IT- und Medienrecht

Äußerungen einer Parlamentspräsidentin gegenüber einer Parlamentsfraktion auf einer Podiumsdiskussion

Aktenzeichen  Vf. 90-IVa-20

Datum:
1.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33917
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
VfGHG Art. 2, Art. 26 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 21
BV Art. 2, Art. 4, Art. 16a Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Erfolgloser Antrag der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen einer Äußerung der Präsidentin des Bayerischen Landtags.
1. Unterlassung und Widerruf einer Äußerung einer Parlamentspräsidentin über eine politische Partei kann im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht begehrt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung folgt die Verpflichtung der Staatsorgane, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen auch im Hinblick auf die Parlamentsarbeit Neutralität zu wahren (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion zu wichtigen, gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Fragen und die Publikation der Veranstaltungsergebnisse auf der Homepage des Parlaments ist dem Amt der Parlamentspräsidentin zuzurechnen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Tatsachengestützte, auf parlamentarische Rügen gestützte kritische Bewertungen des Verhaltens einer Parlamentsfraktion verletzen das Neutralitätsgebot nicht. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Gründe

I.
Die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag wendet sich als Antragstellerin gegen eine Äußerung der Präsidentin des Bayerischen Landtags (Antragsgegnerin). Sie begehrt im Rahmen eines – derzeit nicht in der Hauptsache anhängigen – Organstreitverfahrens mit Anträgen „im einstweiligen Rechtsschutz“ die Feststellung, dass die beanstandete Äußerung der Präsidentin gegen deren „Verpflichtung zur Neutralität, Sachlichkeit und organschaftlicher Treue“ gegenüber der Antragstellerin verstoßen hat; ferner soll die Antragsgegnerin verpflichtet werden, die Äußerung künftig zu unterlassen und zu widerrufen.
1. Am 2. Oktober 2020 fand im Rahmen der bayernweiten Veranstaltungsreihe „Lange Nacht der Demokratie“, für die die Antragsgegnerin die Schirmherrschaft übernommen hatte, eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Herausforderungen der Demokratie“ statt, an der die Antragsgegnerin und der Münchner Oberbürgermeister teilnahmen. Zu dieser Veranstaltung veröffentlichte der Bayerische Landtag auf seiner Internetseite einen Bericht, der dort nach wie vor abrufbar ist. Darin wird folgende, von der Antragstellerin beanstandete Äußerung der Antragsgegnerin wiedergegeben:
Das Muster bei uns im Landtag ist durchgängig Provokation und Abgrenzung gegenüber den „Altparteien“, wie die AfD die anderen Fraktionen nennt […]. Einmal musste zum Beispiel unser Vizepräsident Alexander Hold einschreiten, als ein AfD-Mitglied aus Protest gegen die Maskenpflicht mit einer Gasmaske auftauchte. Es ist eine ständige Zwickmühle für die Parteien und auch für die Presse: Wie viel Aufmerksamkeit gibt man diesen Provokationen von rechts? Dabei verschwimmen manchmal die eigenen, pointierten Positionen der übrigen Parteien.
2. Die Antragstellerin stützt ihre Antragsbefugnis auf das Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG und das freie Mandat; hieraus ergebe sich ein Recht auf Wahrung der Neutralitätspflicht, des Sachlichkeitsgebots und der organschaftlichen Treuepflicht. Da die komplette Stellungnahme der Antragsgegnerin nach wie vor auf der Internetseite des Landtags abrufbar sei, bestehe ein Dringlichkeitsgrund.
a) Als Fraktion sei die Antragstellerin Trägerin öffentlichrechtlicher Statusrechte. Das zum Statuskern jedes Fraktionsmitglieds gehörende freie Mandat sei verfassungsmäßig normiert und in der Rechtsprechung als wehrfähiges Innenrecht anerkannt. Aus diesem Grundsatz und dem organschaftlichen Status folge für die Fraktion ein Abwehrrecht gegen andere Organe, die sie in ihrer Freiheit beeinträchtigten.
