IT- und Medienrecht

Abgrenzung von produktbezogener Werbung zu allgemeiner Imagewerbung

Aktenzeichen  3 U 2204/20

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 44910
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HWG § 1, § 7

 

Leitsatz

Den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes unterfällt nur die produktbezogene Werbung (Produkt- und Absatzwerbung) und nicht die allgemeine Firmenwerbung (Unternehmens- und Imagewerbung), durch die ohne Bezugnahme auf bestimmte Arzneimittel für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein geworben wird. Die Beantwortung der für die Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 HK O 2585/19 2020-06-23 Urt LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 23. Juni 2020, Az. 1 HK O 2585/19, abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache erfolgt.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend sieht das Landgericht das sich aus § 7 HWG i.V.m. § 3 MPG ergebende Verbot, für bestimmte Medizinprodukte zu werben, als Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3 a UWG an, die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann. Ebenso liegen die übrigen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs nach § 8 UWG vor, insbesondere ist der Kläger als Verband von Unternehmern und mit entsprechender Zielsetzung aktivlegitimiert. Hiergegen erinnert jeweils auch die Beklagte nichts.
2. Die verfahrensgegenständliche Werbung ist jedoch nicht als Produktwerbung, sondern als allgemeine Firmenwerbung zu qualifizieren, sodass sie nicht vom Anwendungsbereich des HWG und damit vom Verbot des § 7 HWG erfasst wird.
aa. Nicht jede Brille und damit nicht jeder Artikel aus dem Sortiment der Beklagten ist als Medizinprodukt einzuordnen. Zwar stellt eine der Kompensierung einer Sehschwäche dienende Brille ein Medizinprodukt i.S.v. § 3 Nr. 1 lit b) MPG dar (statt aller BGH, Urt. v. 6. November 2014, I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 „kostenlose Zweitbrille“, Rn. 12; OLG Nürnberg, Urt. v. 11. Dezember 2018, 3 U 881/18, GRUR-RR 2019, 188 Rn. 21 ff.), nicht dagegen eine Brille mit Gläsern ohne optische Brechkraft. Insbesondere sind somit reine Sonnenbrillen und Brillen, die allein aus ästhetischen Gründen getragen werden, keine Medizinprodukte und Heilmittel.
b) Den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes unterfällt auch nicht jede Werbung für Arzneimittel i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG. Der Geltungsbereich dieses Gesetzes erfasst nur die produktbezogene Werbung (Produkt- und Absatzwerbung) und nicht die allgemeine Firmenwerbung (Unternehmens- und Imagewerbung), durch die ohne Bezugnahme auf bestimmte Arzneimittel für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein geworben wird. Die Beantwortung der für die Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht (BGH, Urt. v. 24. November 2016 – I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 30 – Freunde werben Freunde; BGH, Beschluss vom 20. Februar 2020, I ZR 214/18, GRUR 2020, 659, Rn. 16 m.w.N.; BGH, Urteil vom 26. März 2009 – I ZR 99/07, DeguSmiles & more, Rn. 15). § 7 HWG ist daher nur dann anwendbar, wenn gewährte Werbegaben sich aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs als Werbung für konkrete Heilmittel darstellen (BGH, Urteil vom 26. März 2009 – I ZR 99/07, DeguSmiles & more, Rn. 15).
c) Dabei ist anerkannt, dass auch eine Werbung für das gesamte Warensortiment produktbezogen sein kann, was z.B. für Apotheken oder Lieferanten von Dentalmaterialien attestiert wurde (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2018 – I ZR 237/16, GRUR 2019, 203 Rn. 19 – Versandapotheke; BGH, Urt. v. 6. Juni 2019 – I ZR 206/17, GRUR 2019, 1071 Rn. 22 – Brötchen-Gutschein). Dies wird damit begründet, dass es keinen überzeugenden Grund gebe, den vom Gesetzgeber im Bereich der Heilmittelwerbung als grundsätzlich unerwünscht angesehenen Anreiz einer Wertreklame gerade dann hinzunehmen, wenn diese Form der Reklame für eine besonders große Zahl von Heilmitteln eingesetzt wird (BGH, Urt. v. 24. November 2016 – I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 31 – Freunde werben Freunde; BGH, Urteil vom 26. März 2009 – I ZR 99/07, DeguSmiles & more, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 20. Februar 2020, I ZR 214/18, GRUR 2020, 659, Rn. 16 m.w.N.).
