Insolvenzrecht

V ZB 13/21

Aktenzeichen  V ZB 13/21

Datum:
15.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:150721BVZB13.21.0
Normen:
§ 765a ZPO
§ 30a Abs 1 ZVG
§ 30b Abs 1 ZVG
§ 83 Nr 6 ZVG
Spruchkörper:
5. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Kiel, 17. Februar 2021, Az: 13 T 101/17vorgehend AG Kiel, 24. August 2017, Az: 22 K 50/15

Tenor

Der Antrag der Schuldnerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten zu 2 und 3 betreiben seit 2015 die Zwangsversteigerung des eingangs genannten Grundstücks der Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Schuldnerin), dessen Wert auf 200.000 € festgesetzt worden ist. Dem Beteiligten zu 5 wurde auf dessen Meistgebot von 110.000 € in dem Versteigerungstermin vom 13. Juni 2017 der Zuschlag erteilt. Die dagegen von der Schuldnerin eingelegte und mit bestehender Suizidgefahr begründete sofortige Beschwerde ist von dem Landgericht zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung hat der Senat mit Beschluss vom 17. September 2019 (V ZB 16/19, Rpfleger 2020, 159) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Die Schuldnerin hat am 21. März 2020 die Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt, um das Grundstück mit Rückkaufoption zu einem das Meistgebot übersteigenden Betrag freihändig an eine Gesellschaft zu verkaufen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht unter Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrags die sofortige Beschwerde erneut zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Für die eingelegte Rechtsbeschwerde beantragt die Schuldnerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II.
2
Das Beschwerdegericht meint, nach Abwägung des Grundrechts der Schuldnerin aus Art. 2 Abs. 2 GG und des Vollstreckungsinteresses der Gläubiger seien die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nicht geboten. Die erneute sachverständige Begutachtung der Schuldnerin habe ergeben, dass die bereits früher als eher unwahrscheinlich beschriebene Suizidgefahr weiter rückläufig sei. Eine wider Erwarten eintretende Konkretisierung dieser Gefahr wäre nicht auf die Zuschlagsentscheidung, sondern auf die Räumung zurückzuführen. Die Versagung des Zuschlags sei auch nicht aufgrund des Vortrags der Schuldnerin vom 21. März 2020 geboten, sie könne das Grundstück zu einem höheren Betrag als das Meistgebot freihändig verkaufen. Die nach Zuschlagserteilung aufgezeigte Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs könne nur im Rahmen der wechselseitigen Abwägung von Vollstreckungsinteresse und dem Grundrecht auf Leben des Schuldners im Rahmen von § 765a ZPO berücksichtigt werden. Eine generelle Aufhebung von Zuschlagsbeschlüssen in Fällen, in denen nachträglich ein Angebot zum freien Erwerb vorgelegt werde, wäre mit den Grundsätzen des Zwangsversteigerungsverfahrens unvereinbar.
III.
3
Die für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragte Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Schuldnerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dass das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, begründet die Erfolgsaussicht nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2014 – V ZA 16/14, juris Rn. 2; Beschluss vom 15. Januar 2015 – V ZB 191/14, juris Rn. 3; Beschluss vom 25. Februar 2016 – V ZA 35/15, juris Rn. 3).
4
1. Prozesskostenhilfe ist nicht schon deshalb zu bewilligen, weil im Prozesskostenhilfeverfahren zweifelhafte Rechtsfragen nicht vorweg geklärt werden dürfen (BVerfGE 81, 347; BVerfG, NJW-RR 2002, 793; Senat, Beschluss vom 21. November 2002 – V ZB 40/02, NJW 2003, 1126; Beschluss vom 16. Januar 2014 – V ZB 12/13, NJW-RR 2014, 267 Rn. 6 mwN). Es stellen sich weder Fragen, die einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen, noch ist das Recht fortzubilden. Die von dem Beschwerdegericht aufgeworfene Frage, ob die im Beschwerdeverfahren aufgezeigte Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs des Grundstücks durch den Schuldner zu einer Aufhebung der Zuschlagsentscheidung gemäß § 83 Nr. 6 ZVG i.V.m. § 765a ZPO führen kann, lässt sich auf der Grundlage des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei beantworten. Die nach der Zuschlagserteilung aufgezeigte Möglichkeit der freihändigen Veräußerung des Grundstücks durch den Schuldner ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, wenn das Verfahren andernfalls wegen Suizidgefahr des Schuldners eingestellt werden müsste; in einem solchen Fall kann es (auch) das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers gebieten, die Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs zu berücksichtigen (Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – V ZB 138/15, WM 2017, 44 Rn. 18).
5
