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet wurden und nicht bestritten sind (Münchener Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 4 Rn 61; Braun, Insolvenzordnung, 8. Auflage, § 4 Rn. 49). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Potentielle Gläubiger ohne Forderungsanmeldung zählen nach überwiegender Auffassung nicht zu den Verfahrensbeteiligten im Sinne von § 299 Abs. 1 ZPO.
Somit ist zu prüfen, ob der Antragstellerin ein Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 2 ZPO zusteht.
Am Insolvenzverfahren nicht beteiligten Dritten kann Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten nicht entgegenstehen. Dieses gegenüber dem Rechtsbegriff des „berechtigten Interesses“ enger gefasste „rechtliche Interesse“ setzt nach der Umschreibung, die dem Begriff durch die Rechtsprechung gegeben worden ist, voraus, dass durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akte Einsicht begehrt wird, persönliche Rechte der Antragstellerin berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis des Gesuchstellers zu einer Person oder Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand (im streitigen Parteienprozess dessen „Streitstoff“) für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein. Ein rechtliches Interesse ist danach zu bejahen, wenn die Akteneinsicht zur Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen durch die Antragstellerin benötigt wird und diese einen rechtlichen Bezug zu dem Verfahren aufweisen, in dem Akteneinsicht begehrt wird.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Insolvenzverwalter hat gegen die Antragstellerin einen Anspruch aus Insolvenzanfechtung geltend gemacht. Dieser Anspruch gründet unmittelbar in dem Insolvenzverfahren, weil dieses zwingende rechtliche Voraussetzung für den vom Insolvenzverwalter geltend gemachten Anspruch ist. Denn bei dem anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch handelt es sich um einen originären gesetzlichen Anspruch, der mit Insolvenzeröffnung entsteht und der dem Insolvenzverwalter vorbehalten ist, mit dessen Amt er verbunden ist. Die Geltendmachung dieses anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs begründet daher ein rechtliches Interesse der Antragstellerin im Sinne des § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.1.2021 – 14 VA 15/20, NZI 2021, 274; BayObLG Beschl. v. 3.12.2019 – 1 VA 70/19).
Jedoch folgt aus der Bejahung des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht noch kein Anspruch auf diese. Das Vorliegen des rechtlichen Interesses eröffnet vielmehr erst den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO.
Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung ist von der Gerichtsverwaltung unter Berücksichtigung der informationellen Selbstbestimmung der Beteiligten zu prüfen, ob durch die Kenntnisnahme Dritter schutzwürdige Interessen der Verfahrensbeteiligten verletzt werden können. In diesen Fällen ist bei der Ermessensentscheidung des Gerichtsvorstands das Geheimhaltungsbedürfnis der Verfahrensbeteiligten mit dem Informationsbedürfnis des Dritten unter Beachtung des Anspruchs auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes abzuwägen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 299 Rn. 6b).
Hierbei sind für die Gewährung einer Akteneinsicht sehr wohl strenge Maßstäbe anzulegen. Das Interesse der Verfahrensbeteiligten daran, dass die in den Akten enthaltenen Angaben über sie nicht an außerhalb des Verfahrens Stehende weitergegeben werden, wiegt keineswegs gering, zumal dieses Interesse als Ausfluss des „informellen Selbstbestimmungsrechts“ seinen Ursprung in der Verfassung, nämlich Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28.08.1996 – 15 VA 5/96).
§ 299 Abs. 2 ZPO statuiert daher nicht von vomeherein einen Vorrang des Einsichtsrechts vor dem Geheimhaltungsschutz. Dies gilt in besonderem Maße für die Einsicht in Insolvenzakten, da das Insolvenzverfahren ein nichtöffentliches Verfahren ist.
Wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, hat der Insolvenzverwalter im Klageverfahren vor dem Landgericht München I die zugrunde liegenden Tatsachen detailliert vorgetragen und belegt. Die Antragstellerin gibt nicht an, den Sachverhalt nicht zu kennen, sondern will durch die Akteneinsicht lediglich überprüfen, ob die Angaben des Verwalters zutreffen.
Unter diesen Voraussetzungen überwiegt das Interesse der am nichtöffentlichen Insolvenzverfahren Beteiligten, dass Angaben über sie nicht an Außenstehende weitergeben werden, das Interesse der Antragstellerin an einer Akteneinsicht. Die Insolvenzakte beinhaltet nicht nur Informationen über die Insolvenzschuldnerin selbst, sondern auch über Gläubiger der Insolvenzschuldnerin sowie weitere Sachverhalte, an denen Dritte und auch natürliche Personen beteiligt sind.
Die beantragte Akteneinsicht war daher zu versagen.


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