b) Alle Mitglieder des Parlaments seien einander formal gleichgestellt, somit auch die Zusammenschlüsse zu Fraktionen. Dies mache es spiegelbildlich erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb Neutralität wahrten und sich nicht parteiergreifend für oder wider einen Teilnehmer des politischen Wettbewerbs aussprächen. Die Regierung dürfe zur Förderung des Verständnisses ihrer eigenen Politik die Politik der Opposition kritisieren, nicht aber Oppositionsparteien amtlich als solche bekämpfen. Letzteres sei hier der Fall. Die Antragsgegnerin nehme durch die beanstandete Äußerung eindeutig Partei gegen die Antragstellerin und verstoße gegen die ihr obliegende Neutralitätspflicht. Aus dem Gesamtzusammenhang der Diskussion ergebe sich zudem, dass der als Parlamentspräsidentin auftretenden Antragsgegnerin daran gelegen sei, die AfD(-Fraktion) in die Nähe von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern zu rücken.
c) Die Äußerungen der Antragsgegnerin hätten das Abwehrrecht der Antragstellerin auf Sachlichkeit erheblich verletzt, das aus dem rechtsstaatlichen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Recht auf effektive Mandatsausübung folge. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben habe die Antragsgegnerin die Bedeutung des freien Mandats für die Demokratie und die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu achten. Die Repräsentations- und Integrationsfunktion der Parlamentspräsidentin sei kein Instrument zur Ausschließung bestimmter inhaltlicher Positionen aus der Debatte. Die Bewertung der Richtigkeit oder Korrektheit solcher Positionen oder die Sicherung eines gesellschaftlichen Konsenses sei nicht ihre Aufgabe. Demgegenüber zielten die Äußerungen der Antragsgegnerin, die keinen argumentativen Kern trügen, erkenntlich gerade darauf ab, die Antragstellerin öffentlich zu diskreditieren, damit diese in ihrer Reputation geschädigt werde und die Gunst des Wählers verliere. Dem einfachen Bürger werde durch die Staatsnähe der Parlamentspräsidentin suggeriert, es sei eine objektive öffentlichrechtliche Position des Parlaments als Organ und des Staates, die Antragstellerin und ihre gesamte Partei aus dem gesellschaftlichen Diskurs durch Distanzierung und Ablehnung zu verdrängen.
d) Mit ihren eigenwilligen, unsachlichen und diffamierenden Aussagen habe die Antragsgegnerin auch gegen ihre organschaftliche Treuepflicht gegenüber der Antragstellerin verstoßen. Diese Verpflichtung wurzle in dem verfassungsrechtlichen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme von Verfassungsorganen und Organteilen sowie in dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Durch die bewusste Unterlassung, die Aussagen zu revidieren, setze sich der Verstoß fort. Als Repräsentantin des Landtags müsse sich die Antragsgegnerin zwar zu parlamentarischen Angelegenheiten äußern können. Um ihrer Verpflichtung auf das Gesetz und das öffentliche Wohl zu genügen, dürfe sie aber andere Verfassungsorgane oder ihre Teile nicht diffamieren oder für sich vereinnahmen.
3. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags tritt dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen. Es sei schon fraglich, ob die Antragstellerin das zur Zulässigkeit unabdingbare Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich aller Antragsbegehren hinreichend dargelegt habe. Im Übrigen sei der Antrag jedenfalls unbegründet.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.