a) Die Zuschlagsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf neue Tatsachen gestützt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 Rn. 17; Beschluss vom 6. Juni 2013 – V ZB 185/12, juris Rn. 7; Beschluss vom 5. März 2020 – V ZB 20/19, WM 2020, 1432 Rn. 17; vgl. auch BVerfGK 17, 125, 128 ff.). Das gilt auch für solche neuen Tatsachen, welche die Einstellung des Versteigerungsverfahrens nach § 765a ZPO rechtfertigen könnten (vgl. Senat, Urteil vom 13. Juli 1965 – V ZR 269/62, BGHZ 44, 138, 141 f.; Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, aaO; Beschluss vom 9. März 2006 – V ZB 178/05, FamRZ 2006, 697; Beschluss vom 22. März 2007 – V ZB 136/06, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2003 – IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648, 1649). Will der Schuldner die Zwangsversteigerung durch einen freihändigen Verkauf abwenden, muss er vor Erteilung des Zuschlags die Einstellung des Verfahrens erreichen. Er kann die einstweilige Einstellung nach § 30a Abs. 1 ZVG beantragen. Nach dieser Vorschrift ist das Verfahren auf seinen Antrag einstweilen auf die Dauer von höchstens sechs Monaten einzustellen, wenn Aussicht besteht, dass durch die Einstellung die Versteigerung vermieden wird, und wenn die Einstellung nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners sowie nach der Art der Schuld der Billigkeit entspricht. Der Antrag muss innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des § 30b Abs. 1 ZVG gestellt werden. Nach Ablauf dieser Frist kann die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens zur Ermöglichung einer besseren Verwertung des Grundstücks nur unter der weiteren Voraussetzung einer Härte im Sinne des § 765a ZPO und einem darauf vor der Zuschlagserteilung gestützten Antrag gewährt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2007 – V ZB 136/06, juris Rn. 8, 11).
6
b) Eine Ausnahme besteht nur, soweit durch die freihändige Veräußerung eine Einstellung des Verfahrens wegen einer bestehenden Suizidgefahr des Schuldners vermieden werden kann. Führt der durch den Zuschlag eintretende Eigentumsverlust zu einer konkreten Suizidgefahr bei dem Schuldner, so ist auch der erst nach der Erteilung des Zuschlags gestellte Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO beachtlich (vgl. BVerfG, NJW 2007, 2910 Rn. 11; Senat, Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505; Beschluss vom 1. Oktober 2009 – V ZB 37/09, WM 2010, 522; Beschluss vom 19. September 2019 – V ZB 16/19, Rpfleger 2020, 159 Rn. 4). Bei der dabei gebotenen Abwägung des ganz besonders gewichtigen Interesses der von der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch zu berücksichtigen, ob eine von dem suizidgefährdeten Schuldner aufgezeigte konkrete Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs des Grundstücks eine Lösung verspricht, die einerseits die Suizidgefahr bannt, andererseits aber eine Verwertung des Grundstücks ermöglicht und damit auch dem Interesse des Gläubiger entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – V ZB 138/15, WM 2017, 44 Rn. 18). Besteht eine konkrete Suizidgefahr des Schuldners nicht, ist die nach der Zuschlagserteilung aufgezeigte Möglichkeit des freihändigen Verkaufs unbeachtlich.
7
2. Liegt der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung bzw. der Fortbildung des Rechts nicht vor, kommt es für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 21. November 2002 – V ZB 40/02, NJW 2003, 1126; Beschluss vom 18. Oktober 2018 – V ZA 22/18, DNotZ 2020, 20 Rn. 8 mwN; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2003 – IV ZR 366/02, juris Rn. 7). Die Rechtsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die von der Schuldnerin nach Erteilung des Zuschlags aufgezeigte Möglichkeit des freihändigen Verkaufs ist als neue Tatsache unbeachtlich. Auf sie kann die Zuschlagsbeschwerde nicht gestützt werden. Das Beschwerdegericht geht zutreffend von der Rechtsprechung des Senats zu der Versagung des Zuschlags bei Suizidgefährdung des Schuldners aus und nimmt auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei an, dass bei der Schuldnerin keine konkrete Suizidgefahr (mehr) besteht.
8
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat der gerichtliche Sachverständige bereits in seinem ersten Gutachten vom 17. November 2018 einen Suizid der Schuldnerin bei Bestätigung des Zuschlagsbeschlusses als eher unwahrscheinlich angesehen. In dem weiteren Gutachten vom 11. Juni 2020 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass die früher beschriebene Suizidalität weiter rückläufig ist und die Zuschlagserteilung für die Schuldnerin vor allem eine narzistisch-getönte Niederlage bedeutet, aus der sie aber mit der jetzt gewonnenen Stabilität herausfinden kann. Das rechtfertigt die Annahme, dass von der Gefahr einer Selbsttötung durch die Zuschlagserteilung ernsthaft nicht (mehr) ausgegangen werden kann. Eine Konkretisierung der Suizidalität ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts – wenn überhaupt – allenfalls in der Räumungsvollstreckung zu erwarten; das steht einer Zurückweisung der Zuschlagsbeschwerde nicht entgegen. Schutzmaßnahmen sind dann ggf. erst im Zusammenhang mit der Durchführung der Räumung vorzusehen (vgl. BVerfG, NJW 2007, 2910 Rn. 13 f.; Senat, Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 Rn. 23; Beschluss vom 17. Februar 2011 – V ZB 205/10, NJW-RR 2011, 1000 Rn. 10; vgl. auch Schmidt-Räntsch, ZfIR 2011, 849, 852). Dass das Beschwerdegericht gleichwohl für die Zustellung des Zuschlagsbeschlusses bestimmte flankierende Maßnahmen angeordnet hat (persönliche Übergabe der Beschwerdeentscheidung statt Zustellung per Post; Unterrichtung des sozialpsychiatrischen Dienstes und des Therapeuten der Schuldnerin), bedeutet nicht, dass es diese Maßnahmen als erforderlich angesehen hat, um eine bestehende konkrete Suizidgefahr abzuwenden. Sie erfolgen rein fürsorglich für den nie gänzlich auszuschließenden Fall einer Eskalation.
Stresemann     
      
RinBGH Prof. Dr. Schmidt-Räntschist infolge Urlaubs an der Unterschriftgehindert.Karlsruhe, den 26. Juli 2021
      
     Brückner
      
      
Die VorsitzendeStresemann
      
      
        
Göbel     
        
     Haberkamp
        


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