IT- und Medienrecht

Akteneinsichtsgesuch durch Dritte aus wissenschaftlichem Interesse

Aktenzeichen  101 VA 106/21

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42226
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 5 Abs. 3
ZPO § 299 Abs. 2
EGGVG § 23

 

Leitsatz

1. Bei fehlender Einwilligung der Prozessparteien kann nach § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht nur gestattet werden, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht ist. Dem Gericht steht bei der Beurteilung dieser Voraussetzung kein Ermessen zu. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die Akten eines Parallelverfahrens kann insbesondere bestehen, wenn eine Partei den Inhalt der Akten eines Verfahrens durch Bezugnahme darauf zum Gegenstand ihres Vortrags in einem anderen Verfahren macht, an dem Dritte beteiligt sind. Daran fehlt es aber, wenn ein Prozessbevollmächtigter selbst Akteneinsicht begehrt und nicht einer seiner an einem vergleichbaren Rechtsstreit beteiligten Mandanten.  (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob ein wissenschaftliches Interesse ein rechtliches Interesse iSd § 299 Abs. 2 ZPO begründen kann, wird in der Literatur einhellig angenommen, erscheint aber zweifelhaft und kann mangels entsprechender Darlegung dahinstehen. (Rn. 49) (Rn. 40 – 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Landgerichts München I vom 4. Juni 2021 wird aufgehoben.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller war Kläger in dem vor dem Landgericht München I geführten Ausgangsverfahren, in dessen Akte Einsicht bewilligt worden ist. Gegenstand des Ausgangsverfahrens, das mit – inzwischen anonymisiert veröffentlichtem – klageabweisendem Endurteil vom 13. April 2021 endete, war ein Anspruch auf Rückgewähr von Verlusten, die der Kläger bei der Teilnahme an einem OnlineGlücksspiel erlitten hatte.
Gemäß Verfügung der Präsidentin des Landgerichts München I vom 10. September 2020 ist die Entscheidung über Anträge auf Akteneinsicht durch Dritte (§ 299 Abs. 2 ZPO), die eine bestimmte Prozesssache betreffen, den Vorsitzenden der Kammern bzw. dem Einzelrichter übertragen.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2021 hat der weitere Beteiligte zu 1), ein Rechtsanwalt, Akteneinsicht beantragt. Das Endurteil vom 13. April 2021 habe die Kanzlei, der er angehöre, in einem identisch gelagerten Parallelverfahren erhalten. Die Kanzlei vertrete bundesweit mehr als 650 Betroffene, die „aus illegalen Online Casinos“ Schäden erlitten hätten. Es solle geprüft werden, wie es zu dieser im Bereich des Online-Glückspiels außergewöhnlichen Entscheidung gekommen sei, die im Widerspruch zur bisherigen „überwiegend positiven verbraucherschutzfreundlichen Rechtsprechung“ stehe. Es bestünden Auffälligkeiten, etwa die kurze Verfahrensdauer trotz des im Ausland gelegenen Sitzes der Beklagten, die Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt, der nach seinem Internetauftritt den Glücksspielstaatsvertrag für europarechtswidrig halte, sowie eine nach den Urteilsgründen anzunehmende Lückenhaftigkeit des Vorbingens und des Beweisantritts, denen mittels Akteneinsicht nachgegangen werden solle. Ein rechtliches Interesse sei zu bejahen, da die Akteneinsicht zur Verfolgung der Ansprüche der Mandantinnen und Mandanten der Kanzlei in rechtlich identisch gelagerten Sachverhaltskonstellationen benötigt werde. Zudem sei beabsichtigt, sich mit den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei auszutauschen. Hilfsweise werde beantragt, Akteneinsicht in die anonymisierten Schriftsätze und Zustellurkunden des Gerichts zu nehmen.
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 hat der weitere Beteiligte zu 1) unter Bezugnahme auf sein Akteneinsichtsgesuch mitgeteilt, er werde das Urteil in einer Fachzeitschrift kommentieren. Für die Vollständigkeit der Recherche sei die Akteneinsicht erforderlich. Nach einer als Anlage beigefügten E-Mail des Verlags bestehe Interesse an einer Anmerkung zu der Entscheidung. Zu diesem Schreiben haben die Parteivertreter Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Dritte begehre „allgemeine Einsicht in die komplette Verfahrensakte auf der Geschäftsstelle“; die Frage des Gerichts, ob sich sein Ersuchen auf bestimmte Aktenteile beziehe, sei verneint worden. Es werde auf die Kommentierung in Zöller, ZPO, § 299 Rn. 6a zu Akteneinsichtsgesuchen zu wissenschaftlichen Zwecken verwiesen.
Der weitere Beteiligte zu 1) hat mit Schriftsatz vom 14. Mai 2021 um einen zeitnahen Termin für eine persönliche Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle gebeten; der Prozessbevollmächtigte der Klagepartei habe mitgeteilt, es werde gegen das Urteil keine Berufung eingelegt.
Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2021 hat sich der Unterbevollmächtigte der im Ausgangsverfahren beklagten Partei und weiteren Beteiligten zu 2) gegen die Bewilligung von Akteneinsicht an den weiteren Beteiligten zu 1), „einen Spieler-Anwalt“, ausgesprochen. Unter Bezugnahme auf das Einsichtsgesuch und ein in Anlage beigefügtes Schreiben des weiteren Beteiligten zu 1) an das Amtsgericht Frankfurt am Main, in dem dieser die Beiziehung der streitgegenständlichen Akte beantragte, hat er ausgeführt, der weitere Beteiligte zu 1) verfolge keine wissenschaftlichen Zwecke, sondern es gehe ihm darum, „Anhaltspunkte für seine Verschwörungstheorien“ zu finden. Die Kommentierung des Urteils für eine Fachzeitschrift verlange keine Recherche durch Akteneinsicht; es genüge das Urteil. Es liege auf der Hand, dass der weitere Beteiligte zu 1) Akteneinsicht begehre, um sein unseriöses Geschäftsmodell zu optimieren, potentielle und aktuelle Mandanten zum Glücksspiel zu verleiten, damit sie Gewinne aus onlineGlücksspielen „schweigend einstreichen“ und Verluste über ihn zurückfordern. Sein Ziel sei es, die anwaltliche Vertretung der Klagepartei zu diskreditieren und als Wettbewerber in diesem lukrativen Businessmodell auszuschalten.
Mit Verfügung vom 18. Mai 2021 hat die mit dem Rechtsstreit befasste Einzelrichterin mitgeteilt, dass sie dem weiteren Beteiligten zu 1) Akteneinsicht durch Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle gewähren werde. Die Interessen des weiteren Beteiligten zu 1), der eine Veröffentlichung in der Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht beabsichtige, seien aufgrund Art. 5 Abs. 3 GG höher zu bewerten als das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Parteien im vorliegenden Fall. Schutzwürdige Belange der Parteien stünden einer Einsichtnahme nicht entgegen, da es sich primär um eine Rechtsfrage handele, die zu entscheiden gewesen sei.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 19. Mai 2021 darauf hingewiesen, dass die Verfügung vor Ablauf der ihm eingeräumten Stellungnahmefrist ergangen sei. Unter gar keinen Umständen dürften die persönlichen Daten des Klägers dritten Personen zugänglich gemacht werden. Für eine Veröffentlichung in einer Zeitschrift würden diese Daten nicht benötigt, immerhin gehe es um das sensible Thema der Teilnahme an einem möglicherweise illegalen Glücksspiel. In dem gerichtlichen Verfahren sei es zwar primär um eine Rechtsfrage gegangen, allerdings habe das Gericht seine Entscheidung ausdrücklich auch auf Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht erstreckt und sich im Urteil zur Beweislastverteilung der Parteien in Bezug auf das tatsächliche Vorbringen eingelassen. Nach alledem sei Akteneinsicht an Dritte nicht zu gewähren, wenn nicht jedenfalls die Daten des Klägers zuvor anonymisiert worden seien.
Gemäß Verfügung vom 20. Mai 2021 ist den Parteien mitgeteilt worden, es sei übersehen worden, dass die Stellungnahmefrist noch nicht abgelaufen sei; weitere Einwände der Parteien könnten noch Berücksichtigung finden. Die Einzelrichterin halte jedoch nach vorläufiger Prüfung an ihrer mit Verfügung vom 18. Mai 2021 geäußerten Rechtsansicht fest. Die endgültige Entscheidung ergehe in einer Woche.
Die weitere Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz ihres Hauptbevollmächtigten vom 20. Mai 2021 sowie mit Schriftsatz ihres Unterbevollmächtigten vom 26. Mai 2021 der Gewährung von Akteneinsicht widersprochen. Die Unterzeichnerin der Verfügung sei für die Entscheidung nach § 299 Abs. 2 ZPO nicht zuständig, sondern der Vorstand des Gerichts. Die Begründung, einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu verfassen, sei vorgeschoben. Unverständlich sei, weshalb aus Art. 5 Abs. 3 GG, also einem Grundrecht und Abwehrrecht gegenüber dem Staat, ein „Akteneinsichtsersuchen“ (Anmerkung des Senats gemeint: Akteneinsichtsrecht) zu angeblich wissenschaftlichen Zwecken folgen solle. Art. 5 Abs. 3 GG solle die Wissenschaft vor Eingriffen des Staates schützen, nicht aber unter dem Deckmantel der Wissenschaft Zugang zu Unterlagen Privater verschaffen. Zudem sei nicht ansatzweise glaubhaft gemacht oder ersichtlich, warum der Dritte über das vollständig abgefasste und begründete Urteil hinaus auch Einsicht in die übrigen Verfahrensakten benötige. Bloße Neugier am Prozessgeschehen reiche nicht aus. Selbst wenn man dem Vorbringen des Dritten Glauben schenken und in eine Abwägung eintreten sollte, sei den Interessen der beteiligten Parteien Vorrang zu gewähren. Im Rahmen der Interessenabwägung sei insbesondere die irreversible Schädigung der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu berücksichtigen, die nicht hinter den „Verschwörungstheorien“ des die Einsicht begehrenden Rechtsanwalts oder seinem Interesse „an einer besonders blumigen statt wissenschaftlich angezeigten“ Auseinandersetzung mit dem Urteil zurücktreten dürften. Es könne nicht vom Schutzzweck des Art. 5 Abs. 3 GG erfasst sein, dem Dritten ein „Plaudern aus dem Nähkästchen“ zu gestatten, nur weil er sich prozesstaktisch entschließe, sein Interesse an einer Veröffentlichung zu bekunden. Die Akteneinsicht sei insgesamt zu versagen, hilfsweise seien alle Angaben über die Beteiligten und deren Prozessvertreter vorher unkenntlich zu machen.
Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021 hat der Antragsteller seine Argumentation vertieft. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Art. 5 Abs. 3 GG das Interesse eines Dritten schützen solle, durch eine Einsicht in nicht anonymisierte Prozessakten die personenbezogenen Daten der Prozessparteien auszuspähen. Für die von dem weiteren Beteiligten zu 1) beabsichtigte Kommentierung des Urteils würden diese Daten jedenfalls nicht benötigt.
Mit Beschluss vom 4. Juni 2021, der dem Antragsteller am 9. Juni 2021 zugestellt worden ist, hat die Einzelrichterin Akteneinsicht an den weiteren Beteiligten zu 1) durch Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle bewilligt. Die Präsidentin des Landgerichts München I habe die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht nach Abschluss des Verfahrens mit Verfügung vom 10. September 2020 auf den Einzelrichter übertragen. Das Gericht habe im Rahmen der Ausübung seines Ermessens nach § 299 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf die Frage, ob der Dritte ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme glaubhaft gemacht habe, die Interessen des Dritten höher bewertet als das Interesse der Parteien auf informationelle Selbstbestimmung. Der Dritte berufe sich auf Art. 5 Abs. 3 GG, da er plane, zu den Rechtsproblemen beim Online-Glücksspiel einen Aufsatz in der Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht zu veröffentlichen. Akteneinsichtsgesuchen zu wissenschaftlichen Zwecken sei grundsätzlich aufgrund des Art. 5 Abs. 3 GG besonderes Gewicht einzuräumen. Das Gericht habe in seine Bewertung weiterhin eingestellt, dass im vorliegenden Verfahren eine Rechtsfrage zu entscheiden gewesen sei und weder der Kläger angehört noch Zeugen vernommen worden seien. Die im Rahmen der Anhörung vorgebrachten datenschutzrechtlichen Belange der Parteien überwögen daher das rechtliche Interesse an der Einsichtnahme nicht. Nicht maßgeblich sei die von den Parteivertretern antizipierte Haltung des Dritten zu dem Urteil vom 13. April 2021. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit das zur Partei bestehende Anwaltsgeheimnis durch die Gewährung der Akteneinsicht verletzt werden könnte; das Gericht begreife sich als außerhalb dieses Geheimhaltungsverhältnisses stehend.
Mit an das Landgericht München I adressiertem anwaltlichem Schriftsatz vom 9. Juni 2021 hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt. Er werde durch die Gewährung der Akteneinsicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Der die Akteneinsicht begehrende Rechtsanwalt schiebe seine Absicht, über das Verfahren einen wissenschaftlichen Aufsatz zu verfassen, ersichtlich nur vor. Vorrangig gehe es ihm darum, den Parteien unlauteres Verhalten zu unterstellen und hierzu in den Prozessakten Nachforschungen anzustellen. Er vertrete eine Vielzahl von Spielern, die auf dem Klageweg versuchten, die von ihnen bei OnlineCasino-Anbietern verspielten Beträge zurückzuerlangen. Offenbar beabsichtige er, sich durch eine negative Berichterstattung über das vorliegende Verfahren „unliebsame Konkurrenz vom Halse zu schaffen“.
Gemäß Verfügung des Landgerichts vom 10. Juni 2021 ist der Antrag mit der Verfahrensakte dem Bayerischen Obersten Landesgericht zugeleitet worden und am 14. Juni 2021 eingegangen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 9. Juni 2021 als unbegründet zu verwerfen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheids, der noch nicht vollzogen worden sei.
Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 22. September 2021 darauf hingewiesen worden, der weitere Beteiligte zu 1) habe bereits eine Anmerkung zu dem im Ausgangsverfahren ergangenen Urteil veröffentlicht, sodass dessen wissenschaftliches Interesse nicht mehr bestehen dürfte. Es bestünden Zweifel daran, ob ein wissenschaftliches Interesse ein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO begründen könne (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 1986, 1 BvR 1352/85, NJW 1986, 1243 [juris Rn. 7]; BayVerfGH, Entsch. v. 5. März 2020, Vf. 13-VII-18, juris Rn. 40).