1. Nach Art. 26 Abs. 1 VfGHG kann der Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist. Diese Regelung bezieht sich auf alle Verfahrensarten im Sinn des Art. 2 VfGHG, also auch auf Verfassungsstreitigkeiten gemäß Art. 64 BV, Art. 49 VfGHG (VerfGH vom 4.2.1991 VerfGHE 44, 9/14; vom 3.8.1994 VerfGHE 47, 178/181; vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 8; vom 9.11.2020 – Vf. 98-IVa-20 – juris Rn. 7). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, ist an die Voraussetzungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere im Organstreitverfahren, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit einen Eingriff in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeutet (vgl. BVerfG vom 30.10.2018 BVerfGE 150, 163 Rn. 10; vom 17.9.2019 BVerfGE 152, 55 Rn. 16).
Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Maßnahmen vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Wenn allerdings offensichtlich ist, dass die Anträge aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg haben, kommt eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Umgekehrt kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen offensichtlich ist. Ist ein Antrag nicht offensichtlich erfolgversprechend oder offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so hat der Verfassungsgerichtshof allein die Folgen abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Antragsteller aber in der Hauptsache Erfolg hätten, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag aber im Hauptsacheverfahren abzuweisen wäre (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 47, 178/181 f.; VerfGH vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 8; vom 9.11.2020 – Vf. 98-IVa-20 – juris Rn. 7).
2. Das Begehren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht bereits unzulässig, weil der die beanstandete Äußerung enthaltende Bericht über die Veranstaltung am 2. Oktober 2020 zwischenzeitlich an Aktualität verloren hat. Er ist nach wie vor auf der Internetseite des Landtags eingestellt und abrufbar. Dass er aufgrund des Zeitablaufs und neu hinzugekommener aktueller Berichte in der Liste der eingestellten Beiträge zwischenzeitlich nicht mehr an vorderer Stelle zu finden ist, lässt das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 150, 163 Rn. 12, 15) nicht von vornherein entfallen. Fraglich ist allerdings, ob – vor Abschluss eines möglichen Hauptsacheverfahrens – ein dringendes Interesse an der begehrten Feststellung einer Rechtsverletzung der Antragstellerin „im einstweiligen Rechtsschutz“ besteht, zumal darin eine unzulässige Antizipation der Hauptsache liegen könnte. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Bewertung, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch aus weiteren Gründen abzuweisen ist.
3. Nach den unter 1. dargelegten Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung im vorliegenden Fall nicht zu erlassen, weil dem Begehren der Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich der Erfolg versagt bliebe.
a) Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit eines solchen Antrags auf Entscheidung einer Organstreitigkeit.
aa) Zwar kann die Antragstellerin als Fraktion und damit als ein Zusammenschluss von Abgeordneten Trägerin verfassungsmäßiger Rechte sein (VerfGH vom 26.7.2006 VerfGHE 59, 144/177; vom 11.9.2014 VerfGHE 67, 216 Rn. 26), auf die eine Verfassungsstreitigkeit nach Art. 64 BV, Art. 49 VfGHG und demgemäß auch ein Antrag auf Erlass einer diesbezüglichen einstweiligen Anordnung gestützt werden kann. Dies setzt jedoch voraus, dass entsprechende in der Bayerischen Verfassung verankerte Rechte im verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden. Der Antragsschriftsatz vom 20. Oktober 2020 enthält keine Auseinandersetzung mit der hier allein maßgeblichen Rechtslage nach der Bayerischen Verfassung. Mit Vorschriften des Grundgesetzes oder Hinweisen auf die rechtliche Situation kommunaler Vertretungsorgane kann der eine Organstreitigkeit auf parlamentarischer Ebene des Bayerischen Landtags betreffende Antrag nicht begründet werden.