d) Dies bedeutet aber nicht, dass Werbung von Unternehmen, die ausschließlich oder überwiegend Medizinprodukte vertreiben, stets Produktwerbung sei. Nach dem Verständnis des Senats muss vielmehr dann, wenn Werbung eines Unternehmens, das ausschließlich oder (wie hier die Beklagte) zu einem überwiegenden Teil Medizinprodukte anbietet, zu beurteilen ist, der Bezug zu sämtlichen Produkten, die unter das HWG fallen, positiv festgestellt werden; dieser kann sich insbesondere aufgrund der Präsentation oder der Wirkungsweise der Werbung ergeben. Nur dann stellt sich, wie gefordert, die gewährte Werbegabe aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs als Werbung für konkrete Heilmittel dar. Allein die Tatsache, dass eine Werbung eines Unternehmens sich auf sämtliche Waren und damit auch auf alle feilgehaltenen Heilmittel/Medizinprodukte beziehen kann, genügt insoweit nicht. Andernfalls würde einem Unternehmen, welches ein entsprechendes Sortiment aufweist, weitgehend unmöglich gemacht, eine ausschließlich unternehmensbezogene Werbung zu betreiben. Ebenso, wie man eine als unerwünscht angesehene Wertreklame (nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Normzwecks) nicht bereits deshalb zulassen darf, weil sie sich auf eine Vielzahl von Heilmitteln bezieht, kann umgekehrt allein der Umstand, dass ein Unternehmen (ausschließlich oder überwiegend) solche Waren anbietet, den Weg zur Imagewerbung nicht versperren. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil es sonst einem solchen Unternehmen letztlich nur noch sehr eingeschränkt möglich wäre, überhaupt Werbung zu betreiben (etwa durch bloße Hinweisanzeigen, nicht aber mittels besonderer Aktionen).
e) Dementsprechend wurde auch in der Vergangenheit in den entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen der Produktbezug stets positiv begründet.
aa) In der Vorlageentscheidung vom 20. Februar 2020 (I ZR 214/18, GRUR 2020, 659) wurde der Produktbezug nachvollziehbar darauf gestützt, dass die Teilnahme an dem Gewinnspiel mit der Einsendung eines Rezepts verknüpft war und damit eine innere Beziehung zum Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel hergestellt war (Rn. 22).
bb) Das OLG Stuttgart, auf dessen Entscheidung vom 6. August 2020 (2 W 23/20, MPR 2020, 241) sich der Kläger maßgeblich bezieht, leitete den Produktbezug daraus her, dass die Vergünstigung für die „Corona-Helden“ auf bestimmte, namentlich aufgezählte Brillenkollektionen und Gläser einer bestimmten Marke beschränkt war. Die Werbung war daher aus objektiver Sicht geeignet und bestimmt, den Absatz dieser Gestelle bzw. Gläser zu steigern, wenn auch nicht bei jedermann, sondern im Kreis der Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte usw. Soweit sich in der Entscheidung die Formulierung findet, die Werbebotschaft transportiere auch die Leistungen der dortigen Antragsgegnerin, steht diese nicht isoliert, sondern wird im unmittelbaren Anschluss auch ausgeführt, dass diese mit bestimmten Marken für Brillengestelle und Gläser auch konkret bezeichnet wird. Dem OLG Stuttgart dürfte daher allein der Transport der Botschaft, der Werbende biete Brillen an, nicht ausreichend gewesen sein; wäre dies der Fall, könnte der Senat dem aus den genannten Gründen nicht folgen.
cc) In der Entscheidung des BGH vom 24. November 2016 (I ZR 163/15, GRUR 2017, 635) mag demgegenüber die zugesagte Prämie für das Werben von Neukunden nicht davon abhängig gewesen sein, dass der Kunde ein Rezept einlöst, sondern konnte der Kunde auch durch eine Bestellung nichtrezeptpflichtiger Waren im Wert von mindestens 25,00 € in den Genuss der Prämie kommen. Anders als dort ist im vorliegenden Fall aber überhaupt keine Bestellung erforderlich, sodass sich – wie noch auszuführen sein wird – in dieser Phase ein günstiger Effekt in Gestalt einer Steigerung des Produktabsatzes nicht ausmachen lässt.
