IT- und Medienrecht

Anfechtung des Beschlusses der Gläubigerversammlung

Aktenzeichen  1 HK O 3131/16

Datum:
25.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56296
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
SchuVG n.F.  § 5, § 20, § 24 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Der angegriffene Beschluss beruht auf einer Gesetzesverletzung und ist damit fehlerhaft.  (Rn. 23 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der in der Gläubigerversammlung am 22.06.2016 zu der Anleihe WKN A0N3.. gefällte Beschluss wird für nichtig erklärt.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervenientin zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Anfechtungsklagen erweisen sich als erfolgreich. Bei der Entscheidung blieben die nach der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2018 eingereichten Schriftsätze der Klägerinnen außer Betracht, weil die Beklagte keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen innerhalb einer hierfür nachgelassenen Frist hatte.
A. Die Anfechtungsklagen sind zulässig.
I. Statthaft ist vorliegend eine Anfechtungsklage nach § 20 SchuVG n. F.
Auf den Beschluss findet das Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31.07.2009 (SchVG) Anwendung. Zwar ist gemäß § 24 Abs. 1 SchVG auf Schuldverschreibungen die, wie die vorliegende Schuldverschreibung, vor dem 05.08.2009 ausgegeben wurden, noch das Schuldverschreibungsgesetz von 1899 (Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen – SchVG 1899) anzuwenden. Indes trifft § 24 Abs. 2. S. 2 SchuVG n. F. für „Opt-​in“-​Beschlüsse wie den vorliegenden die Bestimmung, dass deren Wirksamkeit anhand der neuen Rechtslage zu messen sei. Demzufolge war die klageseits im Hauptantrag gewählte Anfechtungsklage statthaft.
II. Die Klägerinnen sind prozessführungsbefugt.
Gemäß § 14 Abs. 1 SchVG 1899 muss, wenn die Gläubigerversammlung die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters beschließt, zugleich der Umfang seiner Befugnisse bestimmt werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Handlung einzeln bezeichnet werden muss, zu deren Vornahme der Vertreter ermächtigt wird (Assmann, Schuldverschreibungsgesetz 1933, § 14 Tz. 3; RGZ 86, S. 21 ff, 23). Vielmehr ist aus dem Inhalt jedes Beschlusses gegebenenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln, wieweit sich zu dessen Ausführung die Ermächtigung des Vertreters erstreckt (Assmann, a.a.O.. § 14 Tz. 3, RGZ 86, S. 21 ff, 23 f.; ebenso Verannemann in Verannemann, SchVG, 2. Aufl. § 7 Rz. 62 zum SchVG). Dem gemeinsamen Vertreter kann auch eine Generalvollmacht eingeräumt werden (Verannemann, a.a.O., § 7 Tz. 62). Dabei muss die Gläubigerversammlung sich in den Grenzen halten, die überhaupt Mehrheitsbeschlüssen der Gläubigerversammlung gezogen sind (Assmann, a.a.O., Tz. 3). Werden dem Vertreter durch Beschluss keinerlei Befugnisse eingeräumt, so hat er nur die ihm kraft Gesetzes ohne weiteres zustehenden Rechte (Assmann, a.a.O., Tz. 4). Ob die „Geltendmachung der Rechte der Anleihegläubiger“, welche mit Beschluss der Gläubigerversammlung vom 18.07.2013 einem Gemeinsamen Vertreter übertragen wurde, sich auch auf die Ausübung des Anfechtungsrechts bezieht, ist Auslegungsfrage; im Zweifel ist das jedoch nicht der Fall (Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, 21. Aufl., Anh. n. § 47 GmbHG Rn. 139; OLG Nürnberg 2014, 1097 f.). Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, die darauf schließen ließen, dass die Gläubiger dem Gemeinsamen Vertreter auch das Anfechtungsrecht übertragen wollten.