Allerdings ist den Darlegungen der Antragstellerin zu entnehmen, dass sie der Antragsgegnerin eine Verletzung der Pflicht zur Neutralität, Sachlichkeit und organschaftlichen Treue vorwirft; als Folge werden nach ihrer Auffassung die Fraktionsmitglieder bei der Wahrnehmung des allen Abgeordneten kraft der Wahl zum Landtag zustehenden freien Mandats beeinträchtigt. Zugunsten der Antragstellerin kann daher davon ausgegangen werden, dass sie eine Verletzung der Rechte aus Art. 13 Abs. 2 BV (sog. freies Mandat) und aus Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV (Stellung und Wirkungsmöglichkeiten der parlamentarischen Opposition) rügen will. Als Zusammenschluss von Abgeordneten können ihr verfassungsmäßige Rechte wie den einzelnen Abgeordneten zustehen. Zudem haben Fraktionen, die – wie die Antragstellerin – die Staatsregierung nicht stützen, gemäß Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 BV das Recht auf ihrer Stellung entsprechende Wirkungsmöglichkeiten (VerfGHE 67, 216 Rn. 39). Dagegen kann sich die Antragstellerin nicht auf Rechte der AfD als Partei berufen. Als im Organstreit verfolgbare Rechte von Fraktionen kommen nur solche aus dem innerparlamentarischen Bereich in Betracht (vgl. BVerfGE 150, 163 Rn. 14 m. w. N.).
bb) Ein Teil des von der Antragstellerin verfolgten Begehrens kann schon kein zulässiger Gegenstand einer Organstreitigkeit sein.
Ein solches Verfahren dient als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns. Demgemäß stellt der Verfassungsgerichtshof im Organstreit lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstößt (Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 64 Rn. 13; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 64 Rn. 21). Es obliegt sodann dem jeweiligen Verfassungsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte der Antragstellerin hinausgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einem bestimmten Verhalten ist im Organstreit grundsätzlich kein Raum (vgl. BVerfG vom 22.7.2020 NVwZ 2020, 1422 Rn. 39 m. w. N.). Soweit die Antragstellerin Unterlassung und Widerruf der beanstandeten Äußerung begehrt, ist ihr Antrag somit auf Rechtsfolgen gerichtet, die im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht bewirkt werden können. Dass eine solche Anordnung im vorliegenden Fall ausnahmsweise geboten sein könnte, ist nicht ersichtlich (vgl. BVerfG NVwZ 2020, 1422 Rn. 40 f.).
Soweit das Begehren der Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Unterlassung der gerügten Äußerung zum Gegenstand hat, betrifft es zudem mögliche Handlungen in der Zukunft. Es ist damit auf die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtet, der grundsätzlich nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens und damit auch nicht eines entsprechenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sein kann (vgl. BVerfGE 150, 163 Rn. 16).
b) Ob und inwieweit einem Antragsgegner zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes gegebenenfalls andere als die ausdrücklich beantragten Verhaltenspflichten auferlegt werden könnten (vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge, BVerfGG, § 67 Rn. 36; Umbach in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 67 Rn. 2), bedarf keiner näheren Prüfung. Denn die vorliegend gebotene summarische Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass ein Antrag in der Hauptsache voraussichtlich jedenfalls als unbegründet zu bewerten wäre.
aa) Gemäß Art. 13 Abs. 2 BV sind die Abgeordneten Vertreter des Volkes, nicht lediglich einer Partei; sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Diese Verfassungsnorm gibt jedem Abgeordneten das subjektive Recht, sein Mandat innerhalb der Schranken der Verfassung ungehindert auszuüben (sog. freies Mandat; vgl. VerfGH vom 26.2.2019 NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 54 m. w. N.). Zugleich ist hieraus das Prinzip der egalitären Repräsentation abzuleiten, das zur Folge hat, dass alle Mitglieder des Parlaments einander formal gleichgestellt sind (VerfGH vom 30.7.2018 BayVBl 2019, 158 Rn. 58). Denn sie repräsentieren in ihrer Gesamtheit als Volksvertretung im Sinn des Art. 4 BV die stimmberechtigten Bürger (VerfGH vom 26.3.2018 – Vf. 15-VII-16 – juris Rn. 112), wobei sich die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV geforderte Gleichheit der Wahl in der Gleichheit der gewählten Abgeordneten widerspiegelt (Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 13 Rn. 5; Möstl in Lindner/ Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 13 Rn. 10). Das daraus resultierende Recht auf Chancengleichheit bei der Parlamentsarbeit kann auch die Antragstellerin als Zusammenschluss von Abgeordneten für sich in Anspruch nehmen. Wegen ihrer Zugehörigkeit zur parlamentarischen Opposition sind die dargestellten Rechte zudem – wie bereits dargelegt – in Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV begründet (VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 58).