dd) Eine Situation wie im vom Kammergericht entschiedenen Fall, in dem eine sog. Schönheits-Operation als Preis ausgelobt wurde (Beschluss v. 22. Mai 2017, WRP 2017, 1016), liegt ebenfalls nicht vor. Die Beklagte hat nicht ausschließlich Produkte bzw. Dienstleistungen im Sortiment, die in den Anwendungsbereich des HWG fallen. Dies kann bei der Gesamtbewertung, ob Produkt- oder Unternehmenswerbung gegeben ist und eine Werbung für alle Produkte des Sortiments erfolgt, nicht außer Acht bleiben. Hinzu kommt, dass bei Dienstleistungen, wie sie dort inmitten standen, eine Differenzierung wie beim Vertrieb von Produkten weniger deutlich ist. Insofern genügt für den Senat allein die Tatsache, dass der Preis in unternehmenstypischen Produkten besteht, für sich genommen nicht.
f) Eine direkte oder auch nur indirekte Anknüpfung an das Produkt- und Leistungssortiment der Beklagten lässt sich vorliegend nicht finden. Es überwiegt der allgemeine Hinweiseffekt auf die Existenz der Beklagten und deren Unternehmen, welches als modern und attraktiv dargestellt werden soll.
aa) Wie eingangs ausgeführt, fällt bereits nur ein Teil der von der Beklagten vertriebenen Produkte unter das MPG und HWG. Für welche Artikel die Gewinnerinnen die Möglichkeit, im Wert von bis zu 500,00 € „einzukaufen“, verwenden, ist nicht näher vorgegeben. Hieran ändert auch die Erwähnung, dass dies „Brillen und Gläser“ sein können, nichts, weil eine weitere Eingrenzung auf bestimmte Marken, Kollektionen etc. ebenso wenig vorgenommen wird wie auf bestimmte Produktarten (z.B. Gleitsichtgläser, Kunststoffgläser).
bb) Der Senat verkennt dabei nicht, dass die überwiegende Zahl der angesprochenen Personen dem Kreis der Brillen- oder Kontaktlinsenträgerinnen angehören wird, und diese daher geneigt sein werden, die ihnen zugefallene Einkaufsmöglichkeit für Brillen mit Korrekturgläsern einzusetzen. Dies kann jedoch aus den erörterten Gründen für sich genommen nicht genügen, weil ein derartiger Konnex nahezu stets hergestellt werden kann und deshalb jegliche Unternehmenswerbung erheblich eingeschränkt würde, wenn sie von einem Unternehmen mit entsprechendem Produktsortiment betrieben wird. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die denkbare Verbindung allenfalls bei den beiden Personen besteht, die gewonnen haben, nicht aber allen anderen Teilnehmerinnen.
cc) Demgegenüber ist vorliegend nicht erforderlich, dass die teilnehmenden Personen überhaupt ein Produkt von der Beklagten erwerben, und damit erst recht nicht, dass sie ein Heilmittel erwerben, um an dem Gewinnspiel teilnehmen zu können. Teilnahmevoraussetzung ist lediglich, die Werbeanzeige zu „liken“ und so deren Bekanntheitsgrad und damit mittelbar den Bekanntheitsgrad der Beklagten zu steigern. In der eigentlich werbewirksamen Phase, nämlich der Zeit, in der Personen auf das Gewinnspiel der Beklagten aufmerksam werden und sich daran beteiligen, wird der Absatz von Waren nicht unmittelbar gesteigert. Ein solcher Effekt ergibt sich lediglich daraus, dass Personen auf die Beklagte (erstmals oder erneut) aufmerksam werden und daher bei entsprechendem Bedarf eine ihrer Filialen aufsuchen. Dabei wird (wenn auch nicht ausdrücklich, aber durch Ansprechen der Zielgruppe) ein junges, modebewusstes Bild von der Beklagten erzeugt, so dass sie gerade für Personen, die sich selbst ebenfalls diese Eigenschaften zuschreiben, geeignet erscheint. Dies ist aber stets Zweck und Wirkungsweise von Werbung, insbesondere der Unternehmens-/Imagewerbung.