Der weitere Beteiligte zu 1) hat mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 zur ergänzenden Begründung seines Akteneinsichtsgesuchs ausgeführt, er beabsichtige einen weiteren Aufsatz zu verfassen; dafür sei umfassende Akteneinsicht erforderlich, da es auch auf den Verfahrensablauf (Auslandszustellung, schnelle Terminierung) ankomme. Er sei als Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege und zudem in dem Bereich des OnlineGlücksspiels auch als Mitglied des Fachverbandes für Glücksspielsucht e. V., Seminarleiter und „Betreuer von Glückspielsüchtigen“ tätig. Die Kanzlei, der er angehöre, betreue derzeit bundesweit mehrere hundert Opfer illegaler Online-Casinos und habe bereits etliche Urteile zu Gunsten der Geschädigten erstritten. Schon aus seiner beruflichen Tätigkeit ergebe sich sein rechtliches Interesse. Es genüge, dass die Rechte dessen, der Akteneinsicht begehre, durch den Akteninhalt mittelbar berührt seien. Nach der Rechtsprechung (KG MDR 1976, 585) sei zudem der Antrag auf Einsichtnahme zu Forschungszwecken nach pflichtgemäßem Ermessen positiv zu bescheiden. Forschungszwecke und wissenschaftliches Interesse sei auch in der aktuellen Literatur als „berechtigtes Interesse“ für die Akteneinsicht anerkannt. Ein berechtigtes Informationsbedürfnis bestehe nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München (OLGZ 1984, 477 [478]) auch dann, wenn ein der eigenen Angelegenheit ähnlicher Rechtsfall zugrunde liege. Die weitere Beteiligte zu 2) berufe sich regelmäßig auf die im Ausgangsverfahren ergangene Entscheidung des Landgerichts. Schließlich habe das Landgericht München I in einem anderen Verfahren, in dem er die Beziehung der Akte des Ausgangsverfahrens beantragt habe, ausgeführt, die Beiziehung erscheine derzeit nicht erforderlich, da der Klägervertreter Antrag auf Akteneinsicht und Übersendung der Entscheidung stellen und seine Erkenntnisse dann mitteilen könne. Als Rechtsgrundlage komme zudem eine analoge Anwendung des § 476 StPO in Betracht, da eine planwidrige Regelungslücke bestehe. Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 1986 (1 BvR 1352/85), die aufgrund der Besonderheiten des § 85 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundeszentrale für Politische Bildung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei, habe er einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag sachgerecht, also frei von Willkür und unter angemessener Berücksichtigung des Zwecks seines Antrags entschieden werde. Da ihm die persönlichen Daten aller Prozessbeteiligten bereits bekannt seien, laufe ein etwaiges Geheimhaltungsinteresse bereits aus tatsächlichen Gründen ins Leere; zudem könnten Akteninhalte geschwärzt werden.
II.
Der Anfechtungsantrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, über den nach § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG das Bayerische Oberste Landesgericht zu befinden hat, führt zur Aufhebung des Bescheids, § 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
a) Er ist gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft, denn bei der Entscheidung, dem weiteren Beteiligten zu 1) Akteneinsicht zu bewilligen, handelt es sich um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im Sinne der genannten Vorschrift (Lückemann in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 23 EGGVG Rn. 4 m. w. N.).
Die die Akteneinsicht bewilligende Entscheidung hat Außenwirkung; dieser Justizverwaltungsakt wurde gegenüber dem Antragsteller dadurch wirksam, dass er ihm bekanntgegeben wurde. Unschädlich ist, dass er nicht auch dem weiteren Beteiligten zu 1) bekanntgegeben wurde. Ein Verwaltungsakt wird rechtlich existent, wenn er auch nur einer Person bekannt gegeben wird (Schemmer in BeckOK VwVfG, 53. Ed. Stand: 1. Oktober 2021, § 43 Rn. 6; vgl. auch Müller in Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 17; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 43 Rn. 179). Entsprechendes gilt für einen Justizverwaltungsakt, auch wenn das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz nach dessen Art. 2 Abs. 2 Abs. 3 Nr. 1 insoweit nicht anwendbar ist (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, EGGVG § 23 Rn. 7).
b) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist form- und fristgemäß (§ 26 Abs. 1 EGGVG) bei dem nach § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen. Aus seiner Begründung ergibt sich das auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gerichtete Rechtsschutzziel auch ohne Ausformulierung eines konkreten Sachantrags.
c) Der Antragsteller, der geltend macht, durch die bewilligte Aktenübersendung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein, ist antragsbefugt (§ 24 Abs. 1 EGGVG).
2. Der Antrag ist auch begründet. Die Bewilligung der Akteneinsicht ist rechtswidrig, weil der weitere Beteiligte zu 1) ein rechtliches Interesse nicht dargetan und glaubhaft gemacht hat, und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
a) Der Bescheid ist allerdings formell rechtmäßig.