Aus dem Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung folgt die Verpflichtung der Staatsorgane, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen auch im Hinblick auf die Parlamentsarbeit Neutralität zu wahren (vgl. zum Wettbewerb der Parteien VerfGH NVwZ-RR 2019, 841 Rn. 73; BVerfG vom 27.2.2018 BVerfGE 148, 11 Rn. 44 ff.). Dies gilt insbesondere für die Antragsgegnerin, die zum einen als Präsidentin den Bayerischen Landtag, somit eines der obersten Staatsorgane, repräsentiert und der zum anderen in speziellen Bereichen (vgl. z. B. Art. 18 Abs. 2, Art. 44 Abs. 3 Satz 4 BV) eine eigenständige Organstellung zukommt (Schweiger in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 20 Rn. 2, Art. 21 Rn. 2; Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 1; Möstl in Lindner/ Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 21 Rn. 1). Im Rahmen dieser Tätigkeiten ist die Präsidentin zur parteipolitischen Neutralität und zur unparteilichen Amtsführung verpflichtet (vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 25.10.2016 NVwZ-RR 217 Rn. 40; Bücker in Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 27 Rn. 11). Einseitig – zugunsten oder zulasten einzelner Abgeordneter oder Fraktionen – parteiergreifende Stellungnahmen lassen sich auch mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht rechtfertigen. Durch die Geltung des Neutralitätsgebots darf allerdings die Wahrnehmung der Aufgaben als Parlamentspräsidentin nicht infrage gestellt werden (vgl. BVerfGE 148, 11 Rn. 65).
bb) Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin verfassungsmäßige Rechte der Antragstellerin verletzt hat.
(1) Die Antragsgegnerin hat die beanstandete Äußerung bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der bayernweiten Veranstaltungsreihe „Lange Nacht der Demokratie“ getätigt, für die sie als Präsidentin des Bayerischen Landtags die Schirmherrschaft übernommen hatte. Die Teilnahme ist ihrer Amtsführung als Landtagspräsidentin zuzurechnen; es handelte sich nicht um einen Termin, den die Antragsgegnerin (lediglich) in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete absolviert hat. Ihr Auftreten bei der Podiumsdiskussion unter dem Thema „Herausforderungen der Demokratie“ diente der Analyse und Aufarbeitung wichtiger, für die gesamte Gesellschaft bedeutsamer Fragen. Es war Teil der Öffentlichkeitsarbeit, die zu den der Antragsgegnerin obliegenden Aufgaben als Parlamentspräsidentin gehört. Auch die Veröffentlichung des Berichts auf der Homepage des Landtags ist der Amtsführung als Landtagspräsidentin zuzurechnen. Mit der Thematik wurde das Demokratieprinzip aufgegriffen, einer der unabänderbaren Grundwerte der Bayerischen Verfassung (Art. 2, 4, 75 Abs. 1 Satz 2 BV), der als solcher jeder (parteipolitischen) Disposition entzogen ist. Dem Bericht über die Podiumsdiskussion ist u. a. zu entnehmen, dass ein maßgebliches Anliegen der Veranstaltung darin bestand, die Bedeutung der Parlamente für das Staatswesen aufzuzeigen und in diesem Zusammenhang aktuelle Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.
(2) Die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin und deren Veröffentlichung im Internet wären in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise von ihrer Amtsautorität Gebrauch gemacht hat.