dd) Demgegenüber stellt die Werbung nicht besondere Leistungen der Beklagten in den Vordergrund und hebt auch nicht heraus, dass ihre Produkte besonders günstig oder qualitativ hochwertig seien, ebenso wenig, dass die Preise niedrig/günstig seien. Diese Botschaften werden nirgends direkt oder indirekt vermittelt. Vielmehr wird lediglich das Unternehmen als für (junge) Frauen attraktiv und großzügig dargestellt. Damit wird allenfalls die – wiederum nicht produktbezogene – Botschaft transportiert, das für Personen der angesprochenen Zielgruppe die Beklagte das passende Unternehmen zur Befriedigung eines entsprechenden Bedürfnisses sei und sie sich dort aufgehoben und wohl fühlen dürften.
g) All dies führt nicht nur dazu, dass die Werbung – wie es der Kläger bei der Fassung seines Antrags bereits berücksichtigt hat – lediglich unzulässig ist, soweit von dem Gewinn auch Medizinprodukte erworben werden können, sondern, dass die Werbung insgesamt als produktunspezifisch anzusehen und daher als Unternehmens-/Imagewerbung zu qualifizieren ist.
3. Darüber hinaus hätte der Senat Zweifel, ob bei der vorliegenden Werbung die erforderliche abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung gegeben ist.
a) Grund und Rechtfertigung der in § 7 HWG enthaltenen Werbeverbote ist die abstrakte Gefahr, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2020, I ZR 214/18, GRUR 2020, 659, Rn. 13; BGH, Urt. v. 6. Juni 2019 – I ZR 206/17, GRUR 2019, 1071 Rn. 12, 55 – Brötchen-Gutschein; BGH, Urt. v. 29. November 2018 – I ZR 237/16, GRUR 2019, 203 Rn. 25 – Versandapotheke; BGH, Urt. v. 24. November 2016 – I ZR 163/15, GRUR 2017, 635 Rn. 27, 31 – Freunde werben Freunde; BGH, Urt. v. 6. November 2014, I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 „kostenlose Zweitbrille“, Rn. 24; OLG Nürnberg, Urt. v. 11. Dezember 2018, 3 U 881/18, GRUR-RR 2019, 188 Rn. 26 f.). Zur Abwehr der spezifischen Gefahren, die durch unnötige oder unzureichend angepasste Heilmittel drohen, soll sichergestellt werden, dass sich Verbraucher nur aus sachlichen Gründen zum Erwerb von Heilmitteln entscheiden, insbesondere, weil sie sie wirklich so benötigen. Der Verbraucher soll daher weder durch Kostenvorteile zum Erwerb von Heilmitteln überhaupt oder bestimmten Heilmitteln verleitet werden noch davon abgehalten werden, eine an sich gebotene Beratung hinsichtlich Eignung, Risiken und Nebenwirkungen in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2020, I ZR 214/18, GRUR 2020, 659, Rn. 45).
b) Für diejenigen Teilnehmer(innen) an dem von der Beklagten durchgeführten Gewinnspiel, die nicht gewinnen (d.h. die ganz überwiegende Zahl), kann eine solche Gefahr ausgeschlossen werden. Sie erlangen weder eine finanzielle Vergünstigung, wenn sie sich später bei Bedarf nach einer Brille an die Beklagte wenden, noch mussten sie als Voraussetzung für die Teilnahme Produkte bei der Beklagten erwerben und konnten so verleitet werden, in der Hoffnung auf den Gewinn von anderen Bezugsquellen Abstand zu nehmen oder nur deshalb ein Heilmittel zu erwerben, weil sie die Gewinnchance wahrnehmen wollten.
c) Denkbar wäre lediglich, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, das Risiko einer unsachlichen Beeinflussung für die Gewinnerin und ihre Freundin. Sie könnten deshalb, weil ihnen ein Rabatt im Umfang von 500,00 € zugute kommt, veranlasst werden, eine Korrektionsbrille bei der Beklagten zu erwerben, die sie überhaupt nicht oder nicht in dieser Stärke, Gläserart etc. benötigen. Insoweit besteht kein relevanter Unterschied zum denkbaren Fall, dass eine Brille völlig kostenlos abgegeben wird.