Der weitere Beteiligte zu 1) begehrt als Dritter Einsicht in eine bestimmte Verfahrensakte. Die Entscheidung darüber wurde von der Präsidentin des Landgerichts München I in zulässiger Weise delegiert (vgl. Bacher in BeckOK ZPO, 42. Ed. Stand: 1. September 2021, § 299 Rn. 35).
b) Zutreffend ist der Ausgangspunkt der Einzelrichterin, das Akteneinsichtsgesuch an § 299 Abs. 2 ZPO zu messen.
Der weitere Beteiligte zu 1) begehrt – über die Übersendung einer anonymisierten Urteilsabschrift hinausgehend – Akteneinsicht.
Mangels Einwilligung der Prozessparteien kann nach § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht nur gestattet werden, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht ist. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzung vorliegt, steht dem Gericht – entgegen der Annahme des Landgerichts – kein Ermessen zu.
aa) Das gegenüber dem „berechtigten Interesse“ enger gefasste „rechtliche Interesse“ (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 1993, X ZB 31/92, NJW-RR 1994, 381 [juris Rn. 13]), das nach der Bestimmung in § 299 Abs. 2 ZPO für die Akteneinsicht durch eine dritte Person verlangt wird, setzt nach der Umschreibung, die dem Begriff durch die Rechtsprechung gegeben wurde, voraus, dass durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akte Einsicht begehrt wird, persönliche Rechte des Gesuchstellers berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis des Gesuchstellers zu einer Person oder Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand (im streitigen Parteienprozess dessen „Streitstoff“) für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NJW-RR 2021, 48 Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2019, 1 VA 86/19, ZIP 2020, 333 [334, juris Rn. 19], jeweils m. w. N.). Bloße wirtschaftliche oder gesellschaftliche Interessen reichen dagegen nicht aus, ebenso wenig bloßes Interesse am Prozessgeschehen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Juli 2020, 20 VA 19/19, r+s 2020, 574 [juris Rn. 74]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. März 2020, 11 VA 10/18, juris Rn. 9; OLG Köln, Beschluss vom 16. März 2020, 7 VA 31/19, juris Rn. 13; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 299 Rn. 21; Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 299 Rn. 11; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 299 Rn. 3c; jeweils m. w. N.). „Rechtlich begründete“ wirtschaftliche Interessen werden als ausreichend angesehen, ohne allerdings auf die oben genannte Mindestanforderung zu verzichten, dass ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis des Gesuchstellers zu einer anderen Person oder zu einer Sache vorliegen müsse (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris Rn. 34 f.), mithin das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Streitstoff für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung ist.
bb) Dass der Streitstoff des Verfahrens für seine rechtlichen Belange von konkreter rechtlicher Bedeutung ist, hat der weitere Beteiligte zu 1) nicht durch seinen Vortrag dargelegt, er benötige die Akteneinsicht zur Verfolgung der Ansprüche von Mandanten der Kanzlei in rechtlich identisch gelagerten Sachverhaltskonstellationen.
Die von ihm zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 16. August 1984 (9 VA 4/83, OLGZ 1984, 477) bezieht sich auf den Anspruch auf Unterrichtung über eine gerichtliche Entscheidung, um den es hier nicht geht, und ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2017 (IV AR [VZ] 2/16, NJW 2017, 1819 Rn. 12) überholt.
Zwar kann nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die Akten eines Parallelverfahrens bestehen, insbesondere wenn eine Partei den Inhalt der Akten eines Verfahrens durch Bezugnahme darauf zum Gegenstand ihres Vortrags in einem anderen Verfahren macht, an dem Dritte beteiligt sind (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris Rn. 44; OLG Dresden, Beschluss vom 5. August 2002, 9 W 0633/02, VersR 2003, 85; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Februar 2000, 1 VA 1/00, NJW-RR 2001, 931 [juris Rn. 7]; vgl. auch: OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. November 2014, 2 VA 3/14, juris Rn. 39; OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. Januar 2014, 4 VA 2218/13, juris Rn. 11; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 299 Rn. 38). Hier begehrt aber der weitere Beteiligte zu 1) selbst Akteneinsicht, nicht einer seiner an einem vergleichbaren Rechtsstreit beteiligten Mandanten. Unzureichend ist zudem die Argumentation des weiteren Beteiligten zu 1), die weitere Beteiligte zu 2) berufe sich in Parallelverfahren, in denen er Spieler vertrete, zur Rechtsverteidigung auf die Entscheidung des Ausgangsverfahrens. In den mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 vorgelegten Schriftsätzen aus anderen Verfahren wird nur die Entscheidung zitiert, nicht aber der Inhalt der Akte, in die Einsicht begehrt wird, durch Bezugnahme zum Gegenstand des Vortrags gemacht.
cc) Der Streitstoff des Verfahrens berührt zwar die beruflichen Interessen des weiteren Beteiligten zu 1), der deshalb Akteneinsicht begehrt, nicht aber seine persönlichen Rechte. Seine Argumentation, sein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO ergebe sich daraus, dass seine Rechte schon aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Anwalt berührt seien, greift nicht durch. Ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis seiner Person zu dem vom Einsichtsgesuch betroffenen Verfahren selbst oder zumindest zu dessen Streitgegenstand ist damit nicht dargelegt.
dd) Ob die sich aus Forschungszwecken ergebende nur mittelbare Interessenberührung (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, § 299 Rn. 22) anders als die „bloße Neugier“ am Prozessgeschehen nach der Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO anzuerkennen ist, kann hier offenbleiben, weil der weitere Beteiligte zu 1) eine Forschungstätigkeit lediglich behauptet hat, ohne deren Gegenstand näher darzulegen.