Soweit die Antragsgegnerin nach dem im Internet veröffentlichten Bericht in Bezug auf die Antragstellerin geäußert hat, „[d]as Muster bei uns im Landtag ist durchgängig Provokation und Abgrenzung gegenüber den ‚Altparteien‘, wie die AfD die anderen Fraktionen nennt“, war dies – wie es auch im Text zum Ausdruck kommt – mit einem konkreten Beispiel untermauert. Die Antragsgegnerin nahm auf einen Vorfall Bezug, bei dem ein Abgeordneter der Antragstellerin in der Plenarsitzung am 7. Juli 2020 am Rednerpult und auf dem Hin- und Rückweg eine Gasmaske trug. Diese offensichtlich als Protest gegen die Maßnahmen der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gedachte Vorgehensweise hatte zu einer Rüge durch den damals sitzungsleitenden Vizepräsidenten des Landtags geführt (Plenarprotokoll 18/51 S. 6288; vgl. zu den auf das Hausrecht gestützten Maßnahmen der Antragsgegnerin „im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des ‚Corona-Virus‘ bedingten besonderen Situation“ die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris, durch die ein Antrag der Antragstellerin und eines ihrer Abgeordneten auf einstweiligen Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen abgewiesen wurde). Grundlage für die dem Abgeordneten erteilte Rüge ist die sich aus Art. 20 Abs. 1 und 3 BV i. V. m. § 11 Abs. 2, §§ 102 ff. BayLTGeschO ergebende Aufgabe der Präsidentin oder des Präsidenten, die Sitzungen der Vollversammlungen des Landtags zu leiten und die Ordnung in der Sitzung sicherzustellen. Weder das Ergreifen von Ordnungsmaßnahmen im Rahmen dieser Aufgabenerfüllung noch die Kommunikation entsprechender Vorfälle aus einer öffentlichen Sitzung kann eine Verletzung der Neutralitätspflicht bewirken (vgl. BVerfGE 148, 11 Rn. 65).
In der Wortwahl „Muster“ sowie „durchgängig Provokation und Abgrenzung“ kommt darüber hinaus zum Ausdruck, dass es sich bei dem genannten Beispiel nicht um einen einmaligen, zu einer Rüge führenden Vorfall handelt. Die Äußerung der Antragsgegnerin beruht insoweit ebenfalls auf einer tatsachengestützten Grundlage, da von den in dieser Legislaturperiode bislang insgesamt erteilten sieben Rügen sechs gegenüber Mitgliedern der Antragstellerin ausgesprochen wurden (vgl. Plenarprotokoll 18/7 S. 428; 18/11 S. 727; 18/12 S. 815; 18/26 S. 3149; 18/34 S. 4310; 18/40 S. 4995; 18/51 S. 6288). Die in der Äußerung anklingende Bewertung lässt daher keine Verletzung von Rechten der Antragstellerin erkennen. Entsprechendes gilt für die Verwendung des Begriffs „Altparteien“, dem die eigene Wortwahl der Antragstellerin zugrunde liegt (vgl. z. B. LT-Drs. 18/6740 S. 1; 18/7818 S. 2).
Soweit die Antragsgegnerin nach dem Bericht von einer „Zwickmühle“ gesprochen hat, nimmt sie zwar eine Bewertung vor, wie sich der zuvor dargestellte Zustand aus ihrer Sicht auf die Parlamentsarbeit auswirkt. Dabei bewegt sie sich jedoch im Rahmen der ihr als Landtagspräsidentin obliegenden Aufgaben, zu denen auch die Gewährleistung eines trotz aller parteipolitischen Gegensätze respektvollen Umgangs im Parlament zählt. Sie hat dabei weder eine inhaltliche Beurteilung der politischen Positionen der Antragstellerin vorgenommen, noch hat sie durch Form und Wortwahl ihrer Äußerung fehlenden Respekt gegenüber einer Landtagsfraktion zum Ausdruck gebracht. Ebenso wenig kann dies aus der Zuordnung der Antragstellerin zum rechten Parteienspektrum geschlossen werden.
III.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).


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