Der Senat sähe dieses Risiko jedoch als vernachlässigbar an. Es ist allgemein bekannt, dass durch das Tragen einer Brille einer Verschlechterung der Sehschärfe oder Sehleistung nicht vorgebeugt werden kann und das Tragen einer nicht erforderlichen oder nicht passenden Brille Gesundheitsgefahren hervorrufen kann. Anders als z.B. bei Nahrungsergänzungsmitteln oder anderen Medizinprodukten, denen vielfach ein vorbeugende Effekt zugeschrieben wird, wird sich daher niemand veranlasst sehen, eine Brille zu tragen, obwohl die Sehleistungen ausreichend sind. Auch wird derjenige, der meint oder weiß, eine Brille zu benötigen, eine entsprechende Anpassung und Beratung aufgrund eines aktuellen Sehtests vornehmen lassen. Gerade Personen, die bereits eine Brille oder Kontaktlinsen tragen, sind diese Umstände und Notwendigkeiten geläufig. Einen solchen Sehtest bietet die Beklagte auch unstreitig für ihre Kunden einschließlich der Gewinnerinnen an. Eine realistische Wahrscheinlichkeit, dass die Gewinnerin und ihre Begleiterin eine nicht erforderliche oder ungeeignete Brille mit Korrektionsgläsern erwerben, nur weil sie sie nichts kostet, ist daher nicht zu sehen.
Da die Gewinnerin und ihre Begleitung die Gutschrift i.H.v. 500,00 € auf jegliche Fassungen und Gläser aus dem Sortiment der Beklagten in Anrechnung bringen können, besteht auch nicht die in anderen Konstellationen gegebene Gefahr (vgl. BGH, Urt. v. 6. 11. 2014, I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 „kostenlose Zweitbrille“, Rn. 24), dass sie sich trotz sachlicher Beratung für ein bestimmtes Produkt entscheiden, weil dieses für sie preiswerter ist. Eine Gefahr ist damit lediglich in solchen Konstellationen denkbar, in denen das für den Verbraucher passende Brillenglas von der Beklagten überhaupt nicht angeboten wird und der sachlich zutreffende Rat deshalb lauten muss, das Angebot eines anderen Optikers in Anspruch zu nehmen. Hier ist aber wiederum nicht zu befürchten, dass die Beklagte einen solchen Rat nicht äußert, weil sie dann, wenn sich die Kundin an ein anderes Unternehmen wendet, keinerlei Ausgaben hat und auch der Werbeeffekt hinsichtlich der großen Zahl der übrigen Teilnehmer (die hiervon nichts mitbekommen) nicht geschmälert wird.
Die in der Berufungserwiderung aufgezeigte denkbare Möglichkeit, dass eine Brillenträgerin an dem Gewinnspiel teilnimmt, gewinnt und sich eine neue Korrektionsbrille kauft, obwohl sie eine solche aktuell nicht benötigt (weil die vorhandene noch passt), beeinträchtigt Belange des Gesundheitsschutzes nicht. Die Kundin erhält auch bei diesem Szenario ein Medizinprodukt, welches ihren Bedürfnissen entspricht. Andernfalls müsste auch allgemein verwehrt werden, Zweit- und Drittbrillen abzugeben oder hierfür zu werben.
Auch bei der gebotenen Betrachtung, ob eine solche Gefahr abstrakt zu befürchten ist, ließe sich daher ein Verbot nicht legitimieren.
4. Die angegriffene Entscheidung war daher abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Entscheidung beruht auf einer Subsumtion der Umstände des Einzelfalls unter die gefestigten Grundsätze, insbesondere der Beurteilung, dass eine rein unternehmensbezogene Werbung vorliegt. Den Streitwert setzt der Senat in Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Klägers und der landgerichtlichen Entscheidung auf 20.000,00 € fest.


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