III. Die unterbliebene Anfechtung der Bestätigungsbeschlüsse aus dem Jahr 2017 durch die Klägerin zu 1) (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 25.09.2018) nimmt der vorliegenden Klage nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Zum einen stellt das Berufen auf diesen Aspekt – mit dem zugrundeliegenden Sachvortrag, aber auch der Einwand als solcher – ein Verteidigungsmittel dar, welches binnen nicht nachgelassener Frist vorgebracht ist (§ 296a ZPO); Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung bestand schon deshalb nicht, weil das Verfahren vor Schluss der mündlichen Verhandlung umfassend behandelt worden ist und sich der neue Aspekt wegen der Wirkung des Urteils (nach zutreffender Auffassung, vgl. unten B. VI.) inter omnes ohnehin nur auf die Kostenentscheidung auswirkt.
Des Weiteren kann es zu einer Teilklageabweisung in Richtung gegen die Beklagte zu 1) aufgrund der Regelungen zur Rechtskrafterstreckung nicht kommen (§§ 265, 325 ZPO) – nachdem das Urteil nach zutreffender Auffassung inter omnes wirkt (vgl. unten B. VI.), liegt ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft vor.
Darüber hinaus hat die Klägerin zu 1) trotz nachfolgender Bestätigung der Beschlüsse ein Rechtsschutzinteresse. Zum einen ist nicht Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung dieser Anfechtungsklage, ob die Bestätigungsbeschlüsse überhaupt wirksam sind. Des Weiteren wirkt auch die Anfechtung der Bestätigungsbeschlüsse durch Dritte zugunsten der Klägerin; selbst, wenn man nicht von einer prozessualen Rechtskrafterstreckung ausgehen sollte, könnte sich die Klägerin zu 1) über § 4 SchuVG auf eine erfolgreiche Anfechtungsklage einer dritten Person berufen (vgl. Heidel/Müller Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. § 20 Rn. 3). Und zuletzt hätte die Klägerin zu 1) auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, selbst wenn sie die Wirkungen der Beschlüsse gar nicht mehr aus der Welt schaffen könnte.
B. Die Anfechtungsklagen erweisen sich als begründet gem. § 20 SchuVG.
I. Der angegriffene Beschluss leidet an einer Gesetzesverletzung gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SchuVG, denn die nach §§ 5, 24 Abs. 2 S. 2 SchuVG erforderliche (qualifizierte) Mehrheit der Gläubiger für die Beschlussfassung war nicht vorhanden.
1. Die Stimmen der Klägerinnen wurden bei der Beschlussfassung nicht mitgezählt.
2. Bei Berücksichtigung dieser Stimmen wäre die erforderliche (qualifizierte) Mehrheit nicht vorhanden gewesen. Etwas anderes macht auch die Beklagte nicht – und erst recht nicht qualifiziert – geltend (vgl. S. 11 ff. der Klageerwiderung), argumentiert vielmehr, abzustellen wäre allein auf die vom Gemeinsamen Vertreter abgegebenen Stimmen gewesen. Diese Auffassung geht jedoch fehl, denn die Ausübung der Gläubigerstimmrechte wurde dem Gemeinsamen Vertreter gerade nicht übertragen (vgl. insoweit auch die Ausführungen oben unter A. II.).
3. Die Stimmen der Klägerinnen wären mitzuberücksichtigen gewesen, weil es sich bei ihnen um Anleiheläubigerinnen handelte (vgl. auch OLG München ZIP 2018, 1497-1500).
4. Ob der Vollzug der Beschlüsse ihrer Nichtigkeit im Wege steht (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 16.02.2017, Seite 2 ff.), kann dahinstehen; die Anfechtbarkeit nimmt er ihnen jedenfalls im Hinblick auf die fristgerecht erhobenen Anfechtungsklagen (vgl. hierzu sogleich Punkt B. II.) nicht.