(1) Ein wissenschaftliches Interesse stellt – nicht zuletzt im Licht des Art. 5 Abs. 3 GG – ein öffentliches Interesse dar, welches hinsichtlich anonymisierter Gerichtsentscheidungen eine Veröffentlichungspflicht auslöst (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2021, IX AR [VZ] 1/19, MDR 2021, 837 Rn. 15; vgl. auch Beschluss vom 5. April 2017, IV AR [VZ] 2/16, NJW 2017, 1819 Rn. 16).
Die Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung, Gerichtsentscheidungen zu veröffentlichen, an denen ein öffentliches Interesse besteht, folgt aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratieverbot und aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Einer speziellen gesetzlichen Regelung zur Begründung dieser Pflicht bedarf es nicht (BVerwG, Urt. v. 26. Februar 1997, 6 C 3/96, BVerwGE 104, 105, 109 [juris Rn. 24]; so auch BGH NJW 2017, 1819 Rn. 16). Ein Rückgriff auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. Haertlein, ZZP 114 [2001] 441, 453 f.) ist insoweit nicht erforderlich. Soweit sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ein Anspruch Dritter auf Informationszugang ergibt, gilt dies auch für die Wissenschaft (vgl. Leuschner/Hüneke, MschKrim 2016, 464 [470]).
Die in § 299 Abs. 2 ZPO geregelte Akteneinsicht unterscheidet sich von der Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften. Gerichtsakten enthalten personenbezogene Daten der Parteien und anderer Beteiligter. Die Akteneinsicht ermöglicht es, von diesen Daten anhand des gesamten Sach- und Streitstands eines Verfahrens unter Einschluss aller Unterlagen umfassende Kenntnis zu erlangen. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt daher einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung derjenigen dar, deren personenbezogene Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden (BGH, NJW 2017, 1819 Rn. 14). Das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018, 2 BvR 1562/17, NJW 2018, 2395 Rn. 44 m. w. N.). Dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet, die Beschränkungen bedürfen aber nach Art. 2 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage (BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 [juris Rn. 150 f.]). § 299 Abs. 2 ZPO erlaubt die Gestattung der Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien nur, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Die Akteneinsicht gewährende Stelle ist wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verpflichtet, die schutzwürdigen Interessen dieser Personen gegen das Informationsinteresse abzuwägen und den Zugang zu den Daten gegebenenfalls angemessen zu beschränken (vgl. BGH NJW 2017, 1819 Rn. 14).
(2) Ob ein wissenschaftliches Interesse ein rechtliches Interesse im Sinn des § 299 Abs. 2 ZPO begründen kann, ist – soweit ersichtlich – nicht abschließend geklärt, auch wenn dies in der Literatur wohl einhellig angenommen wird.
In einer Entscheidung des Kammergerichts vom 9. Januar 1976 (1 VA 4/75, OLGZ 1976, 159, zitiert nach beckonline), in der es um die Einsicht in Entscheidungssammlungen ging und die durch die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften überholt sein dürfte, wurde es zwar als naheliegend angesehen, im Rahmen des § 299 Abs. 2 ZPO eine auch nur mittelbare Berührung persönlicher Rechte des Antragstellers genügen zu lassen und die Auswertung auch für allgemeinrechtliche Zwecke, insbesondere für Wissenschaftler oder Fachverbände zum Zwecke publizistischer Auswertung, als zulässig anzusehen, die Frage aber letztlich offengelassen (vgl. auch KG, Beschluss vom 9. Februar 1988, 1 VA 5/87, juris Rn. 5).
Nach einem obiter dictum des Verwaltungsgerichts Ansbach (Urt. v. 20. Februar 2019, AN 14 K 16.1572, BeckRS 2019, 10176 Rn. 26 – unter Bezugnahme auf Keller, NJW 2004, 413) kommt ein rechtliches Interesse insbesondere bei Forschungsvorhaben in Betracht.
Auch in der zivilprozessualen Kommentarliteratur wird vertreten, ein rechtliches Interesse könne sich daraus ergeben, dass die Akteneinsicht für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben benötigt werde (Bacher in BeckOK ZPO, § 299 Rn. 30; Huber in Musielak/Voit, ZPO, § 299 Rn. 3c; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 299 Rn. 25). Auch zu wissenschaftlichen Zwecken (z. B. Aktenauswertung im Rahmen der Rechtstatsachenforschung oder wegen einer beabsichtigten Publikation zu einer durch den Prozess in die [Fach-]Öffentlichkeit getragenen Rechtsfrage) könne Einsicht gewährt werden (Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 299 Rn. 27; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 299 Rn. 38); dabei müsse der Wissenschaftsfreiheit besonderes Gewicht eingeräumt werden (Thole a. a. O.; Greger in Zöller, ZPO, § 299 Rn. 6a). Erkenne man die mittelbare Interessenberührung als ausreichend an, so sei ein Antrag auf Einsichtnahme zu Forschungszwecken für Wissenschaftler oder Fachverbände nach pflichtgemäßem Ermessen positiv zu bescheiden (Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, § 299 Rn. 22; in diesem Sinn auch Peglau, NJ 1993, 440 [441]).
Zitiert wird insoweit allerdings zum Großteil (Greger in Zöller, ZPO, § 299 Rn. 6a; Thole in Stein/Jonas, ZPO, § 299 Rn. 27 Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 299 Rn. 38; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, § 299 Rn. 22) der Aufsatz von Haertlein (ZZP 114 [2001], 441 ff.), der sich zum einen ausschließlich mit der Erteilung von Abschriften gerichtlicher Entscheidungen an wissenschaftlich Interessierte befasst, um die es hier nicht geht, und in dem zum anderen ausgeführt wird, es bestehe weitgehend Einigkeit, dass ein wissenschaftliches Interesse im Rahmen des § 299 Abs. 2 ZPO hinreichend sei, wenngleich dieses Ergebnis bisweilen eher auf Konzession zu beruhen als durch Distinktion gewonnen zu sein scheine (a. a. O., S. 445).
In dem Aufsatz von Keller (NJW 2004, 413), auf den sich die Rechtsprechung (VG Ansbach, Urt. v. 20. Februar 2019, AN 14 K 16.1572, BeckRS 2019, 10176 Rn. 26) und Kommentarliteratur (Huber in Musielak/Voit, ZPO, § 299 Rn. 3c; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, § 299 Rn. 22; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, § 299 Rn. 25) ebenfalls stützen, wird das Vorliegen eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO nicht näher begründet; bei Forschungsvorhaben seien daran „keine hohen Ansprüche“ zu stellen.
(3) Aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich nach herrschender Auffassung kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht (vgl. Bethge in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 217d; Bacher in BeckOK ZPO, § 299 Rn. 30; Huber in Musielak/Voit, ZPO, § 299 Rn. 3c; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, § 299 Rn. 25; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 299 Rn. 38 Fn. 10969; kritisch: Gärditz in Maunz/Herzog/Dürig, GG, 95. EL Stand: Stand Juli 2021, Art. 5 Rn. 267), der als rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO anzusehen wäre.
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält neben einem individuellen Freiheitsrecht eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde, wertentscheidende Grundsatznorm (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2010, 1 BvR 748/06, BVerfGE 127, 87 [114 juris Rn. 88]; BVerfG, Urt. v. 29. Mai 1973, 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72, BVerfGE 35, 79 [112, juris Rn. 91]). Diese Wertentscheidung schließt das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung ein (vgl. BVerfGE 35, 79 [114, juris Rn. 95]). Dem einzelnen Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG erwächst aus der Wertentscheidung ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen (vgl. BVerfGE 35, 79 [116, juris Rn. 98]).
Dagegen ist ein individuelles Recht darauf, dass der Staat zu Zwecken der Forschung Hilfestellungen leistet, auf die sonst kein Rechtsanspruch besteht, dem Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG als Abwehrrecht nicht zu entnehmen. (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 1986, 1 BvR 1352/85, NJW 1986, 1243 [juris Rn. 7]; BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1985, 7 B 188/85, NJW 1986, 1277 [juris Rn. 5]). Daraus, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm enthält, ergibt sich nichts anderes. Dem Akteneinsicht begehrenden Wissenschaftler geht es nicht um Teilhabe am Wissenschaftsbetrieb (BVerfG a. a. O.; vgl. auch zu Art. 108 BV: BayVerfGH, Entsch. v. 5. März 2020, Vf. 13-VII-18, juris Rn. 40 – Hilfestellung bei Forschungsvorhaben an Schulen durch die genehmigungsfreie Ermöglichung von Erhebungen). Das Grundrecht der Freiheit von Wissenschaft und Forschung begründet die Verpflichtung des Staates, Wissenschaft und Forschung durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln zu ermöglichen und zu fördern, also funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen. Objekte des Teilhabeanspruchs aus Art. 5 Abs. 3 GG sind insoweit die finanziellen, personellen und sächlichen Mittel, die zur Forschungsausstattung eines Wissenschaftlers gehören. Ein Anspruch, in sonst unzugängliche Behördenakten zu Zwecken eines konkreten Forschungsvorhabens Einblick zu nehmen, wird von dem auf die Beteiligung an den Ressourcen des Wissenschaftsbetriebs abzielenden Teilhaberecht ersichtlich nicht umfasst (BVerwG a. a. O. Rn. 6).