5. Der angegriffene Beschluss erweist sich damit als insgesamt fehlerhaft.
II. Die Anfechtungsfrist des § 20 Abs. 3 S. 1 SchuVG ist gewahrt. Angesichts der Bekanntmachung des Beschlusses am 29.06.2016 führte die Klageeinreichung am 21.07.2016 über § 167 ZPO entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. S. 2 und 9 des Schriftsatzes vom 16.02.2017, welcher sich zu § 167 ZPO nicht verhält) zu einer Wahrung der Anfechtungsfrist. Die Anwendbarkeit des § 167 ZPO scheitert auch nicht daran, dass die Möglichkeit „verdeckter“ Anfechtungsklagen das Vertrauen des Rechtsverkehrs in verlautbarte Beschlüsse im Kapitalmarkt beeinträchtigen könnte. Vielmehr entspricht es der Billigkeit, den Anfechtungsklägern vom Gericht verursachte Verzögerungen der Zustellung nicht anzurechnen. Selbstverschuldete Verzögerungen in der Zustellung führen, soweit sie 14 Tage überschreiten, ohnedies zu einem Versäumen der Anfechtungsfrist, sofern die Zustellung nicht schon vor Fristablauf bewirkt ist. Eine Obliegenheit, der Gesellschaft die Erhebung einer Anfechtungsklage anzuzeigen, ist dem Schuldverschreibungsrecht fremd.
III. Die Sachlegitimation verhält sich – wie die Beklagte selbst zutreffend auf S. 19 der Klageerwiderung ausführt – zur Prozessführungsbefugnis entsprechend.
IV. Die Klägerinnen haben noch zu Protokoll der Versammlung dem Beschluss widersprochen (vgl. Anlage K 8).
V. Die Anfechtungsklagen sind nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen. Zwar besteht kein Zweifel, dass der die Klägerinnen steuernde Herr K. die Anleihen nicht erworben hat, um sein Vermögen durch natürliche Kursveränderungen der Anleihen oder dadurch zu vermehren, dass die Beklagte mit dem ihr durch die Gläubiger zur Verfügung gestellten Kapital gewinnbringend wirtschaften kann; einziger Zweck seines Agierens ist vielmehr, die übrigen Gläubiger durch gleichzeitiges Erheben diverser Zahlungs- und Anfechtungsklagen sowie durch öffentliches Diffamieren der Anleihe unter Druck zu setzen, damit sie ihm die Anleihen zu einem höheren Preis abkaufen, um weiteren Schaden durch das Agieren des Herrn K. als Mitgläubiger abzuwenden. Einen anderen Grund können die Verbreitung negativer Informationen und Bewertungen über die Anleihe im Internet (unabhängig davon, ob sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind) und das prozessuale Vorgehen (welches bei einem Obsiegen der Klägerinnen nur zu einer Insolvenz der Beklagten mit einer Ausschüttung einer geringen Quote unter Einstandspreis führen kann) nicht haben. Diese bereits von der 8. Zivilkammer des Landgerichts München II getroffenen Feststellungen hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung erörtert und Herrn K. hierzu angehört. Er hat sie nicht in Abrede gestellt. Indes schließt das die Geltendmachung von Rechten als Anleihegläubiger nicht aus (vgl. auch OLG München ZIP 2018, 1497-​1500).
VI. Nachdem der angegriffene Beschluss insgesamt fehlerhaft ist (s. oben Punkt B. I. 5.), war seine Unwirksamkeit auf Antrag der Klägerin zu 2) insgesamt auszusprechen. Dass sich die Anfechtungsklagen der Klägerinnen zu 1) und zu 3) nur auf Teile des Beschlusses bezogen, ist ohne Belang, denn die – von der Klägerin zu 2) erwirkte – Entscheidung wirkt ohnehin inter omnes (so die mir vorzugswürdig erscheinende Mindermeinung; folgte man der herrschenden Meinung, käme es nicht zu einer prozessualen Rechtskrafterstreckung auf Dritte, indes zum selben materiell-rechtlichen Ergebnis über § 4 SchuVG; vgl. hierzu und zum Meinungsstand Heidel/Müller Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. § 20 Rn. 3), so dass es auf den (reduzierten) Umfang der übrigen Anträge nicht ankam und dieser im Tenor auch nicht auszusprechen war.
Dabei kann dahinstehen, ob die erfolgte Vollziehung durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage noch rückgängig gemacht werden kann (dagegen die Beklagte auf S. 2 ff. ihres Schriftsatzes vom 19.09.2018 mit Hinweis auf Beschlüsse des 31. Zivilsenats des OLG München von Mai 2018 und November 2016). Dieser Aspekt spielt jedenfalls keine Rolle für die Frage, ob die Anfechtungsklage zulässig und begründet ist, sondern betrifft vielmehr quasi die „Meta-Ebene“.
C. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.


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