(4) Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob ein wissenschaftliches Interesse ein rechtliches Interesse im Sinn des § 299 Abs. 2 ZPO begründen kann. Dies kann hier offenbleiben, da der weitere Beteiligte zu 1) ein wissenschaftliches Interesse jedenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt hat.
Wissenschaftliche Befassung bedeutet Beschäftigung zu Zwecken der Lehre und – insbesondere – der Forschung, wie dies dem Begriffsverständnis in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entspricht (vgl. Haertlein, ZZP, 114 [ 2001], 441 [442]). Der Oberbegriff
„Wissenschaft“ bringt den engen Bezug von Forschung und Lehre zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Urt. v. 29. Mai 1973, 1 BvR 424/71, BVerfGE 35, 79 [113, juris Rn. 93]). Wissenschaftliche Tätigkeit umfasst alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (BVerfG a. a. O. juris Rn. 92; Beschluss vom 1. März 1978, 1 BvR 333/75, 1 BvR 174/71, 1 BvR 178/71, 1 BvR 191/71, BVerfGE 47, 327 [juris Rn. 151]). Die Rechtswissenschaft ist in diesem juristischen Sinn eine Wissenschaftsdisziplin und derjenige, der Gerichtsentscheidungen zum Zweck einer Urteilsbesprechung auswertet, betreibt zwar Forschung (vgl. Haertlein, a. a. O.); hier geht es dem weiteren Beteiligten zu 1) jedoch nicht um die juristische Auseinandersetzung nach innerhalb des Fachbereichs anerkannten Methoden mit einer – ihm bekannten – Gerichtsentscheidung, zu der er bereits eine Anmerkung veröffentlicht hat, sondern „allein um Fragen des Ablauf[s] des Verfahrens und den Weg, wie die Entscheidung entstanden ist“. Der weitere Beteiligte zu 1) hat weder ein Forschungskonzept zu zivilprozessualen Verfahrensabläufen vorgelegt noch auf andere Weise ein konkretes Forschungsvorhaben dargelegt, mit dem er das Ziel verfolgt, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Auch wenn im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte freie Wissenschaft, die auch die Wahl der Methoden umfasst, und auch Forschungsansätze schützt, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994, 1 BvR 434/87, BVerfGE 90, 1 [juris Rn. 47], die Anforderungen an die Darlegung des geplanten Forschungsvorhabens nicht überspannt werden dürfen, genügt es nicht, dass der Gesuchsteller lediglich die Rechtsbehauptung aufstellt, wissenschaftlich tätig zu werden. Denn die Einordnung unter die Wissenschaftsfreiheit kann nicht allein von der Beurteilung desjenigen abhängen, der das Grundrecht für sich in Anspruch nimmt (BVerfG a. a. O Rn. 48). Der vom weiteren Beteiligten zu 1) geäußerte Wunsch zu überprüfen, wie es in einem Einzelfall zu einer – inzwischen rechtskräftigen – Entscheidung gekommen sei, reicht nicht aus, um ein wissenschaftliches Interesse darzulegen. Schon aus diesem Grund ist hier eine analoge Anwendung des § 476 StPO nicht in Betracht zu ziehen.
III.
Eine Erstattung der dem Antragsteller entstandenen außergerichtlichen Kosten wird nicht angeordnet. Diese Entscheidung ergeht nach billigem Ermessen gemäß § 30 Satz 1 EGGVG. Der Umstand, dass ein Antrag Erfolg hat, reicht für eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse nicht aus. Vielmehr entspricht eine Kostenerstattung im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG dann billigem Ermessen, wenn sie durch besondere Umstände gerechtfertigt ist. Begründete Erfolgsaussichten allein genügen nicht, wohl aber ein offensichtlich fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten der Justizbehörde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2008, IV AR [VZ] 3/05, juris Rn. 1; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018, 1 VAs 16/18, juris Rn. 17; KG, Beschluss vom 18. November 2014, 4 VAs 29/14, juris Rn. 8 und Beschluss vom 20. Mai 2014, 1 VA 7/14, juris Rn. 4; Herget in Zöller, ZPO, § 30 EGGVG Rn. 2; Köhnlein in BeckOK GVG, 12. Ed. Stand: 15. August 2021, § 30 EGGVG Rn. 8 m. w. N.; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, § 30 EGGVG Rn. 5 m. w. N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Rechtsmeinung der Justizbehörde, der weitere Beteiligte zu 1), der sich auf Art. 5 Abs. 3 GG berufe habe ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme geltend gemacht, ist weder offensichtlich fehlerhaft noch als willkürlich zu werten.
Für den erfolgreichen Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG fallen keine Gerichtskosten an (vgl. Nr. 15300 KV GNotKG und Nr. 15301 KV GNotKG; § 25 Abs. 1 GNotKG). Deshalb bedarf es auch keiner Geschäftswertfestsetzung.
Die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, § 29 Abs. 2 EGGVG, liegen nicht vor.


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